Der Roman einer Königin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Emil Peschkau
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Roman einer Königin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25–26, S. 422–424, 442–444, 446–447
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[422]

Der Roman einer Königin.

Historische Novelle von Emil Peschkau.


In der Porträtsammlung eines schwedischen Schlosses befindet sich ein weibliches Bildnis von so eigentümlichem Reiz, daß wohl jeder Besucher eine Weile still hält, auch wenn er die Erklärung des begleitenden Kastellans nicht verstehen sollte. Der Reiz des Bildes liegt jedoch nicht allein in dem sonderbar ernsten, klugen und doch süßen blonden Gesichtchen, in dem Gegensatz der auffallend hohen Stirn und der großen, streng blickenden Augen mit dem anmutigen weichen Kinn und dem kleinen Mund, den wie zum Küssen geformten Lippen. Was die Aufmerksamkeit vielleicht noch mehr erregt, ist die seltsame Kleidung des Mädchens, doppelt seltsam, wenn man weiß, daß man eine Königin von Schweden vor sich hat. Diese Kleidung ist weder königlich noch weiblich, und man denkt bei ihrem Anblick unwillkürlich an die Emancipationsbestrebungen moderner Amerikanerinnen. Christine trägt einen Männerrock, der nur etwas länger, als Männer sie gewöhnlich tragen, und vom Gürtel aufwärts ein wenig geöffnet ist, so daß man die weißen Spitzen erblickt, welche die Brust verhüllen. Unter dem Rocke gewahrt man Beinkleider, die sich über den roten mit Pelz besetzten Stiefelchen schließen, und auf dem hellen Haar sitzt eine einfache aber kleidsame Mütze aus demselben edlen Pelzwerk.

Weiß man Bescheid in den Intimitäten der Weltgeschichte, so büßt die Gestalt der jugendlichen Königin zwar an Seltsamkeit nichts ein, aber man ist doch imstande, das Rätsel dieser Tracht zu lösen.

Christine war die Tochter Gustav Adolfs, und als der große König im Jahre 1632 bei Lützen gefallen war, wurde das sechsjährige Mädchen seine Nachfolgerin auf dem Throne. Einstweilen freilich unter der Leitung einer „Regentschaft“, aber schon im Alter von achtzehn Jahren übernahm sie die Regierung selbst. Ihre Erziehung war eine ganz und gar männliche gewesen. Dazu kam, daß sie sehr begabt war, sich frühzeitig mit besonderer Vorliebe den Wissenschaften zuwandte und alles, was den meisten Menschen Vergnügen macht oder ihr Herz bewegt, als eines ernsten Geistes unwürdig verachten lernte.

Als Regentin wollte sie die Tochter Gustav Adolfs sein und ihr übriges Leben gehörte der Wissenschaft.

Mit den höfischen Formen brach sie nach jeder Richtung hin, die einflußreichen Personen ihrer Umgebung waren Gelehrte, die sie aus ganz Europa herbeizog (auch den großen Philosophen Cartesius hatte sie an ihren Hof gerufen), und als die Regentschaft, an ihrer Spitze der Reichskanzler Axel Oxenstierna, mit dem Wunsche an sie herantrat, sie möge Friedrich Wilhelm von Brandenburg (dem späteren „Großen Kurfürsten“) ihre Hand reichen, da war sie in hohem Grade empört, daß man ihr solch eine menschliche Schwäche überhaupt zumuten konnte. Sie erklärte feierlich, nie heiraten zu wollen, und hielt auch daran fest, als man ihr später die Pflichten gegen das Land mahnend vorhielt. Im Jahre 1649, dreiundzwanzig Jahre alt, wiederholte sie nochmals vor dem Reichsrat diese Erklärung, und zugleich zwang sie diesen und die Stände, ihren Vetter Karl Gustav zum Thronfolger mit dem Rechte der Erblichkeit zu wählen.

Das weitere Leben der Königin nahm die seltsamsten Wendungen, für welche man in den geschichtlichen Werken keine Erklärung findet, aus denen aber deutlich hervorleuchtet, daß auch dieses spröde Herz von der Macht der Liebe nicht unberührt geblieben ist.

*  *  *

An einem Frühlingstage des Jahres 1650 wurde Stockholm durch die Nachricht von einem unter seltsamen Umständen erfolgten Morde in Aufregung versetzt.

In der vergangenen Nacht war in einer jener engen steilen Gassen, die von dem „Stortorget“ genannten Marktplatz hinab nach der Schiffbrücke am Salzsee führen – kaum hundert Schritt von der Gartenmauer des königlichen Palastes entfernt, plötzlich Waffenlärm laut geworden; man hörte einen Aufschrei, und als die Wache herbeieilte, zog ein junger Kavalier eben seinen Degen aus der Brust eines Mannes in dunkler ritterlicher Kleidung, der wie tot auf dem Granitgrund der Straße lag. Die Wache sah noch, wie im Dunkel der Nacht ein Dritter verschwand, der die Richtung nach dem Mälarsee zu genommen hatte, verfolgte den Flüchtling jedoch nicht, sondern zog es vor, den Kavalier zu verhaften und Leute herbeizurufen, die dem Verwundeten vielleicht noch helfen konnten. Dieser lebte noch und plötzlich schien es, als ob er sich erheben wollte. Seine blutunterlaufenen Augen richteten sich mit einem grauenhaften Ausdruck ohnmächtiger Wut auf die jugendschöne Erscheinung seines Gegners, dann öffneten sich seine Lippen und man hörte die mühsam hervorgestoßenen Worte: „Glaubt ihm nicht – er hat mich in diesen Hinterhalt gelockt – überfallen – weil ich sein Geheimnis – er ist ein Verbrecher – er fürchtete …“

Dann hörte man nur noch ein dumpfes Gurgeln, ein qualvolles Röcheln, der Kopf des Unglücklichen fiel zurück auf den Stein, es war zu Ende mit ihm.

Einige der inzwischen aus den Nachbarhäusern herbeigeeilten Bürger hatten übrigens den Sterbenden sofort erkannt. „Herr Galeas Salvius“, hörte man sie murmeln, und nun deutete einer auch drohend auf den Kavalier.

„Wieder ein Fremder!“ rief er, und es schien, als wollte man diesem zu Leibe gehen.

Die Wache, die ihm den Degen bereits abgenommen hatte, gebot Ruhe und forderte den Verhafteten auf, seinen Namen zu nennen.

„Ich bin der Marquis Philipp von Roche Talmont,“ sagte er in einem Tone, der wohl Verwunderung, aber keine Aufregung verriet. „Den Herrn Galeas Salvius kannte ich, aber ich begreife weder seine letzten Worte noch diesen Ueberfall. Denn er war es, der mich mit einem Zweiten hier angriff, und zwar hinterrücks, aus jenem Thorbogen. Daß ich so glücklich davonkam, habe ich gewiß nur dem Allmächtigen und meinem guten Gewissen zu verdanken. Ich bin allerdings ein Fremder, liebe Leute, kaum vier Wochen in Stockholm, aber ich wüßte nicht, daß ich auch nur einer Fliege etwas zu leid that. Was den Herrn Galeas Salvius so gegen mich aufzubringen vermochte, verstehe ich nicht, und was mein Geheimnis betrifft … nun ja, ich habe ja ein Geheimnis – etwas wie ein Geheimnis, aber das eines Verbrechers ist es nicht, das könnt Ihr mir glauben!“

Dann forderte er die Wache auf, ihn abzuführen, und das Gemurmel, das sich nun wieder erhob, hatte fast etwas Beifälliges. Sein ruhiges Auftreten, die schlanke kraftvolle sympathische Erscheinung, die eigentümliche männliche Heiterkeit, die trotz der immerhin recht unangenehmen Lage aus seinem Wesen sprach, nahmen für ihn ein. Das frische kühn geschnittene Gesicht mit den hellen Augen und dem kurzen hellbraunen, nach dem Kinn zugespitzten Kavalierbart war den Stockholmern weniger fremd als das dunkle düstere Antlitz des Galeas Salvius, der zwar einem alten schwedischen Geschlechte angehörte, aber den italienischen Typus seiner Mutter, einer Livorneserin, geerbt hatte. Als man den Toten forttrug, folgten fast alle Augen nur bedauernd der elastischen Gestalt des jungen Marquis.

