Der Schmollwinkel eines verbannten Königs

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Autor: Ludwig Storch
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Titel: Im Schmollwinkel eines verbannten Königs
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Der Schmollwinkel eines verbannten Königs.
Von Ludwig Storch.

Die Dichter künftiger Zeiten werden in der poetischen Darstellung der unsrigen zumeist das gänzliche Mißverstehen des nach seiner vollständigen Reife und der dieser entsprechenden freien Bewegung empordrängenden Volksgeistes als tragischen Hebel für den Sturz der Könige und der Dynastien gebrauchen; in jedem Falle ein poetischer Vorwurf und um so bedeutender, wenn die Träger der sich feindlich gegenüberstehenden Ideen, und namentlich der unterliegende, als Individuen unsere Achtung, zuweilen sogar unsere Verehrung in Anspruch nehmen dürfen.

Diese Betrachtung kam mir im verwichnen Frühling im einsamen Wohnsitz eines von der Welt vergessenen Fürsten, der, einem alten, durch Verkehrtheiten und Schicksale der seltsamsten Art ausgezeichneten Regentenstamme entsprungen, die unbeneidenswerthe Mission hatte, den intriguanten und despotischen Geist dieser Dynastie in seiner Person zur verderblichsten Gipfelblüthe zu bringen, eines der schönsten und reichsten Länder Europa’s, ganz im Sinne seiner fluchbeladenen Ahnen, zum Schauplatze eines abscheulichen Bürger-, beziehentlich Bruderkriegs zu machen und desslen staatliche und sociale Entwickelung auf geraume Zeit zurückzuwerfen.

Ich hatte mehr als ein Motiv, von Wertheim den lieblichen Taubergrund aufwärts zu wandern. Die hauptsächlichste Veranlassung war der ewig junge Reiz der Natur, der milde, warme, süße Charakter des südlichen Deutschlands, der in diesen Gegenden des untern Mains und des Odenwaldes so klar zu Tage tritt; eine zweite: die alten berühmten Stätten unserer Vorfahren zu besuchen, die sich unter dieser milden Sonne wohnlicher und gastlicher erhalten haben, als sonst wo. Und darunter nimmt die ehemalige Cistercienserabtei Brombach nicht die niedrigste Stelle ein. Ein dritter, obwohl untergeordneter Grund war, zu sehen, wie das alte Klostergebäude sich als Residenz des ehemaligen Königs, beziehentlich Usurpators der Krone von Portugal, jetzigen Herzogs von Braganza, Dom Miguel, ausnehme.

Man ist in Franken daran gewöhnt, die zahlreichen, meist leidlich erhaltenen, ehemals prächtigen Gebäude der säcularisirten Klöster zu den verschiedensten Zwecken verwendet zu sehen. In den Städten sind sie meist Casernen geworden, auf dem Lande Fabriken; die reichste und prächtigste Abtei Frankens, wahrscheinlich ganz Deutschlands, das Cistercienserkoster Ebrach im Steigerwalde ist – Gott sei’s geklagt! – ein Zucht- und Zwangsarbeitshaus, und die stolze Benedictinerabtei Banz ein eben so stolzes Fürstenschloß. Brombach hat als Wittwe keine Schwester; sie allein ist Residenz eines im Exil lebenden Königs.

Ich war doch neugierig, wie sie zusammenpassen möchten, die alte Abtei und der Sproß des alten Königsgeschlechts, und wie der Ruhm des Hauses, so war auch der ihres fürstlichen Insassen mir nicht unbekannt geblieben. Der Ruhm Dom Miguels? wird der Leser erstaunt fragen. Gewiß! Auch ich war erstaunt, als ich von diesem Ruhm zuerst vernahm, nachdem ich in meiner Jugend diesem Fürsten wegen seiner Aufführung mehr und länger gegrollt, als irgend einem Andern.

