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Der Spielberg bei Brünn

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCL. Die Quellen des Jummna im Himalajah Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band (1839) von Joseph Meyer
CCLI. Der Spielberg bei Brünn
CCLII. und CCLIII. Der Trollhätta- und Göta-Canal
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DIE VESTE SPIELBERG
(Mähren)

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CCLI. Der Spielberg bei Brünn.




Europa schreitet rasch, schreitet unaufhaltsam auf der Bahn der Vervollkommnung fort. Kaum vermag der Gedanke dem Strome zu folgen in seinem gewaltigen Laufe. Das Daseyn von Zuständen, Erfindungen, Methoden, Systemen, ist ein Leben von heute auf morgen. Beinahe jeder Tag erzeugt die Keime von Revolutionen im Wissen und Können, in Begriffen und Zuständen, und deren Entwickelung ist so rasch, daß sie schon einige Jahre nachher der Geschichte anheim fallen, um andern, noch mächtigern Veränderungskeimen Platz zu machen.

[45] Die Gefahr dieser Periode des allgemeinen Gährens und Brausens – des allseitigen Drängens zum Umformen und Neugestalten ist allen Regierungen Europa’s bekannt und wird von vielen überschätzt. Es ist eine gemeinsame Gefahr; daher haben sie sich auch eine gemeinschaftliche Aufgabe gestellt: die Pazifikation des Welttheils. Dieser Vorsatz, an sich sehr lobenswerth, (denn was kann erwünschter seyn, als die Erhaltung des Friedens?) begegnet in der Ausführung jedoch großer Schwierigkeit.

Noch gährt und braust es in vieien Ländern, und die Elemente der Zwietracht zwischen Gewaltigen und Gehorchenden sind noch nicht überall ausgetilgt. Auch die dazu dienenden Maßregeln diktirt nicht überall die Weisheit. Ich will nicht von Deutschland reden. Seinen Grenzen aber ganz nahe sehen wir in Nordost unbarmherzig die Vollstreckung eines Plans verfolgen, dessen Beweggründe von dem traurigsten Irrthum eingegeben zu seyn scheinen. Wie auch das furchtbare Experiment endigen mag, jener mächtige Staat, der es versucht, wird doch immer nur sich einen Todfeind im eigenen Hause gemacht haben, den keine späteren Wohlthaten versöhnen können, und der ewig nur auf die Gelegenheit lauert, zu vergelten, was an ihm verübt wird. –

An den entgegengesetzten Marken wohnt eine Nation, als Volk vielleicht nicht weniger unzufrieden, als jenes. Man gedenkt seiner freilich lange schon nicht mehr als Volk, und ist gewohnt, den Namen weniger mit Theilnahme, als mit Verachtung zu nennen. Und doch zählt dies Volk zwanzig Millionen!

Große Erinnerungen leben in ihm und stacheln es auf – und viele Herzen schlagen dort für eine Aenderung der Dinge. Die vielen Versuche in den letzten zwei Dezennien geben davon die Beweise. Sie sind unterdrückt; doch des Italieners lebhafte Phantasie malt gern die Hoffnungen, deren Verwirklichung die Gegenwart versagt, an den Vorhang der Zukunft, und denkt sich seine Traumbilder nur zu gern als Wirklichkeit, die ihn um so mächtiger verlockt, je mehr er seine Existenz im Contrast mit derselben fühlt. Auf dem fruchtbarsten Boden und unter dem mildesten Himmel sieht er sich arm, unter allen Erzeugnissen der Natur ohne reiche Industrie, mit allen Uebertragungen eines glänzenden Geschicks ohne politische Bedeutung. Diese gefährlichen Elemente sind in allen italienischen Staaten die nämlichen; aber im deutschen Italien, dem Oesterreichs Scepter gehorchenden Lombardisch-Venetianischen Königreiche, tritt noch hinzu die Gegenwart einer fremden Regierung und fremder Waffen. –

