Der Proceß Zastrow

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Titel: Der Proceß Zastrow
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 367
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Zum Strafverfahren gegen Carl von Zastrow
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[367] Der Proceß Zastrow, der binnen Kurzem seiner Entscheidung entgegengeht, wird einen merkwürdigen Beitrag zu den Verbrechergeschichten, den causes célèbres der Neuzeit liefern und den traurigen Beweis geben, daß die Verirrungen der menschlichen Seele in unserm vorgeschrittenen Jahrhundert noch in heidnischster Gestalt auftreten können. Dieser Zastrow ist ein Beispiel von Herunterkommen und Versinken, wie man es bei einem gebildeten Menschen bisher gar nicht für möglich gehalten hat. Seine Lebensgeschichte in kurzem Abriß wird dies hinlänglich darthun.

Karl von Zastrow, nicht Wilhelm, wie die meisten Blätter ihn irrthümlich nannten, ist der älteste Sohn des Generals von Zastrow, der zuletzt in Münster Brigadier war und dort verstorben ist. Die Mutter war eine Berlinerin, eine geborene Lemcke, die als sehr schönes und reiches Mädchen ungefähr 1820 bis 1825 eine geachtete und gefeierte Persönlichkeit in Berlin war. Ein Bruder von ihr, Legationsrath Lemcke, ebenfalls ein reicher Mann, hat sich im Jahr 1845 aus unbekannten Gründen erschossen; Frau von Zastrow wurde bald nachher tiefsinnig und starb in ihren besten Jahren. Der Sohn Karl zeigte frühzeitig viel poetisches Talent, aber wenig Fleiß und Lust zu ernstem Studium. Er verließ das Gymnasium ohne glänzendes Examen und versuchte zu studiren, wechselte bald seinen Entschluß und wurde Cavalerist, erlangte jedoch nicht den Officiersgrad, er wechselte abermals seine Laufbahn und ging nach Dresden, um Schauspieler zu werden, was ihm aber nicht gelang. Im Besitz eines ansehnlichen Vermögens fand er es bequemer ganz ohne Beruf zu leben, er reiste nach Italien, wo er wahrscheinlich seinen letzten moralischen Halt verlor. Er beschäftigte sich übrigens dort viel mit Musik, Malerei und Dichtkunst, verbrauchte aber auch einen großen Theil seines Vermögens. Nach Jahren tauchte er dann wieder in Berlin auf als verachteter Bummler, er nannte sich Maler, leistete aber nur sehr Mittelmäßiges. Sein ursprünglich vortheilhaftes Aeußere sah verkommen aus, er trug schlechte, unordentliche Kleidung, namentlich immer eine schmutzige weiße Halsbinde und wildflatterndes Haar. Er wurde allgemein für verarmt und für ein verkommenes Genie gehalten. Aus Mitleid luden ihn noch zuweilen die alten Bekannten seiner einst hochgeachteten Eltern zu sich ein. Er benahm sich durchaus wie ein gebildeter Mann bei solchen Gelegenheiten, so daß man seinen schlechten Anzug vergessen konnte; er recitirte gern Verse, sang große Opernarien und sprach von seiner Verehrung des Irvingianismus in exaltirter Ausdrucksweise. Es ist völlig unwahr, daß er Pietist gewesen sein soll; er hatte offenbar gar keine Religion und suchte sich nur durch Anschluß an eine neue, vielfach angefeindete Gemeinde eine Art Nimbus zu verschaffen. Es gelang ihm jedesmal durch eine religiöse Streitigkeit seine Dialektik in ein glänzendes Licht zu stellen, was ihn sichtlich erfreute. Er nahm die Einladungen, die ihm nur aus Mitleid gespendet wurden, scheinbar mit bescheidener Dankbarkeit auf, verschwand dann aber oft auf Monate. Das Dunkel seiner Lebensweise wurde erst durch seine Verhaftung gelichtet. Er hat das Verbrechen, dessen man ihn beschuldigt, zwar noch nicht eingestanden, aber zugegeben, daß er unnatürlichen Lastern ergeben sei, wodurch er sich sein Urtheil selbst gesprochen hat.

Der Merkwürdigkeit halber lassen wir hier eins seiner Gedichte folgen, welches er in Italien zur Zeit seiner Bekanntschaft mit der berühmten Ristori geschrieben hat und welches gewiß nicht ohne poetischen Werth ist.

 An Adelaide Ristori.

Wohl ist die Kunst ein ew’ger Lebensbronnen,
0 Aus dem Begeist’rung alle Wesen trinken,
0 Ich sah den Glanz auf Eurer Stirne blinken,
In Pitti’s Haus, Ihr Engel und Madonnen.

Doch wie Ihr strahlt in Euren heil’gen Wonnen,
0 Wie klar und fromm die reinen Augen winken,
0 Ich kann nicht mehr wie sonst in Euch versinken,
Ein neuer Zauber hat mein Herz umsponnen.

Zwar Eure Stirn verklärt ein goldner Friede,
0 Des Himmels Traum, Ihr heiligen Marien,
Du aber lebst und glühst, Adelaide –
0 Vor Deinem Götterbild muß ich jetzt knieen!