Es ist ein natürlicher Zug des Menschen, unter den Mitlenbenden an den Altersgenossen, zumal in der Jugend, den meisten Antheil zu nehmen. Als ich zuerst anfing das Auge von Homer und Virgil auf die Weltbegebenheiten zu werfen, die mit mir zugleich auf der Lebensbühne in Scene gingen, waren nach dem Wartburgfeuer 1817, dessen Funken in meiner Seele die Flammen der Begeisterung für Recht, Tugend, Wahrheit und Schönheit und für Deutschlands Größe und Herrlichkeit entzündet hatten, Sand’s blutige That, die Karlsbader Beschlüsse, deren nächste Folgen uns armen Gymnasiasten übel aufspielten, und die Revolution in Portugal mit Dom Miguel’s politischem Debüt die Dinge, die mich zumeist bewegten. Der portugiesische Prinz war nur einige Monate älter als ich, was Wunder, wenn ich seine schmutzige Laufbahn mit bitterem Groll und zuletzt mit verbissenem Haß verfolgte. Derweil ich und meine Altersgenossen auf dem Gymnasium uns mit den griechischen und lateinischen Autoren abmühten, um etwas Erkleckliches zu lernen, und von unseren Lehrern wahrlich nicht als Herren behandelt wurden, kam dieser Knabe von Brasilien nach Lissabon, um eine gerechte Volkserhebung in Blut zu ertränken, nach der Krone seines Vaters zu greifen, die kaum errungene liberale Verfassung umzustürzen, Pfaffen und Junkern wieder den alten verderblichen Einfluß zu geben, und die Fackel der Zwietracht gleichsam in jedes Haus des unglücklichen Landes zu werfen. Nach drei Jahren hatte er dermaßen Alles untereinander geworfen, daß der vertraute Rathgeber seines Vaters, des Königs Johann IV., der Marquis Loulé ermordet, die Minister verhaftet und der König im Palaste streng bewacht wurde. Freilich geschah dies Alles und noch weit mehr Schlimmes auf Antrieb seiner intriguanten, herrschsüchtigen Mutter, einer spanischen Infantin, die den unliebenswürdigen Prinzen, nichtsdestoweniger ihren Liebling, in Brasilien wie einen wilden Rangen hatte aufwachsen lassen und nun zur Ausführung ihrer volksfeindlichen Pläne zu benutzen suchte. Aber das saubere Weiber-, Pfaffen- und Junkerstückchen mißlang, und Prinz Miguel mußte mit seiner Mutter nach Wien auswandern, wo er wie ein Held aufgenommen, wohl gepflegt und so zur Fortsetzung seiner ungezügelten Lebensweise aufgefordert wurde. So trieb er’s denn zwei Jahre lang, bis zum Tode seines Vaters 1826, um nun das Hauptstück in Scene zu setzen, dessen Vorspiel er geliefert und in welchem er eine so wenig dankbare Rolle spielte. Dom Pedro, Kaiser von Brasilien, war auch der gesetzliche Erbe der portugiesischen Königskrone, entsagte aber derselben zu Gunsten seiner siebenjährigen Tochter Donna Maria da Gloria, nachdem er dem Lande eine Verfassung gegeben hatte. Die volks- und freiheitfeindliche Partei der Königin Wittwe erklärte dagegen Dom Miguel zum rechtmäßigen Thronerben. Aber Dom Pedro hatte diese Pläne dadurch vereitelt, daß er den Bruder zum künftigen Gemahl der jungen Königin und bis zu deren Volljährigkeit zum Landesregenten erklärt hatte. Auf diese Weise wurde die Partei der Königin Wittwe in Schach gehalten. Dom Miguel nahm die Anerbietungen Dom Pedro’s an, verlobte sich mit dessen Tochter, beschwor dessen Constitution und wurde von diesem zum Regenten ernannt. Im Februar 1828 in Lissabon angekommen, übernahm er die Regentschaft, löste die Versammlung der verfassungsmäßigen Landesvertreter auf und berief die alten feudalen Cortes, von welchen er sich zum legitimen (absoluten) König von Portugal erklären ließ. Somit war die Constitution, der Pfahl im Fleische der Junker- und Pfaffenpartei, beseitigt, und der Absolutismus fuhr übermüthig mit vollen Segeln einher. Die Königin Wittwe und ihre Partei hatten ihr Ziel erreicht, ihr Liebling war absoluter König, die unumschränkte Gewalt war hergestellt, Junker und Priester reichten sich vergnügt die Hand zur Unterdrückung und Verhöhnung der Volksrechte. Und das Glück begünstigte das nichtswürdige, treulose Unternehmen. Was half es, daß Dom Pedro seinen eidbrüchigen Bruder aller ihm zugestandenen Rechte für verlustig erklärte und dessen Verlobung mit seiner Tochter aufhob; er war im fernen Brasilien, und sein hülfloses Kind segelte eben von dort her der portugiesischen Küste zu, von welcher, durch den Machtbefehl des Usurpators zurückgewiesen, es nach England ging, wo ein kalter Empfang seiner wartete, da das Ministerium des Königs Georg IV. auf Dom Miguel’s Seite stand.

