Der Kiefernprozessionsspinner
Der Kiefernprozessionsspinner.
Wie den großen Thieren manch wuchtige Waffe zum Schutze gegen ihre Feinde verliehen ist, so führen auch die kleinen, kaum bemerkbaren Geschöpfe Vertheidigungsmittel, deren Wirkungsweise dem Menschen nur zu oft seine Ohnmacht aufs deutlichste vor Augen führt. Wer kennt sie nicht, die zahllosen Quälgeister der Sommerszeit, die Mücken, Schnaken, Bremsen etc., die uns so oft mit ihrem peinigenden Stachel den Genuß des Tages und die Erholung der Nacht verkümmern. Oder erregt uns nicht z. B. bei dem Genusse frischen Quellwassers die ganze Schar der kleinen und kleinsten Lebewesen in demselben eine geheime Besorgniß? So haben auch schon seit vielen Jahren die Brennhaare des Eichenprozessionsspinners den Aufenthalt in Deutschlands Wäldern den Besuchern derselben verleidet, und neuerdings ist ein verwandter Plagegeist auch auf den Nadelbäumen wiederholt beobachtet worden.
In dem ganzen nordöstlichen Theile des Deutschen Reiches, von der Elbe bis zur Memel, treibt, wenn auch meist vereinzelt und auf kleine Kreise beschränkt, der Kiefernprozessionsspinner sein unheimliches Wesen und verjagt nicht nur Menschen, sondern auch Thiere aus dem von ihm besetzten Gebiete, indem alles, was in seine Nähe kommt, von einem peinlichen Jucken der Haut befallen wird. Die Aufmerksamkeit der Forstbeamten wurde bisher von diesem Spinner durch das gleichzeitige, viel zahlreichere Vorkommen eines den Kiefernwäldern bedeutend schädlicheren Insekts, nämlich der Nonne, über deren Verheerungen wir jüngst des weiteren berichtet haben, abgelenkt. Da aber die Raupen des Kiefernprozessionsspinners die zweijährigen Triebe der Kiefern bis auf die Nadelscheiden abfressen und jede andere Nahrung verschmähen, so dürfte auch ihr forstlicher Schaden nicht unbedeutend genannt werden. Besonders lästig wird das Auftreten dieses Insekts an der Ostseeküste, welche gerade während der Wanderzeit der Raupen von vielen erholungsuchenden Badegästen als Reiseziel ausgewählt wird.
Wie ihre Verwandten in den Eichenwäldern ziehen die dichtbehaarten Raupen des Kiefernprozessionsspinners in langsamem Gänsemarsch, 60 bis 100 Stück in einem Faden, selten und dann erst von der Mitte der ganzen Prozession an in doppelten und dreifachen Reihen, auf dem Erdboden dahin. Dabei strecken sie bald rechts, bald links hinter dem Vordermann den schwarzen, kurz und wenig behaarten Kopf hervor, als wenn sie ausschauen wollten, ob denn die vordersten noch nicht am Ziele wären. Hebt man behufs näherer Betrachtung eine Raupe mittels eines Stöckchens vorsichtig aus dem Zuge heraus, so schließt sich derselbe in kürzester Zeit und setzt seine Wanderung unbekümmert um die Störung fort.
Die aufgenommene Raupe (a) hat, bevor sie ihre Vollwüchsigkeit erreichte, mehrere Häutungen durchgemacht, aber trotzdem, abgesehen von der ersten derselben, ihr Kleid sehr wenig verändert. Früher, als kleines, dem Ei eben entschlüpftes Räupchen von 3 mm Länge, trug sie ein hellmaigrünes, mit regelmäßigen schwarzen Flecken geziertes Kleid während sie sich jetzt in einem schwarzen Gewande zeigt, das mit mattmoosgrünen Punkten dicht besät ist. Diese lassen für das Hervortreten der Grundfarbe nur einen mittleren Längsstreifen auf dem Rücken frei, welcher wieder mit größeren und kleineren rothen Warzen in der Weise zum Theil bedeckt ist, daß roth umränderte, schwarze Kreisflecke die Längslinie kennzeichnen. Diese schwarzen, sogenannten „Spiegelflecke“ sind mit unendlich vielen, äußerst kleinen Härchen sammetartig bewachsen. Aus den rothen Warzen entspringen nach vorn und nach hinten gerichtete rothe Haare; die Seiten des Körpers schützen lange, weiße Haare, welche den Querdurchmesser der Raupe um das Doppelte übertreffen (b). Alle diese Haare (c) besitzen zahllose, nach der Spitze gerichtete Widerhäkchen, welche an Gestalt den Dornen der Rose sehr ähnlich sind.
