Der Haupttempel des Genesa in Benares
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Unter sechsmalhunderttausend Menschen, welche die Bevölkerung von Benares ausmachen, sind achtzigtausend Priester, nicht zu rechnen die vielen Tausende, welche vom Lande zur Stadt kommen, um als Hülfspriester ihren Amtsbrüdern an den Altären der Götzen Beistand zu leisten. Ein solches Heer von unproduktiven Faullenzern zu ernähren, das würde der Stadt unmöglich seyn, wenn nicht die meisten der unzähligen Tempel große Vermögen an Capitalien und Grundeigenthum besäßen, entstanden, gleich denen christlicher Kloster, aus den Schenkungen und Vermächtnissen der Frommen im Laufe vieler Jahrhunderte. Die Einkünfte daraus geben der Priester-Sekte die Hauptmittel ihres Unterhalts her, und das Uebrige fließt aus dem Seckel der Gemeinde, und, als Opfer, aus denen der Tempelbesucher. Der Reichthum mancher Verehrungsorte ist dort so groß, daß die ärmern Pilger noch mit freier Zehrung während ihres Aufenthalts in Benares und mit Geld zur Rückreise unterstützt werden können. Doch macht kein Hindus davon Gebrauch, außer in der dringendsten Noth.
Der größere Theil der Tempel ist dem Gott Schiwa geweiht, der mit Wischnuh und Brahma die Dreieinigkeit ausmacht, eine Vorstellung, welche, wie in so vielen Religionen, auch in der indischen Eingang gefunden hat. Schiwa ist der Gott der Zerstörung; und da nach dem Begriffe der Hindus jedem Leben der Tod, Zerstörung jedem Neuwerden und Neugestalten vorausgehen muß, symbolisch zugleich der Gott des Lebens. Die Verehrung des allzerstörenden und allbelebenden Gottes ist der Inbegriff alles Scheußlichen, und viehische Orgien sind es, welche Pilger und [108] Pilgerinnen vorzugsweise zu seinen Altären locken. Nächst ihm steht Genesa, der Gott der Weisheit, in Ansehen, und auch in dessen Tempeln geschehen Dinge, welche der sittliche Mensch sich nicht denken, geschweige beschreiben mag. Der Elephant, als das klügste der Thiere, ist diesem Götzen besonders heilig. Der Stahlstich zeigt das imposante Innere der größten, dem Genesa gewidmeten Pagode in Benares. Sie ist von rothen Sandsteinquadern aufgeführt und kuppelförmig gewölbt. Die Elephantenköpfe und andere Skulpturen im Innern sind roh, aber von colossaler Größe.
Ein von den Priestern genährter, schrecklicher Aberglaube überliefert jährlich viele der neugebornen Hindu-Mädchen dem gewaltsamen Tode. Söhne zu haben, gilt den Aeltern für eine Ehre und für einen Beweis der Gnade der Götter, und diesem Vorurtheile knüpft sich die Vorstellung an, daß, wenn ein Vater sein neugebornes Töchterchen dem Gotte schlachtet, er ihm zunächst dafür einen Sohn schenken werde. – Der gewöhnliche Weg, das kleine Wesen aus der Welt zu schaffen, ist, es sogleich nach der Geburt in einem Zuber mit Milch zu ersäufen. In diesem Falle erhält der dienstthuende Brahmine eine mäßige Gabe; für reichere Aeltern aber geschieht das Opfern des armen Säuglings im Tempel unter gewissen Zeremonien. Der Schlächter ist der Brahmine, das Instrument die Keule, und während diese das am Boden sich krümmende Kind zerschmettert, schlägt ein Priester eine metallene Pauke, und andere Brahminen in einer Seitenhalle singen der Gottheit eine Hymne.
Wer möchte bei diesem schauderhaften Anblick den Tag nicht preisen, an welchem zuerst das christliche Kreuz auf indische Erde gepflanzt ward, das Licht, vor dessen Strahlen die Finsterniß des Aberglaubens und der Unwissenheit allmählich flieht? wer den starken Arm nicht segnen, der in diesen Ländern der verbrüderten Habsucht der Fürsten und Priester immer engere Schranken zieht? Wenn England sein großes Werk mit Bibel, Gesetz und Schwert in Indien vollbracht haben wird, welche Elemente der Größe dort und des Ruhms für die regenerirten Völker! Schon hebt die Uhr aus, um dem Brahamismus die letzte Stunde zu schlagen. Schon sind viele Tempel, wo man noch vor 20 Jahren Orgien feierte, und Gott Menschenopfer brachte, verödet und verlassen, und 21 zählt man in Calkutta allein, die verwandelt sind in christliche Kirchen. Vergebens wiegeln die Lügen-Priester die Bevölkerung gegen ihre christlichen Herren und Wohlthäter auf! Die Herzen sind mit Eis umgeben; der Hindu antwortet: dieß ist verhängt; was kümmert’s uns, ob ein Muselmann oder Christ unser Herr ist? Wir können im Tausche nichts verlieren. – Noch ein Tag, und der Götzendienst, morsch und veraltet, wird zusammenstürzen und das christliche Indien eintreten in eine neue, eine große Zeit. –