Das traurige Ereignis blieb in der nächsten Zeit um so mehr das Tagesgespräch der Hauptstadt, als der Marquis von Roche Talmont mit seiner Verteidigung wenig Glück hatte. Bei der Angabe seiner Personalien konnte man ihm allerdings keine Lüge nachweisen und was er von dem einzigen Geheimnis preisgab, das er nach seiner Angabe besaß, fand bald Bestätigung. Er hieß in der That Philipp Marquis von Roche Talmont und stammte aus Brüssel. Dort hatte er das Herz der Tochter eines spanischen Granden gewonnen, eines Ministers der Infantin, die in den Niederlanden die Regentschaft führte. Der reiche Spanier zeigte aber durchaus keine Lust, den armen flamändischen Marquis mit der Hand seines Kindes zu beglücken, und eines Tages entführte Roche Talmont seine Geliebte. Das Paar kam jedoch nicht weit und die Folge war, daß Donna Luisa de Mendez ins Kloster gesperrt und Roche Talmont auf Befehl der Infantin des Landes verwiesen wurde.

Unbemittelt wie er war, dachte er daran, sein Glück an irgend einem Hofe zu versuchen, und so kam er endlich nach [423] Stockholm, das damals auf begabte Leute, die es in der Welt vorwärts bringen wollten, große Anziehungskraft ausübte. Die Gelehrten und Schriftsteller, welche die Königin beschützte, die Vossius, Heinsius, Mézeray, Salmasius, Naude, Meibom, Cartesius, erfüllten ja die Welt mit ihren Lobreden auf die „nordische Pallas Athene,“ auf die große Christine, die vorurteilslos, mit bewundernswertem Scharfblick für das Talent jedem die Wege ebnete, der es verdiente. Roche Talmont wußte aber leider wie so viele nichts davon, daß die Königin von Schweden einzig und allein für Gelehrte zugänglich war. Es gelang ihm zwar, ihr vorgestellt zu werden, aber sie hörte ihn teilnahmlos an und wandte ihre Blicke fast verächtlich von ihm weg. Der arme Marquis hatte in seinem Leben allerdings nicht viel anderes geschrieben als Liebesbriefe an Donna Luisa und zudem war sein Aeußeres ganz und gar weltmännisch; was der Königin aus seinen Worten entgegenklang, war zwar nicht ohne Geist, aber es war der verhaßte Geist der Weltleute. So entließ sie ihn ziemlich ungnädig und gab Mézeray, der den Landsmann bei ihr eingeführt hatte, eine Verwarnung.

Roche Talmont sah ein, daß er hier nicht am Platze war, und hätte wahrscheinlich Stockholm sofort wieder verlassen, wäre er nicht in den Kreis von Lebemännern geraten, denen sich der Vetter Christinens, der weltlustige Pfalzgraf Karl Adolf, bisweilen bedenklich näherte. Hier lernte er auch Galeas Salvius kennen, der zwar als Gelehrter wirkte und in einem eigenen Laboratorium nicht ohne Erfolg chemische Studien betrieb, wegen seines weltlichen Lebenswandels aber aus dem Kreise der Königin verbannt worden war. Die Bekanntschaft war nach den Aussagen aller, die darum wußten, nur ganz flüchtig gewesen, so daß der nächtliche Ueberfall, mochte er nun von dem Schweden oder von dem Flamänder ausgegangen sein, gleich rätselhaft blieb.

Sehr verschlimmert wurde die Lage des Marquis jedoch durch einen Umstand, den man anfangs gar nicht beachtet hatte. Man begann sich mit dem Unbekannten zu beschäftigen, der in dem Augenblick entflohen war, als die Wache sich zeigte. Derselbe sollte nach der Aussage Roche Talmonts der Genosse des Galeas Salvius gewesen sein, aber man fand niemand unter den Freunden desselben, den auch nur der geringste Verdacht treffen konnte. Dagegen stellte es sich heraus, daß der Diener des Marquis seit jener Nacht verschwunden war und – verschwunden blieb. Roche Talmont bemühte sich vergebens, dieses Verschwinden zu erklären, das ihn stark belastete. Vor den Richtern sprach überdies gegen ihn sein Charakter als vermögensloser Abenteurer, dem dunkle Pläne wohl zuzutrauen waren.

So trug alles nur dazu bei, das Zeugnis zu unterstützen, das der Getötete in seinen letzten Augenblicken abgelegt hatte.

Nach diesen letzten Worten des Galeas Salvius, so dunkel sie auch sonst blieben, war der Marquis Roche Talmont sein Mörder, er hatte ihn hinterlistig überfallen und ihm die tödliche Wunde beigebracht. Trotzdem zögerte das Hofgericht, dem der Prozeß mit Einwilligung des Gesandten von Spanien überwiesen worden war, auffallend lange mit der Entscheidung. Es schien, als hätte die Persönlichkeit des Marquis auch auf die Richter einen so günstigen Eindruck gemacht, daß sie sich nur schwer zu seiner Verurteilung entschließen konnten. Als die Königin endlich selbst, unwillig über dieses lange Zögern, das Urteil forderte, lautete es auf Tod durch das Beil.

An demselben Tage, an dem dieses Urteil ergangen war, ließ sich Christine herbei, mit ihrer Hofdame, Helene de la Gardie, darüber zu sprechen. Das junge Mädchen war die einzige Person, zu der die Königin etwas wie eine herzliche Zuneigung empfand. Obwohl Helene – nach ihrer eigenen Erklärung – nichts weniger als gelehrt war und obwohl sie in ihrer sanften Weise es oft wagte, die Freuden des Alltagslebens zu verteidigen, genoß sie doch die besondere Gunst Christinens. Diese pflegte ihr sogar bisweilen einen zärtlichen Backenstreich zu geben und sie dann auf die Stirn zu küssen.

„Du bist ein Kind, Helene, Dir kann man’s nicht übelnehmen,“ pflegte sie dabei zu sagen. Die Politiker und Gelehrten genossen eben nur die Verehrung und Bewunderung der Königin, ihnen wollte sie nachstreben. Dem „Kinde“ aber, das nur wenige Jahre jünger war als sie, erschloß sich etwas von dem Gefühlsleben, das sie verachtete und das doch in ihrer Brust schlummerte.

Helene war nicht wenig erstaunt darüber, daß die Königin sichtlich Befriedigung über das Urteil gegen den Marquis zeigte. „Majestät,“ wagte sie zu entgegnen, „wenn nun der arme Marquis doch unschuldig, wenn Herr Galeas Salvius ihn überfiel –“

„Das Urteil ist unter allen Umständen gerecht,“ unterbrach Christine, heftiger, als es sonst ihre Art war. „Ein Raufbold war Galeas Salvius nicht, er war ein Gelehrter – freilich ein Gelehrter, der … Wenn er der Angreifende war, dann hatte er seine Ursache dazu.“

„Und was sollte die Ursache gewesen sein, Majestät?“ fragte Helene.

Die Königin lachte verächtlich und sagte höhnisch: „Die beiden hatten natürlich Liebeshändel! Liebeshändel und immer Liebeshändel! Als ob es nichts Besseres zu thun gäbe! Nun haben sie beide ihren Lohn und sie haben ihn beide verdient.“

Helene sah ihre Herrin verstohlen an und sagte dann schüchtern mit einem leisen Lächeln:

„Majestät sind grausam gegen die Liebe, grausam und ungerecht. Warum hätten die Dichter die Liebe in so leuchtenden Farben als das Höchste des Lebens besungen?“

„Die Dichter suchen nur nach dankbaren Stoffen für ihre eigentümlichen Geistesanlagen. Und die niedrigen Leidenschaften der Alltagsmenschen sind natürlich ein dankbarer Stoff für sie sowohl wie für die Philosophen, die ja auch die Tiere studieren. Aber warum ereiferst Du Dich – so solltest Du …“

„Nein, Majestät ich kenne die Liebe nicht, ich verteidige sie nur, wie Majestät sie verurteilen. Majestät kennen sie ja auch noch nicht. Wenn Sie sie aber eines Tages kennenlernen werden –“

