Der Spatz als Höhlenfertiger

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Der Spatz als Höhlenfertiger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 480
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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[480] Der Spatz als Höhlenfertiger. Als ich unlängst in der Kölnischen Zeitung Karl Vogt’s Referat über die Charakteristik des Spatzes von einem Franzosen las, worin unter Anderem die ergötzliche Anekdote erzählt wird, wie die Spatzen auf der Mauer eines Casernenhofes gleich den exercirenden Soldaten sich in Reih’ und Glied setzen und auf den Befehl des Commandirenden: „Aus einander, marsch!“ sich mit jenen auflösen und nach verschiedenen Richtungen davoneilen, da gedachte ich so mancher von mir wahrgenommenen Züge aus dem Leben dieses Vogels mit mehr als zwei Naturen, die theils belustigen, theils erzürnen und empören, theils aber auch rühren und versöhnen. Ich könnte ihn schildern als den Phlegmatiker, während er andererseits wieder einem Choleriker oder Sanguiniker wie aus dem Gesichte geschnitten erscheint. Ich könnte ihn als Egoisten, als verschmitzten, schlauen Dieb, als grausamen Usurpator, als den Mann mit bösem Gewissen und harmloser Miene kennzeichnen; aber ich habe ihn auch als Freund der Geselligkeit, als Gehülfen seiner Standesgenossen, als treuen Pfleger und Lenker seiner Kinder, als gemüthlichen Hausgenossen der Menschen und als eine der liebenswürdigen Seelen kennen gelernt, die im Elend ausharren und beim ersten Sonnenblick des Lebens in kindlicher Freude das Leid und sich selbst vergessen. Der Spatz paßt so zu sagen auf alle Sättel, wie denn auch sein Wahlspruch das „„Ubi bene, ibi patria“ ist. Vielleicht werde ich jedem Fachkundigen ein mitleidiges Lächeln und Achselzucken abnöthigen, wenn ich den Spatz als „Höhlenfertiger“ bezeichne, und doch mag folgendes Erlebniß beweisen, daß der Vielseitige auch in der Reihe dieser Künstler seinem Namen Ehre machen würde.

Ein langjähriger Freund unseres Hauses liegt eines Morgens wach im Bett. Plötzlich klopft es an, und empor fährt er wie „Lenore um’s Morgenroth“ mit einem herrischen „Herein!“ Doch Niemand tritt ein. Da klopft es zum zweiten und dritten Mal in rascher Folge und das gespannte Ohr des Lauschenden entdeckt die Stelle, woher das Pochen dringt, an der Tapetenwand, welche den Winkel des Hauses von außen begrenzt. In diesem Augenblick reißt die Tapete und – herein zwängt sich der Kopf eines alten Spatzenmännchens, befremdet sich umsehend und den erstaunten Herrn im Bette mißtrauisch musternd. Ein wetternder Ausruf und ein rascher Griff von Seiten des Letzteren überzeugen den ernüchterten Eindringling, daß hier seines Bleibens nicht ist, und rasch zieht er seinen Kopf zurück; aber die Federn am Hals sträuben sich zur Halskrause, und es kostet ihn einige Mühe zu entfliehen, bis endlich der Rand der zerrissenen Tapete nach außen nachgiebt. Eine genaue Untersuchung der Stelle und ein später stattfindender Augenschein mit Hinzuziehung meiner Person liefern folgendes Ergebniß. Der Spatz hat nach und nach die Lehmwand des Hauses an der erwähnten Stelle losgehackt und einen Höhlengang von nahezu einem halben Fuß im Durchmesser gemeißelt. Die Bewohner des Hauses werden als Zeugen vernommen, die denn erklären, daß sie schon seit Jahren das Klopfen an verschiedenen Stellen der Wand wahrgenommen hätten, vermuthend, es wären Holzwürmer. Ein Urtheilsspruch erkennt den Spatz des Einbruchs schuldig, doch mildert der Umstand die Schärfe des Erkenntnisses, daß es kein Einbruch zur Nachtzeit gewesen und der Schlaf des friedliebenden Herrn nicht gestört worden ist.