Der Inselsberg
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Auf, auf! ihr Freunde! rüstet Euch,
Heut’ ist ein goldner Tag;
Wir steigen jetzt die steile Bahn
Zu unserm Inselsberg hinan,
Wer Muth hat, folge nach!
– so hallt es wider aus vergangenen Tagen der Lust beim Blick auf das Bild meines lieben Bergs, den oft erstiegenen; regenbogenfarbig strahlt mir die Jugend in die Seele hinein und ich grüße ihren Geist und bin froh, daß sie sich tüchtig getummelt hat auf der Heimath Berge und Auen und sie keine kopfhängerische gewesen, die dem Schoß des Lebens Saft und Kraft für’s reifere Alter vornwegnimmt. Wenn ich daran denke! Wit welcher Gluth sich dort oben die Knabenseele in den Lichtschimmer des Göttlichen tauchte; mit welchem Feuer des Gefühls sie des Schöpfers Herrlichkeit umfaßte, und welche Pläne damals auf dem klaren Bache des Gemüths für die kommenden Jahre schwammen. Ich bin nicht kalt geworden, das weiß Gott; aber frostig ist doch das Gefühl im Vergleich zu dem jener Tage der Inselbergfahrten, deren Erinnerung meine Brust aufthaut, wie wiederkehrender Frühling.
Besonders ist’s eine Fahrt, die mir unvergeßlich bleibt. Ich war von Gotha, meiner Vaterstadt, an einem August-Nachmittage noch spät fortgewandert, um auf dem Berge den Sonnenaufgang zu schauen. Als ich nach Waltershausen kam, einem 3 Stunden entfernten Städtchen, (dem auf dem Bilde zu den Füßen des Berges ruhenden), stand die Sonne tief am Horizonte. Hinauf waren’s noch 2 Stunden. Cabarz, das letzte Dorf, wurde im Zwielicht erreicht; jenseits aber, in des Waldes Dunkel, überraschte mich die Nacht. Der Wege kundig hatte der wagliche Muth dem Rathe, einen Führer zu nehmen, mit Spott erwidert. – Wohlgemuth tappte ich im Mühlbachthale fort, den Pfad zum Hohensteig zu treffen, der nach der Kuppe führt. Da kamen Kreuzwege und stellten Schlingen, und ich stellte mir die Frage, die man im Leben so oft sich thut: welches ist der rechte Weg? Ich wählte; doch der Muth war hin, und vergeblich pfiff ich mir lustige Stückchen vor. Dunkler und immer dunkler ward es um mich, und trotz meines Ziegenhainers, der mir zum Fühlfaden diente, stolperte ich über Stock und Stein und Baumwurzeln auf dem, wie es mir vorkam, immer enger werdenden Pfade mit jedem Schritte. Endlich [36] stand ich still und rathschlagte, ob es nicht besser sey, zu bleiben und den Morgen abzuwarten; – da stieg der Mond mit vollem Angesicht über eine Felsenwand herauf. Ich athmete leicht, da ich das Gestirn erblickte, welches mir weiter leuchten sollte, und ich jauchzete auf, als ich ganz in meiner Nähe, im bleichen Schatten, den wohlbekannten, uralten Bergstein glänzen sah, mit der Inschrift: Röthelgeheu, Inselberg. Mit der Gewißheit, den Weg nicht verfehlt zu haben, war auch die Müdigkeit verschwunden, und nicht, um auszuruhen, sondern um die Herrlichkeit der Nacht zu genießen, setzte ich mich am Steine nieder. Die Natur feierte, kein Laut verrieth ein lebendes Wesen, nur die Bäche, die murmelnd von den Bergen nieder in die Gründe wandelten, koseten mit einander, und aus dem naben Felsenthale kreischten ein paar Uhu sich Frage und Antwort zu. Ueber mir ragten Felsblöcke, wie wunderliche Riesen, um mich schaukelten thurmhohe Tannen ihre Häupter und lange Schatten tanzten gespenstige Reigen. Keine Furcht kam in mein junges Herz; aber unwillkührlich zog mich’s nieder auf die Kniee; – und ich zähle jene Augenblicke zu den seligsten meines Lebens.
Nach dem Beerberg und dem Schneekopf ist der Inselberg der höchste Gipfel des Thüringer Waldgebirgs, und unter allen seinen Bergen derjenige, welcher sich durch seine malerische Gestalt am meisten auszeichnet. Er bildet auf dem Nordwestende jenes Gebirgs (von den Städten Gotha, Eisenach, Schmalkalden gleichweit und 4 Stunden entfernt und den Mittelpunkt ihres Dreiecks ausmachend) eine abgerundete Kuppe von großer Basis, deren steil abfallende Seiten bis zum Scheitel bewaldet sind. Die Masse des Bergs ist Granit, welchen der Porphyr überlagert. Ich zweifle nicht, daß des Berges ursprünglicher Bau einst weit höher aufragte; denn rundum thürmt sich Schutt, Geschiebe und Gerölle an seinem Fuße und seine Trümmer füllen ganze Thäler aus. Seine jetzige Höhe über der Meeresfläche ist gegen 2900 Fuß.
