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Der Präsident auf der Anklagebank

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Titel: Der Präsident auf der Anklagebank
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14–15, S. 220–223, 231–233
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[220]
Der Präsident auf der Anklagebank.
Von einem Augenzeugen.

Wenn je durch die beglaubigten Jahrtausende der Geschichte des Menschengeschlechtes eine Nation schwer, ja, man kann wohl sagen, grausam für ein einmal begangenes Unrecht, für einen Principienverrath bestraft worden, so ist es die amerikanische; wenn je der schauerliche Fluch des alten Judengottes, „daß die Sünden der Väter bis in’s dritter oder vierter Enkelglied hinab gerächt werden sollen,“ wie die orakelartigen Worte unseres deutschen Dichterlieblings über das Fortwuchern der „bösen That“ irgendwo [221] zur Wahrheit geworden, so ist es in den Vereinigten Staaten geschehen. Die Väter der Republik erkauften, in dem nicht gerechtfertigten Wahne, daß die Sclaverei bald aussterben werde, die Einigkeit, indem sie die Freiheit dafür hingaben, und die Nation büßt das Vergehen mit einem mehr als siebenzigjährigen Despotismus der Sclavenhalter, mit einer alle Classen durchdringenden Corruption, mit Kriegen im Interesse der Sclaverei geführt, mit dem Hinschlachten von einer halben Million Menschen im Secessionskriege, mit einer Schuldenlast von nahezu dreitausend Millionen Dollars, mit tausend- und aber tausendfachem Morde der braven Unionsleute und armen Schwarzen im Süden, mit Verarmung, Geschäftsstockung und Sinken des Nationalcredites, dem Assassinate ihres geliebten Präsidenten und mit der Schmach und dem Unglücke, einen Menschen wie Andreas Johnson seine Stelle einnehmen zu sehen.

Andreas Johnson, der nordcarolinische Schneider, der sich bis zum Senator von Tennessee aufgeschwungen, dem sein Feuereifer gegen die Secessionisten (die südstaatlichen Sonderbündler) und seine beredte Vertheidigung der Union die Ernennung zur zweiten Stelle in der Republik eingetragen, dessen bescheidene Geburt und frühere beschränkte Verhältnisse nur dazu dienten, in dem Volke noch annehmbar zu machen - denn das amerikanische Volk liebt es, der Welt zu zeigen, daß bei ihm auch der Geringste sich durch Tugenden und Verdienste zu den höchsten Aemtern aufschwingen kann - , er, der als Militär-Gouverneur von Tennessee mit Feuer und Schwert gegen die Secessionisten gewüthet und den Schwarzen Zutheilung von confiscirten Ländereien versprochen und ihr Moses zu sein sich erboten hatte, - dieser Mann wurde mit der nicht unterdrückten Befürchtung gewählt, daß er dem Süden gegenüber zu unversöhnlich und hart auftreten würde. Und als was hat er sich ausgewiesen? Die Weltgeschichte kennt kaum einen Menschen von größerer Tücke und Heuchelei, von ärgerer Verlogenheit, von einer größeren politischen Nichtswürdigkeit! Nichts, was er der Sache der Freiheit und der Union versprochen, hat er gehalten, Alles, was er im feierlichen Reden den Schwarzen zugesagt, hat er ihnen vorenthalten oder zu hintertreiben gesucht, fast sämmtliche Verräther hat er begnadigt, jeden Despotismus hat er versucht! Wie aber ist dies anscheinende psychologische Räthsel zu erklären? Es sei mir gestattet, diese Erklärung zu versuchen, und zwar umso mehr, als auch in Deutschland, wie ich die Sache auffasse, die Elemente zum Erzeugen von Johnsons vorhanden waren und wohl noch sind und als auch vor fast zwanzig Jahren angehende Johnsons sich vorfanden und vielleicht noch jetzt sich vorfinden. Möge Deutschland nie der Fluch treffen, ihnen eine einflussreiche Stelle anvertraut zu sehen!

Um den Mann Johnson ganz kennen zu lernen, den Mann, der in einem Sclavenstaat in Armuth geboren, aus einer dem so genannten "weißen Schund" angehörigen Familie stammend, seinen ganzen glühenden Haß nicht dem Institute der Sclaverei, sondern den Sclavenhaltern zuwandte, der wie alle Unterdrückte eine Genugthuung darin fand, eine Menschenrace, die noch tiefer stand, als er, die Schwarzen, mißhandeln zu können, wie er selbst mißhandelt wurde - um diesen Mann kennen zu lernen, um die Geduld des amerikanischen Volkes vollständig zu ermessen und um jeden Leser der Gartenlaube in den Stand zu setzen, für sich selbst als Mensch und als ein aus dem Gesammtverbande der Menschheit berufener Geschworener mit voller Sachkenntnis zu urtheilen, muß ich etwa drei Jahre zurückgehen zu dem Momente, als er, von der republikanischen Partei mit Lincoln gegen die demokratischen Candidaten General Mac Clellan und Pendleton erwählt, sich anschickte, Nashville, die Hauptstadt von Tennessee, zu verlassen, um der Einsetzung Lincoln’s und seiner selbst im Capitole zu Washington am 4. März 1865 beizuwohnen.

Den Abend vor seiner Abreise sagte er im Vertrauen zu einem Freund: „Alles ist im Wirrwarr, und Ordnung kann nur durch die Demokratische Partei (zu der er früher gehörte) hergestellt werden.“

Also dieselbe Demokratische Partei, die den ganzen Krieg und Wirrwarr veranlaßt, die alles Mögliche während desselben gethan hatte, um den Süden siegreich daraus hervorgehen zu lassen? Den nämlichen Gedanken sprach er auf seiner Durchreise in Cincinnati einem dortigen Richter und Lichte der Demokratischen Partei aus.[1] Er bereitete demnach absichtlich die Rebellen und ihre Freunde heimlich auf seinen Verrath vor und ermuthigte sie zum Widerstande, während er vor der Welt sich als blutgierigen Rebellenfresser geberdete.

