Zum Inhalt springen

Der Heiligenschein (Die Gartenlaube 1862)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: W. v. W.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Heiligenschein
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 176
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[176] Der Heiligenschein. Diese Bezeichnung wird hauptsächlich von den Malern gebraucht und zwar von denen, welche sich in der geschichtlichen Abtheilung der Kunst mit Darstellungen aus dem Leben der Kirchengründer und Heiligen befassen. Aber nicht von diesen tellerartigen gemalten Heiligenscheinen wollen wir heute unsern Lesern erzählen, sondern von solchen, mit welchen die Natur das menschliche Haupt umgiebt, von Erscheinungen, welche herrlicher und geistiger sind, als alle Kunststücke des Malerpinsels, welche dem Elmsfeuer vergleichstun wären, wenn dieses sich je um ein menschliches Haupt geschlungen hätte. Ich muß jedoch vorbemerken, daß diese Erscheinung nicht an der menschlichen Gestalt selber, sondern nur an deren Schatten zu entdecken ist. Möge der Leser sich in der Morgenfrühe nach einer thauigen Nacht hinaus auf die Wiese begeben, wo der Thau noch an den Spitzen der Grasblättchen hängt. Am besten geschieht dieses im Frühlinge, wo die Grasblättchen noch kurz sind, oder im Herbste, wo die abgeschorenen Halme wieder sprießen, wo die Blättchen also eine ziemlich ebene Fläche darbieten. Der Beobachter hat in dieser Zeit auch nicht so frühe aufzustehen, um den Thau noch frisch im Morgenlichte auf den Gräsern spielen zu sehen. Je schärfer nun der Schatten des Wanderers sich auf dem Rasen abhebt, je schärfer und kräftiger wird er den Heiligenschein um sein Haupt, d. h. um seines Hauptes Schatten erglänzen sehen. Wenn Hunderte von Beobachtern auf der Wiese ständen, so wird jeder die demantfunkelnde Strahlenkrone beobachten können, welche ihn unter die Heiligen emporhebt. Dabei findet leider die Erscheinung jedesmal statt, welche bei manchen kirchlichen Heiligen wohl auch vorzukommen pflegt, daß Jedermann nur seinen eigenen Heiligenschein bemerken, den der andern, selbst seiner nächsten Nachbarn, aber nicht entdecken kann.

Die genannte Erscheinung kann nur im ersten Augenblicke überraschen. Wenn der Leser sich in dem Morgensonnenscheine auf die Wiese stellt und dabei sein Angesicht dem Schatten zuwendet, fällt sein Blick, wenn er nach dem Schattenhaupte sieht, gleichlaufend mit den Sonnenstrahlen. Seine Blicke ruhen daher senkrecht auf dem Flecke der Thautröpfchen, welche seinen Hauptschatten zunächst umgeben, mithin funkeln diese um so greller und feuriger, abgesehen davon, daß sie noch durch das Dunkel des Schattens um so mehr hervorgehoben werden. Je weiter die Tröpfchen von dem Rande des Schattens abstehen, desto geringer erscheint dem Auge der erleuchtete Fleck, weil das Auge ihn nur unter einem Winkel erfassen kann. In der Entfernung von einem Fuß bis zu achtzehn Zollen kann man aber diesen glänzenden Fleck nicht mehr gewahren, das Auge trifft also dann nur das frische Grün der bethauten Wiese.

Der Heiligenschein des Schattens bietet auf diese Weise eine prächtige Lichtwirkung dar, welche von dem höchsten dem Auge noch wohlthuenden Glanze sich ohne merkliche Abstufungen bis zum leisesten Schimmer verwäscht und in diesem auf dem grünen Rasen verschwindet. Kein Maler wird im Stande sein, dieses so lebendige und doch so zarte Lichtgefunkel durch seine Kunst wieder zu geben, und der, welchem es gelänge, den Strahlenkranz von seines Hauptes Schatten auf sein Haupt zu bringen und in dieser Zierde von Allen gesehen umherzuschreiten, würde als Meerwunder angestaunt werden. Dennoch mag ein großer Theil der gebildeten Welt diese Erscheinung, die man beobachten muß, um sich einen Begriff von ihr zu machen, noch niemals erblickt haben, eine Lichterscheinung, die unseres Wissens noch in keinem Handbuche der Naturwissenschaften verzeichnet steht, obschon sie beinahe jedem Menschen täglich mehr oder minder prächtig geboten wird.

Wir würden uns für die geringe Mühe der Darstellung genugsam belohnt finden, wenn der eine oder andere Leser dieser Zeilen sich einmal an einem schönen Morgen früher dem Lager enthöbe, sich hinaus machte und sein byzantinisch ausgestattetes Schattenbild auf dem frischbethaueten Grase beobachtete. Wir dürfen auf seine Anerkennung, auf seinen Dank rechnen! –

W. v. W.