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Der Mainzer Dom (Meyer’s Universum)

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LX. Leuchtthurm und Fort auf dem schwarzen Felsen (Blackrock, or Bellrock) bei Liverpool Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXI. Der Mainzer Dom
LXII. Die Hochschule in Edinburg
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DER MAINZER DOM
(La cathédrale à Mayence)

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LXI. Der Mainzer Dom.




Wenn in unsern Zeiten in einem Jahrzehent ganz Europa kaum ein Gotteshaus hervorbringt, das Dauer auf ein halbes Jahrtausend ansprechen darf, und wir dagegen die große Anzahl der vorhandenen kirchlichen Baudenkmäler betrachten, welche vom neunten bis in’s dreizehnte Jahrhundert in Deutschland allein aufgeführt wurden, so werden wir unwillkürlich zur Bewunderung einer Zeit hingerissen, die wir blos als die der Barbarei und der Finsterniß zu betrachten gewohnt sind. – Was ist aber die Ursache dieser Verschiedenheit, über welche die hoffärtige Gegenwart erröthet? Warum unterscheiden sich unsere kirchlichen Bauwerke von jenen frühern wie die Heroen des Alterthums von unsern großen Männern? Der Gegenwart fehlt das, was allein wahrhaft Großes denkt und schafft: – die Begeisterung. Alles Herrliche hat sie verzerrt zur Fratze, das Heilige hat sie zum öffentlichen Spott gemacht; aus hoher Religiosität ist süßlich-sinnliche Frömmelei geworden, die Tugend heißt Thorheit, Vernunft Unsinn, Streben nach Freiheit Demagogie, Heldenmuth Verbrechen. Ein Bonifacius käme jetzt in’s Tollhaus, ein Luther in’s CARCERO DURO; – einen Polizeistock könnte er wohl bewegen; nicht aber die Welt. Der Mensch als solcher, der Mann nach dem, was er persönlich leistet, gilt wenig; tief ist sein Umlaufwerth gesunken. An sich nichtswerthe Zufälligkeiten aber, die sich ihm anhängen, Geburt, Hofgunst, Orden, Titel, sie gelten Alles. An der Stelle [35] der Weisheit ist die Wissenschaft getreten, und der Ehre gehen die Ehren vor. Unnatur ist das goldene Kalb der Zeit, und die todte Form und das Gesetz der Regel vertreten überall Leben und Geist. In den geselligen Kreisen wie im Staate, in der Kirche wie in der Politik, in der Poesie wie in der Kunst sehen wir Convenienz, Phrasengeläute, Wortgeklingel, todte Gelehrsamkeit, Plagiarismus, Schein; – nur nicht Wahrheit. Heuchelei und Lüge ist überall und in Allem, nirgends ist weder Treu noch Gewissen. Wie könnte in einer solchen, dem grassesten Materialismus und der Unnatur knechtisch fröhnenden Zeit jene Begeisterung für die Idee des Göttlichen nur möglich gedacht werden, welche die erhabenen Gottestempel des Alterthums aufrichtete? – Was jetzt entsteht an kirchlichen Gebäuden, Großartiges und über das Gemeine und Gewöhnliche sich Erhebendes: es ist nicht das Werk wahrer Frömmigkeit; des Egoismus oder der Prachtliebe, oder der Heuchelei Werke sind’s; und auch in ihrer äußern Erscheinung bleiben sie weit hinter denen der Vorzeit zurück. Wahrhaft Bedeutendes in der Baukunst erschafft gegenwärtig nur noch der Sinn für’s Nützliche und der den Gewinn kalt berechnende Kaufmannsgeist, welcher überall die Stelle der erloschenen Begeisterung für das Höhere einnimmt. Gibt sich ja noch etwas für ein Produkt des letztern aus, so ist’s, im Leben wie in der Kunst, – Karrikatur. –

Die frühesten Sitze der deutschen Cultur, die Gegenden jenseits der Donau und am Rhein, sind vorzüglich reich an uralten Baudenkmälern zur Ehre des Allmächtigen. Der Herrlichsten eins ist der Dom in Mainz.

Mainz war eine der ersten Pflanzschulen für die Verbreitung des Christenthums in Deutschland. Schon zur Zeit Constantin’s des Großen hatte es eine christliche Gemeinde; es wurde bald darauf Metropolitanstadt der römisch-germanischen Rheinprovinz. Ihr Sprengel erstreckte sich über Straßburg, Speyer und Worms. Aber die Einfälle der Barbaren zerstörten die ersten Kirchen und von den Zeiten der Völkerwanderung (dem Verfall des römischen Westreichs) an, bis zur Mitte des 6ten Jahrhunderts blieb der bischöfliche Stuhl daselbst unbesetzt. Eine Enkelin Clodowich’s baute auf der Stelle des jetzigen Doms die erste christliche Kirche wieder, und Sidonius war ihr erster Bischof. – Bonifacius, der begeisterte Apostel zur Verbreitung des Christenthums unter den germanischen Völkern und erster Erzbischof von Mainz, erweiterte in der Mitte des 8ten Jahrhunderts die Kirche, und erwarb seinem Sprengel die Stifter Würzburg, Eichstädt, Osnabrück, Verden, Halberstadt, Fulda und Hersfeld.

