Der Morgenstern in tiefer Nacht

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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Der Morgenstern in tiefer Nacht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 148–151
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Morgenstern in tiefer Nacht.
Von Ludwig Storch.

Louis Bonaparte’s Staatsstreich am 2. December 1851 brachte in Deutschland die politische Reaction zur üppigsten Blüthe, eine Upasblüthe, deren narkotischer Duft das geistige Leben, das eigentliche deutsche Element, starr zu machen drohete. Das Jahr 1852 lag wie eine bleischwere Nebelnacht auf den echten und wahren deutschen Herzen. Die Männer des Rückschritts, nicht allein in Kurhessen, sondern auch in Berlin, Wien, München und wo nicht alles sonst noch, die sich keck die „Retter des Vaterlandes“ nannten, wirtschafteten toll genug. Heute sind sie überall gerichtet – denn auch die Weltgeschichte fährt als Weltgericht mit Dampf – und wandeln als Urheber unsäglichen Elends gekennzeichnet umher. Wie viele der edelsten und trefflichsten deutschen Brüder haben sie in Verzweiflung und Tod gestürzt. O, es war ein schreckliches Jahr, in welchem Herr Fischer das Lieblingskind aller Herzen, die begeistert für deutsche Größe schlugen, die deutsche Flotte, unter den Hammer bringen durfte, als der hohe deutsche Bundestag den deutschen Krieg in Schleswig-Holstein für einen unrechtmäßigen erklärte, und die deutschen Farben schwer verpönt waren.

Doch hier kann nur an die beängstigende Nacht jener Zeit im Allgemeinen erinnert werden. Wir wollen vielmehr von einem Strahle des Morgensterns ausführlich reden, der die Nacht, wenn auch nur schwach, durchdrang, als sie am schwärzesten war, und sich hoffnungerweckend in manches niedergedrückte Herz einschmeichelte. Damals konnte von der Sache begreiflicher Weise öffentlich nicht viel Redens gemacht werden, heute dürfen wir sie dem deutschen Vaterlande mit stolzem Selbstgefühl erzählen; denn der Strahl hat nicht gelogen. Die Nacht weicht, es glüht wieder Morgenroth an unserm Himmel, und der „Retter der Gesellschaft“ ist drauf und dran, nun auch der Retter des deutschen Volks zu werden, aber wahrlich in anderm Sinne!

Eins der reizendsten Thäler des Thüringerwaldes ist der Dietharzer- oder Schmalwassergrund im nordwestlichen Theil des Gebirgs und im herzoglich coburg-gothaischen Territorium. Vier Stunden südlich von Gotha liegen im anmuthigen Thalkessel, durch welchen die alte Straße nach Schmalkalden über den Gebirgsrücken führt, die beiden uralten Orte, der Marktflecken Tambach und das Dorf Dietharz nahe beisammen. Die köstlichsten, mit malerischen Felsgruppen gezierten, von hellen Bächen durchtanzten Thäler ziehen sich fächerartig von diesem Thalkessel zum Hochgebirg empor. Das köstlichste von allen ist der Dietharzergrund, dessen Ader-Rinnsal

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Der Falkenstein.

das Schmalwasser. Zwei Stunden lang windet sich das Thal in südöstlicher Richtung aufwärts, immer abwechselnd an seinen Wänden mit malerischen Felsgebilden, oft von beträchtlicher Höhe, und bewaldeten Bergen eingefriedigt. Der Schmalwassergrund hat jenen Charakter süßer poetischer Schwermuth, den nur diejenigen Herzen recht zu genießen wissen, welche mit dem Besten, was ihr eigen, unverstanden, mißachtet, verhöhnt durch die Menschenwelt gehen müssen. Die kennen den Werth einer solchen Gebirgsgegend, wie dieses Thal, in welchem, so wie im Berggebiet weit umher, keine menschliche Wohnung gefunden wird.