Die zehnjährige Königin sah sich deshalb veranlaßt, im folgenden Jahre 1829 nach Brasilien zurückzukehren. In Portugal entbrannte zwar der Kampf der Parteien, aber er war von kurzer Dauer. Dom Miguel’s Waffen siegten, die Partei der Donna Maria da Gloria floh, vollständig geschlagen, aus dem Lande, theils nach England, theils nach Brasilien, und die aristokratisch-klerikale Partei hatte nun ganz freie Bahn. Und Dom Miguel benutzte sie nach Herzenslust. Das scheußlichste Schreckenssystem, vom frechsten Uebermuthe und hohnlachender Tyrannenlaune gehandhabt, wurde jeder liberalen Regung im Lande verderblich. Der sechsundzwanzigjährige König überließ sich allen tollen Eingebungen seiner zügellosen Begierden. Alle nidrigen Eigenschaften der Dynastie Braganza, die das Verdienst beanspruchen darf, das unter dem großen Könige Emanuel einst so blühende Portugal moralisch und materiell an den Bettelstab gebracht zu haben, kamen in ihm noch einmal und zwar zur höchsten Blüthe. So wahnsinnig hatte keiner seiner Vorfahren gewirthschaftet. Er zeigte für nichts Sinn als für Jagden, Jäger, Hunde, Pferde, Stiergefechte und Weiber und beging mit den adligen und geistlichen Dienern seiner Lüste unerhörte Ausschweifungen. Alle Zeitungen waren [683] voll von Details solcher Abscheulichkeiten. Ich erinnere mich noch einzelner Mittheilungen, die mich wahrhaft empörten. So wurde unter Andern berichtet, seine liebste Kurzweil sei das Schlachten; er sei nicht nur ein trefflicher Jäger, sondern auch ein guter Metzger und tauche seine Hände gern in Blut. Genug, Dom Miguel wurde für ein Scheusal ausgeschrieen, das unter den Lebenden nicht seines Gleichen hatte, und sein Ruf brachte den Haß aller Liberalen gegen die aristokratisch-klerikale Partei aller Länder zum Siedepunkte. Und es ging ein wahrer Jubel durch die civilisirte Welt, als den beiden Nachbarssöhnen, Schwägern und Gesinnungsgenossen, die die ganze pyrenäische Halbinsel in blutige Verwirrung gestürzt und an den Rand des Verderbens gedrängt hatten, schnell hintereinander das treulose Handwerk gelegt und sie vom Schauplatz ihrer volksfeindlichen Thaten verjagt wurden.

Don Carlos, der Prätendent von Spanien, mußte, von seinem Bruder, dem König Ferdinand VII., nach Portugal verwiesen, bald nach dessen Tode (29. Septbr. 1833) sich nach England einschiffen, während Dom Miguel vom Heere seines in Portugal gelandeten Bruders Dom Pedro, der unterdessen auch durch eine brasilianische Revolution vom dortigen Kaiserthrone vertrieben war, geschlagen und von der Quadrupelallianz zwischen Spanien, Portugal, England und Frankreich feindlich behandelt, sich in einer Capitulation verpflichten mußte, ferner in Rom zu leben und allen Ansprüchen auf die portugiesische Krone zu entsagen. Daß aber diesem Prinzen Eide und Versprechungen nichts galten, hatte er bereits sattsam bewiesen, und so widerrief er denn auch schon nach wenigen Tagen in Genua seine Verzichtleistung; wodurch er der ihm von der portugiesischen Regierung ausgesetzten Jahresgelder verlustig ging. Dagegen wurde er, in Rom angekommen, vom Papste als König von Portugal anerkannt, wofür Se. Heiligkeit die Ehre hatte, diesen König standesgemäß zu unterhalten.