Die Königin lachte auf. „Du bist ein Kind! Aber selbst ein Kind sollte einsehen, daß … wo wäre denn der Mann, der mich zur Liebe bekehren könnte? Auch den geistig hochstehenden Männern ist die Liebe ein Spiel, das Weib, das sich zur Liebe geneigt zeigt, ein Spielzeug. Die Männer brauchen Spielzeuge, und man sucht uns die Augen zu blenden, etwas vorzutäuschen, das nicht existiert, damit wir willig sind, ihnen zu dienen. Ich und die Liebe! Kind, Kind, was fiel Dir da ein! Das könnte ich Dir beinahe übelnehmen. Aber sprechen wir von anderen Dingen! Ich habe mich entschlossen, euch zu zeigen, daß ich keine Pedantin bin und auch gegen eine Lustbarkeit nichts einzuwenden habe, wenn damit etwas Vernünftiges bezweckt oder ein erhabener Gedanke gefördert wird. Nur das Sinnlose empört mich und die gemeine Vergnügungssucht. Ich habe eben die Abhandlung meiner Räte Meibom und Naude über Musik und Tanz der alten Griechen gelesen, ein vortreffliches Werk, das mich entzückt hat. Nun gut – Ihr sollt einen Ball haben, aber wir wollen das alte Hellas lebendig machen! Naude kann einigen Musikern Unterricht in der Handhabung der Tetrachorde erteilen und Meibom wird den Tanz anführen. Nun, Kind, was sagst Du?“

Helene sah ihre Gebieterin mit weitgeöffneten Augen starr an. „Meibom,“ stammelte sie dann, „Meibom – dieser alte Bücherwurm – den Tanz anführen?“

Nun schien die Königin ernstlich böse zu werden. Sie zog die Augenbrauen zusammen, so daß sich die kleine Falte, die sich dort bereits befand, drohend vertiefte, und wahrscheinlich wäre ein Gewitter über das arme Mädchen niedergegangen, hätte nicht in diesem Augenblick der Sekretär der Königin einen Brief des spanischen Gesandten gebracht. Sie las denselben und schüttelte verwundert den Kopf. „Ein Schreiben der Infantin, das mir eine Dame aus Brüssel persönlich überreichen soll – das ist sonderbar. Wie sieht die Dame aus?“

„Jung und schön und sehr traurig. Sie ist ganz schwarz gekleidet.“

„Führt sie in das Audienzzimmer und sagt ihr, daß ich nur noch eine wissenschaftliche Arbeit zu erledigen habe. Ich werde sie dann empfangen.“

Der Sekretär verneigte sich und ging, Christine aber schrieb noch zwei Briefchen an Meibom und Naude … „Sie will zeigen, daß sie nicht neugierig ist,“ dachte Helene de la Gardie. „Aber sie ist es doch – gerade so wie ich.“

Fünf Minuten später betrat die Königin den Audienzsaal.

*  *  *

[424] Der erste Gedanke Christinens beim Anblick der Fremden war eine Kritik des männlichen Geschlechtes. Daß diese Herren doch alles gleich „schön“ fanden, was weibliche Kleider trug und nicht gerade häßlich war! Wie konnte man dieses unbedeutende Gesichtchen schön nennen! Diese farblosen, von Leidenschaft oder einer andern Krankheit ausgehöhlten Wangen, diese Augen, die an die Bilder katholischer Märtyrerinnen gemahnten! Und wie wenig Geist diese Abgesandte einer Regentin hatte! Mit welch verwirrten Worten sie das Schreiben der Infantin überreichte!

Christine nahm den Brief, erbrach das Siegel und las, während die Fremde noch immer staunend die fast männliche Kleidung der jungen Königin betrachtete und dann, als ob sie plötzlich aus einem Traum erwachte oder jäh von einem neuen Gedanken erfaßt würde, ihre großen dunklen Augen mit fieberischer Spannung auf die Züge Christinens heftete. Diese verriet keinerlei Bewegung und sagte endlich in gleichgültigem Tone: „Ihr seid also Donna Luisa de – de Mendez? Das Mädchen, das sich von dem Marquis von Roche Talmont entführen ließ, demselben Manne, der sich in meiner Hauptstadt eines abscheulichen Verbrechens schuldig gemacht hat?“

Donna Luisa zuckte zusammen und es flog wie Haß über das bleiche Gesicht. „Majestät,“ stammelte sie, „Ihre Hoheit, die Infantin –“

„Ich habe den Brief Ihrer Hoheit gelesen. Es ist ein gutes Zeugnis, das der Herr Marquis da erhält, und die beredten Worte, der fast poetische Stil bringen mich auf die Vermutung, daß Ihr unserer erhabenen Schwester mit Eurer Liebesgeschichte ebenso ihre klugen Augen geblendet wie Eurem greisen Vormund und Eurem wackeren Vater, den Ihr noch auf dem Totenbette mit solchen Nichtigkeiten belästigt habt.“

Bei diesen Worten brach die Spanierin plötzlich in heftiges Schluchzen aus und Helene de la Gardie eilte zu ihr, um sie zu beruhigen.

Die Königin zuckte die Achseln, aber die willkürlich angenommene Härte schwand aus ihren nichts weniger als unsanften Zügen und ihre Stimme klang jetzt milder. „Ich wollte Euch nicht wehe thun,“ sagte sie. „Es ist ja auch nicht jedem gegeben, die Nichtigkeiten des Menschenlebens zu durchschauen und sich über sie zu erheben. Ich habe aus dem Briefe entnommen, daß Euer verdienstvoller Vater gestorben ist und Euch ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen hat. Und nun lauft Ihr diesem armen Marqnis nach und bedenkt nicht, daß er Euch wohl nur Eurer Reichtümer wegen heiraten würde.“

Donna Luisa, die sich wieder etwas gefaßt hatte, schüttelte heftig den Kopf.

„Majestät vergessen,“ stammelte sie, „daß er mit mir in die Welt gehen wollte zu einer Zeit, da ich weniger hatte als er.“

Die Königin zuckte wieder die Achseln.

„Damals wart Ihr ihm ein Spielzeug, das er bald für eine Schönere oder Reichere weggeworfen hätte. Aber lassen wir das! Es wird mir kaum gelingen, Euch von Eurer thörichten Leidenschaft, die Euch die Dinge anders zeigt als sie sind, abzubringen, obwohl ich es gern sähe, weil Ihr mir leid thut. Habt Ihr erfahren, daß das Gericht inzwischen das Urteil gefällt hat?“

Ein Fieberschauer floß über die Gestalt des Mädchens, sie stöhnte und wäre zusammengesunken, hätte nicht der Arm der Hofdame sie umfaßt. Im nächsten Augenblick aber riß sie sich los und stürzte, die Hände ringend, vor die Füße der Königin.

„Gnade!“ schluchzte sie, „Gnade für einen Unschuldigen!“

Christine schwieg. Erst nach einer Weile sagte sie ruhig, ernst und fest, aber ohne Kälte: „Die Richter haben ein gerechtes Urteil gefällt und ich werde daran nichts ändern. Steht auf und bedenkt, daß der Mann, um den Ihr Euch bemüht, einen Menschen getötet hat, und bedenkt auch, daß die Ursache des Zwistes zwischen den beiden keine andere gewesen sein kann als wieder ein Liebeshandel.“

Donna Luisa war der Aufforderung, sich zu erheben, gefolgt, und es schien, als wäre sie plötzlich eine andere geworden. Sie weinte nicht mehr und bebte nicht mehr. Etwas wie Trotz war in ihren Zügen und doch auch etwas Besseres als Trotz, in ihren Äugen lag jetzt noch mehr von einer Märtyrerin als früher.

„Der Allmächtige mag diese Grausamkeit vergeben,“ sagte sie fast ruhig. „Eure Majestät kennen die Liebe nicht, sonst würden Sie an die Treue glauben. Der Marquis von Roche Talmont hat diesen Menschen getötet, weil er sich verteidigen mußte. Ich weiß nicht warum, aber ich nehme es auf meinen Eid, daß er sich um kein anderes Weib bemüht hat. Ist es mir gestattet, meinen Bräutigam zu besuchen?“

Die Königin ergriff die Glocke und ließ einen der wachthabenden Offiziere herbeirufen.

„Geleitet die Donna Luisa de Mendez nach der Citadelle,“ wandte sie sich dann an diesen. „Sagt dem Kommandanten, daß ich ihr erlaube, den Marquis von Roche Talmont in einem der Zimmer der Staatsgefangenen ohne Zeugen zu sprechen so lange es ihr beliebt. Und zwar drei Tage lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.“

Dann deutete sie mit einer leichten Handbewegung an, daß Donna Luisa entlassen sei, und diese verneigte sich stumm und folgte dem Offizier …

*  *  *

Christine begab sich, von Helene de la Gardie begleitet, wieder in ihre Privatgemächer. Sie sprach nichts, aber ihre Züge verrieten, daß ihr Geist lebhaft beschäftigt war. Plötzlich blieb sie stehen und sagte: „Wenn wir den geheimen Gang benutzen, so können wir noch vor der Donna in der Citadelle sein.“

Helene sah sie erstaunt an.