Am Ende des Thals steht seine Krone und die des ganzen nordwestlichen Gebirgstheils, der prächtig geformte Riesenfelsen der Falkenstein. Nur mäßig an die rechte Thalwand angelehnt, strebt er übrigens frei empor, wie ein Altar oder Heerd geformt, und hängt etwas über das Thal herüber. Sein Anblick imponirt selbst Augen, welche größere Felsenmassen gesehen, besonders seiner schönen Gestalt wegen. Von der Thalsohle aus mag er wohl dreihundert Fuß hoch sein. Eine sehr interessante Eigenthümlichkeit hat dieser kolossale Steinwürfel: sein oberer Theil ist nach dem ersten Drittel der Höhe von einer ziemlich breiten Spalte von einem Ende zum andern in zwei etwas ungleiche Hälften getheilt. Obgleich die Spalte wegen mächtiger Felsblöcke, die in ihr liegen, gerade nicht besonders wegsam ist, so können sie rüstige und nicht furchtsame Beine doch durchwandern. Zu beiden Seiten starren die kahlen Felswände noch in beträchtlicher Höhe empor, und nur ein schmaler Streif Himmel leuchtet herein. Sonst war der Eingang in die Spalte schwer zu erklimmen, jetzt ist er durch eine breite Holztreppe bequem zugänglich gemacht. Am andern Ende schwindelt man in die Tiefe und muß umkehren. Obgleich urkundlich erwiesen ist, daß dieses steile Felsenhaupt im 13. oder 14. Jahrhundert eine Burg oder wenigstens einen Thurm getragen, so ist doch durchaus unerklärbar, wie Menschen hinauf und herunter gelangt sind; denn man entdeckt nirgend die Spur einer Treppe, und man kann auch nicht einsehen, wo sie gewesen sein sollte. Der Falkenstein galt für unersteigbar, und selbst die Sage, daß er in einem frühern Jahrhundert von einem Waqehals sei erstiegen worden, hielten die meisten Kenner der Localität für ein Märchen.

Man kann sich also das Erstaunen denken, welches im Frühjahr [150] 1852 die Gebirgsbewohner und die Städter und Dörfler im Lande bei der sich schnell verbreitenden Kunde ergriff: der Falkenstein ist erstiegen! Die Meisten hielten die Angabe für eine bloße Prahlerei, und dieser Zweifel vermochte den kühnen Felsensteiger zu der Erklärung, daß er öffentlich vor Zuschauern, so viel sich einfinden wollten, den Felsen ersteigen werde. Diese Zusage brachte unter der Einwohnerschaft der nächsten Orte, – namentlich Tambach’s und Dietharz’, eine ungewöhnliche Aufregung hervor.

Fassen wir die Menschen, die hier hausen und ihr höchst einfaches Leben in Sorgen und Mühen, in schwerer Arbeit und Entbehrungen aller Art abspinnen, etwas näher in’s Auge, so erkennen wir ein treues, ehrliches, biederes Geschlecht von echt deutschem Charakter und Gemüth, schlicht und recht, fleißig und bescheiden, meist geistbegabt und aufgeweckt und für die Bildung der Neuzeit, die Eingang in diese Berge gefunden, in hohem Grade empfänglich, kurz Leute von gutem Schrot und Korn, welchen kein Fremder – und wie viele Tausende strömen, angelockt von der hohen Schönheit des Gebirgs, nicht jährlich hier zu! – Achtung versagt.

Dietharz ist einer der ältesten Orte des Gebirgs, das zeigt schon sein Name, der aus der heidnischen Frühe der Vorzeit uns anheimelt als „Volkswald“ (Harth des Diut) oder Wald des Deutschen, deutscher Volkswald. Und so ist denn, was im Sommer 1852 hier geschah, gleichsam aus urdeutschem, unbewußtem Naturtrieb, aus echt deutscher angeborner und von den Ahnen ererbter Unbefangenheit hervorgewachsen, und die patriotische Handlung, welche diese ehrenwerthen Menschen begingen in der Zeit, wo eine solche Handlung – Gott sei’s geklagt! – verpönt und geächtet war, war, wie ein dortiger intelligenter Einwohner sie richtig bezeichnete, keineswegs eine Demonstration gegen die blinde Restaurationswuth der Kreuzzeitungspartei und Consorten, sondern „ein sich von selbst Verstehendes“. Die Kinder des „deutschen Volkswalds“ entsprachen ohne alle beabsichtigte Schaustellung dem deutschen sittlichen Bedürfnis das naturwüchsig in ihnen zur Erscheinung kam und sich „frisch, fröhlich und frei“ Geltung und Befriedigung verschaffte, ebenso unbekümmert, ob die Herren Minister in den verschiedenen deutschen Landen eine solche tatsächliche Aeußerung des Volkstriebs als Staatsverbrechen brandmarkten. An dergleichen dachten die „deutschen Waldleute“ gar nicht.