Der 4. März 1865 tagte; die Einsetzung sollte stattfinden, Lincoln sollte das Steuer wieder übertragen werden, das die amerikanische Nation seinen getreuen Händen für vier weitere Jahre anvertrauen wollte. Johnson, der nordcarolinische Schneider, sollte das hohe Amt des Vicepräsidenten antreten und dadurch den Triumph einer dem Herzen jedes Arbeiters theuren Idee verwirklichen. Er war der Repräsentant einer durch Vorurtheil verachteten Classe. Seine Hand war mit einem der bescheidensten Handwerke beschäftigt gewesen. Ihm stand weder Reichthum, Erziehung, noch gesellschaftliche Bildung zur Seite. Er hatte angefangen, lesen zu lernen in einem Alter, in dem die meisten jungen Leute in Amerika ihre volle wissenschaftliche Ausbildung erhalten haben und die Collegien verlassen. Alle diese Schwierigkeiten überwindend, war er von Stellung zu Stellung gestiegen bis zur zweitem im Bereiche der Republik. Jeder Arbeiter fühlte sich erhoben in seiner Erhebung, denn sie bewies, daß in dem freien Amerika die allerhöchste Stelle für den Niedrigsten zugänglich war. Und wie faßte er diesen Moment auf? Vor einem Schnapstische betrank er sich, wagte es, sich in zweideutigen Scherzen über Frau Lincoln („die aufgedonnerte Königin“) zu ergeben, die er in den Saal zu führen hatte, schwankte in den Congreß hinein und hielt eine unwürdige Rede, in der er den wohlfeilen Muth hatte, den Repräsentanten der fremden Mächte Ungehörigkeiten zu sagen und ihnen die Faust drohend entgegen zu strecken. Das war der Repräsentant der Arbeiter! „Seht hin,“ so konnte jeder ihrer Feinde ausrufen, „auf euren Vertreter, auf euren hochgestellten Plebejer, auf euren Schneider-Senator! Das ist die Folge eurer demokratischen Institutionen. Ein Bauer bleibt ein Bauer. Die Fähigkeit zu regieren rollt nur in den blauen Adern von Herren, wie wir sind, die aus den Schenkeln von Königin entsprossen sind. Das sind die Früchte der Demokratie!“

Das amerikanische Volk verzieh diese Schmach, aber es begrub sie in das Innerste seines Herzens und, stolz auf sein Land und über Alles stolz auf den Namen eines amerikanischen Gentleman, wurde es jedes Mal roth, wenn es sich daran änderte, daß der betrunkene Vicepräsident die fremden Gesandten mit der Faust bedroht und sie wegen ihrer aristokratischen Geburt verhöhnt hatte. Es kam der 22. Februar 1866, der Geburtstag des „Vaters des Vaterlandes“, der zweithöchste Festtag des amerikanischen Volkes. Präsident Johnson erschien in den Straßen der Hauptstadt, umgeben von ihrem Pöbel und denen, welche die Ermordung seines edlen Vorgängers mit Jubel begrüßt hatten, von denen, die während vier Jahren die Freiheitskämpfer des Nordens in der Schlacht, in den gefangenen Höhlen, in Wald und Feld gemordet hatten, und klagte den Congreß als Usurpatoren an, während er den hohen Greis Stevens, den Führer des Hauses, und den verdienten Senator Sumner als Gegenstände des Hasses und der Gewaltthat der wüthenden Bande empfahl.

Nebenbei sprach er durch seinen Umgang mit berüchtigten Frauenzimmern und dadurch, daß diese die allein bevorzugten Begnadigungsagenten waren und dies als ein großartiges Geschäft betrieben, jeder Moralität Hohn. Das war der Privatmann A. Johnson.

Der Präsident Johnson setzte ohne den Schatten einer Autorität und ohne Zuziehung des Congresses in den Südstaaten solche provisorische Regierungen ein, daß binnen ganz kurzer Zeit die Sclavenhalter wieder alle Macht in den Händen hatten und die Lage der armen Farbigen, welche Alles für die Union und ihre Verteidiger aufgeopfert und von denen über zwanzigtausend als Soldaten ihre Treue mit dem Tode besiegelt hatten eine viel verzweiflungsvollere war, als vor der Secession. Denn damals mußten ihre Herren sie wenigstens ernähren, kleiden und pflegen, jetzt wurde ihm mit Hohn zugerufen: "Ihr seid ja frei, geht nach dem Norden, der muß euch ernähren!"

Zwei Jahre lang kämpfte der Congreß mit diesem unwürdigen Verräther im Interesse der Freiheit, der Rechte der Farbigen, deren Befähigung zum Stimmrecht, zu Stellen - zollweise mußte jedes Stückchen Freiheitsboden vertheidigt und erobert werden, stückweise mußte der Congreß ihm einer nach der andern seiner Befugnis entziehen und sie besseren Händen [222] übertragen, einen nach dem anderen ihrer großen Feldherrn mußte die Nation abgesetzt und entehrt sehen, für kein anderes Vergehen, als weil sie den Willen der Nation und nicht die Willkür Johnsons befolgen wollten, - in Memphis, in New Orleans wurden durch seine Veranlassung Unionsleute in Massen von wütenden Rebellenbanden hingeschlachtet. Nirgends fanden die Unionsleute und Schwarzen Schutz, in Texas allein wurden deren seit Einstellung der Feindseligkeiten über zweitausend ermordet! Das innerste Steuersystem wurde in die Hände seiner Creaturen gelegt, die den Staatsschatz in einem Jahre bei der Branntweinsteuer allein für über dreihundert Millionen bestahlen; alle Departements (Ministerien) waren zu einem Pfuhle der Corruption und Nichtswürdigkeit herabgewürdigt worden, so daß jeder Mann mit einem letzten Funken von Redlichkeit sich davon entfernt hielt, während der Auswurf der Gesellschaft täglich in wichtige Ämter einrückte. Auf den Bericht des Generalstaatsanwalts Stanbery wurden Postdiebe, Fälscher, Falschmünzer und untreue Cassenbeamte dutzendweise begnadigt, und derselbe Beamte hatte die Frechheit, in dem Supreme-Court (dem obersten Gerichtshofe) zu erklären, daß er die vom Congreß erlassenen Gesetze nicht vertheidigen wolle. Das Flottendepartement verschleuderte und stahl viele Millionen, und sein stumpfsinniges Haupt machte es sich zum Vergnügen, die besten und redlichsten Officiere zu verfolgen, weil sie keine Anhänger der Administration waren. Der Schatzsekretär (Mac Culloch) sah ruhig zu, wie viele Millionen in die Taschen von Dieben wanderten, von Parteigängern geraubt oder in einer Casse gewendet wurden, um bei den Wahlen Bestechungen in großartigen Maßstabe vornehmen zu können. Der Secretär des Innern (Browning) ließ den nichtswürdigsten Landschacher zur Anschwellung der Taschen der Landhaifische und zum Nachtheil der Einwanderer ebenso ruhig geschehen, wie die betrügerischen Indianercontrakte und die bezahlte Ausdehnung von Patenten. Gegen das Postdepartement wurden die Anlagen so dringend, daß der Congress sich genöthigt sah, ein Untersuchungscomité zu ernennen, während das Orakel im Staatsdepartement (Seward) widerwärtiger und oft beleidigender Selbstverherrlichung seine ganze Pflicht im Schreiben von schwülstigen, unverdaulichen Depeschen fand, ohne den Muth zu haben, die Rechte der Nation und ihrer Bürger zu vertreten.

