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Der Sicherheitsausschuß in Californien

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Titel: Der Sicherheitsausschuß in Californien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 559-562
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Sicherheitsausschuß in Californien.

Eine der merkwürdigsten Revolutionen, die jemals geschehen sind, hat so eben siegreich ihren Lauf vollendet. Sie war ein höchst gefährliches Experiment, ein furchtbares Beispiel in einem civilisirten Lande, in welchem allein das Gesetz herrschen soll, aber nach den vorliegenden Beweisen eine Nothwendigkeit, eine Anwendung des ersten Naturgesetzes, der Selbsterhaltung. Es war ein Fall, den Schiller im „Tell“ schildert:

„Der alte Urständ der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht.“

Das Volk von Californien nämlich, und namentlich der Hauptstadt San Francisco, entzog die Gewalt den Behörden, die sie mißbrauchten, trat zusammen um sich selbst zu schützen und nahm die Vollziehung der Gesetze in die eigne Hand. So war die Revolution in San Francisco nicht Pöbelherrschaft und Anarchie, sondern der energische Versuch der Besten im Volke gegen die Gesetzlosigkeiten der bestehenden Gewalten, eine Anwendung des Lynchgesetzes im Großen gegen die Verbrecher und die mit denselben verbündeten Behörden, ein Auftreten von „Regulatoren“ in Masse, wie man es so oft in verschiedenen neu sich bildenden Staaten in Amerika, auch in Californien schon einmal gesehen hat, als bald nach Entdeckung des Goldes daselbst der Auswurf aller Länder dahin strömte.

In den letzten fünf oder sechs Jahren hatten sich in dem Goldlande, besonders in San Francisco, wiederum eine Menge Gesindel, Diebe, Mörder, Spieler oder desperater Menschen gesammelt. Während die Ehrlichen dem Gewinne eifrig nachgingen und sich in schimpflicher Gleichgültigkeit weder um die staatlichen noch um die städtischen Angelegenheiten kümmerten, waren die Schurken um so rühriger, bis es ihnen gelang, sich selbst und ihre Helfershelfer in die einflußreichsten Aemter, ja selbst in Richterstellen zu bringen. Daß von Recht und Gerechtigkeit da nicht die Rede sein konnte, wird wohl Jeder glauben. Mordthaten geschahen öffentlich mit der größten Frechheit und die Mörder fanden – Schutz bei den Richtern, ihren Genossen. Es lag eine drückende Schwüle über San Francisco, denn Niemand war, bei der in Wirklichkeit bestehenden Spitzbuben- und Mörderherrschaft seines Lebens und Eigenthums sicher. Am muthigsten und entschiedensten gegen solche Zustände sprach sich James King aus, der in San Francisco eine Zeitung herausgab, ein Ehrenmann im weitesten Sinne des Wortes und deshalb bei allen Ehrenhaften hochangesehen. Auch gegen einen gewissen Casey, der in New-York wegen Verbrechen bestraft, in San Francisco aber durch seine Genossen in ein Amt gebracht worden war, äußerte er sich entschieden, und Casey schoß ihn bei hellem Tage mit der größten Kaltblütigkeit auf der Straße nieder.

Diese Blutthat zerriß endlich die Geduld des Volkes. Casey hatte sich dem Gericht, seinen Freunden, übergeben, die ihn zu seiner – Sicherheit in das Gefängniß brachten. Das Volk aber wußte, daß ihm kein Haar gekrümmt werden würde, es stand deshalb auf wie ein Mann. So könne und dürfe es nicht langer gehen, hieß es allgemein. Es traten mehrere angesehene Männer, – darunter viel deutsche – zusammen, um die Leitung des Aufstandes gegen die Behörden zu übernehmen, eine Art provisorische Regierung, genannt der Sicherheitsausschuß. Alle ihnen Gleichgesinnten griffen zu den Waffen und stellten sich dem Ausschuß zur Verfügung. Als Alles bereit, als King so feierlich wie noch Niemand in San Francisco begraben war, zogen ein paar Tausend Bewaffnete vor das Gefängniß, um Casey und einen andern Mörder mit Gewalt hervorzuholen und vor den Sicherheitsausschuß zu führen, der in einem großen Gebäude permanent versammelt blieb.