Wenn es dennoch dem österreichischen Gouvernement gelungen ist, die Ruhe in seinen italienischen Staaten, und nach so heftigen Erschütterungen, binnen einer kurzen Reihe von Jahren wieder in dem Maaße herzustellen und zu befestigen, daß es die Kerker öffnen und die Häupter der revolutionairen Bestrebungen in die Arme ihrer Familien zurückführen, die Verbannten und Flüchtlinge in die Heimath zurückrufen konnte, wie dieses durch den großen Akt einer vollständigen Amnestie vor Kurzem geschah, – so gab es der Welt damit das merkwürdigste und ehrendste Zeugniß von seiner staatlichen Verwaltung und seiner Staatsweisheit. – In Spielbergs dunkeln Kerkergewölben modern jetzt keine Unglückliche mehr, welche den Irrthum und die Liebe für Vaterland und Freiheit gleich Mördern büßten; sie sind nur noch die Wohnung des gemeinen Verbrechens. –

[46] Die Veste Spielberg liegt dicht an den Mauern von Brünn, auf einem Berge, der sich von der Stadt gegen Abend erhebt. Die Gegend weit umher prangt im schönsten landschaftlichen Schmuck. Ehemals war das Schloß die Residenz der mährischen Fürsten; jetzt ist’s das berüchtigtste Zuchthaus der österreichischen Monarchie. Gegen 300 Gefangene, meistens unverbesserliche Räuber und Mörder, sitzen gefesselt in seinen Gewölben, größtentheils zu harter und härtester Kerkerstrafe auf’s ganze Leben verdammt.

Die Kerker sind Zellen, entweder gesprengt in den lebendigen Fels, oder eingebaut in die ehemaligen Kasematten. Die meisten der Verurtheilten, die den Schloßberg hinan steigen, erblicken auf diesem Wege Gottes Himmel und seine schöne Erde zum Letztenmale. Die nächste Stunde findet sie lebendig – im Grabe.

Werfen wir einen Blick in eines jener tiefsten Gewölbe, wo der zu härtestem Gefängniß Verurtheilte haust! Unser Begleiter ist der Kerkermeister, ein alter, auf Schlachtfeldern gefühllos gewordener Krieger. Versehen mit einem rostigen Bund Schlüssel, führt er uns durch enge, finstere Gänge und auf schmalen, zwischen triefendem Gemäuer hinabführenden Wendeltreppen zu einer Art Vorhalle. Kleine, niedrige Thüren stoßen auf dieselbe und jede ist verwahrt mit drei starken, von Rost überzogenen Schlössern und Riegeln. Mühsam und rasselnd öffnet er eine solche Pforte, während innen dumpfes Kettengeklirr tönt. Wir treten ein. Ewige Finsterniß scheint in dieser schrecklichen Höhle zu wohnen, aus welcher Gestank und Modergeruch uns entgegen dringen; und erst nach einigen Sekunden werden wir den rothen Schein einer Lampe gewahr, die oben an der Decke hängt und ein schauerliches Zwielicht auf die Gegenstände wirft. Auf einer von Würmern zernagten, aus dicken Bohlen roh zusammen gefügten Bank, dem ganzen Mobilar, sitzt eine hagere, hohläugige Figur, angethan mit einem groben Kittel; neben ihr, auf der Bank, steht ein Krug mit Wasser. Um den Leib trägt sie einen eisernen, zusammen geschmiedeten Gurt, an welchem das eine Ende einer 9 Fuß langen Kette befestigt ist, dessen anderes mit einem in die Mauer eingegossenen starken Ringe in Verbindung steht. Die Kette ist gerade lang genug, um 3 Schritte neben der Bank hin und her zu gehen, welche dem Gefangenen Tisch, Stuhl und Lagerstätte zugleich ist. Seine Nahrung besteht in Brod und Wasser. In diesem entsetzlichen Aufenthalte sieht der Sträfling außer dem Kerkermeister, der täglich zweimal kömmt und geht, keinen Menschen, wenn nicht zuweilen ein visitirender Commissair, oder der Arzt, oder ein zum Besichtigen der Gefängnisse zugelassener Fremder in seine Zelle tritt, was oft im ganzen Jahre nicht geschieht. Der Kerkermeister hat nicht das Recht, die Lage der Gefangenen erträglicher zu machen; aber er hat die Macht, den geringsten Fehler gegen die Zuchtordnung, die kleinste Unfolgsamkeit strenge zu bestrafen. Der Gebrauch dieser Gewalt läßt sich denken. Viele der Verbrecher sterben in den ersten 10 Jahren ihres hiesigen Aufenthalts. Doch hat man auch Beispiele von starken Naturen, die vierzig Jahre ausgedauert haben.