„Was wollen Eure Majestät thun?“

„Wir wollen die Liebe studieren, Kind,“ erwiderte Christine sarkastisch. „Aber mach rasch! Du kannst einen Mantel von mir nehmen. Komm!“

„Majestät,“ wandte Helene nochmals schüchtern ein, aber die Königin warf ihr einen jener Blicke zu, vor dem selbst der Widerspruch eines Oxenstierna und Torstensson verstummte. In solchen Augenblicken erinnerten der Ausdruck ihres Gesichtes, ihre Haltung, das ganze Wesen so merkwürdig an ihren großen Vater, daß alles sich vor ihr beugte. Es war, als ob der unbezwingbare Geist Gustav Adolfs plötzlich lebendig geworden wäre.

Christine trat in ihre Garderobe und nahm einen jener Reitermäntel um, die sie als Ueberkleider zu tragen pflegte. Dann setzte sie ihre Pelzmütze auf, die Hofdame mußte sich ebenfalls zu Mantel und Mütze entschließen, und kaum fünf Minuten später stand die Königin schon vor dem Kommandanten der Citadelle, der über den unangekündigten Besuch nicht wenig erschrocken war.

Sie wiederholte den Auftrag, den sie kurz vorher dem wachthabenden Offizier gegeben hatte, und fragte dann, ob sämtliche Zimmer der Staatsgefangenen mit Beobachtungsluken versehen seien.

Nachdem der Kommandant die Frage bejaht hatte, befahl sie, Roche Talmont in das beste dieser Zimmer zu führen und ihn dann mit Donna Luisa allein zu lassen.

„Auch wünsche ich,“ fuhr sie fort, „daß eine gute Mahlzeit nebst Wein aufgetragen wird, zwei Gedecke … Und jetzt geleitet uns in die Loge, von der aus wir sehen und hören können, was in dem Zimmer vorgeht.“

Der Kommandant verneigte sich stumm, es schien, als ob er keine Worte fände.

Dann führte er die Königin in ein kleines Kabinett und Helene stieß einen Ausruf der Ueberraschung aus, als sie, kaum daß er die Thür des fensterlosen Stübchens geschlossen hatte, durch einige Oeffnungen in einer der Wände das Gefangenenzimmer erblickte.

„Aber hier muß man uns ja sehen, Majestät,“ sagte sie.

„Das ist unmöglich,“ erwiderte der Kommandant. „Die Luken sind in der Ornamentik des Getäfels so geschickt verborgen, daß sie kaum zu entdecken sind. Zudem ist es hier dunkel und wenn der Gefangene selbst eine Luke herausgefunden hätte, er könnte doch nichts von dem bemerken, was in dem Kabinett vorgeht.“

Christine drückte ihre Anerkennung aus und entließ dann den Kommandanten.

Kurze Zeit später sah man, wie die Gefängnisthür geöffnet wurde und der Marquis, von einer Wache begleitet, eintrat.

[442] „Das ist ja reizend hier,“ sagte Roche Talmont fast heiter, als er die helle freundliche Zelle betrat. „Man sieht den blauen Himmel und – wahrhaftig, die Bäume sind ja schon grün geworden! Hier also soll ich wohnen – bis …?“

Er fuhr mit der Hand nach dem Halse und seine Züge blieben so ruhig, als handelte es sich um eine Spielerei. Er hatte sich überhaupt wenig verändert, nur etwas bleicher war er geworden.

Die Wache nickte und verließ dann das Zimmer. Man hörte den schweren Riegel vorfallen, aber nur wenige Minuten vergingen und schon öffnete sich wieder die Thür.

Ein Aufschrei, der den Lauscherinnen das Blut in den Adern gerinnen machte – ein zweiter – und Donna Luisa lag an der Brust des Marquis.

Nach einer Weile löste dieser sanft ihre Arme von seinen Schultern, nahm ihre Hände und sah sie zärtlich an.

„Armes Kind!“ sagte er. „Bist Du es wirklich? Erst glaubte ich zu träumen.“

„Mein Vater ist tot, Philipp,“ stammelte sie, „alle Hindernisse sind beseitigt, ich kam mit einem Brief der Infantin zur Königin.“

Roche Talmont preßte die Lippen zwischen die Zähne, ein leiser Schatten flog über seine Züge.

[443] Dann zog er die Bebende an den Händen fort, setzte sie auf einen Stuhl und rückte einen anderen an ihre Seite. Das schwarze Spitzentuch war auf ihre Schultern geglitten und fiel nun ganz herab. Die Königin erblickte eine zierliche aber vollendet schöne Gestalt.

Roche Talmont strich liebkosend über das schwarze Haar des Mädchens und führte dann ihre Hand an seine Lippen.

„Du weißt alles?“

Und jetzt strömten ihr plötzlich die Thränen aus den Augen, sie neigte sich schluchzend zu ihm, preßte den Kopf in seinen Schoß und umfing ihn mit ihren Armen.

Seine Stirn verdüsterte sich, eine Thräne stahl sich über seine Wange herab in den Bart.

„Hättest Du doch nichts von mir erfahren!“ sagte er mit verschleierter Stimme. „Ich würde gern alle Foltern der Welt ertragen, könnte ich Dich von diesen Schmerz befreien, mein armes Kind. Aber fasse Mut! Noch ist nicht alles verloren. Die Königin kann mich begnadigen.“

Donna Luisa schüttelte krampfhaft den Kopf.

„Hoffe nicht auf dieses grausame Weib! Ich habe zu ihren Füßen gelegen und für Dich gebeten, es war umsonst.“

Roche Talmont seufzte und Donna Luisa erhob sich, als fühlte sie das Bedürfnis, ihn anzublicken.

Er lehnte ihre Wange an seine Brust und streichelte sie, wie man ein Kind beruhigt. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen und seine Stimme klang wieder fest und fröhlich.

„Tragen wir ruhig, was uns bestimmt ist!“ sagte er. „Ich liebe das Leben und ich verlasse es doppelt ungern, weil ich Dich gefunden habe. Auch betrübt es mich, daß ich dieses Dunkel nicht lichten, meine Ehre nicht retten kann. Aber ich fürchte den Tod nicht, ich bin jeden Augenblick bereit, ihn zu empfangen, und ich würde ihm lachend entgegen gehen – hätt’ ich nicht Dich!“

„Ich werde mit Dir sterben, Philipp,“ flüsterte sie fiebernd, „in derselben Stunde.“

„Nein, nein, das nicht! Das wäre ein Verbrechen und würde mich mit schwerer Schuld belasten. Und warum denn auch sterben? Wenn der erste Schmerz vorüber ist, dann wird es doch sein, als wär’ ich bei Dir. Mein Bild wird Dich immer umgeben und nie wird ein Schatten, ein Zufall unsere Liebe trüben, wie es sonst ja so oft geschieht. Der Tod ist kein Sterben für die Liebe, Luisa, und je länger Du lebst, desto länger lebe auch ich, denn meine Seele ist in der Deinen.“

Donna Luisa blickte ihn an und in ihren noch thränennassen Augen leuchtete es auf.

„O Philipp, wenn die Königin Dich so hörte, ob sie Dich dann wohl noch immer für einen Verbrecher hielte?“

„Ich habe ein Verbrechen begangen,“ erwiderte er, „und das Urteil ist zwar sehr streng, aber nicht ungerecht. Ich hätte den Angreifer nur abwehren sollen: aber die Wut erfaßte mich und ich rannte diesem Menschen gleich meinen Degen durch den Leib. Vielleicht wäre die Königin auch eher zur Milde geneigt, wenn es sich nicht um den Abkömmling einer alten schwedischen Adelsfamilie handelte. Man sieht die Fremdenwirtschaft nicht gern und dieser Adel ist gar herrschsüchtig und liebt Christine nicht, er würde sich ihr wahrscheinlich kaum beugen, wenn sie nicht die Tochter Gustav Adolfs wäre. Sie ist zu klug, als daß sie das nicht erkennen sollte, und wenn mich die ganze Strenge des Gesetzes trifft, so bin ich vielleicht nur ein Opfer der Staatsklugheit.“

Donna Luisa schüttelte heftig den Kopf.

