Der Krieg mit der Türkei

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Krieg mit der Türkei
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 69. S. 273–275.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: The Sphynx
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[273]

Der Krieg mit der Türkei[1].


Je mehr die Hoffnung verschwindet, daß die Verhältnisse der europäischen Mächte mit der Türkei sich auf friedliche Weise werden ausgleichen lassen, um so mehr müssen auch alle Fragen an Interesse gewinnen, welche sich auf die neuen politischen Combinationen beziehen, die hierdurch unvermeidlich herbeigeführt werden würden.

Von den Revolutionen, welche am Schlusse des vorigen und zu Anfange dieses Jahrhunderts alle Länder Europas mehr oder weniger erschütterten, und von allen Verwüstungen der mehr als zwanzigjährigen Kriege, welche jene Revolutionen begleiteten, blieb die Türkei allein verschont. Vergebens drohte und schmeichelte abwechselnd Napoleon; die ottomanische Pforte blieb unbeweglich: der Sultan weigerte sich standhaft an dem großen Continental-Kampf Antheil zu nehmen, und hielt getreulich alle Verpflichtungen, die er gegen mehrere europäische Mächte eingegangen war. Viele sahen diese Unthätigkeit als eine Folge der Unbeweglichkeit dieser großen Völkermasse, oder ihrer Unwissenheit und ihres Religionsfanatismus an; wir sind indessen weit mehr geneigt, den Grund dieser Passivität in einer wohlberechneten Politik und in der gerechten Besorgniß zu suchen, die Griechen möchten den Krieg benutzen, um ein Joch abzuschütteln, das sie – wie sie schon mehr als einmal gezeigt hatten – nur mit dem größten Widerwillen trugen.

Diese strenge Neutralität von Seite der Türkei war den Alliirten bei ihren letzten Kämpfen gegen Napoleon von nicht geringer Wichtigkeit. Auch erkannte besonders Großbritannien den Vortheil, der ihm aus der Unthätigkeit der Türkei erwuchs, und das brittische Cabinet drückte dies in mehreren Erklärungen unverhohlen aus. So hieß es in der „Uebersicht des Zustandes der Nation im Jahre 1822,“ einer halbofficiellen Schrift: „Was auch der Charakter der Türkei und ihrer Regierung seyn mag, so ist sie doch de facto eine unabhängige europäische Macht, und hat eine ganz bestimmte Stellung auszufüllen. Wenn dies aber der Fall ist, so ist es auch im Interesse von Europa, der Türkei die Mittel zu gewähren, diese Stellung zu behaupten. Sie kann an ihrem Platze nicht fehlen, ohne daß die allgemeine Ordnung gestört würde; ganz besonders muß aber England daran liegen, die Türkei, so wie sie besteht, zu erhalten. Auch haben unsere diplomatischen Verhandlungen stets diesen Zweck vor Augen gehabt, und sie mußten demnach unter den gegenwärtigen Umständen eher suchen ihre Macht zu heben, als sie zu verringern.“

Großbritannien ist in der That immer als der natürliche Verbündete von der Türkei betrachtet worden, und seitdem es die ionischen Inseln besitzt, muß man gestehen, daß es auch die einzige Macht ist, welche im Stande ist, die Existenz der Pforte zu garantiren. Wäre diese schützende Inselgruppe in die Hände der Russen oder Oesterreicher gefallen, so leidet es wohl keinen Zweifel, daß dieses Reich in kurzer Frist seinem Untergang entgegen sehen könnte.

Die erste Abweichung von dieser richtigen Politik ließ das brittische Cabinet sich zu Schulden kommen, als der Großherr der Janitscharenkorps auflösen wollte. Damals unterstützte der englische Gesandte in Constantinopel diese Maßregel in Gemeinschaft mit dem russischen Hofe. Als Grund wurde freilich, auf eine halbofficielle Art, angeführt: „Die Janitscharen wären nach der gegenwärtigen türkischen Verfassung eine stehende Armee, die von der Regierung fast ganz unabhängig sey, und diese deshalb mehr beschränke, als ihr wahre Macht verleihe; sie seyen eine militärische Corporation, die ihre Privilegien habe,“ u. s. w. Dies war allerdings in gewisser Beziehung nicht unbegründet; aber die Janitscharen waren doch tapfre und wohlorganisirte Truppen; sie hatten bei der Vertheidigung ihres Vaterlandes mehr Interesse, als irgend eine andere Volksclasse, und keine Nation wünschte daher ihre Abschaffung so sehr, als die russische, der die Entwaffung der Pforte vor allem wünschenswerth seyn mußte. Die Janitscharen hatten außerdem noch die besondere Verpflichtung ihre Religion aufrecht zu erhalten; sie waren zu jedem Opfer für dieselbe bereit, und eine solche Gesinnung war ohne Zweifel der beste Schild für das türkische Reich. Der Sturz der Janitscharen war der erste Act, welcher Mahmuds Macht schwächte; die Vernichtung der türkischen Flotte bei Navarin der zweite. Ohne uns in die Untersuchung einzulassen, die wir als abgemacht betrachten können, wem hier die Schuld des ersten Angriffs zur Last fällt, [274] den Türken, die ruhig in ihrem eigenen Hafen vor Anker lagen, oder den Alliirten, die in Schlachtordnung auf sie zusegelten und erklärten: sie sollten sich nur nicht wehren, es würde ihnen kein Leids geschehen – wird so viel mit jedem Tage klarer, daß die europäische Türkei bald nicht nur das Theater, sondern auch der Hauptgegenstand eines allgemeinen Krieges werden wird.