Und noch immer schwieg die Nation, noch immer trug sie das Joch, daß ihr ein roher, unsittlicher, verrätherischer Zufallspräsident aufgelegt. Noch immer verwarf die Majorität des Hauses den Antrag auf Anklage „des größten Verbrechers der Weltgeschichte“, wie ihn mehrere Redner jüngst nannten. So conservativ ist ein wahrhaftfreies und seiner macht sich bewußtes Volk! Gleich dem starken Mann im Vollgefühle seiner körperlichen Kraft, seines sittlichen Werthes, seiner geistigen Errungenschaften, nimmt es vielen Hohn der Zwerge hin, die da träumen, sie könnten seiner ganz Herr werden. Aber „es kommt ein Tag, da wird Euch Herren grauen!“.

Und er ist gekommen, dieser Tag!

Zweimal hatte ich die prächtige Halle der Repräsentanten trostlos und, ich will es gestehen, mit Wuth im Herzen verlassen. Die Massen des Capitols, sie schienen mir auf einer einzigen Brust zu legen und diese Brust die meine. „Wann,“ so fragte ich mich, „werden diese Advocaten und Aemterschacherer endlich den Muth finden, dem verwegenen Verbrecher im Weißen Hause ein Halt! zuzurufen und die Nation zu retten?“ Ist es denn Schicksalsschluß, das keine Nation ungestraft unter Bajonneten wandelt, auch wenn ihr der Stahl zur Selbstvertheidigung aufgedrängt wird? Kann denn der herrliche alte Stevens, der Cato des Hauses, das nie schweigende Gewissen des Hauses, noch immer nicht zur Ruhe kommen, den er lebt ja nur noch in dem Gedanken, sein Volk von Schande und Verderben zu retten?"

Da schlug die Stunde! Ein leises Schnurren des gouvernementalen Räderwerkes hatte dem aufmerksamen und vertrauten Beobachter verrathen, daß sich etwas Ungewöhnliches vorbereite!

Präsident Johnson hatte im August 1867 den Kriegsecretär Stanton suspendirt, weil er - der einzige im Cabinett - dessen verrätherischen und gesetzwidrigen Verfahren nicht zustimmen wollte. General Grant war interimistisch mit dem Kriegsdepartement betraut worden. Einer der ersten Beschlüsse des Senates nach seiner regelmäßigen Versammlung im December vorigen Jahres war gewesen, am 13. Januar 1868 die Suspension Stantons als gesetzwidrig Aufzuheben, worauf Grant sofort das Departement Stanton wieder zurückstellte.

Es folgte dann eine sehr unerträgliche Correspondenz zwischen Präsident Johnson und General Grant über die Frage, ob letzterer ersterem nicht versprochen gehabt habe, das Departement an ihn, den Präsidenten, und nicht an Stanton zurückzuerstatten, deren unwidersprüchliches Ergebnis war, daß der Präsident sich bemüht hatte, Grant zu veranlassen, das Gesetz zu verletzen, indem er dem Senatsbeschlusse nicht nachkäme. Es klang wie Kinderspiel, wenn wir lasen, daß Johnson sich erboten hatte, die dafür gegen Grant auszusprechende Geld- und Gefängnißstrafe zu zahlen, resp. abzusetzen. Ein zweites ebenso wichtiges Ergebniß jenes (natürlich veröffentlichten) Briefwechsels war die Überzeugung, daß entweder der Präsident oder General Grant ein Lügner war. Die populäre, auf die Vergangenheit Johnson’s gegründete Annahme, daß dieser der Lügner sei, fand in den Antworten der Cabinettsmitglieder, während Äußerung Johnson gefordert hatte, ihre Bestätigung.

Die Correspondenz schloß mit einer sehr energischen Erklärung des General Grant, deren letzte Worte ich hier anführen will, das sie als charakteristisch für den Mann sowohl wie für die Art und Weise, wie in den Vereinigten Staaten Jedermann auch dem höchsten Beamten gegenüber seiner Rechte und seine Stellung vertritt, auch für europäische Leser von Interesse sein dürfte wie. „Das Verfahren, zu welchem ich mich nach Ihrer Annahme verpflichtet haben soll, würde gegen das Gesetz verstoßen haben, während dasjenige, welches ich befolgen werde und von dem ich stets annahm, daß Sie es kannten, mit dem Gesetze übereinstimmen und keinen Befehle meiner Vorgesetzten zuwiderläuft. Und nun, Herr Präsident, entschuldigen Sie mich, wenn ich erkläre, daß, wenn meine Ehre als Soldat und meine Lauterkeit als Mann so heftig angegriffen wurden, ich diese ganze Angelegenheit von Anfang bis zu Ende nur als einen Versuch ansehen kann, mich in eine Auflehnung gegen das Gesetz zu verwickeln, für welche Sie zögerten die Verantwortlichkeit zu übernehmen, um auf diese Weise meine Stellung vor dem Volke zu ruinieren. Bis zu einem gewissen Grade bin ich in diesem Schluße durch Ihren letzten Befehl bestärkt worden, wodurch ich angewiesen werde, den Befehlen des Kriegsecretairs, meines Vorgesetzten und Ihres Untergebenen, keine Folge zu leisten, ohne daß Sie jedoch seine Autorität widerrufen, der ich dennoch nicht horchen soll. Mit der Versicherung, Herr Präsident, daß nichts Geringeres als die Rechtfertigung meiner persönlichen Ehre und meines Charakters mich zu meinem Antheile in diesem Briefwechsel bewegen konnte, habe ich die Ehre zu sein etc. etc. U.S. Grant, General.“

Dieses Ereigniß, dessen Folgen natürlich eine heftige Spannung zwischen dem Präsidenten und dem General der Armee war, stürzte alle tief angelegten Pläne des Ersteren über den Haufen. Es waren dieselben aber keine anderen, als den General so an sich und seine Absichten zu fesseln, daß der Congreß es nicht wagen würde, sich im länger zu widersetzen, und daß, wenn er es dennoch thäte, bei einem geschlossenen Staatsstreiche das Militär, oder doch der General der Armee, auf des Präsidenten Seite stände. Daß dies Johnson’s Absicht war, darüber hegte Niemand einen Zweifel, der die Schritte desselben seit zwei Jahren beobachtet hatte.