„Du bist zu gut, Philipp. Du verteidigst dieses herzlose Weib noch. Aber ich werde Dich an ihr rächen. Ja, ich will leben, aber nur um Deine Ehre zu retten, Du Guter, und die zu strafen, die sich an Dir versündigt haben.“

Roche Talmont führte wieder ihre Hand an seine Lippen.

„Ich glaube, daß wir beide leben werden und daß es mir noch gelingt, alle Rätsel zu lösen. Eine innere Stimme läßt mich noch immer hoffen, daß Christine mich begnadigt. Sie ist nicht herzlos, ich kann es nicht glauben. Ein Weib, das so nach dem Höchsten strebt, kann nicht ohne Herz sein. Sie ist nur irregeleitet durch eine falsche Erziehung, durch ihre Umgebung, durch den Ehrgeiz, die Tochter oder vielmehr der Sohn ihres großen Vaters zu sein. Sie will es den Männern gleich thun und hat noch nicht erkannt, daß es noch etwas Höheres giebt als Mann sein: ein Mensch sein! Sie hat das dunkle Gefühl, daß es herrlich sein muß, die Welt zu erkennen und die Menschen durch den Geist zu beherrschen, aber sie verwechselt Erkenntnis mit Gelehrsamkeit. Es ist ein wunderlicher Gedanke … ich bin nur wenig Jahre älter als sie … aber ich möchte ihr Lehrer sein! Ich möchte sie aus der Bücherluft hinausführen unter das Volk, von den Herbarien weg in den Frühling, ich möchte … sie hätte einen Lehrer haben müssen, der das kann, was ich möchte. Der ihr die Natur enthüllt in der Natur und alles Menschliche aus den Menschen heraus, nicht aus dem Staube der Vergangenheit und den Köpfen einsamer Träumer. Luisa – es ist schade um diese Königin – schade, wie um so viele Keime, die in die Welt gestreut werden und kein Erdreich finden, um aufblühen und Früchte tragen zu können! Du staunst, Luisa, daß ich so spreche? Ja, auch ich finde es erstaunlich, daß man so viel aus dem Leben lernen kann.“

„Ich staune nur darüber,“ unterbrach ihn Donna Luisa, „daß Du Dich so sehr für diese Königin interessierst. Aber sie hat freilich ein so schönes rosiges Gesicht und so schöne blaue Augen, daß man nur schwer an ihr häßliches Gemüt zu glauben vermag.“

In diesem Augenblick wurde der Riegel zurückgeschoben und die beiden sahen nach der Thür. Die Wache erschien, gleich darauf aber traten zwei Diener ein mit Speisekörben und Flaschen. In wenigen Sekunden war der Tisch gedeckt und dann ließ man das Paar wieder allein.

„Das sieht ja recht fröhlich aus,“ sagte Roche Talmont scherzend. „Wir wollen es als das erste Zeichen dafür nehmen, daß die Königin mir ihre Gnade zugewendet hat. Komm, mein Lieb, Du bedarfst der Stärkung!“

Donna Luisa wollte nichts genießen, aber der Marquis schob ihr bald einen Bissen in den Mund, und bald brachte er es durch Bitten und Liebkosungen zuwege, daß sie ein wenig von dem Weine trank. Er zeigte sich so zärtlich um sie bemüht, daß sie nicht widerstehen konnte, und die Heiterkeit, die er entwickelte, verfehlte endlich ihre Wirkung nicht. Es schien, als ob es ihm gelingen sollte, das furchtbare Gespenst zu verscheuchen, das hinter ihm stand, und in dem Herzen des geliebten Mädchens nur das Glück des Augenblicks wachzuhalten. Ihre Blicke hefteten sich schwärmerisch auf das teure Antlitz, das frisch und kühn, kaum um einen Schatten trüber als sonst in die Welt sah, und selbstvergessen lauschte sie den Bildern aus der ersten Zeit ihrer Liebe, die er in neckisch rührendem Tone hervorzuzaubern wußte. Gehorsam aß sie, was er ihr auf den Teller legte, und trank, so oft er sie ermunterte, mit ihm anzustoßen. Allmählich färbten sich ihre Wangen etwas lebhafter und aus den leidvollen Zügen leuchtete es fast wie ein überirdisches Glück. Plötzlich aber, als er nur ein paar Sekunden lang schwieg, kam es wie ein Fieberschauer über sie, sie erblaßte, schob den Tisch mit den Händen so heftig zurück, daß ihr Glas klirrend zu Boden fiel, und dann warf sie sich, in Thränen ausbrechend, zuckend und schluchzend wie eine Rasende anf Roche Talmont, umklammerte ihn mit den Armen und preßte ihren Kopf an seine Brust.

„Sie werden Dich morden, Philipp,“ stöhnte sie, „aber sie sollen auch mich morden, ich sterbe mit Dir! Ich bin Dein Weib und lasse Dich nicht, ich gehe wohin Du gehst. Nein, nein … noch nicht … geh’ noch nicht … bleibe bei mir! Drei Tage hat sie uns geschenkt, noch dürfen wir leben, noch kein Blut, Philipp, er darf noch nicht kommen, der Henker! O mein Gott, küsse mich, Philipp, küsse mich, wir leben ja noch!“

Er nahm ihren Kopf zwischen die Hände, küßte sie innig, strich liebkosend über ihre Schläfe, ihre Schultern, zog sie auf seinen Schoß und, sagte tröstende Worte, als gälte es, ein krankes Kind zu beruhigen. Sie schmiegte sich voll hingebender Zärtlichkeit an ihn und lauschte ihm wieder. Ihre Züge sänftigten sich bald und nahmen einen müden Ausdruck an, als könnte sie so, die Augen in die seinen versenkt, an seiner Brust entschlummern. Und endlich sagte sie mit eiuem weichen glücklichen Tone: „Jetzt möchte ich sterben, Philipp – so sterben!“

„Du wirst nicht sterben, aber Du wirst schlafen,“ sagte er sanft. „Du bist müde, das alles ist zu viel für Dich. Komm, leg’ Dich zur Ruhe!“

„Alles, was Du willst, Philipp.“

Er nahm sie in seine Arme, hob sie auf wie ein Kind und trug sie nach dem einfachen Lager, das in einer kleinen Nische des Zimmers stand. Dort legte er sie hin, richtete ihr das Kissen bequem und breitete dann die graue Wolldecke über ihre Füße.

Sie lächelte ihn an und ihre Lippen berührten seine Hand.

„Setz’ Dich zu mir, Philipp!“

[444] Er holte einen Stuhl, stellte ihn neben das Bett und nahm an ihrer Seite Platz.

Ihre Hände umklammerten seine Rechte und seine Linke ruhte auf ihrer Schläfe. Bisweilen strich er leise über die schwarzen Löckchen, und sie sah ihn zärtlich an, während ihre Lider sich mehr und mehr senkten.

Endlich war sie entschlafen. Er regte sich nicht, seine Augen ruhten auf ihr. Seine Züge aber wurden ernster und ernster, alle Linien vertieften sich, es schien, als ob er um Jahre älter geworden wäre. So saß er fast eine Stunde lang und fast eine Stunde lang sah die Königin aus ihrem geheimen Versteck regungslos dem stillen Manne ins Antlitz.

Plötzlich fuhr Donna Luisa aus ihrem Schlummer auf. Erschreckt, verwirrt sah sie auf Roche Talmont und dann in dem Gemache umher. Er führte ihre Hand mit einer fast ehrerbietigen Gebärde an die Lippen und sie besann sich. Zugleich aber erschrak sie aufs neue über eine seltsame rötliche Helle, welche plötzlich ins Zimmer drang.

„Was ist das?“ rief sie aufspringend, „Feuer?“

„Die Sonne geht unter,“ erwiderte er nach dem Fenster sehend. „Die Sonne geht unter, Luisa, und wir müssen scheiden bis morgen.“

Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen und sah ihn bestürzt an.

„Und ich habe wirklich geschlafen? Ich konnte so lange schlafen?“

„Ja, mein Kind. Es war Dir nötig. Nun hast Du wieder Kraft.“

Sie sah nach dem Fenster und er horchte nach der Thür zu.

