Bornholm (Die Gartenlaube 1896/25)
Bornholm.
Wenige Meilen von der deutschen Ostseeküste entfernt liegt die Insel Bornholm, ein Fleckchen Erde voller Schönheit der nordischen Natur. Der Strom der Reisenden ist bisher achtlos an dem Eiland vorbeigezogen. Neuerdings aber haben Maler, welche erfahrungsgemäß schon häufig Pioniere für künftige Badeorte und Touristenplätze gewesen sind, dasselbe gewissermaßen erschlossen, und so dampft alljährlich von Deutschland eine große Zahl Liebhaber nordischer Landschaften nach dem Felsennest, um sich zu überzeugen, daß die Künstler nicht gelogen haben, ja, daß die Natur wie überall, so auch hier, jedes Menschenwerk in Schatten stellt.
Wer nun noch etwas Phantasie und Liebe für Sage und Geschichte zu seinem Reisegepäck zählt, wird mit doppeltem Interesse die zerklüftete Küste Bornholms begrüßen.
Die gute alte Zeit erscheint uns jetzt so golden; über den Gräbern weht versöhnlicher Hauch; die Mauern der Ruinen, die stummen, starren Zeugen der Gewalt und des Unrechts deckt der Epheu mit mildem Grün, und über die bösesten Unthaten hat die Sage ihren geheimnisvollen, verschönernden Schleier geworfen.
Einst lagen zwischen Hammerklippen versteckt die flinken Drachenschiffe, bis ein beutegieriger Wiking seine blutdürstige Rotte von Raufbolden um sich sammelte und Segel setzen ließ zum Raubzuge. Wehe den wehrlosen Städten und Dörfern, welche diesen Unmenschen in die Hände fielen! Als späterhin sich die Schiffahrt in der Ostsee mehr und mehr entwickelte, verlegten sich die Bornholmer auf rationell betriebenen Seeraub. Der Schiffer atmete auf, wenn er die Insel wieder außer Sicht hatte. Die Einführung des Christentums beseitigte zwar den Seeraub nicht, dennoch führten aber die erobernden Dänen geordnetere Zustände herbei, bis die Geistlichkeit und die Fürsten, untereinander uneinig, neues Blutvergießen verursachten. Damals wurde die Feste Hammerhus gebaut, ein für jene Zeit uneinnehmbarer Platz.
Durch List oder Verträge gelangte dieser bald in die Hände der einen oder der anderen Partei, bis die Einführung der Feuerwaffen die Mauern und Türme für die Verteidigung wertlos machte!
Jetzt gehört Bornholm zu den Perlen der dänischen Krone, Landwirtschaft, Viehzucht und Fischfang ernähren die Bevölkerung reichlich. Zur Sommerszeit fährt wöchentlich zweimal ein Dampfer von Stettin nach Bornholm. Es ist dies zwar kein Prachtschiff und manchem Reisenden ist bei der primitiven Einrichtung des Fahrzeuges schon ganz wikingerhaft zu Mute geworden, indessen bringt dasselbe den Reisenden in wenigen Stunden sicher nach Hammerhafen (vergl. Abbildung S. 412 und 413), so daß man die kleinen Unbequemlichkeiten gern übersieht. Steil und wild steigen die Felsen des Hammers, wie die Nordspitze der Insel heißt, aus dem Meere empor. Auf kahler Bergkuppe ragen die starren, verfallenen Mauern der Feste Hammerhus in die Luft. Eine kleine Bucht ist abgeschlossen durch starke Steindämme und bildet so den Hafen, in welchen das Schiff zwischen brandenden Wellen hineingleitet. Am Bollwerk harrt des Reisenden der Empfang durch den Hotelkellner. Maler ziehen jedoch meist die Einsamkeit dem geräuschvollen Hotelleben vor, und so hat sich im nahen Sandvig bei einem Bauern, der sogar für diejenigen Kollegen, denen ein häufiges Knipsen am Photographenkasten Bedürfnis geworden ist, eine Dunkelkammer zur Verfügung stellt, eine ganze Künstlerkolonie gebildet. Von hier aus überfällt das malende Volk die Umgegend. Der Hammer ist aber auch für die malerische Ausbeute wie geschaffen. Die See brandet von allen Seiten gegen das Gewirr von Klippen. In nächster Nähe eilen Segelschiffe und Dampfer gen Westen und Osten. Stille kleine Fischerhäfen bilden einen Ruhepunkt in der umgebenden Bewegung.