Johnson mußte nun ein Mittel finden, um dem ihm als Feind gegenüberstehenden Grant, durch dessen Hände, nach einem im verflossenen Jahre erlassenen Gesetze, alle militärischen Ordres zu gehen hatten, wo möglich das Heft zu entreißen, oder doch einen mächtigen militärischen Gegner in der Bundeshauptstadt gegenüberzustellen. Er erließ daher mit Umgehung des Kriegssecretärs Stanton, den er absolut ignorierte, als oberster Kriegsherr des Heeres und der Flotte zwei Befehle, in deren erstem er ein neues Militärdepartement, das atlantische, mit dem Hauptquartier in der Bundeshauptstadt bildete und in deren zweitem er den Generallieutenant J. Sherman zum Brevet-General der Armee ernannte und ihm das neugebildete Departement übertrug. Allein das nichtswürdige Manöver hatte nur den Erfolg, auch Denen die Augen zu öffnen, die noch immer sich nicht von des Präsidentenabsichten hatten überzeugen können, und der gegen den Congreß und die Freiheiten des Landes gezielte Schlag fiel auf die Hand zurück, die ihn geführt. Kein Officier oder Beamte durfte es wagen, die erste Ordre ohne Zustimmung des Congreßes auszuführen, da derselbe versammelt und das Land nicht im Kriege war, und General Sherman telegrafirte sogleich [223] und ehe er noch dem Präsidenten seine Ablehnung der ihm zugedachten Ehre und Stellung brieflich einsandte, an seinen Bruder, den Senator Sherman, daß er weder die Stelle noch die Ernennung zum Brevet-General annehmen werde, und bat ihn, im Senate die Verwerfung beider Maßregeln zu beantragen.

Präsident Johnson gab gleichwohl sein Spiel noch nicht verloren, sondern ernannte den Generalmajor G. H. Thomas, den Sieger von Nashville zum Brevet-Generallieutenant und Brevet-General der Armee und übertrug ihm das neue Departement. Die Antwort dieses bravsten unserer General-Officiere verdient hier einen Platz. Er telegraphirte an den Präsidenten des Senates, Benjamin Wade: „die Morgenzeitungen von Banisville (seinem Hauptquartier in Tennessee) kündigen amtlich an, daß gestern mein Name an den Senat geschickt wurde, um meine Ernennung zum Brevet-Generallieutenant und Brevet-General zu bestätigen. Für mein Verdienst in der Schlacht von Nashville wurde ich zum Generalmajor in der Vereinigten Staaten-Armee ernannt. Meine Verdienste während des Krieges verdienen keine so hohe Auszeichnung, und es ist auch jetzt zu spät, um sie als Lohn für meine Kriegsdienste ansehen zu können. Ich bitte den Senat daher dringend, die Bestätigung zu verweigern.“ Der feine Spott, der in den zweimaligen Hervorheben der früheren Kriegsdienste mit Bezug auf die künftigen Absichten des Präsidenten liegt, beweist, daß die Feder des alten Haudegen ebenso scharf ist als ein Schwert.

Der Präsident scheint nur noch einen letzten Versuch bei dem den District Columbia commandirenden General Emory und dann sogar bei einem Obersten eines hier liegenden Infanterie-Regimentes gemacht zu haben, aber auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen zu sein.

Ich erinnere mich der Zeit, sie ist nicht lange verflossen, es war gegen Ende des Secessionkrieges, wo besonders die um das Geschick unserer republikanischen Regierungsform so außerordentlich ängstlich besorgten englischen (Secessions-)Blätter nicht schwarz genug die Gefahr malen konnten, in der die Republik von der Dictatur eines der bedeutendsten Generale schwebte, und wo mir einmal ein bekannter englischer Diplomat die Unabwendbarkeit dieses entsetzlichen Geschenkes mit solcher Klarheit bewies, daß ich ihm lachend sagte: „Sie malen das mit solch’ wahren Farben, als ob Sie selbst daran glaubten!“ Damals wunderte sich die Welt, daß das ungeheuere Heer und seine Generale wie durch Magie beim Klang der Friedenstrompete verschwanden. Ist nicht diese jüngste Beispiel vom Sinne für und Gehorsam unter das Gesetz eine noch viel erhebende Erscheinung?

Nachdem Präsident Johnson auf diese Weise durch die Pflichttreue der General matt gelegt war, kehrte er, nach Besinnung von nur wenigen Tagen, zu seinem ersten Plan, den Kriegssecretär Stanton loszuwerden und die Stelle durch eines seiner Geschöpfe zu ersetzen, zurück. Am Freitag den 21. Februar erließ er einen Befehl, wodurch Stanton abgesetzt und an seine Stelle der Generalsadjutant Lorenzo Thomas, - er hatte also doch einen St. Arnaud gefunden, - zum interimistischen Kriegssecretär ernannt wurde. Thomas begab sich mit diesem Befehl in das Kriegsdepartement, legte ihn Stanton vor und verlangte von ihm die Uebergabe desselben. Stanton erklärte ihm jedoch, daß der Präsident in Abwesenheit des Congresses kein Recht habe, ohne Zustimmung des Senates ihn seiner Stelle zu entlassen und sie anderweit zu besetzen, weigerte sich bestimmt, das Kriegsdepartement an Thomas zu übergeben und befahl diesem, sich in sein Bureau zu begeben und seinen Arbeiten als Generalsadjutant obzuliegen. Er schickte augenblicklich Abschriften der Befehle des Präsidenten an die Vorsitzenden des Senats und ein entsprechendes Haus.

Die Aufregung, welche die Nachricht von diesem Schritte des Präsidenten im Congresse, in der Bundeshauptstadt, und - durch Telegrafen zugleich über die Union verbreitet - im ganzen Lande hervorrief, war eine ungeheure, - eine solche, wie ich sie nur im März und April 1861 gesehen. Aber kein guter Bürger war zweifelhaft, was nun zu thun, und selbst die Rebellen (Secessionisten, Kupferköpfe und Demokraten), traten nur schwach für Johnson ein, da er ganz ohne ihren Rath gehandelt hatte.

Am Sonnabend Morgen (22. Februar) wurde L. Thomas auf eine Beschwerde des Kriegsecretärs Stanton, daß er sich unbefugt amtliche Rechte anmaße und ihn, Stanton, in der Verrichtung seiner Obliegenheiten störe, auf Befehl des Präsidenten des Oberstengerichtshofes des Districtes durch den Marschall verhaftet, jedoch nach kurzer Verhandlung gegen Bürgschaft, sich am 25. Februar wieder stellen zu wollen, vorläufig entlassen.