Dietharz hat 700 Einwohner, Tambach 2200, die sich selbstverständlich zumeist von Wald- und Holzarbeit nähren. Ein bedeutender Nahrungszweig ist die Anfertigung von Tafelglas in der großen, dem Bürgermeister Irmer in Tambach gehörigen, vor Dietharz gelegenen Glashütte.

Ein junger Arbeiter dieser Fabrik, der Glasmachergehülfe Jakob Zimmermann aus Dietharz, konnte dem Triebe, den Falkenstein zu ersteigen, nicht länger widerstehen. Er mußte den tollkühnen Versuch wagen, und auch hier gelang das Unwahrscheinliche, wie fast immer, wenn es mit dem rechten Muthe begonnen wird. Ohnfern der bezeichneten Spalte bot eine mit kurzem Gestrüpp bepflanzte kleine Einsenkung (Rinne) die Möglichkeit des Hinaufkommens. Der Wagehals kletterte hier, an dem Gestrüpp sich emporziehend, hinauf und erreichte glücklich den Gipfel. Freilich schwindelt’s andern Menschen, wenn sie diesen Weg betrachten, und das steilste Kirchendach scheint für das Emporkommen menschlicher Füße geeigneter. Genug, der Mann gelangte auf die mit hohen Fichten bepflanzte Felsplatte, auf der seit Jahrhunderten kein Mensch gestanden hatte. Noch weit gefährlicher war der Rückweg, aber der kühne Glasbläser kam auch glücklich wieder herab.

Dem Triebe seines Geistes war damit aber noch keineswegs genügt. Der gelungene Versuch reizte zur Wiederholung, und der junge Glasmacher fand einen eigenthümlichen Reiz darin, den Weg, den ihm kein anderer Mensch nachgehen konnte, öfter zurückzulegen. Der Jubel über das glücklich vollbrachte Wagstück und der Zweifel daran, beide gleich groß, veranlaßten endlich die öffentliche Besteigung, zu welcher im gothaischen Tageblatte wie zu einem Volksfeste eingeladen wurde. Und der Sonntag, der auf den 25. Juli fiel, wurde wirklich zum echt deutschen Volksfest. Von nah und fern war eine ungeheure Menschenmenge auf dem Wiesenraume unter dem Falkensteine zusammengeströmt. Viele wußten wohl, was die heutige Besteigung des Felsens eigentlich zu bedeuten hatte, es war im Stillen davon gemunkelt worden. Die Meisten wußten es nicht.

Ein Musikchor zog mit klingendem Spiel auf; kleine Heerdfeuer ließen den Kaffeekessel singen und den Bratwurstrost dampfen; die Lagerbierquelle sprudelte lustig. Trotz aller Noth des Vaterlandes entfaltete sich ein lustiges Leben im Walde am Fuße des ehrwürdigen Riesensteins.

Der Felsensteiger Jakob Zimmermann kommt in der Mitte seiner Cameraden in leichter Kleidung, begrüßt vom Zuruf der Menge und der Musik. Ruhig, sicher beginnt er vor Aller Augen seinen gefährlichen Weg. Tausend Blicke verfolgen mit höchster Spannung den höher und höher emporstrebenden Mann. Laut- und regungslos steht die Menge, gefesselt von Furcht und Hoffnung. Nach einer Viertelstunde banger Erwartung erscheint der Mann oben auf der Platte und winkt seinen Gruß herab, erwidert vom ungeheuern Jubel der Zuschauer.

Doch was geschieht jetzt? Die Erwartung steigert sich. Ein Flüstern läuft durch die Menge. Man hat gesehen, daß Zimmermann mit einem Stricke umgürtet war. Eine kleine Anzahl junger Männer, meist Glasmacher, haben einen verhüllten Gegenstand geheimnißvoll an den Fuß des Felsen getragen. Er nimmt sich wie ein dünner Baum aus. Der Held des Tags wirft das eine Ende des lang aufgewickelten Stricks herab; das andere hat er oben an einer hohen Fichte befestigt. Unten wird der verhüllte Baum an den Strick gebunden, der Mann oben zieht ihn empor.

„Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt!“

Was ist’s? was wird da hinaufgewunden? Alle Blicke hängen erwartungsvoll an dem langsam emporsteigenden Gegenstände. Manche Augen füllen sich mit Thränen der Rührung und Freude. Die wissen, was es ist.

