Der Rabe (Übersetzung Schmidt)
Von Edgar Allan Poe.
Uebersetzt von Dr. Ernst Schmidt.
Mitternacht war’s, trüb’ und schaurig, als ich einstmals mild und traurig
Sinnend saß bei vielen Bänden von verlor’ner Weisheit schwer –
Nickend, fast in Schlaf verfallen, hört’ ich leises Klopfen schallen,
Schwach und kaum vernehmlich hallen, wie von meiner Thüre her.
Dies nur ist’s und sonst nichts mehr.“
Im Dezember war’s, im kalten – nie vergeß ich’s – und es wallten
Von der Aschengluth Gestalten, geisterhafte, um mich her.
Heiß sehnt’ ich herbei den Morgen, keinen Trost fand ich geborgen
Uns entschwand, und die Lenore nennt der Engel heilig Heer –
Ach, hienieden Niemand mehr.
Bei dem heimlich leisen Rauschen in des seidnen Vorhangs Bauschen
Ueberfiel mich tiefes Grausen, wie ich nie gefühlt vorher;
Ich mich ohne weit’res Fragen: „Ein Besuch wohl kommt daher.
Ja, ein später Gast nur ist es, Einlaß nur ist sein Begehr –
Dieses ist’s und sonst nichts mehr.“
Mich ermannend aus den Träumen, sprach ich ohne läng’res Säumen:
Nah’ d’ran war ich, einzunicken, als in solchen Augenblicken
Euer Klopfen klang wie Ticken, es zu deuten war mir schwer.
D’rum vergebt!“ Hier stieß ich rasch die Thüre auf und vor mir her
Draußen Nacht und sonst nichts mehr.
Träume brütend, wie zuvor sie nie gewagt ein Sterblicher;
Doch die Stille gab kein Zeichen, ungebrochen blieb das Schweigen,
Nur „Lenore“ klang’s in weichen Flüstertönen zum Gehör.
Ich sprach’s selber, und ein Echo hallt es leise wieder her –
(Hier fehlen in der Schmidt’schen Uebertragung Verse 6–11. die sich leider nicht haben auffinden lassen. Wir geben sie in der Uebersetzung von Herrn E. F. L. Gauß.)
* * *
In die Kammer wiederkehrend, meiner Seele Feuer wehrend,
Hört ich abermals das Klopfen, etwas lauter als vorher.
„Sicher,“ sagt ich, „sicher etwas klopft an meinem Fensterladen;
’S ist der Wind und sonst nichts mehr.“
Heftig stieß ich auf den Schragen, als mit Puff und Flügelschlagen,
Schritt herein ein würd’ger Rabe aus der heil’gen Zeit längst her.
Ohne Grüßen schritt der Kühne, wie ein Held tritt auf die Bühne,
Setzt sich auf die Pallasbüste über meine Thüre her –
Saß und schwieg und sonst nichts mehr.
Und des schwarzen Gastes Fächeln nöthigte mir ab ein Lächeln,
Durch den Ernst in seinen Zügen, durch den Anstand ernst und hehr.
Geisterhafter alter Rabe, wandernd nächtlich hin und her,
Sag, was ist dein hoher Name an des Plato düstrem Meer?“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“
Und ich wunderte mich weidlich als der plumpe Vogel deutlich
Denn wir müssen wohl gestehen, daß wir keinen noch gesehen,
Dem solch Wunder je geschehen, einen Vogel ernst und hehr
Oder Bestie zu erblicken hoch auf seiner Büste schwer
Mit dem Namen „Nimmermehr.“
Sprach nur dies, als würde dadurch seine Seele leer.
Weiter nichts am Vogel regt sich, keine Feder selbst bewegt sich –
Bis ich seufzte: „Hoffnung legt sich, and’re Freunde kamen her –
Und sie haben mich verlassen! Morgen kommt, dann geht auch er.“
* * *
Staunend, wie das Wort des Raben konnt’ den Sinn so passend haben,
Sagt’ ich: „Sicher, was er spricht ist seines Wissens ganze Lehr’,
Aufgepickt aus lauten Klagen seines Herrn in Unglückstagen,
Die ihn tief in’s Elend jagen, bis ihm blieb nichts weiter mehr;
Hallte: „Nimmer – Nimmermehr!“
Doch des Raben keck Benehmen ließ vergessen mich mein Grämen,
Und so schob ich einen Armstuhl näher vor den Vogel her.
Meinen Kopf gestützt auf’s Kissen, quält’ ich mich, nun doch zu wissen,
Was der Rabe, geisterhaft und schrecklich schon von Alters her,
Meinte krächzend: „Nimmermehr.“
Dieses sucht’ ich zu ergründen, ohne durch ein Wort zu künden
Es dem Vogel, dessen glühend Auge brannt’ in’s Herz mir schwer;
Pressend auf das sammtne Kissen, hell vom Lichtschein d’rüber her.
Ach, auf diesem sammtnen Kissen, hell vom Lichtschein d’rüber her,
Wird Sie ruhen nimmermehr!
Plötzlich schien mir’s, süße Düfte füllten dicht um mich die Lüfte,
„Gott,“ rief ich, „schickt dir Nepenthe durch die Engel, daß sich wende
Gnädig dein Geschick, daß ende deiner Leiden Last so schwer.
Dankbar schlürf’, o schlürf’ Nepenthe, nie gedenk Lenorens mehr!“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“
Ob dich der Versucher sandte, ob der Sturm dich warf daher,
Ohne Trost, doch ohne Zagen, in dies öde Land verschlagen,
In dies Heim von Schreckenstagen – Auskunft gieb auf mein Begehr –
Giebt es Balsam noch in Gilead, Rettung aus der Qualen Meer?“
Bei dem Gott, zu dem wir beten, du und ich – bei’m Sternenheer –
Sag’ der Seele gramzertreten, ob einst in dem fernen Eden
Sie ihr wird entgegentreten, die der Engel heilig Heer
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“
„Sei’s mit diesem Wort zu Ende! Vogel oder Teufel, wende
Dich zum Sturme wieder“ schrie ich, „und zu Plutos nächt’gem Meer!
Keine Feder laß als Zeichen deines Geists, des lügenreichen,
Zeuch’ hinweg, zerfleisch’ mein Herz nicht durch dein Treiben um mich her.“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“
Und der Rabe ohne Regung, keine Feder in Bewegung,
Sitzt noch immer, sitzt noch immer auf der Büste still und hehr;
Fällt hin auf des Bodens Matten. Meine Seele freudenleer,
Wird aus diesem dunklen Schatten, der da zittert hin und her,
Sich erheben – nimmermehr!
Anmerkungen (Wikisource)
Gauß, Ernst Franz Ludwig, Vorstand der Chicagoer öffentlichen Bibliothek, früherer evangelischer Pfarrer, literarisch tätig auf dem Gebiet der geistlichen und Gelegenheitsdichtung, Übersetzungen deutscher Dichtungen ins Englische; * Stuttgart 31. August 1842; † Chicago 23. Dezember 1907 Deutsch-Amerikanische Geschichtsblätter 8, 41. In: Biographische Jahrbücher und Deutscher Nekrolog. Band 12. 1907, Totenliste 1907, S. 29* Internet Archive