Secretär Stanton hatte die Nacht über im Kriegsdepartement-Gebäude zugebracht, um jeden Augenblick bereit zu sein, einem Gewaltsschritt des Präsidenten oder seiner Creatur L. Thomas entgegenzutreten, und ein Gang nach diesem Gebäude Nachts um elf Uhr überzeugte mich, daß den nöthigen militärischen Maßregeln getroffen waren, um jedem Versuche von Gewalt sofort zu begegnen. Die Umgebungen desselben waren mit Doppelposten besetzt und die Rondeofficiere eifrig beschäftigt, dieselben zu instruiren; in mehreren Privatlocalen erblickte ich Wachen, die ich früher nie wahrgenommen. Stanton, der Carnot unserer Republik, der unbeugsame, unermüdliche Gegner der Rebellen, hat seitdem weder bei Tag noch bei Nacht seinen Posten nur auf einen Augenblick verlassen und wird, wie ich höre, es auch nicht eher thun, als bis die Anklage gegen den Präsidenten entschieden ist. Sein Bureau ist stets angeführt von Officieren, Beamten, Mitgliedern des Congresses und Patrioten aus dem ganzen Lande, die mit ihm berathen und ihm den wohlverdienten Dank des amerikanischen Volkes für die treue Wacht aussprechen, welche er für dessen Freiheiten und Rechte hält. Auf die Bemerkung eines derselben: „Secretär! denken Sie nicht, daß dies ein etwas sonderbar Platz zum Frühstücken ist?“ antwortete Stanton lächelnd: „O nein! Während der Rebellion pflegte ich oft hier zu Mittag und zu Abend zu speisen und das Morgengrauen fand mich häufig noch an meinem Arbeitstische.“

Während des Freitag-Nachmittags war aber auch der Congreß nicht unthätig gewesen. Im Senate wie im Hause war die Mittheilung Stanton’s verlesen worden. Ersterer schloß um zwei Uhr sein Thüren zu einer „Executive session“, und als sie, wie es heißt nach einer sehr stürmischen Sitzung, um sieben Uhr Abends wieder geöffnet worden, veröffentlichte der Vorsitzende des Senates (und Nachfolger Johnson’s, wenn dieser abgesetzt wird) folgenden Beschluß:

„Der Senat der Vereinigten Staaten in Executivsitzung am 21. Februar 1868. Nachdem der Senat die Mittheilung des Präsidenten, wonach er den Kriegssecretär Edwin M. Stanton abgesetzt und den Generalsadjutanten der Armee zum interimistischem Kriegssecretär bestellte, gelesen und Betracht gezogen, beschließt er, daß dem Präsidenten nach der Constitution und den Gesetzen der Vereinigten Staaten nicht die Machtvollkommenheit zusteht, den Kriegssecretär abzusetzen und irgend einen anderen Beamten interimistisch die Erfüllung der Obliegenheiten desselben zu übertragen.“

Eine Abschrift dieses Beschlusses wurde dem Präsidenten Nachts um halb elf Uhr ausgehändigt.

Im Hause der Volksrepräsentanten trug der immer fertige F. B. Washburn, sobald Stanton’s Mittheilung verlesen war, darauf an, dieselbe dem Reconstructionscomité (es ist dasjenige, welches alle die Rebellen Staaten betreffenden Angelegenheiten vorzuberathen hat) zum Berichte zu überweisen, was auch geschah.

[231] Am Sonnabend des 22. Februar um zwei Uhr zehn Minuten erhob sich der alte Thaddeus Stevens, als Vorsitzender des aus sieben Republikanern und zwei Demokraten bestehenden Rekonstruktions-Comités. Ein fünfundsiebzigjähriger Greis von hoher Gestalt, die durch einen zerschmetterten Fuß etwas leidet, sehr mager und eingefallen, hat er dem Anscheine nach jede körperliche Kraft verloren, aber die lebhafte, unverwüstliche Kraft, welche auf seiner ungewöhnlich hohen und breiten Stirn thront, zwingt das nur mühsam zusammenhaltende Gerippe seine letzten Dienste zu thun. Obwohl er nur wenige Schritte vom Kapitol entfernt wohnt, wird er doch bis an die Stufen desselben gefahren und dann, in einem Lehnstuhl sitzend, von zwei Männern die Treppen hinauf bis zu seinem Kabinett getragen. Außer und im Congresse ist er verdientermaßen der Patriarch der republikanischen Partei, und wenn im Hause seien Leichengesicht sich über seine Umgebungen erhebt, dann schweigt plötzlich wie durch Zauber der Lärm, Alles blickt nach Stevens, jeder Blick hängt an seinem Munde und die meisten Mitglieder schleichen behutsam in seine Nähe, um keines seiner Worte zu verlieren. Ja seine, ich darf sagen, Geistererscheinung ist so imponirend, die Ueberzeugung, daß nur die reinste und sorglichste Vaterlandsliebe jenem am erlöschen flackernden Lebenslicht ein Minimum Nahrung gewährt, so unabweislich, daß selbst die Demokraten, die Niemanden mehr hassen als diesen schwachen Greis, sich vor der Größe seiner persönlichen Erscheinung beugen.

Ehe der Sprecher des Hauses Stevens das Wort gab, ermahnte er die in allen Räumen dicht gedrängten Zuschauer wie auch die Volksvertreter, während der nunmehr beginnenden Verhandlungen Ordnung zu halten. Stevens las nun mit, wenn auch schwacher, doch durch den weiten Saal vernehmbare Stimme nachstehenden Bericht: "Das Comité findet, daß, zusätzlich zu den bekannten Documenten, der Präsident am 21. Februar eine Bestallungsurkunde und Authorisation für einen Lorenzo a Thomas ausfertigen lassen und unterzeichnet hat, worin der besagten Thomas anweist und autorisiert als interimistischer Kriegssecretär zu handeln und von den Büchern, Urkunden, Papieren und anderm öffentlichen Eigenthume in dem Kriegsdepartement Besitz zu ergreifen, wovon Folgendes eine Abschrift ist: (es folgt die Ordre des Präsidenten).

Aufgrund der von dem Comité gesammelten Beweisstücke und kraft der ihm vom Hause übertragenen Gewalt, ist dasselbe der Ansicht, daß Andreas Johnson, Präsident der Vereinigten Staaten, wegen hoher und geringer Vergehen angeklagt werden solle (be impeached for high crimes and misdemeanors.) Das Comité empfiehlt daher dem Hause der Annahme des folgenden Beschlusses: daß Andreas Johnson, Präsident der Vereinigten Staaten, wegen hoher und geringer Vergehen angeklagt werde."

In lautlose Stille nahmen Haus und Publicum die verhängnißvolle Botschaft aus dem Munde des Propheten entgegen, der seit fast drei Jahren vergeblich seine warnende Stimme erhoben. Jeder schien zu fühlen, daß wiederum an unserer Verfassungsleben ein harter Prüfstein angelegt werden solle; wiederum, wie im Jahre 1861, war das Volk gespalten gegen den gemeinschaftlichen Feind, und wiederum ist es die demokratische, richtiger Rebellenpartei, welche die Krisis herbeiführt, ja wiederum die 1861 ist es, wenn auch versteckt wie damals, die Anerkennung der Menschenrechte im Farbigen, wie unser Staatswesen von Neuem auf die Probe stellt. Wie ein Polyp im thierischen Körper, wächst das Uebel nach jeder neuen unvollständigen Operation mit Riesenschritten nach – aber diesmal wird die Operation eine gründliche sein.

Im Laufe des Tages hatte der Präsident dem Senate eine wunderliche Botschaft zugeschickt, in welcher er, offenbar erschreckt über die Aufnahme, die seine Usurpationen im Congresse gefunden, und über die energischen Schritte, die dieser adoptirt, nachzuweisen suchte, daß er nicht beabsichtigt habe, Constitution und Gesetze umzustoßen, sondern blos der letzteren in Constitutionalität durch die Gerichte prüfen zu lassen. Nichts charakterisirt den Mann besser als gerade dieses Actenstück und seine rabulistische Logik.