Hören wir die Geschichte dieser Gefangenen, dann erstaunen wir über die Masse des hier eingeschlossenen Talents, und es drängt sich unwillkührlich die Frage auf, woher der entsetzliche Mißbrauch glänzender Fähigkeiten komme, welcher eine solche Menge von der Natur reich ausgestatteter Menschen in diese Räume geführt hat.

[47] Es ist gewiß in neun Fällen unter zehn der Mangel an Erziehung, was den übeln Gebrauch menschlicher Fähigkeiten veranlaßt und den Verbrecher macht. – Was soll Erziehung seyn? Doch wohl nichts anderes, als die Potenzirung des Gewissens zur höchsten Macht und die rechte Uebung der speziellen Talente eines Jeden. Was ist aber noch gegenwärtig die gewöhnliche Erziehung? Ich will nicht von der Lehre der Aeltern durch That und Beispiel reden. Man trete nur in eine Schule. Trauriges Beispiel! Statt die Intelligenz zu entwickeln, statt mit diesen jungen, kaum entwickelten Gehirnen Experimente anzustellen, um zu wissen, wozu sie am besten geeignet sind, erstickt man die Keime; statt sie zu pflegen, werden sie zertreten; statt zu leiten, herrscht man; statt zu biegen, werden sie gebrochen. Da wird die lebenvolle Jugend der mörderischen Methode, den Foltern der Grammatik, unverständlichen Doctrinen in der unverständlichsten Form geopfert. In den Augen des Kindes erscheint der Schulmeister wie ein unerbittlicher Despot, der ohne Appell richtet, und nach seinen Launen und Eingebungen straft. Ist das Kind zu diesem Begriffe gelangt, dann lernt es nicht mehr, um zu lernen; es lernt nicht, um besser, um gescheuter zu werden; sondern nur, um der Strafe zu entgehen. Es macht seine Aufgabe, es wiederholt, es lernt auswendig, es antwortet, es hört auf, – Alles, weil es muß, und nur so viel, als es eben muß. Seine Beweggründe sind Gewalt, Furcht, Zwang; allenfalls auch eine Portion Eitelkeit und Eigenliebe: nie aber Verlangen, recht zu thun, nie der Wunsch nach geistiger und moralischer Vervollkommnung. Man höre nur, wie das Kind die von ihm geforderte Antwort ertheilt: es gibt sie mit klagender Stimme, mit dumpfem, einförmigem Ton. Maschinenwerk scheint Alles, das der Schulstock bewegt. Nirgends ist des Schülers Wille dabei sichtbar; so wenig, wie bei dem Rade der Druckmaschine, welche dieses Blatt hervorbringt. Sklavenfurcht, Langeweile, Theilnahmlosigkeit, das sind die Genien unserer Schulhäuser.

Die Tyrannei der Schule endigt und der Jüngling tritt heraus in die Welt. Die Geißel, welche den Knaben peinigte, ist fort, aber jetzt ergreift ihn der Arm der Gesetze. Eine zweite Erziehung, ein zweites Studium soll beginnen. Was wird er erforschen? Die Kunst, stets recht und edel zu handeln? Behüte Gott! Er fragt nur: wie weit geht meine Straflosigkeit? Wo findet sie ihre Gränzen? und darnach modelt er sein Handeln.