„Es scheint wirklich die Sonne zu sein – es wird dunkel –“

„Und ich glaube, man kommt. Leb’ wohl, Luisa … auf morgen …“

Zur selben Zeit, als Donna Luisa das Gemach verließ, erhob sich auch die Königin. Ohne ein Wort zu sprechen ging sie aus ihrem Versteck und Helene de la Gardie folgte ihr. Ein Offizier, der auf Befehl des Kommandanten auf dem Korridor wartete, führte die beiden bis zu dem geheimen Verbindungsgang zwischen Citadelle und Schloß. Hier entließ ihn Christine, und jetzt schien sie selbst das Bedürfnis zu empfinden, ein Wort zu sagen.

„Ich glaube,“ begann sie in etwas erregtem Tone, aber nur halblaut, „die Richter haben zu strenge geurteilt.“

„Roche Talmont ist eines Verbrechens nicht fähig,“ erwiderte Helene mit Nachdruck.

„Freilich spricht er ausgezeichnet,“ fuhr die Königin fort. „Viel besser als Vossius, der doch Doktor der Beredsamkeit ist.“

„Haben Majestät die Liebe nun kennengelernt?“

„Auch ist ein Politiker an ihm verloren gegangen. Er scheint meinen Adel besser beobachtet zu haben als ich selbst. Ich glaube, diese übermütigen, herrschsüchtigen Zwerge haben ihn nur verurteilt, um einen Fremden zu treffen, oder vielmehr ihre Königin.“

„Eure Majestät gehen nun vielleicht doch zu weit.“

„Beruhige Dich! Ich weiß, daß Dein Bruder und noch andere nicht zu dieser Partei gehören.“

„Werden Eure Majestät Roche Talmont begnadigen?“

„Du bist etwas vorwitzig. Ich werde morgen über sein Schicksal entscheiden.“

Als die Königin in das Vorzimmer ihrer Privatgemächer trat, meldete einer der dort Dienst habenden Pagen, daß die Doktoren Meibom und Naude bereits seit zwei Stunden warteten. Majestät hätte sie auf fünf Uhr befohlen.

„Sie mögen wieder gehen,“ antwortete Christine mißmutig. „Ich will heute niemand mehr sprechen …. Halt, noch eins! Die Tafel ist aufgehoben. Es ist für mich allein in meinem Arbeitszimmer zu servieren.“

Der Page ging und Helene de la Gardie wollte der Königin folgen. Aber diese entließ sie ziemlich kurz, weniger freundlich als sonst, mit den Worten: „Auf morgen, Helene!“ Dann verschwand sie in ihrem Arbeitszimmer und Helene zog sich, bestürzt über die Gedanken, die plötzlich mit der Gewalt einer Sturmflut über sie hereinbrausten, zurück.

*  *  *

Am andern Morgen wurde Helene zu ungewöhnlich früher Stunde zur Königin beschieden. Zu ihrer lebhaften Verwunderung fand sie Christine bereits vollständig angekleidet. „Oder sollte sie gar nicht zu Bette gegangen sein?“ dachte sie, als ihr das etwas übernächtige Aussehen ihrer Gebieterin auffiel.

„Helene,“ sagte diese, während sie in den Papieren wühlte, mit denen der Schreibtisch beladen war, „ich brauche Deine Hilfe. Ich bin reich als Königin, aber arm als Frau. In meiner Garderobe habe ich nur Staatskleider und … und Alltagskleider. Ich möchte heute als Frau erscheinen, aber doch nicht in diesen Prunkgewändern. Willst Du mir Dein neues Kleid leihen – das rotseidene, in dem Du mir so gefielst? Wir haben ja die gleiche Gestalt es wird mir passen – und ich glaube, daß ich gut darin aussehen werde.“

„Majestät,“ stammelte Helene, „alles, was ich besitze, gehört natürlich meiner Herrin –“

„Du staunst,“ unterbrach sie die Königin. „Aber die Sache ist sehr einfach. Ich will fortsetzen, was ich gestern begonnen habe. Das Problem der Liebe zu Ende studieren. Da …“ – sie ergriff ein auf ihrem Schreibtisch liegendes Heft – „... gestern schickte mir die Scudéry ihre Abhandlung über die Liebe. Ich las sie noch – las sie vor dem Einschlafen. Wie einfältig das ist! Ich glaube, die Scudéry hat nie etwas anderes gethan, als Bücher geschrieben, und nun will sie über die Liebe schreiben! Geh, Kind, und lasse das Kleid herübertragen! Und dann – nicht wahr, Du bist mir ein wenig behilflich? Du weißt, daß ich die Kammerfrauen hasse.“

„Ich gehe, Majestät,“ sagte Helene, die keine Einwendung mehr wagte.

„Ja – mach’ rasch – und dann laß einen der Pagen eintreten!“

Helene de la Gardie entfernte sich und die Königin nahm ein Blatt Papier, das sie bereits beschrieben hatte, und versiegelte es.

Währenddessen trat der Page in das Zimmer und nun reichte ihm Christine das Blatt.

„An den Kommandanten der Citadelle,“ sagte sie. „Du gehst selbst und meldest Dich, wenn Du zurück bist.“

Als sie wieder allein war, erhob sie sich, trat an das Fenster und sah hinaus auf das junge Grün, das zwischen den schwarzgrauen Mauern und Türmen fröhlich emporsproß. Der energische Zug in dem noch mädchenhaften Antlitz trat stärker hervor und auch die Falte zwischen den Augenbrauen. Ihre Brust hob sich kräftiger, ihre Wangen röteten sich, in den ein wenig tiefliegenden großen stahlblauen Augen zeigte sich der Ausdruck leidenschaftlichen, unbefriedigten Grübelns. So sah sie Helene, als sie wieder eintrat, und die Erregung der Königin schien nur zu wachsen, während die Robe vor ihren Augen ausgebreitet wurde. Sie zog sich dann in ihr Ankleidezimmer zurück und Helene mußte ziemlich lange warten, ehe Christine wieder erschien.

„Es ist ohne jede Hilfe gegangen,“ sagte sie lächelnd. „Oder hast Du noch etwas zu tadeln?“

„Majestät sind wunderschön,“ erwiderte Helene aufrichtig entzückt, während sie um ihre Gebieterin im Kreise herum ging und sie von allen Seiten betrachtete.

Das gedämpfte und doch kräftige Rot der damastartig gewebten Seide kleidete die Königin vorzüglich. Ihr frischer Teint mußte unwillkürlich den Gedanken an „Milch und Blut“ wachrufen und das hellblonde Haar, aus dem nur ein Brillantstern leuchtete, wirkte jetzt noch auffälliger als sonst und schmückte die klare freie Stirn wie eine natürliche Krone. Nach der Sitte damaliger Zeit war das Kleid bis zu den Achseln ausgeschnitten und die Schultern hoben sich blendend von den mit Goldfäden durchsponnenen Spitzen ab, mit denen die miederförmige Taille und die bauschigen Aermel besetzt waren. In derselben Weise war auch der in den Hüften ein wenig verbreiterte, sonst aber glatt herabfallende Rock geputzt, dessen lange Schleppe Christine größer erscheinen ließ, als sie in Wirklichkeit war.

Was aber vielleicht mehr noch als die Toilette zu ihrer Verschönerung beitrug, war die Verlegenheit, die sie sichtlich empfand. Nichts erhöht die weiblichen Reize mehr als dieses lächelnde, unbewußte Staunen über das eigene Erblühen, und zu diesem aus Scham und instinktiver Siegesfreude gemischten Gefühl kam bei Christine noch die Ungewohntheit, sich in solch einem Kleide zu bewegen. Die Majestät ihrer Erscheinung litt dadurch ein wenig, aber die Weiblichkeit gewann.

Als die Hofdame die letzte Verbesserung an dem Kunstwerke vorgenommen hatte, meldete sich auch der Page wieder. Er berichtete, daß der Marquis von Roche Talmont, wie die Königin befohlen, um zehn Uhr nach dem Schlosse gebracht werden würde.

[446] Christine gab noch einige Befehle, dann entfernte sich der Page. Helene de la Gardie war aus der harmlosen Freude, die ihr das Schmücken ihrer Herrin bereitet hatte, wieder aufgeschreckt worden. Die Gedankenflut stürmte aufs neue heran. Was beabsichtigte die Königin?