Gemeinschaftlich ist ihnen ferner ein feiner, hohler Kanal, der sie von der Spitze bis zur Anheftungsstelle durchzieht. Die rothen und die weißen Haare, nicht die Spiegelhaare, stecken, wie Keller gezeigt hat.*[1] in der Haut mittels einer dicken, braunen Hülse, an deren unterem Rande sie befestigt sind. Unter der Oeffnung des Haares liegt eine birnförmige Drüse, welche eine stark ätzende Flüssigkeit, Ameisensäure, aussondert, um das hohle Haar damit zu füllen. Die ausgewachsene Raupe, welche 5 cm lang wird, besitzt mehr als 5000 solcher „Giftdrüsen“. Da die feinen Härchen wie gesagt nach oben gerichtete Häkchen tragen, so werden sie bei jeder Berührung mit anderen Gegenständen sogleich in die Drüse hineingestoßen und mit Gift gefüllt. Verliert nun die Raupe einzelne Haare – und diese brechen sehr leicht an ihrem Grunde ab – so bleibt das Gift in denselben, weil es durch den Luftdruck am Ausfließen aus dem engen Kanal verhindert wird. Hat später ein solches Härchen Gelegenheit, mit dem Schweiße einer menschlichen oder thierischen Hautpore in Berührung zu kommen, so löst derselbe das an der Oeffnung des Härchens inzwischen eingetrocknete Gift auf, und dieses bewirkt nachströmend die Entzündung.
Daß diese Haare so unendlich zahlreich umherfliegen können, hat mehrfache Gründe. Zunächst beliebt es der Raupe keineswegs wie den meisten andern, nach vollbrachter Häutung den abgeworfenen Balg zu verzehren, sondern alle Raupen eines Zuges lassen ihre abgestreiften Häute, mit wenigen einzelnen Gespinstfäden verbunden, [763] in den Astachseln, wo die Häutung gewöhnlich vollzogen wird, hängen und übergeben sie Wind und Wetter als Spielball. Bisweilen versammeln sich auch die Raupen behufs der Häutung am Stamme der Kiefern, sowohl in Mannshöhe, als auch am Grunde desselben. Sie überspinnen dann ihr Lager mit einem etwa 50 cm im Geviert fassenden, weißen und undurchsichtigen Schleier, der an Glanz und Zähigkeit gutem Seidenpapier gleichkommt. Ist die Häutung beendet, so fressen sich die Raupen erbsengroße Löcher durch den Schleier und suchen unter Zurücklassung der alten Häute neue Nahrung. Da die Haare wie hervorgehoben leicht abbrechen, gehen sie dem Thiere bei dem Umherkriechen in großer Zahl verloren und haften vermöge ihrer Widerhäkchen an jedem Gegenstande fest, auf welchen sie auftreffen. Endlich werden vor der Verpuppung die Haare theilweise zur Bildung des äußeren Cocons (d) benutzt.
Da dieser außerdem nur aus lose aneinandergefügten Sandkörnchen besteht, die Puppen aber sehr dicht unter der Erdoberfläche gelagert sind, so kann es nicht verwundern, daß durch Aufwühlen des Sandes die Härchen der Luft ausgesetzt und von ihr weitergetragen werden.
Daß nicht nur Menschen, sondern auch Thiere von dem Gifte dieser Haare entsetzlich zu leiden haben, ist wiederholt festgestellt worden. Hunde, welche sich im Walde voll innigen Behagens auf dem Rücken herumgewälzt hatten, geriethen fast in Tollwuth. Wagenpferde, die vor Ungeduld mit dem Vorderfuße gescharrt hatten, wurden durch das Brennen der angeflogenen Haare so wild, daß sie dem Durchgehen nahe waren. Es ist ebenso Thatsache, daß die Raupen nicht nur das Wild, sondern auch die Singvögel aus dem von ihnen besetzten Walde verjagen. Bisher konnten nur der Kuckuck und ein Laufkäfer, der Puppenräuber, als siegreiche Gegner unserer Raupen anerkannt werden.