Der verhüllte Baum ist oben, und siehe, er steigt an der vorderen hohen Fichte empor, er erhebt sich über ihren Gipfel. Der Mann des Tags befestigt ihn mit dem Stricke an den lebendigen Baum.

Und jetzt – jetzt entfaltet sie sich, flattert von einander – noch starrt lautlos die Menge unten – sie ist’s! sie ist’s! sie winkt vom hohen Altare des „deutschen Volkswaldes“ den ersten Gruß zu Thale den tausend deutschen Herzen da unten. Sie ist’s, die geliebte deutsche Fahne, der schwarz-roth-goldne Morgenstern in dunkler Nacht, sie ist’s, das deutsche Symbol, das der deutschen Jünglingschaft 1817 voranzog auf die Wartburg, die ja auch zu diesen Bergen gehört; sie ist’s, unser heiliges Volkspalladium, die heißgeliebte, die scheu gefürchtete, die verbannte, verpönte Dreifarbige, die 1848 wie ein Flammenstrahl überall emporfuhr, wo begeisterte deutsche Herzen beisammen standen; die dann, als es gelungen war, die Drachenzähnesaat der Uneinigkeit zum Aufgehen und Blühen zu bringen, wieder sich verbergen mußte und die sich jetzt nirgend zeigen darf in deutschen Landen. Da oben hat sie sich die sichere Stätte als Asyl ausersehen, wo keine Gewalt sie erreichen kann.

Der Jubelsturm bricht los. Alle Herzen schlagen stürmisch bei ihrem unerwarteten Anblick. Sie wird mit unbändigem Jauchzen begrüßt, wie in den schönsten Tagen des Jahres Achtundvierzig. „Es lebe Schwarz-Roth-Gold! Es lebe Deutschland! Es lebe Deutschlands Zukunft! Es lebe das deutsche Volk! Hoch unsere Fahne hoch auf dem Falkenstein!“ Hüte und Tücher werden geschwenkt. Die Musik schmettert ihr den Gegengruß zu. Das ist eine Freude! Das ist eine Herrlichkeit! Die Leute stoßen den bösen Alp des Jahres 1852 von der Brust und singen:

„Das ganze Deutschland soll es sein!“

Ach, war das ein herziges, gemüthliches, deutsches Fest bei Lagerbier und Bratwurst im frischen, deutschen Walde mitten im Herzen Deutschlands! Da lagern sie unter grünen Bäumen, auf grünem Rasen, die lieben, treuen deutschen Herzen, und ihre Hoffnung ist plötzlich auch grün geworden. Und sie beginnen und behaben sich so glücklich, als wäre draußen in den Städten Alles, wie es sein soll. Und da war doch wahrlich Vieles, wie es nicht sein soll. Das machte der Zauber, der von der Fahne hoch über ihnen ausging und auf sie niederschwebte. Wie mancher stille Gruß flog noch zu ihr empor! Wie mancher Blick segnete sie:

„Hoch überm niedern Erdenleben
Soll sie im blauen Himmelszelt,
Die Nachbarin des Donners, schweben
Und grenzen an die Sternenwelt;
Soll eine Stimme sein von oben,
Wie der Gestirne helle Schaar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und führen das bekränzte Jahr.“

Die Fragen: woher kam denn so unerwartet die große schöne deutsche Fahne? und wer hatte denn den unvergleichlich schönen Einfall gehabt, sie auf den jungfräulichen Falkenstein aufzustecken? [151] drängen sich natürlich jedem Leser auf und wurden damals schon allgemein ausgesprochen. Aber es gab keine Antwort darauf und gibt heute noch keine. So wie das in den Herzen der Leute im deutschen Volkswald lebende patriotische Bedürfniß das Wort gesunden hatte, zündete es im Nu, und die Hände setzten sich in geheimnißvolle, aber um so rührigere Thatigkeit. Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen arbeiteten Tag und Nacht an der Fahne, aber gesprochen wurde nicht davon, Namen wurden nicht genannt.