„Ich wünsche,“ sagte diese, „daß Du keinerlei Bewegung zeigst – weder Staunen noch Teilnahme. Roche Talmont wird sein Leben nicht verlieren – beruhige Dich! Aber wir wollen uns die Gelegenheit, die kaum je wiederkehrt, nicht entschlüpfen lassen. Wir wollen sehen, was an der Liebe ist. Gestern fühlte ich fast eine Schwäche. Was hat Roche Talmont bewiesen? Er hat schön gesprochen – vorzüglich gesprochen – aber was hat er gethan? Es mag auch sein, daß er den Tod nicht fürchtet, aber er liebt das Leben, mehr als das Leben – das Glück! Er hat sich gestern edler gezeigt als hundert andere Männer. Deshalb fordert er aber auch hundertmal mehr vom Glück als sie. Deshalb hat er auch einen Durst in der Seele, der ihn die letzte Probe nicht bestehen lassen wird. Vielleicht ist er aber auch nur ein Prahlhans und was ihn aufrecht erhält, ist die Hoffnung auf meine Gnade. Er fürchtet den Tod nicht? Bah – er glaubt nicht an ihn. Das ist alles. Und was hat er da über mich geschwatzt? Ich äffte die Männer nach? Nein, Herr Marquis, ich möchte auch kein Wesen euresgleichen sein. Kein Mann, aber auch nicht das Spielzeug eines Mannes! Die Liebe ist den Männern so viel wie ein Glas Wein, ein flüchtiger Genuß, und beim Weibe ist sie Thorheit, Glauben, Aberglauben, ein Wahn, den man ihm eingeimpft hat, um es allen Launen der Herren gefügig zu machen. Komm, Helene – zur Audienz!“

Helene blickte zugleich bewundernd und angstvoll auf die Königin. Christine schien wieder ihre alte Sicherheit gewonnen zu haben, sie war wieder die Tochter Gustav Adolfs … der Sohn Gustav Adolfs. Und doch war noch etwas anderes in ihr, was der Hofdame ein instinktives Bangen einflößte. Sie hob die Hände bittend und stellte sich blaß, mit heftig schlagendem Herzen, ihrer Gebieterin in den Weg.

„Majestät,“ flehte sie, „ich bitte nicht für mich. Ich fühle eine entsetzliche Furcht. Ich weiß nicht zu sagen, was geschehen könnte, aber wenn ich es dürfte, ich hielte Eure Majestät mit all meiner Kraft zurück – nur weil ich mich um diejenige ängstige, der mein ganzes Herz gehört. Eure Majestät hören doch in Sachen, die das Reich angehen, gern auf den Rat Ihres Kanzlers. Jetzt handelt es sich um Dinge, bei denen vielleicht das dunkle Gefühl eines Mädchens recht behält, eines Mädchens wie ich, das nicht viel Verstand hat, aber ein Etwas in der Brust – Majestät, lassen Sie Roche Talmont ziehen und spielen Sie nicht länger mit ihm!“

Die Königin hörte sie lächelnd an.

„Sieh, sieh!“ sagte sie dann. „Ein neuer Doktor der Beredsamkeit! Aber komm jetzt! Du weißt, daß ich immer pünktlich bin und … horch, da schlägt ja schon unsere Stunde. Komm!“

Sie öffnete selbst mit festem Griff die Thür – so rasch, daß draußen die Pagen emporsprangen, als hätte der Blitz eingeschlagen. Helene folgte ihr auf dem Fuße – nicht ohne einen tiefen Seufzer. Es war ein Gang, der ihr vorkam wie ein Gang zum Schafott.

*  *  *

Erst im Audienzzimmer faßte sie wieder Mut. Die stolze Haltung der Königin, der sieghafte Blick ihrer Augen, das überlegene Lächeln, das den kleinen, mädchenhaft schwellenden, aber festen Mund umspielte, beschämte sie. Was konnte denn auch zu fürchten sein? Sie schalt sich thöricht und dachte, daß Christine recht habe, sie ein Kind zu nennen.

Dann, als sie Roche Talmont erblickte, schwanden alle diese Gedanken vor dem fast zärtlichen Interesse, das er ihr einflößte. Es war weniger sein inneres Wesen, das nicht so deutlich zu ihr sprach wie zur Königin, als seine äußere Erscheinung, was sie fesselte. Auch sie hatte gestern unverwandt eine Stunde lang in das schöne männliche Gesicht geblickt, in dem sich Kühnheit und Festigkeit so eigentümlich neben Güte und Heiterkeit der Seele aussprachen, und das durch die melancholischen Schatten, die der Augenblick darüber breitete, nur noch gewann. Die hohe kräftige Gestalt in der einfachen ritterlichen Tracht, die ernste Anmut in seinem Auftreten, seinen Bewegungen machten auch jetzt wieder ihr Herz schneller schlagen. Sie kannte nur Männer, die ihr Achtung einflößten, die aber hölzern, rauh und sogar abstoßend waren, und solche, die von Liebenswürdigkeit überflossen, aber den Eindruck von Jämmerlingen oder Schauspielern machten, sie kannte nur die Kriegergestalten Gustav Adolfs, die Gelehrten der Königin und die Gecken, die wie überall daneben mitliefen. Roche Talmont war der erste Mann, dessen Bild sich tief in ihre Seele grub.

Auch die Königin stand sichtlich unter dem Einflusse seiner Anwesenheit. Der lächelnde, ironisch überlegene Ausdruck ihres Gesichtes schwand, sie wurde ernst und wandte sich ohne Stolz, mit einer gewissen Teilnahme, einem wärmeren Klang der Stimme an ihn.

„Herr Marquis,“ sagte sie, „wie das Unglück auch geschehen sein mag, Ihr habt unter allen Umständen gefehlt. Meine Richter haben den Spruch gefällt, den sie nach dem Gesetze fällen mußten, aber mein Wille steht über dem Gesetze, und es ist mein Wille, Euch die Buße für Euer Vergehen zu erlassen. Allein eine Bedingung ist daran geknüpft. Wenn auch mein Wille über dem Gesetze steht, so ist es doch fern von mir, in meinem Reiche nach Willkür und Laune zu schalten. Was geschieht, geschieht nur, weil ich es will, aber ich will nur das, was ich weise geprüft habe, entsprechend dem geistigen Vermächtnis meines großen Vaters, für das ich ihm dankbarer bin als für die Länder und Völker, die er mir hinterließ. Ich habe Euch erkannt, Herr Marquis, und wenn Ihr Lust habt, in meine Dienste zu treten, dann steht Euch ein Weg offen, der vielleicht bis zu den höchsten Stellen des Reiches führt. Ihr kamt hierher, um Euer Glück zu suchen – nun wohlan, das Glück lächelt Euch! Aber Ihr kennt die Stimmung meines Adels, Ihr kennt die Pflichten der Klugheit, die ich habe. Ihr müßt ein Schwede werden, müßt jede Brücke mit der Heimat abbrechen, müßt eintreten in diesen Adel, Euch durch Bande an ihn knüpfen, die sein Interesse mit dem Euren verbinden, so daß Ihr kein Fremder mehr seid, sondern einer von uns. Es ist ein thörichtes Hirngespinst einiger in ihrem Ehrgeiz gekränkter, in ihrer Herrschsucht verletzter Heißsporne unter meinen Adligen, daß ich geneigt sei, eine Fremdherrschaft aufkommen zu lassen. Die Männer der Wissenschaft, die ich beschütze, haben nicht den geringsten Einfluß auf meine Regierung, in dem Rate meiner Krone sitzen nur Schweden und solche, die es längst geworden sind, wie Ihr es werden sollt. Seid Ihr bereit, Herr Marquis, dem Verhältnisse zu jener Spanierin Donna Luisa de Mendez zu entsagen und Euch unter den Töchtern meines Landes eine Frau zu suchen?“

Roche Talmont hatte die Rede der Königin ruhig, in ehrerbietiger Haltung angehört; bei den letzten Worten aber richtete er sich, als hätte ihn ein Schlag getroffen, wieder ganz auf, seine Augen blitzten und eine leichte Röte flog über seine Wangen und seine Stirn.

„Ich danke Eurer Majestät für Ihre gnädige Gesinnung,“ erwiderte er mit fester Stimme und doch nicht ganz ohne Weichheit. „Ich wäre gern bereit, mit allem, was der Allmächtige mir verliehen, Eurer Majestät zu dienen. Mit meinem Kopfe, mit meinem Arme, mit meinem Blut! Donna Luisa aber ist mir so viel als mein angetrautes Weib und nichts kann mich von ihr trennen als die Gewalt. Ich muß auf die Gnade Eurer Majestät verzichten, wenn diese Bedingung daran geknüpft ist.“

Die Königin sah ihn an und es gelang ihr nicht ganz, ihren Unmut zu verbergen. Ihr Antlitz rötete sich, die Brauen zogen sich zusammen, das feine Spitzentuch in ihrer Rechten wurde zu einem Ball zusammengedrückt.