Um sich vor den gefürchteten Raupenhaaren zu schützen, werden in der Angst Vorsichtsmaßregeln ergriffen, die fast lächerlich erscheinen. Handschuhe, Kopftücher, Schleier u. dergl. nützen sehr wenig. Durchaus empfehlenswerth dagegen ist das Einreiben der Haut mit Oel (Mandelöl), bevor man den Wald betritt. Das Oel hebt die Wirkung des ätzenden Giftes auf, indem es ihm den Eintritt in die Poren der Haut verwehrt und so die schmerzhafte Entzündung verhindert. Auch wiederholte Waschungen mit in Alkohol oder Wasser aufgelöster Pottasche oder Bestreichen mit angefeuchteter Soda mildern das Jucken der Haut.
Das durchgreifendste Mittel ist natürlich die Vernichtung des Insekts in jeder Gestalt. Aber das ist leichter gesagt als gethan. Das Tödten der Raupenzüge während der Wanderung durch Zertreten ist jedenfalls ganz zweckwidrig und geradezu strafwürdig, da unendlich viele Härchen auf diese Weise dem Staube beigemischt werden. Die Züge müssen vorsichtig zusammengekehrt und in größeren Kisten mit einschiebbarem Deckel, nicht in offenen Körben, gesammelt werden. Ebenso sind die Raupennester aufzunehmen, welche, in Astachseln sitzend, mit der Baumschere abgeschnitten werden. Das Theeren der Bäume ist nur von Nutzen für das Einsammeln der Raupen, da es leichter und gefahrloser ist, die an einem unteren Theile des Stammes angesammelten Raupen abzulesen, als dieselben nesterweise mit der Schere aus weiter Höhe herabzuholen. Das Zerstampfen der eingesammelten Raupen kann, auch wenn das Vergraben der Thierreste noch so bald erfolgt, nicht angerathen werden, weil dadurch die Zahl der umherfliegenden Härchen endlos vermehrt wird. Als einzig richtige Art der Vernichtung empfiehlt sich das Verbrennen, denn dadurch werden nicht nur die Thiere, sondern auch die Haare und das Gift in ihnen endgültig unschädlich gemacht.
Wird mit genügendem Eifer den Raupenzügen nachgestellt, so dürfte wohl kaum einer derselben sein ersehntes Ziel, eine der Sonne möglichst ausgesetzte, kühle, sandige Stelle, erreichen. Gelingt es aber einer Raupenfamilie, einen derartigen Platz ausfindig zu machen, so wühlen alle Mitglieder derselben dicht nebeneinander den Sand auf und verkriechen sich 10 bis 15 cm tief in demselben. Hier bildet jedes für sich einen trockenhäutigen, eiförmigen Cocon (d), dessen Außenseite, wie schon gesagt, mit Sandkörnchen und einzelnen Haaren bedeckt ist. Diese Cocons haben eine Länge von 22 bis 26 mm und eine Dicke von 6 bis 10 mm. Sie sind leicht an den bezeichneten Stellen zu finden, wo sie senkrecht nebeneinander aufgestellt sind. Jeder Cocon enthält außer der Puppe (e) den Rest des letzten Raupenkleides, der mit zahlreichen Haaren zu einem dichten Filz zusammengepreßt ist. Das Einsammeln der Puppen ist jedenfalls das gefährlichste Unternehmen, welches behufs Vertilgung des Kiefernprozessionspinners ausgeführt werden kann. Durch das Ausscharren der Puppen wird eine unbeschreibliche Anzahl von Gifthaaren aufgewirbelt, welche dem in hockender oder gebückter Stellung Arbeitenden bald das ganze Gesicht entzünden. Andererseits ist diese Arbeit wieder sehr gewinnbringend, da dort, wo eine Puppe gefunden worden ist, sicher deren 60 bis 100 beisammen stecken.
Diejenige Puppe, welche nicht gestört wird, ruht bis zum nächsten Sommer. Dann giebt sie einem Schmetterlinge das Leben, welcher dem Eichen- und auch dem Pinienprozessionsspinner sehr ähnlich sieht. Das Männchen (f), welches etwas kleiner als das Weibchen (g) ist, hat eine Flügelspannung von 36 mm, letzteres dagegen von 44 mm; der Leib ist 15, bezw. 18 mm lang. Die Vorderflügel des Männchens tragen auf grauem Grunde je zwei Paar unregelmäßige, dunkle Querbinden, welche mit gelblichen Rändern eingefaßt sind. Die Hinterflügel sind weißlich und haben einen gefleckten und gefransten Rand. Die Unterseite der Flügel ist heller als die Oberseite. Der Kopf (h) ist mit Büscheln langer, grauer Haare dicht besetzt. Zwischen den Augen und oberhalb derselben trägt der Kopf einen mit drei dicht aneinander gereihten Vertiefungen versehenen harten Fortsatz (i), dessen glänzende, tiefschwarze Färbung um so mehr auffällt, als unter einem Kranze kurzer Härchen nach rechts und links je ein Büschel schneeweißer Haare hervortritt. Die Fühler sind doppeltgekämmt, aber nach den Geschlechtern sehr verschieden an Größe und Behaarung. Die Kammzähne beider sind keulenförmig, am Rande behaart und an der Spitze mit je zwei kleinen Borsten versehen. Der weibliche Fühler (k) hat viel kürzere Zähne und feinere Behaarung als der männliche (l).
