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Der Sankt-Markus-Platz in Venedig

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Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
I. Der Sankt-Markus-Platz in Venedig
II. Der grosse Canal (Canal Grande) in Venedig
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St. Markusplatz in Venedig

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I. Der Sankt-Markus-Platz in Venedig.




Staunen und Bewunderung erschüttern den Fremdling, der zum erstenmale des Ozeans Roma – Venedig – sich nähert. Sich in die Feen- und Mährchenwelt versetzt glaubend, sieht er aus den spiegelnden Wellen mächtige Kuppeln und Dome sich erheben, riesige Säulen und schlanke Thürme, Palläste und Kirchen, zahllos und prachtvoller, als eine morgenländische Phantasie sie sich denken kann.

Aber nicht die Herrlichkeit der Bauwunder Venedigs allein ist’s; nicht allein ist’s die Betrachtung der Kühnheit des Geistes, welche den Menschen inne wohnen mußte, die den Gedanken fassen konnten, für die gigantesken Schöpfungen der Architektonik den Grund des Meeres als Bauplatz zu wählen; auch nicht die Betrachtung der Unermeßlichkeit des Reichthums ist’s, welcher die Ausführung solcher Entwürfe möglich machte: mehr als alles dies ist’s die Erinnerung an die Lebensschicksale des Volks, das alle diese Wunder vollbracht hat, was in Venedig die Seele des denkenden Beschauers so mächtig ergreift. Wenn er die Wäsche der Bettler trocknen sieht auf Balkonen von Erz und zwischen marmornen Fenstersäulen, wo er Reichthum und Schönheit erspähete, hinter gebrochenen Scheiben, in Lumpen erblickt des Elends Gestalten: – so fragt er sich wohl, über die grellen Gegensätze erschrocken: Was war damals, als diese Dome sich wölbten und man dieser Marmorpalläste Grundsteine in den Busen der Wogen versenkte: – was war damals Venedig? – Groß und mächtig, antwortet die Geschichte, führte die stolzeste und an allen Tugenden des Gemeingeistes reichste der Republiken in ihrer starken Hand den Dreizack, den, ihr längst entwunden, jetzt die hohe Brittania tragt: – Herrscherin über alle Meere, des Welthandels Herrin, schüttete dieser in ihren Schooß die Reichthümer der Erde aus. Die schönsten Länder unsers Welttheils, Griechenland, Dalmatien, Cypern und Candia; des Orients herrlichste und reichste Küsten waren ihr Provinzen, das kaiserliche Byzanz selbst anerkannte sie einst als Herrin, und des Abendlandes mächtigste Könige suchten ihren Schutz und ihre Hülfe. Ihre Flagge führte die zahllosen Schaaren des heiligen Kreuzes an des gelobten Landes Küsten und unter ihrem Banner entschied sich oftmals im verzweifelten Kampfe für die Christen der Sieg. Und als der blinde Eifer für’s Kreuz erkaltete und im Orient sein Glanz erlosch vor dem bereits in dreien Welttheilen herrschenden Halbmond, da war’s Venedig, das den ungleichen Kampf, mit mehr Heldenmuth als Klugheit, noch [4] Jahrhunderte lang gegen den Islamismus und auch dann noch bestand, als schon Vasco de Gama und Columbus dem Welthandel neue Bahnen gewiesen, die Reichthümer, die er giebt, in andere Canäle geleitet hatten! Und nie vielleicht hätte Venedig seine Macht nach außen verloren, hätte es seine Freiheit im Innern sich zu bewahren gewußt. Jene sank erst dann, nachdem diese untergegangen und der Bürger Sklave geworden war einer enggeschlossenen Erbaristokratie (der im goldenen Buche eingezeichneten Familien der Nobili); nachdem die freiste Verfassung, gestürzt worden durch den verschworen Adel und die Republik nach und nach ausgeartet war in einen Bund von 1000 kleinen Tyrannen, welche, stolzer und reicher als Könige, für die verlorne Macht in der Fremde Entschädigung suchten durch Tyrannei im Innern und einen Despotismus über ihre Mitbürger übten, gräßlicher und treuloser als je ein Machiavell ihn für Könige erdacht oder ein Caligula oder Tiber ihn geübt haben. Wer kann sich, ohne Verachtung und Abscheu zu fühlen, erinnern dieses Systems der vollendetsten Aristokraten-Tyrannei, erzeugt in der Wiege der Freiheit und aufgezogen an ihren Brüsten!