Eine kurze Wanderung führt den Reisenden auf den Oereberg. Hier ist der massive Leuchtturm errichtet, welcher dem Schiffer bei Tag und Nacht den Weg weist und ihn bei nebligem Wetter durch die Dampfsirene warnt, den Klippen zu nahe zu kommen. Weiter thalwärts treffen wir auf ein verfallenes Gemäuer aus unbehauenen Granitsteinen. Hier hauste dereinst ein Mönch, welcher nahe bei einer jetzt versumpften Quelle dieses kleine Heiligtum errichtete und die wilden Bewohner taufte. Wenn im Westen die Sonne untergeht und die Mauern der Salomokapelle sich von dem verglühenden Himmel abheben, so überkommt den Menschen mitten in dieser erhabenen Einsamkeit eine Ahnung von der gewaltigen Kraft [417] des Christentums, welche den wehr- und waffenlosen Mann an diese starre Küste trieb, um die Götzenbilder einer wilden, gesetzlosen Rotte zu stürzen und an deren Stelle das Kreuz aufzurichten.
Die Hammerbucht wird beherrscht von der Festung Hammerhus. Rings abgeschlossen von steilen Felswänden, geschützt durch schweres Mauerwerk, waren die schloßartigen Gebäude jedem Ansturm eines mit den Waffen der damaligen Zeit versehenen Feindes gewachsen. Die dänische Geistlichkeit, welche lange im Besitze dieser Festung war und ebenso gottesfürchtig wie streitbar dieselbe aufs äußerste verteidigte, hatte den Gebäuden den halb kirchlichen, halb weltlichen Anstrich gegeben. Noch heute kann man in den Ruinen die Baulichkeiten nach den verschiedenen Zwecken unterscheiden. Die Kapelle ist durch Gänge mit der Hauptfestung, welche in ihrer Form dem Schlosse von Ritzebüttel und dem Neuwerker Leuchtturm aufs Haar gleicht, verbunden. Wir finden Wirtschaftsgebäude, Kellereien, Burgverließe und Wachtlokale bei den Türmen. Angesichts dieser Ruinen tritt uns das Mittelalter so recht vor Augen. Wie sicher mögen sich die Herren hier oben gefühlt haben, bis die erste Kugel aus einem Feuerrohre die ersten Steine der starken Mauern löste! Dann ging es rasch abwärts mit diesen festen Plätzen. Was die Geschosse nicht zertrümmerten, das nagte die Zeit an den wertlos gewordenen Festungswerken, und so starren heute nur Ruinen gen Himmel, Zeugen einer vergangenen Kulturperiode.
Der Name „Hammer“ für die Nordspitze Bornholms ist vielleicht nicht ganz glücklich gewählt. Vielmehr ist es hier das Meer, welches gegen die Granitfelsen wie auf einen Amboß hämmert. Welch wunderbare Formen hat das Wasser durch die Jahrtausende hin aus dem Gestein geschaffen! Steigt man die Hammerhusschlucht hinab, so befindet man sich angesichts einiger Klippen, welche aussehen, als ob eine menschliche Hand sie zu Tierkörpern geformt hätte. Da ragt ein riesiger Löwenkopf in die Brandung hinaus, es ist der Felsen rechts auf unsrem Bilde (Seite 418). Behaglich scheint er das aufspritzende Wasser mit dem Maule aufzufangen. Ueber seine Mähne ergießt sich bei stürmischem Wetter die weißschäumende Flut und es sieht aus, als ob das gewaltige Tier sich bei den Sturzbädern so recht wohl fühlte. Neben dieser Klippe ragt eine andere aus dem brandenden Wasser empor, deren Form ein humoristisches Motiv zu Grunde [418] zu liegen scheint. Ein Tierkörper trägt einen Sattel, von dem aus nach entgegengesetzter Richtung hin ein Kamel und ein Giraffenkopf hervorragen. Oftmals sprüht die Brandung hoch empor und es sieht aus, als ob die beiden Tiere gegen die andrängenden Wogen kämpften. Unter- und oberhalb der Hammerhusschlucht haben die Felsen Höhlen gebildet, genannt der nasse und der trockene Ofen. Letzteren kann man bei ruhigem Wetter zu Fuß, ersteren mit einem Boot erreichen.