Man folge dem talentvollen jungen Menschen, der weder durch Lehre in der Schule, noch durch Beispiel im Elternhause, zu einer Ahnung von sittlicher Würde gelangen konnte, auf dieser Laufbahn, auf welcher jeder Schritt für ihn eine neue, gefährliche Erfahrung ist. Ueberall trifft er auf Ungerechtigkeit, überall stößt er sich an kreuzende Interessen, überall findet er Fesseln bereit, die ihn am nützlichen Gebrauch seiner Kräfte und Anlagen hindern. Unter Form und Namen von Jurisprudenz und Gerechtigkeit, sieht er die Mehrzahl seiner Mitmenschen von zahllosen Uebeln befallen, gegen die sich nur der Reiche, der Mächtige einigermaßen zu schützen versteht. Bei der ängstlichsten Bevormundung aller Thätigkeiten wird ihm doch nicht das rechte Sicherheitsgefühl; immer muß er darauf gefaßt seyn, daß ihn einige Gewaltthätigkeiten des natürlichen, des wilden Zustandes noch zu erreichen vermögen. Neben einer Civilisation, die ihm dient, sieht er eine gesellschaftliche Organisation, die ihn erdrückt und zermalmt, [48] oder auch unterstützt, je nachdem der Zufall es bestimmt. Erfahrung auf Erfahrung sammelnd, wird er jeden Tag mißmuthiger und mißtrauischer, und immer unzufriedener wendet er die Blätter des so schwer zu lesenden Buches „Welt“ um. Zufällige Verhältnisse bilden indeß seinen Beruf. Nicht Neigung, nicht Fähigkeit haben dabei eine Stimme. Den die Natur zum Künstler schuf, der wird ein Bauer, weil sein Vater ein Bauer ist; der zum Minister Geborne dient als Kanzlist dem Tropf, der im Kollegium vorsitzt, und es niemals hatte weiter bringen dürfen, als zum Kopisten. Kein Mensch hat sich jemals darum bekümmert, zu erforschen, wozu er tauglich gewesen; er selbst kam nie darüber zur Klarheit, er schleppt nur das unbehagliche, beunruhigende Gefühl mit sich, daß er auf verkehrtem Wege geht, und sich an ein Geschick, an einen Beruf gebunden hat, in welchem er die Talente, deren Keime er in sich trägt, nie zur Förderung seines irdischen Wohlseyns entwickeln kann. Gezwängt in eine Lage, welche jeder Neigung widerstrebt, brütet er hin in Mißmuth und trägt entweder sein Unglück mit Resignation, oder – er erschöpft sich in Versuchen seine natürlichen Anlagen der zwängenden Hülle zu entreißen, unter welcher sie ersticken. Fruchtlose Versuche! Er entwirft Pläne, häuft Anschläge auf Anschläge, entwirft Stizzen auf Skizzen: – angeschmiedet an den Felsen der Verhältnisse, kann er nichts vollenden. Das Gesetz hat den Kreis seiner Wirksamkeit mit engen, bestimmten Schranken umzogen: er mag Ideen, Wünsche, Chimären, Hoffnungen hegen, aber sobald er handeln will, tritt es ihm hindernd entgegen, zeigt es dem Fortschrittsdrang schroffe Berge, öffnet es Abgründe unter seinen Schritten. Da mag er wohl um sich schauen und Auswege suchen. Gibt es keine? fragt er sich anfangs scheu und leise. O in Menge gibt es ihrer, und es sind blumige Pfade, deren Meilenzeigerarme das gesuchte Ziel ihm als ganz nahe verkünden. Arglist und Betrug laden ihn schmeichelnd ein, jene Auswege zu wandeln. Lange, jubelnde Schaaren sieht er ziehen, Stern- und Ordensleute, Bürger- und Bauernvolk durcheinander, und er erfährt das Geheimniß, daß von Tausenden erst Einer am Galgen stirbt, der ihn verdient. Er zaudert, endlich wagt er’s, und der Verbrecher ist fertig. Vom lichten, hohen Galgen schneidet ihn dann wohl des Kaisers Gnade ab, aber nur, um ihn in Spielberg’s Kerkernacht zu stürzen. So bevölkern sich von Geschlecht zu Geschlecht diese gefürchteten Zellen.

Noch einmal! Unsere Erziehung, die alltägliche, ist die Mutter unserer Verbrechen. Weit entfernt, den Menschen vorzubereiten, mit Geschick und fester, sicherer Hand das Lebenssteuer zu führen, schickt sie ihn vielmehr auf die zerbrechliche Barke, wie einen unerfahrenen, schlaftrunkenen Matrosen. Ist’s dann ein Wunder, daß das Fahrzeug auf dem unermeßlichen Ocean treibt, an alle Klippen stoßend und ein Spiel aller Winde? Daß aber der Schiffbrüchigen nicht noch mehre sind, das ist jene Barmherzigkeit, die wachend und schirmend ihre Hand vorhält den fallenden und strauchelnden Kindern!