Unterhalb der Flügel ist zu ihrer Stütze eine sog. Haftborste (m) eingefügt, deren Gestalt große Aehnlichkeit mit der Feder eines Vogels hat. Im wesentlichen besteht diese Borste aus einem 5 mm langen, schaftartigen Gebilde, von dem nach der einen Seite eine schmale, nach der andern eine viel breitere Haut ausgeht. Der Saum der letzteren trägt an der unteren Hälfte einen kräftiger gebauten Rand als [764] an der oberen. Die Haut zeigt in großer Zahl punktförmige Vertiefungen, aus deren Grunde sehr feine Härchen entspringen. An der Anheftungsstelle ist diese Stützfeder mit vielen einzelnen Borsten umgeben, welche 2 bis 3 mm lang sind.
Der Leib beider Schmetterlinge ist rostbraun. Das Männchen trägt am spitzen Hinterleibsende ein Büschel einfacher Haare. Das Endglied des weiblichen Hinterleibes erscheint breit und kohlschwarz, mit ganz feinen und kurzen Querstrichen durchzogen. Bei näherer Untersuchung findet man, daß dasselbe aus mehreren Tausend dicht aneinander gepreßter Schuppen (n) besteht, deren allgemeine Gestalt derjenigen, der Flügelschuppen (o) vollkommen gleicht, diese aber an Größe ganz bedeutend übertrifft. Die eirunden Hinterleibsschuppen haben einen tiefschwarzen, schmalen und fein gezähnelten Rand, welchem sich ein breiter, ganz weißer Streifen anschließt. Der mittlere Theil der Schuppen ist nahe an diesem Streifen schwarzbraun und wird nach der Mitte hellbraun, nach den Seiten sogar wasserhell. Am hellbraunen Grunde sitzt ein ebenso gefärbter Nagel. Diese Schuppen haben eine höchst eigenthümliche Verwendung. Wenn das Weibchen die Puppe verläßt, bringt es schon die reifen Eier mit zur Welt und macht sich, sobald es den Gebrauch der Flügel erlernt hat, an die Erfüllung seiner Lebensaufgabe, an das Eierlegen. Da sein Flug schwerfällig ist, können wir es leicht beobachten, und so bemerken wir, daß es an niedrigen Baumzweigen oder an alleinstehenden sog. „Kusseln“ in Mannshöhe die Eier an ein Nadelpaar eines frischen Triebes ablegt (p). Dabei fängt es an dem unteren Theil der Nadeln an und erklimmt, indem es in dicht gedrängten Windungen dieselben umklettert, allmählich deren Spitze. Die mohnsamengroßen, kugelrunden und weißen Eier werden dabei sogleich verdeckt, und zwar mit einem schuppigen, hellbronzefarbenen Ueberzuge, der aus jenen oben beschriebenen Hinterleibsschuppen kunstvoll gebildet wird. Da aus zahlreichen Beobachtungen hervorgeht, daß der Falter am Grunde der Nadeln, oberhalb der häutigen Scheide derselben, mit dem Eierlegen beginnt und oft schon vorher einige Schuppen ablegt, diese aber am Hinterleibe mit dem Nagel anhaften und mit dem schwarzen Rande nach hinten gerichtet sind, so werden sie in derselben Lage beim Nestbau verwendet, ohne umgedreht zu werden. Nun sind an dem fertigen Nest die braunen Spitzen nach oben gerichtet, während die schwarzen Ränder nach innen liegen und verdeckt sind. Es werden also die Schuppen dachziegelförmig nicht übereinander gelegt, sondern untereinander geschoben! Oft reicht der Vorrath an Schuppen nicht aus, alle Eier zu bedecken, dann sind die letzten, nach den Nadelspitzen hin, unbedeckt. Die andern Eier aber überwintern unter ihrer Schutzdecke bis zum nächsten Frühjahr, wo des Lenzes Sonne sie zu neuem Leben erweckt.
- ↑ * Kosmos XIII.