Zuerst erschienen zweitausend Mann, sämmtlich mit Büchsen bewaffnet. Ihnen folgten fünfhundert Andere, deren Jeder einen Revolver in der Hand hielt. Tausende von Neugierigen füllten den Platz vor dem Gefängnißgebäude und die anstoßenden Straßen; aber sie verhielten sich ruhig, denn sie wußten, es solle eine große That der Volksjustiz erfolgen. Man hörte nichts als den Tactschritt der Bewaffneten „und nie hat San Francisco einen feierlichern Aufzug gesehen.“ Gegen das Thor des Gefängnisses wurde eine Kanone gerichtet, um dasselbe einzuschießen, wenn man sich weigerte es zu öffnen. Man weigerte sich indeß nicht; die Abgeordneten des Ausschusses konnten ungehindert hindurchschreiten und nach wenigen Augenblicken kamen sie mit Casey zurück, der todtenbleich war, denn er ahnte sein Schicksal. Man setzte ihn in einen Wagen, den Bewaffnete zu Pferd begleiteten, und brachte ihn vor den Sicherheitsausschuß. Nach einer Stunde holte man aus dem Gefängnisse eben so vorsichtig einen andern Mörder, Cora, ab.

Dreihundert Bürger, die sich alle drei Stunden ablösten, hatten die Wache an dem Gebäude, in welchem der Sicherheitsausschuß seine Sitzungen hielt, und zwei Kanonen waren so aufgestellt, daß sie die nächsten Straßen bestreichen konnten. Ein Sherif, der im Namen der Gerichtsbehörde die Wiederauslieferung der beiden Gefangenen verlangen sollte, konnte nicht einmal zu dem Ausschuß gelangen. Die Stadt erwartete den Spruch in äußerster Spannung, aber das Exempel sollte in besonders feierlicher Weise statuirt werden: am Tage des Begräbnisses des Gemordeten, nachdem der Sicherheitsausschuß beide Mörder verhört, wurden sie, eine Stunde nach der feierlichen Beisetzung des Erschossenen, vor den Fenstern des Sitzungslokales aufgehangen.

[560] Das war der Anfang der Thätigkeit des Ausschusses, die seitdem ununterbrochen fortgedauert hat zur Reinigung des Landes. Er ließ viele Verbrecher verhaften und fortbringen nach Australien, nach den Sandwichinseln; andere erhielten die Weisung sich selbst zu entfernen, wenn sie nicht mit Gewalt fortgebracht sein wollten. Ein Mitglied des höchsten Gerichtshofes, Terry, stach Einen von dem Sicherheitsausschusse, als derselbe einen Schurken, den Freund des Richters, verhaften wollte, nieder. Dann verbarricadirte er sich mit mehreren Anhängern in einem öffentlichen Gebäude und man mußte Gewalt anwenden, um ihn zur Haft zu bringen.

King’s Ermordung.

Der Gouverneur des Staates sah das Gebahren des Ausschusses als Revolution an, erklärte die Mitglieder desselben für Rebellen und forderte das Volk auf, sich zu bewaffnen und sich ihm zur Verfügung zu stellen, damit er „die Herrschaft des Gesetzes“ wieder herstelle. Nur wenige Hunderte entsprachen seiner Aufforderung. Auch der Commandeur des im Hafen von Francisco liegenden amerikanischen Geschwaders weigerte sich, ihn zu unterstützen. Die Streitkräfte des Ausschusses wuchsen dagegen von Tage zu Tage, so, daß derselbe endlich über 6000 Bewaffnete mit dreißig Kanonen zu verfügen hatte.

