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Der Pavillon zu Brighton in England

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XII. Die Dreifaltigkeitsbrücke in Florenz Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XIII. Der Pavillon zu Brighton in England
XIV. Bingen
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THE PAVILLON
Königlicher Palast in Brighton, England.

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XIII. Der Pavillon zu Brighton in England.




Noch bei Menschengedenken war Brighton, (an der Südküste von Sussex) ein elender Flecken. Brighthelmstone war sein Name und unbekannt war er der gebildeten Welt, wie die armen Fischer, seine Bewohner. Da führte vor etwa 20 Jahren die Glücksgöttin einen Tonangeber des Tages, einen Schriftsteller und Arzt, an sein Gestade, und von schwerer Krankheit befallen genaß er durch den Gebrauch des Seewassers und der Pflege der einfachen Leute. – Nach London zurückgekehrt, ergoß sich der dankbare Aeskulap durch Rede und Schrift in Lob und Preis über die belebenden Kräfte von Brighthelmstone’s Lüften und Fluthen, über die Schönheit seiner kaum reizenden Ufer. Die vornehme Welt des neuern Babylons, voran der damalige Prinz-Regent, folgte dem Rufe und aus dem elenden, schmuzigen Fischerdorfe erstand schnell, wie unter der verwandelnden Ruthe eines Zauberers, das vornehmste und glänzendste Seebad Brittaniens. Und wie ein Pinsel von Parvenü, der, der niedern Herkunft sich schämend, auch den älterlichen Namen abstreift, hat es den seinigen mit dem glatt und sanft über die Lippen gleitenden Brighton (Breiht’n) vertauscht! Jetzt ist Brighton der Lieblings-Aufenthalt der reichen Londoner in der schönen Jahreszeit, die jährlich in zahllosen Schaaren dahin auswandern. Es ist eine der schönsten Städte Englands geworden, hat 55,000 Einwohner und versammelt in einem Sommer oft 30,000 Badegäste. Während der Kurzeit gehen von London alle 5 Minuten von zwölf verschiedenen Stationen sechs- und achtspännige Eilwägen ab, jeder 20 bis 30 Personen fassend, und eben so viele kommen. In diesen legt man den 52 englische (über 10 deutsche) Meilen messenden Weg in 5, ja oft in 4 Stunden zurück. Im vorigen Jahre sind Dampfkutschen eingerichtet worden, welche die Strecke in der halben Zeit durchfliegen.

Brightons glänzendste Zeit war, als der letztverstorbene, prachtliebende König Georg IV. hier Hof hielt. Der wohlthätige Gebrauch der Seebäder, den er lange Jahre fortsetzte, hatte ihm den Ort werth gemacht und ihn zu dem Entschluß geführt, sich hier einen Sommerpallast im orientalischen Styl zu erbauen, – jetzt das prachtvollste Gebäude der Art in ganz Europa. Es ist einigermaßen dem Kreml in Moskau, der alten Czaarenresidenz, zu vergleichen; nicht ganz von so riesigem Umfange, aber geschmackvoller in den Formen und im Innern unendlich prachtvoller. Der König verschwendete viele Jahre lang fast die Hälfte seines Einkommens auf seine Erbauung und [30] Ausschmückung, und das Parlament schoß mehrmals bedeutende Summen dazu her; man berechnet, daß es mehr als 3 Millionen Pfund Sterling (etwa 20 Millionen Thaler) gekostet.

Unsere Ansicht zeigt die nach dem Meere hin gerichtete südliche Façade des Pallastes. Sie besteht aus einem Mittelgebäude, der domartig überdachten, 52 Fuß im Durchmesser haltenden Thronsaal-Rotunda, welche durch zwei 65 Fuß lange Gallerien nach beiden Seiten hin mit den von Cupolen und Minarets überragten Eckpavillons in Verbindung steht, in denen sich die königlichen Bankett- und Conzertsäle befinden. Der überaus prachtvolle Haupteingang ist auf der westlichen Façade. Er führt unmittelbar durch die berühmte Chinesische Gallerie, die in einem 162 Fuß langen Raume die kostbarste und vollständigste Sammlung von Leben und Kunst in China veranschaulichenden Gegenständen enthält. Namentlich sind die die Wände schmückenden Chinesischen Gemälde, die Erzeugnisse der berühmtesten Maler dieses fernen Landes, höchst merkwürdig; eine Sammlung, die in Europa einzig in ihrer Art ist. Auch die ganze übrige Ausschmückung und Ausmöblirung des weitläufigen Pallastes ist, bis auf die geringfügigsten Gegenstände der Toilette herab, chinesisch.

Der jetzige König besucht Brighton fast nie; aber unangetastet steht noch alles in dem Wunderhause, wie es sein voriger Besitzer verlassen. Eine alte Castellanin begleitet den Neugierigen durch das Labyrinth der Gemächer, mit denen er eine ihm völlig fremde Zauberwelt betreten zu haben scheint. Der Höflinge Schwarm ist verschwunden, – statt des frohen Getümmels des üppigen Hofes herrscht Todesstille, und nichts stört mehr des Schauenden Glauben an das Versetztseyn in eine fremde Welt, eine Täuschung, die der König, ihr Schöpfer, suchte, aber, eben weil er ein König, niemals finden konnte. –