„Ihr macht sonst gar nicht den Eindruck eines verliebten Narren – Herr Marquis,“ sagte sie mit vor Aufregung zitternder Stimme. „Es mag vielleicht irgendwo eine oder die andere Frau geben, für die man wohl sein Leben in die Schanze schlagen mag. Aber diese – diese Donna Luisa! Was für einen Zaubertrank hat sie Euch gegeben, Herr Marquis, daß Ihr für sie ein Leben hinopfert, das Euch auf den Gipfel menschlichen Glücks führen könnte?“

Roche Talmont antwortete nicht gleich. Er sah die Königin an, und doch war es, als ob sein Blick in eine wunderliche Ferne dränge. Seine Augen wurden feucht und nahmen einen träumerischen Glanz an. Endlich kam ein ganz leises Lächeln auf seine Lippen und er sagte seufzend: „Ich liebe Donna Luisa. Seit wir uns kennen, ist es mir, als sei sie ein Teil von mir. Obwohl wir getrennt waren, war sie doch stets mein, sie hat meine Seele erfüllt, ich lebte in ihr. Eure Majestät mögen andere Frauen schöner finden, besser, [447] gescheiter. Aber es ist nun einmal Donna Luisa, deren Wesen eins mit dem meinigen ist. Wenn ich sie kränkte, würde ich mich kränken, wenn ich sie glücklich mache, mache ich mich glücklich. Ich bin kein Halbgott, sondern nur ein schwacher Mensch, ich fühle die ganze Stärke der Verlockung, ich möchte leben, wirken, schaffen, kein Preis ist zu hoch, daß er mir nicht erreichbar schiene! Aber wenn ich diese Liebe töten wollte, würde ich mich selbst töten, alle diese Freudigkeit in mir, diese Fähigkeit, etwas zu thun. Die Liebe, Euer Majestät, ist ein Verhängnis, wenn auch ein süßes Verhängnis voller Wonnen. Es giebt kein Auflehnen dagegen, und wer es versucht, der vernichtet in sich gerade so viel, als er wert ist.“

Christinens Züge waren immer härter, kälter geworden.

„Bei welchem Philosophen habt Ihr das gelernt, Herr Marquis?“ fragte sie höhnisch.

„Majestät," erwiderte er, „meine Schule war das Leben. Die Versuchung ist oft genug an mich herangetreten, aber jede kleine Sünde hat mich Schmerzen gekostet, die mir zum Lehrer wurden. Der Allmächtige hätte wohl die Frauen stärker geschaffen, hätte er nicht gewußt, daß unsere Liebe ihnen dienen muß.“

Christine hatte sich abgewendet und nun unterbrach sie ihn kalt: „Genug, Herr Marquis. Kehrt in Euer Gefängnis zurück! Ich werde mit meinen Räten das weitere erwägen.“

Dann, ohne noch einen Blick auf ihn zu werfen, machte sie ein paar Schritte nach der Thür.

Aber die Erregung, in der sie sich befand, ließ sie nicht an das ungewohnte Kleid denken. Ihre Füße verwickelten sich in der Schleppe, sie glitt aus und wäre zu Boden gefallen, hätte nicht Roche Talmont, der rasch an ihre Seite gesprungen war, sie aufgefangen. Sein Arm hielt ihren Leib umfaßt, und als sie sich an seiner Brust aufrichtete, fühlte sie seinen Atem auf ihrer Stirn. Und plötzlich waren ihre Wangen, ihre Schultern, ihr Nacken mit Purpurröte übergossen, ihre Brust hob und senkte sich stürmisch, ihre Sinne schienen zu schwinden. Helene de la Gardie eilte ihrer Herrin zu Hilfe; aber als die Königin sie erblickte, fand sie sich schnell wieder. Sie riß sich los, atmete tief auf und sah wirr, wie aus einem Traume erwachend, auf die beiden. Sie sah auch, daß beide todbleich geworden waren, und sie sah es dem Marquis an, daß er sie verstanden hatte – daß er wußte, wie nahe er in diesem Augenblick einem der mächtigsten Throne der Welt gewesen war.

„Ich danke Euch, Herr Marquis,“ wandte sie sich mit bebender Stimme an ihn. „Und dann noch eins. Ich glaube, daß Eure Theorie nicht auf alle paßt. Aber ich will, daß Ihr lebt und frei seid. Kehrt in das Gefängnis zurück und wartet, bis man Euch entläßt!“

Roche Talmont ließ sich auf seine Knie nieder und seine Lippen berührten ihr Gewand.

„Kehrt in Eure Heimat zurück und das Glück sei mit Euch!“ fuhr sie mit gepreßter Stimme fort.

Dann reichte sie ihm ihre Hand zum Kusse — Helene sah sie erbeben und sie sah auch den feuchten Schimmer in den Augen Roche Talmonts. Sie konnte die Bedeutung dieser Minuten und ihre schweren Folgen nicht ganz ermessen, aber die Thränen flossen ihr doch über die Wangen herab, als sie das Audienzzimmer, der Königin folgend, verließ ...

*  *  *

Von diesem Tage an datiert die auffallende Veränderung in dem Charakter Christinens, die in den Geschichtsbüchern berichtet wird. Sie, die schon als ganz junges Mädchen Staatsmännern wie Oxenstierna, Feldherren wie Torstensson imponiert hatte durch ihren zugleich festen und blendenden Geist, ihr politisches Genie, ihren ernsten Sinn, ihre unermüdliche Arbeitskraft und ihren ruhigen, unerschütterlichen und dabei guten Charakter, wurde plötzlich launenhaft, verschwenderisch, vergnügungssüchtig und so toll in ihren Unternehmungen, daß sie das Staatsschiff ernstlich gefährdete. Im Jahre 1649 ließ sie, wie wir eingangs berichteten, ihren Neffen Karl Gustav zum Thronfolger wählen und bereits 1654 legte sie – erst achtundzwanzig Jahre alt – die Krone nieder. Von Helene de la Gardie begleitet, wandte sie sich nach Italien, nachdem sie öffentlich zur katholischen Kirche übergetreten war. Aber weder der Religionswechsel noch das klassische Land der Kunst gaben ihr die verlorene Ruhe wieder. Sie ging nach Frankreich, wo sie es selbst den Franzosen ein wenig zu toll trieb, versenkte sich dann aufs neue in wissenschaftliche Beschäftigungen und – bewarb sich endlich wieder um eine Krone, nämlich um die polnische, die nach der Abdankung Johann Kasimirs frei geworden war. Ihre letzten Jahre verlebte sie in Rom, wo sie am 19. April 1689 starb.

Das Geheimnis jenes Abenteuers des Marquis von Roche Talmont wurde erst lange Jahre nachher gelüftet. Einige Adelige, die eine rasch unterdrückte Verschwörung gegen die Königin angezettelt hatten, waren durch ein prahlerisches Wort von Roche Talmonts Diener auf den Verdacht gekommen, der Marquis strebe nach der Gunst der Königin. Man suchte den Burschen zu bestechen, dieser nahm auch das Geld, sagte aus, was man von ihm zu hören wünschte, und verschwand dann. Die Verschworenen aber beschlossen, Roche Talmont zu beseitigen, und losten unter sich diejenigen aus, die das „Amt“ zu übernehmen hatten. Der eine von ihnen – Galeas Salvius – war das Opfer seines Auftrags geworden, der andere hatte die Flucht ergriffen.

Roche Talmont und Christine sahen sich nicht mehr wieder, denn als die Königin in ihrem letzten Lebensjahre plötzlich auf den Gedanken geriet, den Marquis aufzusuchen, um zu sehen, ob er glücklich sei, und als man seinen Aufenthalt in Erfahrung gebracht hatte, war sie bereits erkrankt und die Aerzte gestatteten die Reise nicht mehr. Dafür aber erhielt sie noch auf ihrem Sterbelager einen Brief Roche Talmonts, in dem er mitteilte, daß seine liebe Luisa ihn mit fünf Söhnen beschenkt habe und noch immer dankbar der Gnade Ihrer Majestät gedenke. Seinem Leben sei das Glück dauernd hold geblieben und nur einen Schatten gebe es darin – eine Erinnerung, die auf ihm laste, wie ein Weh, das man unschuldig einem Menschenherzen zugefügt ....