Und auch heute kann man sich nicht auf die Namen besinnen, wenn danach gefragt wird. Das Volk hat den Einfall gehabt, das Volk hat die Fahne hergestellt, das Volk hat sie ausgestellt. Das ist fürwahr einer der schönsten Züge in diesem anmuthigen vaterländischen Bilde. –

Zu jener Zeit lebte in dem nahen freundlichen Georgenthal ein nicht mehr junger Mann, ein Stück Dichter, wenn auch gerade kein großes, der aber nicht zu erröthen brauchte, wenn die, welche ihn näher kannten, ihn ein echtes treues, deutsches Herz nannten. Es kannten ihn aber blutwenig näher, und er mied auch die menschliche Gesellschaft und irrte allein und schwermüthig in diesen Bergen und Thälern umher. Dazu hatte er guten Grund; er trug nicht nur die Pein persönlichen Mißgeschicks, das ihm Bosheit, Niedertracht, Unverstand, Gleichgültigkeit und jene scheußliche Gemeinheit, die noch schlimmer als der weitverbreitete Blödsinn edle Herzen verwundet, schon seit Jahren bereitet; auch des Vaterlands neue schwere Noth, die ihn ebenfalls in seinen eigenen Interessen hart betroffen, und überdies noch körperliche Leiden preßten sein sonst so heiteres Gemüth. Mit Goethe’s Schatzgräber darf er von jener Zeit sagen:

„Arm am Beutel, krank am Herzen
Schleppt’ ich meine langen Tage.“

Dieser begrüßte die deutsche Fahne auf dem Falkenstein mit wehmüthiger Freude. Am Feste selbst hatte er sich aus mehrfachen Gründen nicht betheiligt; in der ernsten feierlichen Stille der Waldeinsamkeit erschien sie ihm auf ihrem Felsenthrone in noch weit größerer Majestät; es war ihm, als habe sie sich aus der Menschenwelt, wo sie von den Gewalthabern schon wieder geächtet war, in das stille und einsame Waldthal auf den unzugänglichen Felsen geflüchtet, wo ihr kein lächelnder Staatsmann und kein finster blickender Soldat etwas anhaben konnte.

Der Mann lag wohl manche Stunde unter einem Baume, den trüben Blick sehnsüchtig nach der Fahne oben gerichtet, aber die Grüße seines Schmerzes wollten nie zu Worten werden, bis er einmal einen jüngern Freund, der in den Bergen unbewandert war, hierher führte. Dieser brach begeistert vom Anblick der Fahne auf dem natürlichen Altar in den Ausruf aus: „In diesem wirst Du siegen!“ Er sprach aber die berühmten griechischen Worte selbst, wie sie Constantin der Große im Traume unter dem Bilde des Kreuzes gesehen haben soll. Das Wort ergriff den Dichter wunderbar, und es entstand daraus um so schneller ein Liedesgruß an die hohe Fahne, als das sonst immer so schwere Gemüth durch einen zweiten Spruch des Freundes erleichtert und erheitert wurde. Dieser rief nämlich:

„Sie sollen ihn nicht haben
Den Hort des Falkenstein,
Ob sie wie gier’ge Raben
Sich heiser danach schrein!“

Das an jenem Tage gedichtete Fahnenlied durfte sich damals nicht in der Welt sehen lassen. Es hat im Pulte des Dichters vergraben gelegen, des Auferstehungsmorgens harrend; heute darf es bei deutschen Herzen einkehren. Hier ist es.

„In diesen Zeichen wirst du siegen!“

Schon wieder grinst um uns die Nacht
Mit tausend Schrecken, tausend Nöthen,
Schon wieder darf die Niedertracht
Das heiße deutsche Herz zertreten.
O Land der Wahrheit und des Lichts,
Wie schänden Finsterniß und Lügen
Den Spiegel deines Angesichts!
In welchem Zeichen wirst du siegen?

Du echter, wahrer, deutscher Sinn,
Der du nach großem Ziel gerungen,
Nun wieder von der Heuchlerin,
Der schlau verkappten List bezwungen,
Wie trankst Du Lust und Morgenrot!
Noch jüngst mit tiefen durstgen Zügen!
Und nun die Nacht, die dumpfe Noth! –
In welchem Zeichen wirst du siegen?

O Finsterniß! O schwere Nacht!
Wird dir kein lichter Tag beginnen?
Darf ungestraft die Lügennacht
Des Corsensprößlings uns umspinnen?
Wie wehrlos wir mit unsrer Kraft
In unserm Schmerz darniederliegen!
O deutsche Kraft in schnöder Hast,
In welchem Zeichen wirst du siegen?

