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Der Mälarsee; Gripsholm

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CCLV. Berchtesgaden Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCLVI. Der Mälarsee; Gripsholm
CCLVII. Die Heldburg und der Straufhain
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GRIPSHOLM

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CCLVI. Der Mälarsee; Gripsholm.




Der Mälarsee ist der dritte, der Größe nach, in Schweden. Seine Länge von Ost nach West mißt etwa 20 geographische Meilen, seine sehr abwechselnde Breite aber ist weit geringer. Er sammelt in seinen Becken die von den westlichen Gebirgen und den Höhen in Nord und Ost herabströmenden Gewässer und gießt sie durch einen schmalen, etwa 3 Meilen langen Kanal in das Baltische Meer aus. Die Städte Arboga und Stockholm liegen an seinen Marken in West und Ost.

Die pittoresken Schönheiten des Mälarsees sind weltberühmt. Keins der prächtigen Seen Skandinaviens, und wenige der Erde, prangen mit solchem Reichthum der mannichfaltigsten und anziehendsten Ansichten. Wer Schweden und Stockholm über Kopenhagen besucht, dem ist der Genuß der Mälarbilder auf der Dampfbootfahrt von Arboga, oder Köping nach Stockholm beschieden. Unzählige Inseln wiegen sich auf der spiegelklaren Wasserfläche, bald in Gruppen zu drei und vier nahe an einander rückend, welche mit ihren hohen, senkrechten Felsenufern schmale Schluchten bilden, durch die der Wind die schäumenden Gewässer mit wildem Getöse peitscht, – bald einzeln und weit auseinander liegend, alle mit herrlichem Hochwald bis an die Uferränder bedeckt und oft mit freundlichen Dörfern oder einzelnen Villen und Fabrikanlagen geschmückt. – Der Einfluß der Hauptstadt wird in 10- bis 12stündiger Entfernung sehr auffallend. Je näher ihr, je angebauter erscheinen die Ufer, immer häufiger begegnet das Auge den Wohnungen der Menschen, immer öfter dehnen sie sich zu größern Orten aus, oder kleiden sie sich in das Gewand des Reichthums und des gebildeten Geschmacks. Zwei Meilen von Stockholm gewinnt die Natur der Landschaft und ihre Ausschmückung, die Abwechselung und der Reiz der Ansichten einen fast feenartigen Charakter. Wasser und Land, Felsen und Gärten, Eilande und Ufer, Berge und Wälder, Lustschlösser, Fabriken, Villen und die vielen öffentlichen Anlagen zur Befriedigung der Vergnügungslust der Hauptstädter mit Belvederes, Kiosk’s und Theater in den Baustylen vieler Zeiten und Völker wechseln unaufhörlich, und der schnelle Flug des Dampfschiffs gibt den verwilderten Sinnen keinen Raum zur Betrachtung. Einen Ruhepunkt findet das Auge erst in Stockholm selbst, welches sich am Ende des Sees mit seinen zahlreichen Thürmen, gleichsam auf der Wasserfläche schwimmend, darstellt wie ein Venedig des Nordens.

[58] Viel schöner, als die Schwester des Südens, welche auf niedrigen, sich kaum aus dem Wasserspiegel erhebenden Dünen von Pfahlwerk getragen wird, liegt Stockholm auf einer Menge großer und kleiner, an Höhe wechselnden Felseninseln des Mälarn, welche durch kühn von Ufer zu Ufer geschlagene Brücken und eine Unzahl von Booten und Gondeln, die zur Ueberfahrt stets bereit liegen, mit einander in Verbindung gesetzt sind. Der Unterschied des Terrains vergrößert das Romantische der Lage und bringt Abwechselung und Mannichfaltigkeit in die Ansichten. Bei einer Wanderung in den Straßen der Stadt muß man zuweilen steile Felsenhäupter erklimmen, zuweilen sperrt eine senkrechte Wand den Weg; bald steht man an einem seigern Abgrund, an welchem eine Treppe hinab in tiefer liegende Stadttheile führt, bald sind Füße und Augen auf einer hohen Terrasse festgehalten, von der man den überraschendsten Blick über die Stadt, über den Wald von Masten, über die reizenden Ufer des Sees, oder den unbegränzten in das Baltische Meer hat.