In dem an Heroen des Bürgersinns, des Kriegs, der Staatsweisheit, der Wissenschaft und der Kunst so überreichen Venedig sehen wir fortan die Adelsgewalt mit mehr Schrecken ausgerüstet, als je die eines Alleinherrschers umgab; wir sehen da die erbarmungsloseste Schreckensherrschaft aufgerichtet, welche, oft ihre eigenen Glieder zermalmend, mit eiserner Faust den wankenden, in seinen Grundfesten morschen Staat noch für ein paar Jahrhunderte zusammen hält; wir sehen hervorgehen aus ihr jene verachtungswürdige Politik, welche die Erhaltung des Friedens nach Außen um jeden Preis als obersten Grundsatz bekannte; sehen die Aristokratie ein volles Jahrhundert lang, feig und niederträchtig, markten mit den fremden Mächten um die elende bloße Fristung des Staatslebens während sie nach Innen dessen Erhaltung auf die Erfolge der Angeberei und der Spionage, auf die Furcht vor heimlichen Gerichtshöfen und Hinrichtungen baut, auf die Schauer der Seufzerbrücke und jener Bleikammern, in denen man die Opfer, die die Feigheit nicht mehr zu morden wagte, Jahre lang sterben ließ. – Wir erinnern uns endlich, aus der Zeit gänzlichen Sittenverfalls, jenes Saals, wo die ehrlosen Nobili’s, acht Hundert an der Zahl, nachdem sie sich das Privilegium des Hazardspiels zugeeignet, täglich in der Robe der Senatoren und Gesetzgeber an achtzig Spieltischen sich den Plebejern Stunden- und Tag- weise vermietheten als feile, schimpfliche Werkzeuge der verächtlichsten Leidenschaft; jenes denkwürdigen Augenblicks, wo, als diese sittenlosen, stolzen, feigen Bürger-Tyrannen, äußere Gefahr durch Demüthigungen abzuwenden lange gewohnt, vor dem großen Corsen krochen und die Respektirung des Gebiets der Republik – erbettelten, vergebens erbettelten; jener letzten Senatsversammlung, als der Doge, – auf die Nachricht, die Franzosen blockirten den Hafen, – jammernd ausrief: O die Kanonen werden uns noch heute Nacht im Schlafe stören! Und er, diesem Unglück zuvorzukommen, dem Senat zur Unterwerfung an die Franzosen, ohne einen Schwerdtschlag zu versuchen, rieth und – mit Erfolg [5] rieth. – Wir erinnern uns, wie dann das herrliche Venedig wie eine schlechte Waare aus einer Hand in die andere ging; wie um dasselbe gefeilscht wurde von dem und jenem fremden Fürsten; wie man es verkaufte und wieder erhandelte und seine Nobili’s, deren Vorfahren sich Königen gleich geachtet, binnen achtzehn Jahren willig und ohne nur zu murren drei fremden Fürsten nach einander den Unterthaneneid schworen! Und wenn man, voll dieser Erinnerungen, dann dieses Venedig betrachtet mit seinen modernden Pallästen, wo einst Crösusse wohnten, und jetzt oft die Armuth haus’t in Schmuz und Elend; – die weite, dem Meere entstiegene, verfallende und doch noch so über Alles prachtvolle Stadt mit ihrem Gewimmel von Domen und Kuppeln und Thürmen, Säulen und Zinnen, mit ihren 500 Kanälen und Brücken, während schon ganze Straßen menschenleer geworden, und viele Meerarme, die oft sonst die Schiffe nicht alle fassen konnten, verschlämmt und nur noch von einsamen Gondeln durchschnitten: so erscheint uns das neue Carthago, das in seiner Blüthe ¼ Million Einwohner faßte, und jetzt kaum 90,000 noch zählt, wie ein ungeheures Grabmal, und wir erinnern uns der Worte Byrons:

     Noch sieht Sankt Markus seinen stolzen Leu,
Wo sonst er stand, ein Spott und Hohn jetzt! – stehen.
Hoch über des Pallastes ehern Thor,
An dem einst Fürsten oft demüthig harrten,
Und dessen Pracht die Kön’ge neideten,
Der Republik nicht mehr gefürchtet Zeichen,
Ha! wo der Deutsche bat – da stampfet jetzt
Der Deutsche; und des Herrschers Fuß
Tritt jetzt den Nacken vor deß Haupt in Staub
Ein Kaiser lag. – So wechseln die Geschicke. –
Berühmte Reiche schrumpfen zu Provinzen
Und Nationen schmelzen vom Zenith
Der Macht im Sonnenschein des Glückes bald; –
Und donnernd dann, Lavinen gleich in Alpen.
Im Sturze unaufhaltsam, wälzen sie
Sich in das Thal der Schmach und des Verderbens.


Das Bild vor uns führt den Betrachtenden in die Mitte Venedigs – auf den herrlichen Sankt Markus-Platz (PIAZZA DI SAN MARCO). Das große Viereck, welches er bildet, umschließen die merkwürdigsten und schönsten Werke der Baukunst. Gerade vor uns sehen wir die prächtige Kirche des heiligen Markus, mit ihren Domen und Kuppeln, [6] eher einem indischen Tempel, oder einer arabischen Moschee ähnlich, als einer christlichen Kirche; rechts das ungeheure PROCURATORIO NUOVO, ein Werk des größten Architekten Venedigs (SANSOVINO) erbaut in der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in den Zeiten der Republik Sitz der Obergerichte, unter Napoleon Residenz des Vicekönigs von Italien, jetzt ein kaiserlicher Pallast, und als solcher fast unbewohnt und öde. Links erhebt sich ein prachtvoller Pallast in fast gleichem Styl und nicht weniger groß: – das PROCURATORIO VRECCHIO, jetzt die Wohnung von Privaten und Staatsfunktionarien. Das Erdgeschoß dieser Riesenbauten öffnet sich gegen den Platz hin in Arkaden. Diese sind durch einen die Westseite der PIAZZA begränzenden von Napoleon vollendeten prächtigen Bogengang mit einander verbunden.

Niemand, – oder ihm müßte die Bildungsgeschichte der Menschheit fremd sein! – kann ohne tiefen, gewaltigen Eindruck den Markusplatz betreten. Er steht im Mittelpunkte der einst so mächtigen Republick, in derem Schooß die größten Bildungsmittel der Menschheit, Schiffahrt, Literatur und Kunst, die üppigste Pflege erhielten. Von ihm aus sieht er den Pallast des Doge mit seinen Bleikammern, Seufzerbrücke, Kerkern und daneben jene berühmte Bibliothek, in welche die Schätze der alten Literatur sich flüchteten, – jene Manuscripte, welche, durch die Buchdruckerpresse ein Gemeingut der Welt geworden, für alle Zeiten den menschlichen Geist zu erleuchten, zu bilden, bestimmt sind. Er steht auf der großen Börse, welche Jahrhunderte lang die Kaufleute aller Welttheile versammelte, von der aus der Welthandel Leben und Bewegung erhielt. Er hat den classischen Boden Venedigs betreten, auf dem sich die wichtigsten Ereignisse des 1300jährigen Freistaats zusammen drängen, den Ort, wo die Macht der Republik ihre Schaugepränge entfaltete; er sieht den fürchterlichen Löwen noch, aus dessem Rachen an jedem Morgen die Zettel gesammelt wurden, auf welchen Patriotismus manchmal, öfterer Tücke und Verrath die geheimen Anklagen vor das Schreckenstribunal der „Zehne“ brachten; er ist an dem Ort, wo Frieden oder Freundschaft suchende Gesandten fremder Völker und Fürsten von den Repräsentanten der stolzen Republik empfangen, besuchende Könige von ihnen gastlich begrüßt wurden. Hier wurden die neu erwählten Dogen von den Senatoren dem Volke vorgestellt; hier wurden die Bluturtheile der Tribunale vollstreckt, und hier war’s, wo in Zeiten innerer Fehde die Parteien die zahllosen Opfer schlachteten; hier endlich war’s, wo, im Fasching, sich die bunteste, tollste Lust im ergötzlichsten Wechsel zeigte, wo die Gaukler, Marktschreier und Beutelschneider ihre freie Kunst trieben; wo der Venetianer seine eigenthümlichsten Freuden zu suchen seit einem Jahrtausend gewohnt war. Noch ist der Markus-Platz der Ort, der am meisten besucht ist, auf dem sich Jeder ergeht, der, des Schaukelns der Gondeln müde, sich nach festem Tritt auf festem Boden sehnt; aber – es ist jetzt todt dort im Vergleich gegen das bunte, fröhliche Gewimmel der Vorzeit. Das Leben der Venetianer ist einsamer geworden in dem Maaße, wie Venedig selbst verödet und seine Bevölkerung sich mindert. –