Vor allen andern Continentalmächten ist Rußland in der Lage, bei einem Kriege gegen die Türkei am meisten thätig seyn, und auch am meisten gewinnen zu können. Rußland hat das größte Interesse dabei, sich nach Süden zu auszubreiten, und wenn sein Schwert einmal aus der Scheide gezogen ist, so möchte es nicht leicht seyn zu sagen, wie weit es vordringen wird. Seine alten Plane, sich auf Kosten des Halbmondes zu vergrößeren, sind nie aufgegeben worden, ja sie wurden vielleicht noch niemals so eifrig betrieben, als seit dem allgemeinen Frieden, wenn wichtige Gründe sie auch bis jetzt noch nicht zur Ausführung zu bringen gestatteten. „Dieser wichtige Gegenstand,“ sagt ein neuerer Schriftsteller, „ist immer unter dem Siegel der Verschwiegenheit und als Cabinetsgeheimniß behandelt worden. Die feinste List und die umfassendsten Machinationen haben den Fall der ottomanischen Pforte vorbereitet. Dieses Ereigniß, welches jetzt so nahe scheint, würde vor 38 Jahren das ganze übrige Europa um so mehr in Schrecken gesetzt haben, als damals gar keine äußern Symptome dasselbe als so nahe bevorstehend angekündigt hatten.“

Es verdient bei dieser Gelegenheit wohl in das Gedächtniß zurück gerufen zu werden, daß der Fürst Potemkin im Jahre 1790 in der Verfolgung seiner Siege durch die englische Regierung gehemmt wurde; ebenso konnte später der russische Adler sich nur der Protestationen Großbritanniens wegen nicht auf den ionischen Inseln halten. Aus ähnlichen Gründen war es auch schon im Jahre 1770 ohne Folgen geblieben, daß die Russen die türkische Flotte im Hafen von Tschesme verbrannten, und mit einer nicht unbedeutenden Macht an der griechischen Küste landeten, um dem in voller Empörung begriffenen Volke in der Erkämpfung seiner Unabhängigkeit beizustehen.

Obgleich die Vergrößerung Rußlands nach dem mittelländischen Meere hin zweimal mißglückte, so verlor es doch niemals dieses Streben aus den Augen. Mochte ein Paul, ein Alexander oder ein Nikolaus auf dem Throne sitzen, so haben die Russen beständig gesucht, das griechische Kaiserthum wieder herzustellen. Die kühne Hand Katharinas zeichnete diesen Plan vor, und ihre Nachfolger sind unabläßlich bemüht gewesen, ihn, so weit ihre Kräfte und die Umstände dieß gestatteten, auszuführen. „Erinnern sich Ew. kaiserl. Majestät – so rufen die Minister (??) dem regierenden Monarchen unablässig ins Ohr – an die weisen Lehren Ihrer glorreichen Großmutter; diesen Plan hat sie selbst entworfen und ihren Nachfolgern befohlen, ihn nie aus den Augen zu verlieren. Denken Ew. Majestät an den Namen ihres Bruders Constantin; warum säugten ihn griechische Ammen? warum war die griechische Sprache die erste, die er redete? Als der beredte Pano Kiri und seine Gefährten Ihre kaiserl. Großmutter um Beistand in ihrer heiligen Sache anflehten, wurde ihnen da nicht Hülfe zugesagt? Vergessen Sie nicht, daß schon damals nach dem Falle von Ismaïl und Okschakoff dem russischen Adler der Weg nach Constantinopel offen stand, und daß die kaiserliche Fahne in wenig Monaten auf den Mauern des Serails hätte wehen können. Damals wurden die Hoffnungen Ihres Volks getäuscht, aber dieselbe Laufbahn des Ruhms ist ihm jetzt eröffnet, – der Feind hat uns selbst den Handschuh hingeworfen; lassen Sie diese schöne Gelegenheit nicht vorüber gehen; Ihre Soldaten haben eine Belohnung verdient für ihre treuen Dienste; Ihre Religion, Ihre Ehre, Ihr Wort fordern Sie zum Kriege auf.“