So lange Gregor XVI. lebte, mochte dies Verhältniß halbweg erträglich sein, zumal die aristotratisch-klerikale Partei bei den fortdauernden fieberhaften Zuckungen des portugiesischen Staatskörpers stets in der Hoffnung erhalten wurde, ihren Schützling Dom Miguel noch auf den dortigen Königsthron zu bringen. Als aber Pius IX. die päpstliche Regierung unter Auspicien antrat, welche Dom Miguel’s Hoffnungen nicht begünstigen zu wollen schienen, obgleich es sich, wie sich bald zeigte, anders verhielt; als in Folge dieser merkwürdigen Täuschung der gute Papst aus Rom flüchten mußte, wie Dom Miguel schon zweimal aus Portugal; als dann nach der Wiederkehr des Papstes (150) die französische freundschaftliche Unterstützung eintrat: da mochte Dom Miguel ein lästiger Kostgänger Roms sein und auf der andern Seite seine unsichere Lage ihm unerträglich werden. Er that dazu, sich derselben zu entziehen, indem er, der fast fünfzigjährige Mann, sich mit einer in Rom lebenden zwanzigjährigen deutschen Prinzessin vermählte (Septbr. 1851). Die Gemahlin des Herzogs von Braganza ist die Tochter des verstorbenen Erbprinzen von Löwenstein-Wertheim-Rosenberg aus Heubach am Untermain. Daß Dom Miguel von seinen Hoffnungen auf die portugiesische Königskrone keine aufgegeben, zeigte sich bei der Geburt seiner ältesten Tochter, wo von ihm und seiner Partei unzweideutige Demonstrationen in dieser Richtung gemacht wurden, welche, von den durch den schwankenden Charakter der Königin von Portugal herbeigeführten neuen Wirren unterstützt, zu Tage brachten, daß Dom Miguel unter dem alten Adel und der Pfaffheit in Portugal noch eine Partei habe, die nur auf eine günstige Gelegenheit lauere, um die Königin mit ihrem Gemahle, Herzog Ferdinand von Coburg, zu verdrängen und Dom Miguel oder dessen Tochter auf den Thron zu heben. Der unerwartete Tod der vierunddreißigjährigen Königin Donna Maria da Gloria (15. Nov. 1853) brachte diese Bestrebungen vor der Hand zur Ruhe.

In Deutschland hat es die öffentliche Aufmerksamkeit nicht weiter erregt, daß Dom Miguel mit seiner Gemahlin in deren Heimath zog und von der Residenz der katholischen Linie des fürstlich Löwenstein’schen Hauses, wo er anfangs wohnte, die seinige in die ehemalige Abtei Brombach, eine Besitzung der Löwenstein-Rosenberg’schen Familie, verlegte. Mir wenigstens war Alles neu, was ich in Wertheim über Wohnung, Familienverhältnisse und Lebensverhältnisse des Herzogs von Braganza erfuhr.

In Wertheim kannte Jedermann die Person Dom Miguel’s, und sie wurde mir einstimmig als eine von Ansehen sehr unbedeutende geschildert. Mehr als einmal wurde mir gesagt: er sehe aus wie ein alter kleiner Jude. Was mich aber in das größte Erstaunen setzte, war die allgemeine Versicherung von Hoch und Niedrig, daß der Herzog von Braganza ein höchst gütiger, sanfter, liebenswürdiger und vor Allem ein ungemein wohlthätiger Herr sei, für den seine Dienerschaft schwärme, der von allen Menschen in Heubach, Wertheim, Brombach und in der ganzen dortigen Main- und Taubergegend geliebt und geehrt, von den Armen und Hülfsbedürftigen aber wahrhaft angebetet werde. Er thue keinem Thiere weh, geschweige einem Menschen, im Gegentheil wo und wie er einen Menschen erfreuen könne, besänne er sich nicht, sondern gebe im Nu hin, was er eben habe. So sei es buchstäblich schon vorgekommen, daß er den Rock vom Leibe, die Stiefeln von den Füßen an Bettler verschenkt habe. Es wurden mir wahrhaft rührende Beispiele von der Mildherzigkeit und dem Edelsinne des Herzogs erzählt, und sie kamen mir von so glaubhaften Personen und aus den verschiedensten Schichten der Bevölkerung zu, daß an ihrer Wahrheit durchaus nicht zu zweifeln war. Aber noch mehr: durch den Bruder einer Dame, die Dom Miguel in Rom jahrelang gekannt und zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte, erfuhr ich, daß er dort eben so sanft, gut und mildthätig gewesen war, wie jetzt in Franken. Ein ehrenwerther Mann, der den Herzog, gut kannte, sagte mir:

„Es ist keine Spur von Verstellung in ihm; er giebt sich stets und zu aller Zeit, wie er ist. Der Grundton seines Wesens ist Milde, Güte, Menschenfreundlichkeit; und deshalb muß er immer so gewesen sein, denn es ist doch ganz unmöglich, daß die menschliche Gemüthsart sich mit der Zeit in ihr Gegentheil verkehre und daß ein blutgieriges Ungeheuer zum sanftesten Menschenfreund werde. Die geschichtlichen Berichte über das frühere Leben und Gebahren des Herzogs und sein jetziger Lebenswandel, der doch offen vor Jedermanns Augen liegt, sind ein psychologischer Widerspruch, ein unauflösliches Räthsel. Ich bin deshalb fest überzeugt, daß die schlimmen Dinge, die über den Herzog in Umlauf gesetzt worden sind, entweder Erfindungen des Parteihasses waren, oder von Andern, von seinen Anhängern, auf seinen Namen begangen wurden. In Brasilien von der leidenschaftlichen Mutter verzogen, ohne Bildung aufgewachsen, von Weibern und Pfaffen gegängelt und gemißbraucht, beging er natürlich Verkehrtheiten, und Unbesonnenheiten in Menge, und besonders seinem bis zur Verächtlichkeit schwachen Vater gegenüber, sobald man ihm die Ueberzeugung beigebracht, daß er die alleinige Hoffnung und Stütze des Thrones und des Altars in Portugal sei. Seine Thaten sind aus der alten Weltanschauung des König- und des Priesterthums, die er ja mit Tausenden theilt, aus Leichtsinn und Verführung entstanden. Man sollte bei seiner Beurtheilung wenigstens das Eine fest in’s Auge fassen, daß er nie Heuchler war, sondern seine Ueberzeugung stets offen bekannte und für sie als eine ihm heilige Sache nie den Kampf scheute.“

Dies ist die Ansicht eines ehrlichen vorurtheilsfreien Mannes, der den Herzog genau kannte. Ich gebe sie ohne Zusatz wieder und lasse sie an ihren Ort gestellt sein. –

Wir gingen an einem der schönsten Junimorgen über die Berge und theilweise durch Wald, den sehr anmuthigen tiefen Taubergrund, in den uns oft die freundliche Einsicht vergönnt war, zur Rechten, nach dem nur eine Meile entfernten Löwenstein-Rosenberg’schen Gute Brombach. Von weitem schon sahen wir es von einer Berghöhe liegen, und der Anblick erweckt bedeutende Erwartungen, deren größere Hälfte freilich nachher nicht erfüllt wird. Die ehemalige stattliche Abtei liegt auf einer sanft aufsteigenden Fläche der linken Thalseite, ziemlich nahe am Flusse. Der Taubergrund trägt fast in seiner ganzen sechszehnmeiligen Länge denselben Charakter eines tiefen Einschnittes mit steilen Bergwänden, die auf der Südseite mit Wein, auf der Nordseite mit Holz bestanden sind. Die Thalsohle selbst besteht aus üppigen Wiesen. Die Fruchtbarkeit des Thales wird gerühmt; die Tauberweine sind beliebt. Die meist tiefe Einsamkeit des Thals trägt zuweilen das Gepräge der Schwermuth. Dies ist namentlich um Brombach der Fall. Ein weit ausgedehnter hochbewaldeter Berg liegt dem Kloster gegenüber, aus dessen Fenstern das Auge vom hellen Grün der Wiesen sich zum dunklern des prächtigen Waldes erhebt.