Sobald im Hause die Verlesung des Comitéberichtes beendet war, stürzte sich James Brooks, der Leiter der Demokratischen Partei und Redacteur des nichtswürdigsten Verrätherblattes selbst in New-York, des "Expreß", in die Bresche zur Vertheidigung des Präsidenten, und der parlamentarische Kampf, dessen Koryphäen ich nicht aufzählen will, da sie dem deutschen Publicum wenig bekannt sind, tobte, mit Unterbrechung von nur einer Stunde, bis ein Viertel nach elf Uhr Nachts unter der gespanntesten Aufmerksamkeit des [232] sich stets verdichtenden Zuhörerknäuels. Die im amerikanischen Congresse im Vergleich mit europäischen repräsentativen Versammlungen etwas weit gestreckten Grenzen des parlamentarisch Zulässigen wurden von keinem Republikaner, und nur von einem Demokraten, der aber sofort das Wort zurücknahm, überschritten. Das Verfahren des Präsidenten in der letzten Zeit, sowie sein ganzes Benehmen seit dem unglücklichen 14. April 1865 worden einer rücksichtslosen Auseinandersetzung und schonungslosen Kritik unterzogen, allein trotz der persönlichen Beleidigungen, welche der Präsident auf den Congreß als Ganzes und auf einzelne bedeutende Mitglieder desselben gehäuft hatte, trat doch sehr selten persönliche Malice, umso mehr aber gekränkter Mannesstolz, verletzter Patriotismus, Sorge um das Gemeinwohl, innige Sympathie für das Loos der Farbigen und fester energischer Entschluß, auch das Aeußerste zu wagen, in den Reden der Republikaner hervor. Der Richter Kelley von Pennsylvanien namentlich, als er eine lebhafte Parallele zwischen der momentanen Lage und der Nacht vom 1. auf den 2. December 1851 zog und das Conclave der fünf bekannten Verschwornen im Elysée mit ergreifenden Worten schilderte, als er seine mächtige Stimme bis zum tiefsten Flüsterton herabstimmte bei den Worten: „finis reipublicae“, als kämen sie aus dem verzagten Munde des Hauptes jener Verschworenen, und als er auf Johnson’s Ehrgeiz und seine Reise nach Washington zur Inauguration kommend sagte: „Vor Gott und der Nation versichere ich freilich: ich glaube, daß Johnson’s Absicht war, die Regierung umzustürzen und den Plan auszuführen, den er vor seiner Abreise von Tennessee angedeutet hatte, nämlich: daß der Präsident werden und, wenn er es zur Rettung der Nation für nöthig hielte, seine Gewalt verewigen wolle. Besessen von dem Gedanken der Präsidentschaft und ihrer Dauer in seiner Person stand zwischen ihm, dem erwählten Vicepräsidenten, und seinen egoistischen Wunsche – nur ein Leben, das von Abraham Lincoln, und das Leben beseitigte ein Meuchelmörder nur wenige Tage nach Johnson’s Inauguration zu seinem constitutionellen Nachfolger“ – rief einen ungeheuren Eindruck hervor.

Zu der angegebenen Stunde wurde die Sitzung auf Montag Morgen zehn Uhr ausgesetzt.

Der Sonntag brach an, aber es war kein langweiliger amerikanischer Kirchhofsabbath, an dem die Leute zu Ehren Gottes sich zu einem Mumienleben, nur unterbrochen vom zischenden Tone der unter der Nase fast jedes Amerikaners angebrachten Tabaksgiftjauchspritze, verdammen und jeden als einen Ungläubigen verurtheilen, der Mensch bleibt – nein, es war ein Kriegssonntag. Unter dem wilden Bergstrome überwältigender Leidenschaften und alles umfassende Interessen war der mechanische Lauf des religiösen Lebens kaum bemerkbar. Gerüchte der aufregendsten und wildesten Art wirbelten um die Bundeshauptstadt. Von früh Morgens blitzten telegrafische Depeschen, Anfragen, Glückwünsche, Beschwörungen zum Feststehen und Versprechungen bewaffneten Zuzugs bringend, von Minute zu Minute über alle Linien.

Die radicalen Mitglieder des Hauses und des Senates suchten sich während des Tages und spät in der Nacht auf, um Ansichten auszutauschen und sich über Schritte zu verständigen. Es war das Vorspiel zu einer Schlacht und die Vorbereitung zum Kampfe auf Leben und Tod. Gegen Abend gewann das Gerücht Konsistenz, daß der Präsident, in Verbindung mit den Rebellen von Maryland, ein bewaffnetes Corps nach Washington bringen würde, um ihn in seinen Usurpationen zu unterstützen, und daß die irländischen Demokraten in New-York sich organisirt hätten, um am nächsten Tag auf die leisesten Fingerbewegung eines Congreßmannes in Washington hin New-York den Flammen zu übergeben, das dortige Unterschatzamt (dasselbe ist im Besitze fast aller baaren Mittel der Regierung und hat nicht einmal einen Wachtposten) zu plündern und sein Geld und seine Werthpapiere unter die edlen Söhne "Grün Erins" zu vertheilen. Die Verführungsversuche des Präsidenten bei General Emory und Oberst Wallace wurden bekannt und wirkten wie Oel in's Feuer gegossen. Allein andererseits traf ein Telegramm von dem patriotischen, tapferen General und Gouverneur von Pennsylvanien, Geary, ein, in welchem die Miliz dieses zweitmächtigsten Staates der Union zur Verfügung des Congresses gestellt wurde; ein anderes vom Commandeur der Grand Army of the Republic (einer nach dem Frieden gestifteten geheimen Gesellschaft alter Unionssoldaten im Kriege), der dem Congresse hunderttausend Veteranen jeden Augenblick zur Verfügung stellte, und zuletzt das Anerbieten von viertausend Negersoldaten innerhalb des Districtes, welche versicherten, binnen zehn Stunden schlagfertig zur Seite des Congresses zu stehen.