Queer über die oberste, baumfreie Fläche laufen die Ländergrenzen von Gotha und Kurhessen hin, und auf gothaischer Seite steht ein achteckiges Haus, dessen Oberstock einen heizbaren Salon enthielt, von dem man sonst die schönste Aussicht in ganz Central-Deutschland, geschützt vor der scharfen, oft stürmischen Zugluft, ganz bequem genießen konnte. Die jetzige Regierung hat nichts gethan, das Haus, das schon um seines Erbauers, Herzogs Ernst des Frommen willen, Erhaltung verdiente, vor dem Verfall zu schützen. Ein paar hundert Schritte weiter unten, in einer geschützten Lage, steht das Wirthshaus, Stube, Kammer und Stall im engen Raume fassend, wo im Sommerhalbjahr, von Ostern bis im October, die Schaaren der Reisenden Obdach und Erfrischungen finden. In einem kleinen Garten daneben wird manchmal etwas Gemüse gezogen. Im Winter, der hier oft 7 bis 8 Monate dauert (selbst im Hochsommer fällt zuweilen Schnee, und zu keiner Jahreszeit wird man eine wohlgeheizte Stube überflüssig finden), ist das Haus unbewohnt.
[37] Es vergeht fast kein Tag im Sommer, der dem Berge nicht auf einem oder mehren Pfaden eine Schaar Wanderer aus Nah und Fern zuführte, und an schönen Tagen häuft sich die Zahl derselben wohl so, daß man nicht sicher ist, ein Plätzchen auf der Streu zu finden, wenn man oben übernachten will, um das Schauspiel des Sonnenaufgangs zu genießen. Daß ein heiterer Himmel den Zweck der Fahrt begünstigen müsse, leuchtet ein, und es ist, bei der Unbeständigkeit des Gebirgsklima’s, der Fall recht oft (wie ich selbst mehrmals erfuhr), daß der Reisende seine Hoffnung getäuscht und sich vom nässenden Nebel eingehüllt sieht, der ihn jeglicher Aussicht beraubt. Vorzüglich gilt dieß vom Sonnenaufgang. Es gehört schon Glück dazu, Alles günstig zu finden. Doch ist die Scene auch so prachtvoll, daß es des wiederholten Versuchs, zu seinem Genusse zu gelangen, wohl werth ist. In der Zeit des längsten Tages dauert die Dämmerung auf dieser Höhe so lange, daß man noch um 11 Uhr im Freien lesen kann, und ehe die allerletzten Spuren des Abendroths im Westen verschwunden sind, zucken schon im Osten die ersten Strahlen des Morgenroths. Wird aber auch der Reisende in der Hoffnung, den Sonnenaufgang zu sehen, getäuscht, so wird er doch gemeinlich in andern Erscheinungen Ersatz erhalten, welche ihn in der Tiefe nie erfreuen. Oft kann er auf dem Gipfel im Sonnenschein wandeln, während die Wolkenwelt wie ein endloses, vom Sturm bewegtes Meer zu seinen Füßen wallt. Er steht dann gleichsam auf einer Insel, entweder ganz abgeschnitten von der übrigen Welt, oder von ihr nichts erblickend, als einzelne Bergkuppen, die, kahl, oder bewaldet, oder mit Ruinen gekrönt, ebenfalls Eilanden gleich, aus dem Ocean emporragen. Dann und wann zerreißt wohl seine Fläche, und wie am Boden eines ungeheuern Schlundes, werden einzelne Punkte der Unterwelt – Dörfer, Städte, Wälder, Felder – sichtbar. „Alles übertrifft aber ein Gewitter, das tiefer sich über die Erde hinwälzt, und die sich durchkreuzenden Blitze und das Rollen des Donners unter den Füßen des Staunenden gewähren läßt.“ Auch der Untergang der Sonne ist ein Schauspiel, das tausende von Besuchern alljährlich nach dieser Höhe lockt, zumal dann herrlich, wenn man die Zeit wählt, wo nicht lange nach dem Verschwinden der Feuerkugel des Tags die volle des Mondes im Osten hervorkommt. „Niemand kann sagen, daß er die Schöpfung von ihrer erhabensten Seite kenne, wenn er noch nicht eine schöne Sommernacht auf einem solchen Berge verlebte, wo er den weiten Himmelsbogen mit Millionen Sternen prangen, und den Glanz des Vollmonds nicht in den Flüssen und Seen der schlafenden Erde sich spiegeln sah. Das Alles folgt dem Untergange der Sonne; – nach deren Aufgang entschleiert sich zwar die Natur, aber das Alltägliche, das oft Erlebte kehrt zurück.“ –
Die Aussicht von diesem Gipfel gehört nicht bloß zu der schönsten in Deutschland, sondern auch zu den ausgedehntesten; ja, in vielen Richtungen sind die Grenzen des Gesichtskreises kaum zu bestimmen. Das Plänkner’sche „Panorama“ zählt 1039 benamte, bei günstiger Atmosphäre und hellem Himmel mit unbewaffnetem [38] Auge erkennbare Punkte auf: Städte, Flecken, Dörfer, Weiler, Seen, Schlösser, Ruinen etc. etc. Nur in Südost ist der Blick durch ein paar höher aufsteigende Gipfel des Gebirgs – Schneekopf und Beerberg – beschränkter.