[7] Wir verlassen den Sankt Markus-Platz, um die Kirche zu besehen, die ihm den Namen gab. Nächst der Peterskirche ist sie der berühmteste christliche Tempel der Erde. In ihr sind die Gebeine des Evangelisten Markus bewahrt, die Gegenstände der eifrigsten Verehrung und das Ziel unzähliger Wallfahrer aus allen Theilen der Welt. Erbaut in den Jahren 976–1071, ist sie ein Muster der sonderbarsten Mischung der griechischen und morgenländischen Baukunst. Die herrlichsten Bildwerke des Alterthums (wir nennen nur die berühmten vier antiken, colossalen Pferde, welche, unter einem Bogen über dem Haupteingang, auch auf unserm Bilde sichtbar, aufgestellt sind), zahllose Säulen, Basreliefs etc., sind mit einer gleich großen Menge von Schnitz- und Bildwerken in orientalischem und saracenischem Geschmack aus den kostbarsten Stoffen zur Verzierung und Ausschmückung dieses Tempels verwendet worden. Schon beim Eintritt in denselben begegnet des Staunenden Auge nichts als Gold und Edelsteine, und der Fuß zaudert, den Agath, Lapis lazulis, Jaspis, Porphyr, Calcedon u. s. w. zu berühren, aus denen der Boden, zu seltsamen Formen und Figuren durch die Kunst der Mosaik vereinigt, zusammen gesetzt ist. Die Wände sind überall mit Goldplatten belegt, von denen sich, in Silber und farbigem Golde, Schnitzwerke in allerlei Gestalten, Vögel, Menschen, ganze Landschaften, Blumen aller Art, größtentheils von bewundernswürdiger Zartheit und Kunst, im bunten Wechsel erheben. Die ganze Decke ist Mosaik aus Edelsteinen und dem köstlichsten Marmor. Mitten aus diesem Raume, in bedeutender Höhe, wölben sich fünf Kuppeln, die mittlere größer als alle übrigen, getragen von 36 Säulen aus orientalischem Marmor. Unter diesen Kuppeln stehen fünf Altäre, strahlend von Edelsteinen und Gold, in welchen die Gebeine von Heiligen verschlossen sind. Der in der Mitte, der größte und kostbarste, bewahrt die Ueberreste des Evangelisten in einem Kasten von Gold, ausgelegt mit Rubinen, Saphiren, Smaragden und andern Edelsteinen der kostbarsten Art. Ueber dem Altar erhebt sich, auf Säulen von Parischem Marmor, ein Thronhimmel von Ophir, auf welchem die Geschichte Jesu, nachdem Evangelium St. Marci, in Byzantinischem Geschmack und halb erhobner Arbeit, höchst kunstvoll dargestellt ist. Hinter diesem Altar stehen 4 Säulen aus ächtem Orientalischen Alabaster, weiß wie Schnee und fast wie Glas so durchsichtig. Ausgegraben vor fast einem Jahrtausend in den Ruinen Jerusalems, schmückten sie einst, so erzählt der fromme Glaube, das Heiligste des Salomonischen Tempels.

Wir brechen ab. Wollten wir die Herrlichkeiten, welche dieses Haus für die Verehrung des Höchsten in sich schließt, alle beschreiben, so bedürfte es dazu eines ganzen Buches. Ohnehin haben wir der Beschreibung dieses Bildes mehr Raum gewidmet, als im Plan dieses Werkes liegt; der Reichthum des Stoffes möge uns bei dem Leser entschuldigen.