Es war erheiternd, wahrzunehmen, wie die in der Bundeshauptstadt zu einer gemeinschaftlichen Berathung anwesenden Leiter der Demokratie sich von dem Präsidenten als einem „todten Mann“ instinctiv zurückgezogen, wie sie seine Thorheit und seinen Eigenwillen verdammten, kraft deren er sich nicht um Rath gefragt, – wie sie für alles Unheil verantwortlich machten, das ihrer Partei nothwendig aus des Präsidentenschritten erwachsen müsse. Johnson gab den anwesenden Demokraten ein Bankett im Weißen Hause und ihrem Führer, dem jüdischen Bankier (einem geborenen Deutschen) Belmont aus New-York, dem Agenten der Rothschilds, den Ehrensitz zu seiner Rechten; als er aber von der momentanen Lage mit ihm zu sprechen anfing, schnitt Belmont den Gegenstand mit der kurzen Bemerkung ab: „Jetzt wollen wir essen, nachher von Politik reden.“ Allein der wie seine Gefährten waren klug genug, zu sorgen, daß auch nachher nicht von den Tagesereignissen gesprochen wurde. Nicht öffentlich zischten, bissen und krümmten sich die Kupferköpfe (Copperheads)[2], sie steckten in ihren Löchern und reizten sich gegenseitig mit ihrem Gift. Der Strom der öffentlichen Meinung zu Gunsten der Anklage, dem Anscheine nach voll bis zum Uebertreten der Ufer, nahm während des Tages sichtbar an Tiefe und reißender Gewalt zu, und es wurde dem aufmerksamen Beobachter klar, daß kein Mitglied der republikanischen Partei in einem der Häuser des Congreßes den Willen oder die Kraft besitzen würde[WS 1], sich ihm entgegenzustemmen. Die Mehrzahl der Bevölkerung legte sich nieder, befreit von Zweifel und Fragen, und bereits vertraut mit dem Gedanken eines Administrationswechsels in gesetzlichen Wege einer gerichtlichen Verhandlung, und bedachte, einschlafend, den Geist und die Folgen einer zwölfmonatlichen Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten unter dem ehrlichen, braven, radicalen und weisen „Ben Wade“.

Es ist Montag, früh zehn Uhr, Galerien und Corridore sind gepfropft voll, Barrieren sind quer über letztern angebracht, um die Massen von Frauen und Männern zurückzuhalten, von denen die Ersteren besonders am Sonnabend alle Räume überfluthet, sich in den Sitzungssaal selbst ergossen, alle leeren Sitze der Volksvertreter eingenommen hatten und zuletzt, da kein Herr, nach amerikanischer Sitte, sitzen darf, wo eine Dame steht, auch die ihnen von den Repräsentanten angebotenen Sitz der Einnahmen, so daß mindestens zwei Drittel der Sitze von dem schönen Geschlecht occupiert wurden, während die Repräsentanten standen oder herum gingen. Die Regeln über die Eintrittsberechtigung zum Flur des Hauses wurden auf besonderen Befehl des Sprechers von den Thürstehern, unterstützt von einem starken Detachment eigens herbeigezogener Stadtpolizei, strict, aber mit unwiderstehlicher Höflichkeit gehandhabt, und es gelang mir nur durch energische Verwendung eines bedeutenden Congreßmitgliedes und nach einstündigem Warten, Eintritt zu erhalten. Die Geduld, Ausdauer und das stille Fügen der Amerikaner männlichen und weiblichen Geschlechts bei solchen Gelegenheiten sind im Vergleiche mit Europa höchst überraschend und gewiß jedem Fremden, der auf Eisenbahnen und Dampfbooten gereist ist und zahlreichen öffentlichen Versammlungen beigewohnt hat, aufgefallen. Ich finde den psychologischen Grund davon in der jedem Bewohner der Republik innewohnenden Ueberzeugung, daß er selbst seinen Antheil am Zustandekommen des Gesetzes oder der Regel hat, daß es ohne Unterschied gegen Jeden gehandhabt wird und daß es unentbehrlich ist. Aber welches Mitglied der weit zerstreuten amerikanischen Völkerfamilie wollte nicht zu hören, wie, zum ersten Male in der Geschichte seines Landes, der Präsident angeklagt wird? Die große Menge von Farbigen, welche in die Hallen strömen und auf den Galerien stehen, ist ebenso auffallend wie bedeutungsvoll, sie fühlen es, daß über Leben und Tod ihrer Race in zehn Staaten der Union verhandelt wird.

Die Debatte ist bei meinem Eintritte in vollem Gange; mit dem ganzen sich selbst vergessenden Eifer amerikanisch-politischer Discussionen geführt, erhebt sie sich im Munde begeisterter Freiheitsfreunde zum höchsten Pathos, um in den Händen der Menschenhändler zum Ausdruck des niedrigsten Egoismus herababzusinken. [233] Wenigen Rednern reichen die durch Beschluß festgesetzten dreißig Minuten aus, der Hammer des Sprechers fällt unbarmherzig mit dem Zeiger der ihm gegenüber befindlichen großen Uhr, und die Redner setzen sich oft mit der Hälfte eines angefangenen Wortes noch im Munde. Einige Redner vertheilen ihre Zeit zu einer, zwei, fünf und zehn Minuten an Gesinnungsgenossen, selbst an Gegner. Woodward, der pensylvanische oberster Richter und Kupferkopf, bedeckt sich und seine Partei mit unauslöschlicher Schmach, indem er den Präsidenten auffordert, den Congreß mit Bajonetten auseinander zu treiben, während Wastburn von Illinois, General Buttler und ganz besonders Boutwell von Massachusetts, wer für die nächsten zwanzig Jahre oder mehr einer der hervorragendsten Männer der Republik werden dürfte, sich neue unverwelkliche Lorbeeren im Dienste der Humanität, der Republik und der Wohlfahrt ihrer Bewohner erwerben.

Es geht gegen fünf Uhr Nachmittags, die Stunde, mit welcher, nach Beschluß vom Sonnabend, die Debatte beendigt werden soll. Wie es scheint, hat den Bitten des so ausdauernden schönen Geschlechts weder die Gewissenhaftigkeit, noch die Höflichkeit der Thürsteher Widerstand leisten können, und natürlich hat jedes Mitglied desselben auch seinen treuen männlichen Begleiter unter seinen Flügeln mit eingeschwärzt; die Gänge sind gedrängt voll und schon „drängeln“ sich einige verwegene Scharmützlerinnen in den Saal, wo ihnen selbstverständlich sofort Sitze eingeräumt werden. Da erhebt sich auf einem bevorzugten Platze neben dem Sprecher auf der weiten, weißmarmornen Tribüne die Geistergestalt von Thad. Stevens, dem als Berichterstatter das letzte Wort zu stehen. Todtenbleich, schwach und skeletartig auf die marmorne Brüstung gestützt, steht er da, hoch aufgerichtet, und überblickt das eben noch stürmische Meer zu seinen Füßen, das sich unter dem Blicke, der von jenseits des Grabes zu kommen scheint, schnell beruhigt. Todtenstille herrscht. Die Wogen haben sich eilig um den Standort des Helden gesammelt, der im Dienste der Freiheit selbst dem eisernen Griffe des Todes Trotz bietet, um kein Wort der schwachen Stimme zu verlieren, – während die Mehrzahl der Demokraten trotzig auf ihren Sitzen bleibt und Blicke tödtlichsten Hasses auf ihren unbesieglichen Gegner schießt, „der ewig leben will“. Stevens beginnt, – es ist der alte, wohl bekannte Ton, so wenig verwebt mit den Kämpfern und Siegen der Freiheitspartei, es ist die Stimme des fähigsten Repräsentanten, den der Congreß besaß, seit John Quincy Adams seinen großen Geist in jenem Sessel im Hause des Repräsentanten aushauchte, in ihrem Witz, Sarkasmus, ihrer Gutherzigkeit, Popularität und Macht, – aber die Stimme stockt, die Kraft des Veteranen reicht nicht aus, er sinkt auf seinen Sessel, auf dem sich die Blicke von Zehntausend concentrieren. Allein schon im nächsten Augenblicke erholt er sich soweit, daß er seine Rede, welche er, seiner Kraft mißtrauend, niedergeschrieben, dem Clerk des Hauses zum Vorlesen übergiebt, der sie, – ein prachtvoller Erguß reinsten Patriotismus, edelster Humanität und gewissenhaftester Pflichttreue, – mit lauter, Jedem verständlicher Stimme vorliest.