Der Aufenthalt in diesen seltsam gebildeten Höhlen erregt die Phantasie gewaltig. Das heimliche Rauschen und Gurgeln der eindringenden Meereswellen erzeugt eine wunderbare Musik, welche Meister Böcklin in seinem herrlichen Gemälde „Die Brandung“ uns versinnbildlicht hat: in einer Höhle, an einen Granitfelsen gelehnt, umtost von dem wild brandenden Meere, streicht ein phantastisches Weib über die Saiten einer Harfe. Wir hören das Lied, es ist die uralte Weise, bald zart und sanft klingend, bald rauschend in gewaltigen Accorden, welche das Meer von Anbeginn der Welt ertönen läßt. Bei Tage dringt der Sonnenschein in diese granitnen Höhlen. Die Felswände hallen nur von dem Singen des Meeres wieder, selbst die Besucher werden schweigsam. Nachts aber treiben Necke und Nixen hier ihr unheimliches Wesen, und mancher Fischer, der im Mondenschein bei den Höhlen vorbeistreifte, weiß wunderbare Geschichten zu erzählen.
Weiter gen Süden ragt noch ein einzelner Felsen hinaus in das Meer, von welchem herab der Sage nach ein Mönch mit Namen Johannes den Heiden das Christentum gepredigt haben soll. Die Sache ist ziemlich zweifelhaft, da dieses Felsengebilde wohl zum Halten von Reden recht ungeeignet ist und nur den Namen Johns Kapelle seiner Form wegen erhalten hat.
Auf dem Wege nach der Stadt Rönne steht der größte auf der Insel vorhandene Runenstein. Es ist dies eine Gedenktafel aus der Zeit, als die Einwohner schon zum Teil Christen waren, wenngleich sie in ihren Sitten und Gebräuchen noch vielfach am Heidentum festhielten. Auf der glatten Seite des roh gespaltenen Steines befindet sich in keineswegs künstlerischer Ornamentierung ein verschlungenes Band von Runenschriftzeichen, welche nur besagen, daß ein treuer Sohn und Bruder seinen verstorbenen Eltern und Geschwistern diesen Denkstein gesetzt habe.
Die Ostküste der Insel weist sanftere Formen auf. Hier findet man auch Wälder und Haine, welche der Landschaft [419] ein lieblicheres Aussehen geben, als die starre Westküste es bieten kann. In uralter Zeit hat zwischen den Städtchen Sandvig und Gudjem dereinst ein heiliger Hain gestanden. Hier kamen die damaligen Bewohner zusammen, um den Göttern zu opfern. Die Küste fällt steil zum Meere ab, die Klippen haben wundersame Formen und prangen durch die mannigfachen Moose und Flechten, die daran haften, in lebhaften, bunten Farben. Noch heute nennt man diese Felsen die Heiligtumsklippen, eine Erinnerung an die graue Vorzeit.
Ein Nachkomme jenes alten Haines ist noch heute vorhanden. Das lustige, von dem feuchten Seewinde frisch gehaltene Grün prangt an dieser Stelle noch wie vor tausend Jahren. Auch die Quelle, deren Wasser dereinst vermischt mit dem Blute der Opfer die Felsen hinabrieselte, plätschert noch munter von Stein zu Stein dem Meere zu und lacht lustig die vielen Maler und Malerinnen aus, welche fast auf jedem Felsenvorsprung thronen und eifrig versuchen, das heitere Wässerchen wenigstens im Bilde festzuhalten. Oben auf der Höhe ragt an Stelle des alten heidnischen Tempels ein komfortables Hotel über den Wipfeln der Bäume empor. Geopfert wird hier auch noch, aber meist nur Bacchus und Gambrinus.