Den klarsten Einblick in die Verhältnisse gibt die Ansprache des Ausschusses „an das Volk“, aus der wir das Wesentlichste nach der deutschen Ausgabe mittheilen, da, so viel uns bekannt, das Aktenstück in Deutschland noch nicht gedruckt worden ist:

„Das Volk ist im Vertrauen auf sein angeerbtes Recht und seine Macht aufgestanden. Seit Jahren hat dasselbe geduldig geharrt und sich bestrebt, auf einem friedlichen Wege und im Einklänge mit den Formen des Gesetzes die Bosheit, welche unsere Stadt zu einem Spotte gemacht hatte, abzuwenden. Betrügerei und Gewalt haben jede Anstrengung vergeblich gemacht, und die Gesetze, zu denen das Volk um Schutz aufblickte, waren in der Anwendung null und nichtig, so daß sie den Bösen ein Schild waren, und als ein gewaltiges Werkzeug gebraucht wurden, um Tyrannei und Mißgeschick über uns zu bringen.

„Organisirte Banden gesetzloser Menschen aller politischen Parteien oder solcher, welche ein eigenes Glaubensbekenntniß corrupter und verkäuflicher Motive halber ausstellten, haben unter sich die Aemter vertheilt und an den Höchstbietenden verkauft, auch sich mit geeigneten Werkzeugen, Inspektoren und Richtern, die ihrem Wink folgten, umgeben.

„Sie haben Raufbolde und Wegelagerer in Gold genommen, die Wahllisten durch Gewalt zu zerstören, und friedliche Bürger abzuhalten, in einer gesetzlichen Weise der Anzahl der abgegebenen Stimmen bei unseren Wahlen sich zu versichern. Sie haben sich betrügerisch eingerichteter Stimmkasten, mit falschen Seiten und Boden, so beschaffen, daß dadurch gefälschte Stimmzettel, welche vorher darin versteckt waren, mit den rechten Stimmen gemischt werden konnten, bedient. Fälscher von anderen Städten und Ländern und unbestrafte Verbrecher, ebenso schlimm als diese, haben die öffentlichen Gelder und das Staatseigenthum controlirt, und erbeuteten so in Schnelligkeit Schätze, ohne je mit Hand oder Kopf eine ehrliche Tagesarbeit verrichtet zu haben. Dadurch ist das schöne Erbe unserer Stadt verschwendet worden, unsere Straßen und Werfte sind Ruinen, und eine ungeheure Schuldenlast wird die nachkommende Generation mit Kummer und Armuth beladen. Das Institut der Jury ist zu einem Spiele geworden und die Aussprüche derselben zu einem Schilde für Hunderte von Mördern, deren blutige Hände diese Tyrannei zusammengefügt, und die mit dem Bowiemesser und der Pistole nicht nur die freie Stimme einer indignirten Presse sondern auch den entrüsteten Aufschrei der niedergetretenen Bürger zum Schweigen gebracht haben.

„Verkörpert in den Principien republikanischer Regierungen sind die Wahrheiten, daß die Majorität regieren soll, und wenn

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Casey’s Abführung aus dem Gefängniß.

[562] bestechliche Beamte, die durch Betrug die Zügel der Autorität an sich reißen, absichtlich die Ausführung der Gesetze verhindern und die Strafe von den notorischen Schuldigen abwenden, fällt die Gewalt, welche sie usurpirt, an das Volk zurück, dem sie entwunden. Diese Wahrheiten begreifend, und überzeugt, daß derselbe den Willen der großen Majorität der Bürger dieses Landes ausführt, hat der Sicherheits-Ausschuß unter dem feierlichen Ausdruck der Verantwortlichkeit, welche auf ihm ruht, gewissenhaft und ohne Vorurtheile die Beweise abgewogen, und darnach den Tod Einiger und die Verbannung Anderer dekretirt, welche durch ihre Verbrechen und ihre Schandthaten unser Land mit Schande bedeckt haben. Für die, welche verbannt worden sind, wurde diese milde Strafe gewählt, nicht weil dieselben den Tod nicht verdient hätten, sondern damit jeder Irrthum, wenn je welcher vorhanden, mit Sicherheit auf Seiten der Gnade für die Verbrecher sein möchte. Es sind andere, kaum weniger Schuldige vorhanden, gegen welche dieselbe Strafe dekretirt worden ist, aber es ist denselben weitere Zeit gestellt worden, um ihre endliche Abreise zu ordnen, wobei die Hoffnung nicht täusche, daß die Erlaubniß, freiwillig sich zu entfernen, bei ihnen Reue veranlasse, und des reuigen Bekenntnisses halber ist ihnen gestattet worden, in einer gegebenen Zeit die Art und Weise und die Zeit ihrer Abreise selbst zu bestimmen.