Die Altstadt, der Anfang und Mittelpunkt des heutigen Stockholm’s, nimmt ein fast eirundes Eiland ein, und der den Kernen der übrigen europäischen Großstädte eigenthümliche Typus wird hier nicht vermißt. Hohe Häuser und enge, krumme, immer feuchte und bei der größten Reinlichkeit doch nicht schmutzfrei zu haltende Straßen machen ein keineswegs angenehmes Bild. Aber überaus prachtvoll erhebt sich auf einem großen, freien Platze am See das königliche Schloß. Die übrigen Stadtviertel, Normalm, Sörmalm, Stoppsholmen, sind spätere Anlagen. Hier sieht man nur breite und schnurgrade Straßen, die sich in regelmäßigen Vierecken durchschneiden und Stockholm zu den schönstgebauten Hauptstädten gesellen. Der letztgenannte Stadttheil, ursprünglich ein schroff aus dem Meere steigender Felsgürtel, umfaßt einen Park, die königlichen Schiffwerfte, Magazine und einige Befestigungen. Gegenüber liegt Castellholmen, ebenfalls ein Fels, dessen Scheitel ein Fort einnimmt und von dessen Bastionen man weite und reizende Ausblicke hat. Ein drittes größeres Eiland ist mit öffentlichen Anlagen, Privatgärten, Kaffeehäusern und Villen übersät; es ist der Thiergarten, ehemaliges Jagdgehege der Schwedenkönige und der Hauptvergnügungsort der Stockholmer zur Sommerzeit. Auf etwas entfernteren Inseln und Uferpunkten des Mälarn liegen die Sommerwohnungen der höhern Gesellschaft und die Lustschlösser der königlichen Familie.

Haga ist der Sommerpallast des Kronprinzen. Der dazu gehörige sehr große Park umschließt kleine Seen mit Inseln, Felsenpartien mit Wasserfällen und andern anziehenden Naturscenen. – Das prächtige Carlsberg mit seiner 50 Fenster breiten Fronte ist jetzt Kadettenschule; von hier, dem Gestade des Mälarn entlang, führt eine der angenehmsten und besuchtesten Promenaden zur Hauptstadt. – Ulricksdal, ein anderes ehemaliges Lusthaus der Könige, ist gegenwärtig der Pallast der Invaliden. Nur die Ruhepalläste des brittischen Seemanns und Soldaten, Greenwich und Chelsea, können sich mit ihm messen; niemals erhielten Krieger für den Abend ihres Lebens eine schönere Wohnung. Das Schloß nimmt einen der erhabensten Punkte des Mälarn ein, ist mit Blumengärten, [59] Orangerien und Gewächshäusern umgeben und dahinter streckt sich ein weiter Park, mit Wegen durchschlungen, über Berg, Fels und Thal aus. Im Speisesaal des Veteranen hängen die lebensgroßen Bilder aller Kriegshelden der schwedischen Geschichte. – Drottingholm und Gripsholm liegen entfernter. Dampfboote führen alle Sommersonntage Einheimische und Fremde zu Hunderten nach diesen 2½ und 4 Meilen entfernten herrlichen und doch so heimischen, ehemaligen Sanssoucis der schwedischen Könige, an deren Namen sich manche interessante Momente der Regentengeschichte der Wasa’schen Dynastie knüpfen. Drottingholm, mit seinen ausgedehnten Parkanlagen, ist bei weitem das größte und zugleich das älteste Etablissement des Hofes außerhalb der Hauptstadt. Es bedeckt, mit seinen Nebengebäuden und dazu gehörigen Meiereien, die ganze Insel Losoe. Das Innere des Schlosses ist sehr prachtvoll; Treppen, Corridors und Balkone sind besetzt mit Statuen aus Marmor und Erz; die Fußböden mit Marmor ausgelegt; Fresken bedecken die Plafonds; Oelgemälde guter Meister die Wände der Zimmer und Säle. Das Hauptgebäude enthält zugleich ein Theater und eine Kirche. Hier verlebte der letzte König aus dem Stamme der Wasa’s, das unglückliche Opfer seines Hasses gegen Napoleon und einer selbstsüchtigen Politik, jener Monarch, der, heimathlos und arm, als Oberst Gustavsohn noch viele Jahre nach der Restauration reisend auf deutschen Postwägen oder mit Ranzen und Knotenstock wandernd gesehen wurde, die letzten Tage in seinem Reiche, nach erzwungener Abdankung und bis zu seiner Verbannung, als Gefangener. – An bewaldeten Eilanden vorüber fährt von da das Dampfboot zum stillen, friedlichen Gripsholm, berühmt durch den Gemäldeschmuck seiner Wände und die Schönheit seiner Gärten und Visten. Unser Stahlstich, nach einer Originalzeichnung Julin’s, des genialen schwedischen Landschafters, zeigt die Hauptfronte dieser königlichen Villa am Süd-Gestade des Mälarn.