Die Geschichte Brombachs, welches 1151 gegründet wurde, ist die aller Cistercienserklöster von hoher Blüthe bis zum Fall durch innere Verderbniß und den Untergang durch den siegenden Protestantismus. Drei Mal war es den Bischöfen von Würzburg gelungen, die Mönche [684] in das wiedereroberte Heiligthum zurück zu führen. Der nach der dritten Rückkehr des Ordens nöthig gewordenen Restauration verdanken die Gebäude und Anlagen die nun so sehr in Verfall gerathene Pracht. Denn die letzten anderthalb Jahrhunderte ihres Bestehens bis zur Säcularisation gediehen diese Mönche bis zur üppigsten Raffinerie des Lebensgenusses. Man sieht es heute noch zur Genüge an der verblichnen Herrlichkeit dieser Gebäude und Gärten, in welch reicher und kostbarer Blüthe die Abtei zuletzt gestanden hat. Nach der Säcularisation (1803) wurde Brombach der katholischen Linie Löwenstein-Wertheim-Rochefort (Rosenberg) als Entschädigung für die im Frieden von Lüneville verlornen Besitzungen des fürstlichen Hauses im Luxemburgischen, in Lothringen

Die Cistercienserabtei Brombach in Franken.

und der linksrheinischen Pfalz überlassen, worauf sie eine der bedeutendsten Landwirthschaften hier errichtete, die weitläufigen Gebäude aber als Jagdschloß benutzte, bis sie in der neuesten Zeit den verbannten portugiesischen Usurpator als einsamer Schmollwinkel aufnahmen.

Man sieht, die alte Mönchszelle hat ein wechselvolles und fast romantisches Schicksal gehabt.

Zuerst fällt die bis zur Armseligkeit herabgekommene ehemalige prunkvolle Einrichtung in’s Auge, der prätentiöse Uebergang des Renaissance- in den Rococostyl an den Gebäuden, die überall nur ärmlich oder gar nicht aufgebessert sind, die verwilderten Gärten, die die fürstlich reiche Anlage noch erkennen lassen, die defecten, obsoleten, ursprünglich schon so unnatürlich gezierten Statuen, die ganze nüchterne, nun durchlöcherte und fetzenhafte forcirte Herrlichkeit, womit die Aristokratie und der Klerus in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Wunden und Schäden zu verkleben suchte, die der dreißigjährige Krieg dem unglücklichen Vaterlande geschlagen.

Während die malerischen Trümmer eines alten Bergschlosses oder eines Klosters stets einen poetischen Eindruck auf das Gemüth des sinnigen Beschauers machen, erregt der Anblick solcher vom Zahn der Zeit nur erst benagten, von dem durch und durch lügenhaften verzerrten Geiste, der sie sich geschaffen, nun schon über ein halbes Jahrhundert verlassnen, aber doch noch gleichsam nach Moschus, Schminke und Moder duftenden Exuvien des 17. und 18. Jahrhunderts Ekel und Widerwillen. Welch eine auffallende Uebereinstimmung zwischen diesem verlumpten und verloderten Rococo und seinem jetzigen Bewohner, dem letzten Träger des durch jenen Geist so übel berüchtigten Namens Braganza, in welchem er noch einmal, dem verlöschenden Lichtflämmchen am Dochte gleich, mächtig emporgeschlagen, um nun als ohnmächtiges, still schleichendes, unheimliches Gespenst in diesen ihm analogen Räumen zu spuken!

Doch man wird mit der Unheimlichkeit des Gebäudes und des Geistes darin versöhnt. Mit jener durch die Kirche und den Kreuzgang, welche wahrhaft wundersame Bauten seltner reiner, ja vielleicht einziger Schönheit sind. In der That gilt dieses Münster in der Geschichte der mittelalterlichen Baukunst als classisches Unicum, das manchen Kunstkenner nach Brombach zieht und zu genußreicher Bewunderung hinreißt. Wir haben hier nämlich einen specifisch deutschen Bau der romanischen Architektur des 12. Jahrhunderts vor uns, von französischen Elementen beeinflußt, aber doch selbstständig behandelt. Alle Verhältnisse sind höchst edel und rein und machen auf die Seele des Beschauers einen erhebenden Eindruck. Dieser muß selbst sowohl auf den nüchternen Protestantismus der Schweden und der lutherischen Grafen Löwenstein, als auch auf den wunderlich erhitzten Schnörkelgeist der Rococoschnitzer ein sehr starker gewesen sein; denn die Einen, wie die Andern haben die poetisch schönen Formen der Kirche und des Kreuzgangs unberührt gelassen, so daß man in ihrem Genusse nicht durch die andersartigen Anhängsel und die Verballhornisirung des 17. und 18. Jahrhunderts gestört wird, wie bei so vielen, ja den meisten aus dem 12., 13. und 14. Jahrhundert stammenden Kirchenbauten.