Noch eine andere wunderbare Felsenbildung trifft der Wanderer an der Ostküste. Mitten auf freiem Felde, an einer Stelle, wo man Naturschönheiten kaum erwarten könnte, öffnet sich nach dem Meere zu ein tiefer Spalt. Ein schmaler Pfad führt hinab, und plötzlich befindet man sich zwischen senkrecht abfallenden Felsen, welche kaum Raum zum Durchschlüpfen bieten. Bei Mondenschein gewähren diese Randsklippen ein Bild, wie man es phantastischer gar nicht ausdenken kann. Von den Städten auf Bornholm ist nicht viel zu berichten. Die Bewohner leben meist verstreut auf ihren Gehöften. Nur Rönne und Allinge haben es zu einer gewissen Bedeutung gebracht. Sandvig, Gudhjem und Svanike, sowie eine Anzahl Fischerhäfen sind mehr malerisch als wichtig. In der Nähe von Hammerhus befinden sich jetzt gewaltige Steinbrüche. Hier tritt der herrlichste Granit zu Tage, welcher, gebrochen und verarbeitet, meist nach Deutschland exportiert wird. Fast der größte Teil der Pflastersteine Berlins kommt jetzt von Hammerhafen.
Die merkwürdigsten Bauten auf Bornholm sind die Rundkirchen. Sie erzählen deutlich von dem Kampfe, den das Christentum mit den wilden Seeräuberhorden auszufechten hatte. Diese Gotteshäuser bestehen in ihrer Grundform nur aus einem einzigen runden Turm. Zur Zeit ihrer Entstehung waren sie noch mit Wall und Graben versehen. Der Eingang, wohl mit Fallthüren versichert, lag hoch über dem Erdboden, so daß die Besatzung gegen die Waffen der damaligen Zeit wohlgeschützt war. Die Mauern, aus roh zusammengefügten Steinen gebaut, hatten keine Fenster, sondern nur Schießscharten, durch welche Pfeile und andere Wurfgeschosse geschleudert werden konnten. Statt des Daches gab es nur eine gleichfalls mit Schießscharten versehene Plattform, von wo herab der Angreifer belästigt werden konnte. In der Umgebung dieser Kirchen hausten damals die kleinen Gemeinden, welche sich bei drohender Gefahr in die befestigten Gotteshäuser zurückzogen und Gut und Leben von dort aus verteidigten. Jetzt hat man die Rundtürme mit Thüren, Fenstern und Anbauten versehen. Ein hohes spitzes Dach hält den Regen ab. Sonntags kommen die Umwohnenden wie dereinst zur Andacht, nur braucht der Altar nicht mehr mit dem Schwerte geschützt zu werden.
Die Bevölkerung Bornholms hat sich allgemach von der Seefahrt zurückgezogen, nur noch der Fischer und Lotsen führen ein Leben auf dem blauen Wasser. Kleine, aus den Felsen herausgesprengte, mit Molen versehene Becken genügen zum Schutze der Fischer- und kleineren Handelsfahrzeuge. Nur Allinge, Hammerhafen und Rönne vermögen in ihren Häfen etwas größere Schiffe zu beherbergen. Das Aus- und Einlotsen derselben ist ein oft recht schwieriges Unternehmen und erfordert die erfahrensten Seeleute. Der Bornholmer Lotse trägt den Typus eines echten rechten Seemanns. Von Jugend auf vertraut mit dem Element, kennt er jede Klippe, jeden Stein seiner Heimatsinsel. Er geleitet das ihm anvertraute Fahrzeug durch ein Gewirr von Felsen sicher zu seinem Ankerplatz. Bei einem Wetter, wo man keinen Seehund ins Wasser jagen möchte, dringt er mit seinem Boot durch den wüsten Wogenschwall, um draußen einem vielleicht hilflosen Schiffe den richtigen Weg zu zeigen.
Die meisten Bornholmer sind Landwirte und die blühenden Felder zeugen von der erfolgreichen Thätigkeit ihrer Bebauer. Sie sind etwas scheu und Fremden gegenüber wortkarg, wenn man sie aber näher kennenlernt, so wird man sie auch als Deutscher, trotz ihres dänischen Patriotismus, dessen Spitze sich ja noch heute immer gegen unser Vaterland richtet, lieben und achten lernen.
Bornholm liegt dicht bei unseren Küsten, wer zur Sommerszeit die Ostseebäder aufsucht, möge einmal den Abstecher nach dem alten Seeräubernest machen.