Der Bau des heutigen Doms begann 990 vom Erzbischof Willigis. – Dieser Mann war selbst Baumeister, und nach löblicher Sitte der damaligen Zeit waren die Mönche und Geistlichen der ganzen Gegend, als Baubrüderschaft, (Freimauerer) verpflichtet, selbst als Werkleute am Gotteshaus zu arbeiten. So ein mächtiges Beispiel erweckte Nacheiferung unter den Layen, die Material herbei schafften, Handlangerdienste leisteten, Geld zuschossen u. s. w.; und auch so nur ist es erklärlich, daß in jener geldarmen Zeit oft an kleinen Orten Kirchen erstanden, zu deren Aufführung die Staatskräfte eines Königreichs jetzt nicht hinreichen würden. Jener damals gebaute [36] Haupttheil des Doms ist neugriechischen Styls; er ist aus röthlichem, festen Sandstein aufgeführt und bildet ein längliches, von Abend nach Morgen laufendes, an beiden Enden zugerundetes Viereck. Sein Inneres theilt sich durch 2 Reihen schlanker, gekuppelter Säulen in 3 Schiffe, mit Chören an beiden Enden. Die Länge beträgt 342 Fuß, die Weite des mittlern Schiffes zwischen den Säulen 36 Fuß, die der Seitenschiffe 13 Fuß. Die Decken sind Kreuzgewölbe aus leichtem Tuffstein, deren Rippen sich in verzierten Schlußsteinen vereinigen. Das Morgenchor, unter dem eine Krypta (unterirdische Kapelle) liegt, hat oberhalb, nach außen eine Gallerie, und über derselben schlanke, hohe Bogenfenster mit freistehenden Spitzen, an den Seiten aber zwei Glockenthürme, (auf dem Bilde die links hervorragenden,) welche unten rund, dann sechseckig sind, und sich mit einer zierlich-durchbrochenen Spitze endigen. Sowohl die Kuppel dieses Chors als die Spitzen der Thürme sind abgebrannt, und erstere auf eine geschmacklose, den Bau verunstaltende Weise vor Kurzem durch ein plumpes, kappenförmiges Dach ersetzt worden. – Das Abendchor ist gleichfalls neugriechischen Styls. Ueber demselben steigt eine Kuppel empor, die nach dem Brande, 1765, von dem Architekten Naumann mit einem reich verzierten, dem ursprünglichen Styl sich leidlich anpassenden achteckigen Thurm in 3 Absätzen überbaut worden ist. Zu beiden Seiten des Abendchors, über später angebauten Capellen, sieht man 2 Glockenthürme, welche den abgebrannten des Morgenchors entsprechen. – Die Zeit der Vollendung dieses Prachtbaues ist das Jahr 1009. Durch Feuersbrünste litten seine verzehrbaren Theile schon sehr frühe, in den Jahren 1081, 1137 und 1190; doch geschah die Herstellung immer wieder nach dem ersten Plane. – Im ersten Viertel des 13ten Jahrhunderts begann die Verunstaltung dieses herrlichen Gotteshauses durch den Anbau zweier Seitenschiffe, zu welchem Zweck die Seitenmauern des alten Doms durchbrochen und die merkwürdigen Sculpturen an denselben entfernt wurden. Jene beiden Anbauten sind im deutschen Styl ausgeführt, und ihre reich-verzierten Spitzbogenfenster gelten als die schönsten Muster ihrer Gattung. Im vierzehnten Jahrhundert kamen neue Anbauten hinzu und die Harmonie der Verhältnisse wurde vollends durch den Anbau der an sich schönen Kapelle Allerheiligen (das in der Mitte des Bildes mit dem hellbeleuchteten Giebel vorschauende Gebäude) zerstört. – Eine freie Ansicht des Doms hat man von keiner Seite; die ihn umgebenden Kapitel- und andern Gebäude schließen ihn fast ganz ein und lassen eine nur sparsame Erhellung desselben zu. Er theilt in dieser Beziehung das Schicksal der meisten alten Cathedralen Deutschland’s, die fast alle der freien Ansicht entzogen sind. – Der Flächeninhalt des ganzen Gotteshauses mißt über 45,000 Quadratfuß, und mit Ausnahme des Straßburger Münsters und der Dome in Speyer und Cöln ist es folglich die größte Kirche in Deutschland. Ihre Construktion gehört zu der sichersten, und bei guter Erhaltung kann dies herrliche Denkmal alt-deutscher Kunst und religiöser Begeisterung unversehrt noch auf Jahrtausende übergehen.