Ha! durch das Dunkel blitzt ein Stern
Von majestät’scher Felsenzinne!
Die Waller ziehn von nah und fern
Herbei mit neugestärktem Sinne.
Dein Banner sehn sie schwarz-roth-gold
Sich hoch in Himmelsbläue wiegen,
Von kühnen Händen aufgerollt.
In diesem Zeichen wirst du siegen.

Verschwunden war sie und verpönt,
Die heil’ge deutsche Oriflamme.
Dort flattert sie, kaum noch verhöhnt,
Stolz überm hohen Fichtenstamme
Und läßt den schwarz-roth-goldnen Strahl
Als jungen Hoffnungsboten fliegen
Vom Felsenhaupte in das Thal. –
In diesem Zeichen wirst du siegen.

Sie pflanzte dort mit starker Hand
Der schlichte kühne Felsensteiger.
Nun leuchtet sie, ein Stern dem Land,
Wenn heute erst nur als ein bleicher.
Doch wächst sein Glanz und seine Gluth.
Und gleich dem, der den Fels erstiegen,
So wachse, Deutschland, dir der Muth!
In diesem Zeichen wirst du siegen.

Dich aber weiht der Dichter fromm,
Du Fels, zum vaterländ’schen Heerde,
Auf dem der Funke neu entglomm,
Daß er zur Himmelsflamme werde!
Du, deutsche Jugend, blick’ empor
Zu ihr, die bald in heil’gen Kriegen
Hell wandelt deinem Volke vor.
Und nur in diesem wirst du siegen.

Sie rage einsam, nur umgirrt
Von dieses Waldes wilden Tauben,
Und wecke, daß es besser wird,
In deutscher Brust den schönen Glauben.
Am rechten Tage steig’ als Hort
Sie nieder auf den Felsenstiegen
Und rufe Deutschland zu das Wort:
In diesem Zeichen wirst du siegen!

Jahre lang hat die deutsche Fahne auf ihrem Felsenasyle lustig geflattert zum Beweis, daß in dem deutschen Volkswalde still die schwarz roth-goldne Treue wohne. Der Fürst des Landes, der oft am Fuße des Falkenstein vorüber zur Jagd fuhr, hat ihr nie ein böses Gesicht gemacht; er war am wenigsten der, der sie „haben“ wollte. Scheele Blicke sind freilich genug nach ihr hinausgeworfen worden, aber sie konnten sie nicht haben; es war unmöglich. Jakob Zimmermann hatte selbst das Gestrüpp hinweggerissen, das allein das Besteigen den Felsen ermöglicht. Es konnte Keiner mehr hinauf.

Heute ist freilich keine Spur mehr von ihr zu sehen; sie ist dem Schicksal alles Irdischen verfallen und der Gewalt der Stürme erlegen, die auf dieser Felsenzinne oft furchtbar sein mag; aber am großen Schillertage schoß sie als ein schwarz-roth-goldner Flammenstrahl plötzlich da und dort mitten aus dem Volke empor und erleuchtete den Weg, den uns der große unsterbliche Dichter vorgezeichnet hat, den Weg zur Einheit, Freiheit und Größe.

Es liegt uns Deutschen ob, heuer ein patriotisches Fest zu feiern, den fünfzigjährigen Todestag der Königin Louise von Preußen, des „Genius Deutschlands“, welcher auf den 19. Juli fällt. Wie wär’ es denn, wenn wir zu diesem Tage eine neue deutsche Fahne anschafften, zu welcher jeder brave Deutsche seinen Pfennig beisteuerte, und zu Tausenden hinter ihr herzögen durch den Grund des deutschen Volkswaldes bis zum mächtigen deutschen Altar und sie auf denselben ausstellten und als „ewige Flamme“ stifteten, wie man wohl eine ewige Lampe auf einen Kirchenaltar stiftet? Der Falkenstein wäre ein würdiger Sockel zu solch einem hehren deutschen Monument, und dieses bildete als Symbol der politischen Einheit dann einen schönen Gegensatz zu der hohen Winfriedssäule, die als Symbol der religiösen Einheit nur wenige Stunden von hier auf hinein Berggipfel desselben Gebirgs in der Form eines Leuchters die dreigezackte Flamme trägt.

Der Vorschlag verdient gewiß in Erwägung gezogen zu werden.