Der Sprecher schließt die Debatte.

Es hatte den ganzen Tag über geschneit, und es fing an düster im Hause zu werden. Mit dem Herannahen des Momentes der Abstimmung begann die Menschenmasse unruhig zu werden. Die Menge, welche sich an den Thüren herumgequetscht hatte konnte ihr Ungeduld nicht mehr bezähmen und hob an, über die Vordern hinwegzukriechen. Selbst die leeren Nischen in den Galerien füllten sich mit Menschen; in einer standen drei prächtige Negerjungen, in einer anderen zwei wunderschöne blonde Mädchen, sich festumschlungen haltend. Das Gas wurde angedreht und erleuchtete, durch eine hübsche Vorkehrung so eingerichtet, daß es sich plötzlich über die ganze Decke entzündet (in elfhundert Flammen) – auf einmal, als der Clerk ihre Namen aufzurufen begann, den Saal, ein Schauspiel über Beschreibung glänzend und eindrucksvoll. Es war so still wie in einer Kirche, und die Antwort jedes Aufgerufenen konnte von jedem Anwesenden gehört werden. Das Resultat war vorauszusehen. Es war absolut nach den Parteien geschieden; alle Republikaner für, alle Demokraten gegen Anklage. Fünfzehn Mitglieder waren abwesend. Von den einhundertdreiundsiebenzig Anwesenden stimmten einhundertsechsundzwanzig für Anklage und siebenundvierzig dagegen, unter ihnen auch der sonst sich den Republikanern zuneigende specifische Vertreter der Pittsburger Arbeiter. Da die Constitution eine Zweidrittel–Majorität verlangt, so waren mithin zwölf mehr als diese Zahl vorhanden.

Haufen von schwarzen Männern und Frauen waren in dem Gebäude, die in unbequemsten Stellungen, fast niederbrechend vor Müdigkeit, ruhig und still der Ausspruch des Urtheils über sich selbst und ihre Kinder in der Entscheidung der Frage abgewartet hatten, welche lange vor ihrem Ohre verhandelt worden. Als diese nun aus dem Munde des Sprechers ertönte, – da ward es auch ihnen klar, daß Emancipation keine Lüge, keine Falle, kein Betrug gewesen für sie und ihre Race, und daß persönliche Freiheit und politische Gleichheit auch ihnen die Thore geöffnet und sie eingeladen habe, höher und höher zu steigen, – und dennoch waren weder Zurufe, noch Unordnung, noch selbst Beifall hörbar! Die hehre Göttin selbst mit dem Schwerts und der Wage schien über der Halle des Capitols, gefüllt mit weißen und schwarzen Anbetern, zu schweben, unerbittlich in ihrem Vorsatze und mit ernster, strenger Miene! In erster Stille verließen die Massen den Flügel des Capitols und traten in den nordischen Winter hinaus, der seit gestern seine volle Herrschaft wieder gewonnen. Der Norden herrschte in der Natur, er hatte soeben im Hause der Volksvertreter und dadurch in der politischen Lage der Nation den Sieg davongetragen und seinen berechtigten Einfluß auch über den verräterischen Süden gesichert zur Rettung der Republik und zum Wohle der Menschheit! – Ueber die weiteren Verhandlungen, zu denen ich auch persönlich beiwohnen werde, später.

Und nun, nachdem ich wahrheitsgetreu ein Bild des großen Ereignisses der letzten Tage meinen Lesern vorgeführt, möge mir einige Betrachtungen darüber gestattet sein. Unsere republikanische Regierungsform hatte in der kurzen Geschichte der Vereinigten Staaten manche harte Probe zu bestehen. Sie war im Stande, die Sclaverei der Arbeiter von einem Drittheile des Unionsgebietes während neunzig Jahren zu ertragen, und hatte die Kraft, dieselbe Sclaverei zu vernichten, als diese, in ihrem Uebermuthe, der Freiheit und Integrität des Ganzen gefährlich wurde; – sie führte Kriege gegen fremde Regierungen und unterdrückte innere Aufstände; sie überwand den größten Krieg der Neuzeit und überlebte die wichtigste Revolution der Geschichte, die in den Zeitraum weniger Jahre zusammengedrängt; – und jetzt ist es beabsichtigt, einen verrätherischen Präsidenten abzusetzen. Amerika war groß in seinem Kriege, wie in dessen Ende, und die Nationen der Erde zollten ihm willig den Tribut der Bewunderung. Allein die Weise, in welcher die Nation die Anklage des höchsten Beamten aufnimmt, ist wahrhaft erhebend. Niemand, selbst deutsche Staatsrechtprofessoren nicht, wird wohl noch behaupten, daß die Republiken Fehlgeburten sind, denn das republikanische Amerika, jeder Lage gewachsen und jede Regierungsverantwortlichkeit auf sich nehmend, steht heute stolz, sicher und friedlich da, – unter der Herrschaft des Gesetzes und ohne Beeinträchtigung der öffentlichen Moral! Das freie Amerika wird jetzt der Welt zeigen, wie mit einfacher und milder Anwendung des Gesetzes sein Präsident und oberster Befehlshaber des Heeres und der Flotte für seine Verbrechen schnell bestraft und in die Stelle zurückversetzt wird, aus der ihn das mißbrauchte Vertrauen seiner Mitbürger erhoben.



  1. Ich entnehme diese Thatsachen, sowie manche folgende, den von einem Comité des Congresses niedergesetzten, bis jetzt nicht veröffentlichten Zeugenvernehmungen, die siebenhundert gedruckte Seiten umfassen. D. Verf.
  2. Seit der Secession wird dieser von der äußerst gefährlichen Kupferschlange hergenommener Name auf diejenigen Amerikaner im Norden angewendet, welche mit der Secession sympathisierten und alles Mögliche zu deren Sieg beizutragen sich bemühten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: würden