Der Pik von Teneriffa
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Ich lege einen Gürtel um die Erde
In zehn Minuten.
Shakspeare.
„In vierzig Minuten,“ sagt eigentlich der Text, und das war zu Shakspeare’s Zeit wohl das NON PLUS ULTRA des Begriffs vom Schnellreisen der Geister und Zauberer. Damals, wollte man nicht den Vorwurf großen Leichtsinns auf sich laden, machte man vor dem Antritte einer Tour von London nach Paris vor Notar und Zeugen sein Testament, und eine von Nürnberg nach Frankfurt gehende Postkutsche verbrauchte zu ihrem Unterwegs acht volle Tage. Da war aber auch die Erde noch die Welt, und die Gestirne waren nur da, um ihr zu leuchten. Sie allein war das Feststehende, Bleibende, Unveränderliche im Universum; alles Uebrige, der ganze Himmel mit seinen
[41] Sonnen, umkreiste sie im ewigen Laufe. Die Fortschritte der Wissenschaft haben der guten Mutter Erde diesen Heiligenschein längst weggenommen, welchen Unwissenheit und Eitelkeit der Menschen ihr angeheftet hatten, und wenn es noch etwas bedarf, die Verwandlung unsers Weltriesen in einen Weltzwergen zu vervollständigen, durch Dampf und Eisenbahnen würde es gewiß geschehen. Darf nicht jedes Kind der lebenden Generation hoffen, sie einmal zu umkreisen? So viel zur Entschuldigung meiner Lizenz mit dem Shakspeare’schen Texte.
Schneller als alle Ariels und Zauberer reist der alleinige Herr über Raum und Zeit – der menschliche Gedanke. Vom Ganges-Ufer, vorbei an Calkutta, dem London des Ostens, an Ceylon, dem Kap, St. Helena vorüber schiffen wir im Nu. Auch die sonst so langweilige Seefahrt auf dem glühenden Erdgürtel kann uns nicht langweilen. Halloh! schon ruft’s am Steuer Land! und unser ungeübter Blick entdeckt eine hohe Schattengestalt am nördlichen Horizonte, die bald kömmt, bald verschwindet. Allmählich kleidet sich die Erscheinung in Dunkelblau, und sie gewinnt eine bleibende Form; sie gemahnt uns wie ein unermeßlicher Spalt im Himmelsgewölbe, durch den man in einen zweiten, ferneren Himmel sieht. Es verschwindet auch diese Illusion; vom dunkeln, tiefern Himmelsblau geht die Farbe des Gegenstandes in ein Luftgrau über, und glitzernde Lichtstreifen, die Reflexe von Schnee- und Eisfeldern, zeichnen den Bergriesen in der schärfsten Contour. Der Pik von Teneriffa steht vor uns in voller Majestät. –
Teneriffa, das größte Eiland der canarischen Gruppe, mit 120,000 Einwohnern spanischer und portugiesischer Abkunft, hat, so grandios und malerisch es sich auch von ferne ausnimmt, doch keine landschaftlichen Reize. Die ganze Insel ist eigentlich nur der obere Theil eines Vulkans, dessen Fuß im Boden des Meeres wurzelt. Zuweilen erfreuen das Auge Baumpflanzungen, Weinberge und Getreidefelder: Neunzehn-Zwanzigstel der Oberfläche sind jedoch bedeckt mit vulkanischen Ueberresten, mit Asche, Bimstein und Lava, auf denen kein Grashalm fortkömmt. Ragt auch da und dort aus einer Spalte, oder Felskluft, wo sich im Laufe der Jahrtausende etwas Dammerde sammelte, eine verkrüppelte Kiefer, oder eine einsame Palme; so ist dieß doch mehr dazu gemacht, das Desolate der Landschaft zu vergrößern, als es zu mildern. Am zurückschreckendsten sind die Küstenstriche. Nirgends ist da eine Spur von Kultur zu sehen, welche die Wände des ungeheuern Schornsteins der unterirdischen Schmelze fleckweise mit Grün bekleidete.
Die Ortschaften der Insel entsprechen dieser Beschreibung; sie sind, ohne Ausnahme, klein, arm und schmutzig im höchsten Grade. Die Hauptstadt, St. Christoval de Lagun, gewährt schon von ferne einen traurigen Anblick. Sie besteht aus etwa 400 kleinen, blendend-weißen Gebäuden, die auf dem baumlosen Gestade zerstreut umher stehen, hinter welchen sich Felsen von schwarzer Lava erheben. Auf den Zinnen der letztern sieht man eine lange Reihe schwerer Geschütze. Fast alle Einwohner sind arme Fischer, und die steten Begleiter der Spanier: Faulheit [42] und Bettelei, quälen den Fremden von dem Augenblicke an, wo er den Fuß auf’s Land setzt. Blos die Geistlichkeit ist reich; sie verzehrt ⅔ der öffentlichen Einkünfte, und beherrscht Volk und Regierung.