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Die Versöhnung mit dem Geiste, der ihm so angemessen jetzt in der alten Abtei lebt, mit dem Manne, der kein Verständniß für seine Zeit hat, wird durch seine Armuth und sein glückliches Familienleben bewirkt. Die Armuth dieses Königs im Exil, die uns auf jedem Schritte in Brombach mitleiderregend entgegentrat, stimmte uns wehmüthig. In dem wahrhaft imposanten Pferdestalle der ehemaligen Aebte standen zwei kleine unansehnliche Pferde und eine Kuh, in der Remise eine Kutsche, die keinerlei Anspruch auf Eleganz erheben durfte. Das war die Equipage der herzoglichen Familie. Die jüngsten Kinder wurden von einer Bonne in einem Kinderwäglein spazieren gefahren, wie es die bürgerlichen Mittelclassen zu besitzen pflegen. In dieser Art war Alles, was wir sahen. Uebrigens das Haus unheimlich öde. Die bewohnten Zimmer waren natürlich nicht für uns zugänglich, auch hatten wir keine Lust, sie zu betreten.

Wir hatten in Wertheim gehört, Dom Miguel sei im Bade in Mergentheim. Als wir in Brombach nach ihm fragten, lächelte der Einwohner, der uns Auskunft gab, mit den Worten: „Der kann in kein Bad gehen; er verreist nie, er bleibt Sommer und Winter hier.“

„Aber womit beschäftigt er sich denn das ganze Jahr lang?“ fragte ich von dieser Antwort schmerzlich berührt.

„Er geht viel auf die Jagd, die er leidenschaftlich liebt.“

„Aber er kann doch nicht immer auf die Jagd gehen? Er liest und schreibt wohl viel oder dictirt seinem Secretair, vielleicht seine Memoiren, die gewiß interessant werden dürften?“

Der Mann schüttelte mit dem Kopfe. „Davon hab’ ich nie gehört. Die herzogliche Familie gewährt sich selbst die beste und schönste Unterhaltung, denn ihre Glieder lieben sich einander sehr zärtlich.“

So ist Dom Miguel ein glücklicher Familienvater; wirklich wurde uns die Herzogin als eine vortreffliche und sehr liebenswürdige Dame geschildert, die an dem alternden Gatten mit großer Liebe hange und opferfreudig das Exil mit ihm theile. Sieben allerliebste Prinzessinnen sind dieser glücklichen Ehe bereits entsprungen und wachsen in der idyllischen Einsamkeit dieser Taubereinöde auf, ihrem, wie die Eltern der Sage nach hoffen, künftigen glänzenden Loose entgegen. Der Herzog soll die jugendliche Gattin und die blühende Kinderschaar mit der größten Zärtlichkeit lieben, in seiner ältesten Tochter die dereinstige legitime Königin von Portugal, in den anderen die Gemahlinnen europäischer Fürsten sehen. Fließt doch in ihren Adern reinstes Fürstenblut, und ist er doch überzeugt, daß der Absolutismus und die katholische Kirche wieder in schönsten Flor kommen werden. Der Mann lebt in einer merkwürdigen Selbsttäuschung, aber wie er nun einmal ist in seiner Totalität, ist er eine interessante poetische Erscheinung.

Die Geschichte hat über Dom Maria Evarist Miguel, Herzog von Braganza, zu Gericht gesessen und ihr strenges, jedenfalls gerechtes Urtheil über ihn gesprochen; später wird auch die Poesie ihre mildere Stimme über ihn abgeben, und vielleicht tragen dann diese Spalten der Gartenlaube dazu bei, daß ihr Urtheil freundlicher und versöhnender werde.