Wie lange wird der Ehrgeiz des Selbstherrschers aller Reußen diesen immer wiederholten Aufforderungen widerstehen können? Auch ist es ihm nicht unbekannt, daß der eine Handelsweg seines Reiches die Hälfte des Jahrs von der Natur verschlossen, und daß der andere gegenwärtig der unaufhörlichen Controlle einer rivalen Macht unterworfen ist. Als Katharina die Unabhängigkeit der Krimm stipulirte, hatte sie keinen andern Zweck, als den Fall des ottomanischen Reichs vorzubereiten, und die späteren Erwerbungen gaben diesem ersten Schlage erst seine volle Kraft. Rußland hat seitdem die Hospodare der Moldau und der Wallachei in seinen Schutz genommen; es hat für sie das Recht erlangt, daß sie nicht ohne sein Zuthun ihrer Stelle entsetzt werden können, und auf diese Weise das Mittel gewonnen, ohne Schwierigkeit in diese Provinzen einzudringen. Ferner hat Rußland ein altes Bündniß mit den Serviern, und überall, wo es Menschen gibt, die sich zur griechischen Religion bekennen, nimmt es die Interessen derselben in Schutz und kann deshalb auch ihrerseits auf die kräftigste Unterstützung zählen. Ja Rußland kann jetzt die ottomanische Pforte sogar mit leichter Mühe in Asien angreifen. In Cherson und Astrakan unterhält es eine Flotte; am kaspischen Meere hat es Festungen, und die Armee in Persien steht – sobald der Friede mit dem Schah ratificirt ist – zu seiner Verfügung. Dazu kommt, daß die Macht der Türken im Westen durch die Anstrengungen der Griechen getheilt wird, welche in dem Kaiser von Rußland ihren zukünftigen Befreier sehen.

Wie sich das Petersburger Cabinet auch öffentlich aussprechen mag, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß die russischen Armeen mit dem Frühlinge den Feldzug gegen die Türken eröffnen werden. Seitdem sich Rußland durch den Frieden von 1812 in Besitz von Bessarabien und der Festung Ismaïl befindet, so ist es für ein türkisches Heer fast unmöglich, sich in der Moldau und Wallachei zu behaupten; es würde sich beim ersten Angriff hinter die Donau zurückziehen müssen. Der erste kräftige Widerstand von Seiten der Türken ist daher zwischen Tutschuck und Silistria in der Bulgarei zu erwarten, wo der natürliche Vertheidigungsplan der ist, rechts die Pässe von Bagatag zu vertheidigen und links den Uebergang über die Donau [275] zwischen Widdin und Orsowa zu halten. Dieser Strom ist bei der jetzigen Lage der Türkei ihre wahre Militärgränze: aber selbst diese Vertheidigungslinie ist keineswegs so außerordentlich vortheilhaft, als es auf eine oberflächliche Betrachtung scheinen mag. Die vielen Windungen des Flusses erleichtern nämlich die Flügelbewegungen einer angreifenden Armee bedeutend, denn da die Türken nicht wissen, an welchem Punkte der Feind den Uebergang versuchen wird, so sind sie genöthigt, ihre Streitkräfte um so mehr zu vertheilen und dadurch zu schwächen, je länger die Linie ist, welche der Fluß bildet. Nur ein Feldherr von dem Genie des Prinzen Eugen könnte – durch einen ähnlichen Operationsplan, wie der so meisterhaft ausgeführte vom Jahr 1814 am Mincio – eine solche Stellung mit Erfolg vertheidigen.

Die Russen, denen es so leicht wird, 200,000 Mann ins Feld zu stellen, können außerdem noch auf die Hülfe von 25,000 Servieren rechnen, und sobald es ihnen gelungen ist, den Uebergang über die Donau zu forciren, so fällt ihnen sogleich ein großer Theil der christlichen Bevölkerung aller der Provinzen zu, welche im Süden dieses Stromes liegen. Nun müßten sie ihre ganze Macht gegen Adrianopel wenden, und zu gleicher Zeit eine Flotte auf dem schwarzen Meere zusammenziehen. Dann wäre die Lage der Türken, trotz der Talente und der Tapferkeit ihres jetzigen Hauptes, das unter seinen Landsleuten für einen zweiten Napoleon gilt, äußerst bedenklich. Der Nordwind bringt ein Schiff bei der reißenden Geschwindigkeit der Strömung in dieser Gegend in 48 Stunden von der Mündung des Don bis zum Eingang in den Bosphorus, und in noch weit kürzerer Zeit von dort nach den Dardanellen.

Die einzige Macht, welche das Vordringen Rußlands gegen Süden verhindern kann, und zugleich diejenige, welche das meiste Interesse dabei hat, daß es den Pruth nicht überschreitet, ist offenbar Oesterreich, wie wir in einem unserer folgenden Blätter weiter auszuführen gedenken.

  1. Aus„the Sphynx“ einem neueren, außerhalb England noch sehr wenig bekannten, aber höchst geistreich redigirten Blatte der äußersten Whigs. Man sieht daraus, daß die letzteren, die sogenannten Vertheidiger der „Freiheit auf der ganzen Erde“ über gewisse Punkte der äußeren Politik dieselbe Sprache führen, wie die äußersten Tories.