Santa Cruz ist der Haupthafen der Insel, und die Produkte derselben: – Wein, Seide und Barilla werden von hier aus verschifft. Unfern davon liegt Oratova. Die Umgebungen dieses Städtchens hielten die Insulaner noch vor wenig Jahren für das Eden der Bibel; so herrlich waren sie in ihren Augen. Ortova besaß reiche Kornfelder, Gärten und Weinberge, die unzählige Quellen bewässerten, welche über der Stadt dem Berge entsprangen und seine Wände mit frischem Grün und bunten Blumen schmückten. Macht dieß auch noch kein Paradies, so war es doch eine freundliche Oase in der Wüste. Eine kurze Stunde zerstörte Alles. Am 16. März 1826 gerieth, während eines Orkans, der die ärgsten Verwüstungen auch auf andern Theilen des Eilandes anrichtete, die Erde unter und in der Nähe von Oratova in wellenförmige Bewegung, wie Staub schüttelte sie die Kapellen, Klöster und Villen von den Höhen herab, donnernd stürzten die Felsen und Berge nach, bald war die ganze Gegend ein Haufe wüster Trümmer. Die Gärten, die Fluren, die Stadt selbst mit Allem, was Leben hatte in ihr, war hin bis auf die letzte Spur. Die Schlußscene machte ein furchtbarer Stoß, der dem Vulkan den Bauch öffnete und heraus wälzte einen Strom siedenden Wassers, mit solcher Gewalt, daß er die größten Felsblöcke mit sich fort und zum Meere riß, in welches er sich zischend und brausend, von unterirdischem Donner begleitet, 6 Stunden lang ergoß. Jetzt ist Oratova ein armseliger Flecken, dessen wenige Einwohner meistens von den Allmosen der Fremden leben, welche herkommen, um von da aus den Pik zu besteigen.
Dieser ist von keiner andern Seite und nur schwer zu erklimmen. Wegen der außerordentlichen Steilheit ist der Weg hinan im Zickzack geführt, und ein tüchtiger Bergsteiger braucht, den Gipfel zu erreichen, 6 volle Stunden. Die kegelförmige Spitze besteht ganz aus Asche und Bimsteingerölle, welches jedem Tritte nachgibt. Eine Lavamauer, so schmal, daß sie kaum Raum zum Niedersitzen läßt, umgibt den cirkelrunden Krater, dessen Durchmesser etwa 300 Fuß beträgt und dessen Wände senkrecht in die Tiefe niedergehen. Von der Spitze des Pik, der dem Montblanc an Höhe fast gleich kommt, sieht man nicht blos Teneriffa, sondern auch die übrigen Inseln der Gruppe mit ihren lieblichen Landschaften auf das deutlichste zu seinen Füßen, die spiegelnde Fläche des Meeres 200 Meilen in der Runde, und bei hellem, günstigen Wetter dringt das unbewaffnete Auge bis nach Afrika, und deutlich erkennt’s die unermeßlichen Wälder, welche die Küste bedecken, und die blauen Gebirge, hinter denen die Sahara bis an den Nil sich ausdehnt.
Obschon die häufigen Erdbeben, das öfters hörbare unterirdische, donnerähnliche Geräusch, und die von Zeit zu Zeit aufsteigenden Rauchwolken von der fortwährenden Thätigkeit des Vulkans Zeugniß geben, so ist doch seit 1704 kein eigentlicher Ausbruch erfolgt. Während der größten Hälfte des Jahres ist der Gipfel auf mehre tausend Fuß mit Schnee und Eis bedeckt, und dann ist er unersteiglich. Bei reiner Luft kann man den Pik, vom Meere aus, 200 Seemeilen weit sehen, und er dient den Schiffen, welche von Europa nach dem Kap und Indien fahren, als [43] ein Wegweiser. An heitern Abenden, wenn Dunkel schon das Meer umhüllt, flammt sein Gipfel noch in der Abendsonne, und der Bergriese erscheint dann wie ein wirklicher Leuchtthurm, herrlich über alle Beschreibung und seines Baumeisters würdig. –