„Wir haben keine Freunde zu belohnen, keine Feinde zu bestrafen, keine Privatabsichten zu vollführen, unser einziges Ziel ist das öffentliche Wohl, die Reinigung unserer Gemeinde von diesen Charakterlosen, deren Handlungen fortwährend Böses gestiftet haben, und die uns endlich zu den Anstrengungen, die wir jetzt machen, gezwungen haben.

„Der Ausschuß glaubt, daß das Volk ihn betraut hat, nach einem gerechten Verfahren die Räuber und Meuchelmörder aus der Gemeinde auszutreiben, welche so lange dem Frieden und der guten Ordnung der Gesellschaft Hohn gesprochen, welche die Stimmkasten verletzt, das Gesetz niedergetreten, und Gerechtigkeit unmöglich gemacht haben.

„Ueber diese Pflichten hinaus wünschen wir nicht mit den Einzelnheiten der Verwaltung der Regierung in Berührung zu kommen. Wir haben keine Anstrengung gescheut, und werden keine Anstrengung unversucht lassen, Blutvergießen oder den Bürgerkrieg zu vermeiden; aber unerschreckt durch feindliche Drohungen, werden wir fortfahren, friedlich – wenn wir können, mit Gewalt – wenn wir müssen, dieses Werk der Reform, für welches wir unser Leben, unser Gut und Blut mit unserer heiligen Ehre verpfändet haben, fortzusetzen.

„Unsere Arbeit ist hart gewesen, unsere Ueberlegung war bedächtig, unsere Beschlüsse fest und unsere Motive rein, und während wir die Nothwendigkeit, welche uns zum Handeln rief, bedauern, wünschen wir, daß diese Nothwendigkeit nicht länger fortexistiren möge; wenn unsere Arbeit gethan sein wird, wenn die Gemeinde von den Uebeln befreit sein wird, die sie so lange ertragen, wenn wir für unsere Bürger hinreichenden Schutz für ihre Rechte erlangt haben werden, – dann wird der Ausschuß, mit einem Gefühle großer Genugthuung, seine Gewalt in die Hände des Volkes, von dem er sie erhalten, wieder niederlegen.“ –

Das hat er nach den neuesten Nachrichten auch gethan und so den Bürgerkrieg abgewendet, der drohte, da der Präsident der Vr. Staaten die Macht derselben aufbieten wollte, den Ausschuß zu unterdrücken. Er würde aber auch den Kampf und somit den Bürgerkrieg nicht gescheut haben, wenn nicht seine Aufgabe eben gelöset und das Land von den Verbrechern gesäubert wäre.

Freiwillig, durch keine Gewalt gezwungen, ist er abgetreten und zwar mit den höchsten Ehren. Seine Anhänger, in letzter Zeit beinahe 10,000 Mann an der Zahl, mit vielen Geschützen, ein großer Theil beritten und zum Kavalleriedienst equipirt, zogen in Reih und Glied, mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel durch die Straßen, und gaben so dem Ausschuß ein bezeichnendes Geleit bei der Rückkehr in’s Privatleben. Nach den neuesten Nachrichten aber wurde gleich darauf der Präsident des Ausschusses, William Coleman, wegen Hochverraths verhaftet. Mutmaßlich wird diese Verhaftung neue Verwickelungen herbeiführen und dürfen wir also in nächster Zeit interessanten Nachrichten von dort entgegensehen.