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Tegernsee (Meyer’s Universum)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCCXV. Paulinzelle Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCXVI. Tegernsee
CCCXVII. Der Haupttempel des Genesa in Benares
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TEGERNSEE

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CCCXVI. Tegernsee.




Als die Kirche, der Cäsaren Erbin, nach und nach zur Herrschaft über die weströmische Erde gelangte, nahm sie Besitz von ihren Paradiesen, und bevölkerte sie, wenn nicht mit Engeln und Unschuldigen, doch mit Heiligen und Mönchen. Auch dieses reizende Thal gehörte einer Abtei. Es ist ein ovaler Bergkessel, den ein blanker See zur größern Hälfte ausfüllt, an dessen Gestade das ehemalige Kloster Tegernsee und das Dorfchen Egern gebaut sind. Ober- und unterhalb des Sees lachen üppige Wiesengründe, rauscht ein heller Bergstrom, und das Ganze faßt das Amphitheater der Vor-Alpen ein, welches theils hoch und steil vom Ufer aufsteigt, theils sich gemach erhebt, und dessen Fuß mit Matten und Feldern, auf dem Rücken aber mit Hochwald prangt. Es ist ein schöner Fleck der Erde, einsam und abgeschlossen, der Wald voller Wild, der See voller Fische, und die Natur voller Poesie.

Die Legende von der Gründung, und wie aus der armen kleinen Zelle im Lauf der Zeiten eine steinreiche, gefürstete Abtei der Benedictiner wurde, ist eine lange alltägliche Geschichte, und es verlohnt der Mühe nicht, deshalb den Staub alter Urkunden aufzurütteln. Genug, die Chronisten nennen 756 als Geburtsjahr Tegernsees, erzählen viel von dem heiligen Quirinus, von den Wundern seines von Rom hergeschafften Leichnams, von canonisirten Aebten und den Schenkungen frommer Fürsten und Herren, auch von der Gelehrsamkeit der Mönche, und wie sie schon zu Anfange des 16ten Jahrhunderts eine eigene Druckerei gehabt, und Bücher, Bilder und Naturalien eifrig gesammelt hätten; auch wie sie Fehden gekämpft, tapfern Rittersleuten gleich, gegen die Wegelagerer und Räuber umher. Der Vater des jetzigen Regenten Bayerns, Max, der König mit dem lichten Geiste und dem warmen Herzen, säcularisirte Tegernsee mit 200 andern Klöstern und machte ein Jagdschloß daraus.

Der Troß der Glaubensheuchler hat ihn darob gescholten und wirft noch Steine auf sein berastes Grab. Diese Menschen, deren Ideal von Gerechtigkeit nichts weiter thun soll, als den Besitz heiligen, und das Bestehende schonen, gebärden sich, als wüßten sie nicht, daß der gerechte Gott selbst ja zerstört, um zu schaffen und [106] nimmt, um zu geben. Im Sinne dieser höchsten Gerechtigkeit hat Max gehandelt, als er die Kloster säkularisirte, die zu hohen Schulen der Finsterniß herabgesunkenen Universitäten in Ingolstadt, Bamberg u. s. w., reformirte, oder aufhob, den Jesuiten das Privilegium der Volkserziehung raubte, die Wallfahrten verbot, Gemeindegüter vertheilte, vollständige Glaubensfreiheit aufrichtete, die Vorrechte einzelner Stände vernichtete, alle Staatsbürger, ohne Ansehen der Geburt und des Rangs, einer gleichen Besteuerung unterwarf, die ungebührlichen Rechte des Adels schmälerte, die Kette der Leibeigenschaft, wo sie noch bestand, zerriß, das Erbregiment der Patrizier in den Städten zerstörte und die überall, wo sie geduldet werden, so verderblich wirkenden Geheim-Verbindungen der Heuchelei und des Egoismus auseinandersprengte und öffentlich brandmarkte; als er zu einer Zeit, wo es als fürstliche Weisheit galt, den Völkern gelobte Versprechungen zu verkümmern, oder sie sophistisch zu verdrehen, oder ihre Erfüllung zu versagen, treu seinem gegebenen Wort, Bayern mit der freisinnigsten Constitution beschenkte, und sein Volk hochgeehrt hat, als er Freiheit der Presse wahrhaft königlich verkündigte. Max sang nicht in Sonetten von der heiligen Jungfrau und von der Freiheit, spielte mit der Weihe der Religion und ihren heiligen Geheimnissen nicht; forderte nicht Entzückung von Jedermann, auch nicht Bewunderung ohne Ende; aber mit einem Leben voll Tugend, und mit einem Herzen voll Heiligkeit hat er im Andenken seines Volkes und im großen Buche der Menschenwurde einen Ehrenplatz für alle Zeiten sich errungen. Max war keine gewaltige Fürstenerscheinung, die Entsetzen einflößt; keine geniale, welche mit Lüderlichkeit, Lüge und Falschheit im Bunde mehr Abscheu als Bewunderung erregt; sondern eine keusche, sittliche Erscheinung, die, selten im Privatleben, am seltensten auf dem Throne, mit Seligkeit erfüllt.

Tegernsee war Maxens Lieblingsplätzchen. Hierher flüchtete der König, wenn ihn der Ekel vor der conventionellen Sclaverei des Hoflebens und dem verkünstelten Staats- und Gesellschaftswesen übermannte, aus der unendlichen Schreib- und Tabellenwelt des Regierens, aus dem Treiben um ihn der voll Ueberspannung, Freigeisterei und Frömmelei, aus den grellen Widersprüchen von Kraft und Schwäche, von Thorheit und Weisheit, von Wahrheit und Lüge, die ihn in tausend Chamäleonsgestalten begegneten und zu täuschen suchten. Hier, in Tegernsee, froh der frischen unwandelbaren Natur der Söhne seiner Berge, denen er auf seinen einsamen Wanderungen und Jagdparthien so gern und treuherzig zusprach, fand er das heitere Bild vom Menschen wieder, welches ein stetes Weilen im Kreise der Höflinge zur elenden, widerlichen Carrikatur gemacht haben würde. In der Betrachtung der großartigen Natur und in der stillen Beobachtung der Erscheinungen derselben gewann die Seele des Königs nicht blos jene ihm eigenthümliche Denkweise, in der Gesetzmäßigkeit und Ordnung vorherrschten, sondern auch jene Erhabenheit der Gesinnung, die es ihn versuchen ließ, seinen Regentenberuf mit den Ideen in Einklang zu bringen, welche ihm offenbar wurden inmitten einer Schöpfung voll Größe, Schönheit und Herrlichkeit. Fühlte er sich dann gestärkt zum bessern und edlern Menschen, kehrte er in die täuschungsvolle Residenzwelt und in [107] den Sorgenkreis des Regenten zurück, um, wenn wiederum ermüdet, oder war sein Blick wiederum getrübt, aus dem immer frisch sprudelnden Quell jungen Muth und neue Kraft zu schöpfen. –

Eines Monuments von Stein und Erz, das man ihm in Tegernsee setzte, hat dieser König wahrlich nicht bedurft. Wer noch heute dort in den Alpgründen und auf jeder Alm nach dem Vater Max fragt, der wird sein Andenken treu gehegt finden und treu gepflegt, und in jeder Sennhütte Worte der Liebe hören.