Der Spreetunnel zwischen Stralau und Treptow

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: W. Berdrow
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Spreetunnel zwischen Stralau und Treptow
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 333–334
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[333]
Der Spreetunnel zwischen Stralau und Treptow.
Mit Abbildungen nach photographischen Aufnahmen von L. Schuster in Berlin.

Nach dreijährigem Kampfe mit vielen Hindernissen ist der Tunnel unter der Oberspree im Osten Berlins zwischen Stralau und Treptow glücklich, ohne einen einzigen schweren Unfall, vollendet worden. Die Gründe, welche hier eine Untertunnelung der etwa 200 m breiten Spree ihrer Ueberbrückung vorziehen ließen, waren wie in London und in den amerikanischen Städten, wo bisher unterirdische Flußkreuzungen ausgeführt sind, hauptsächlich Rücksichten auf die ungestörte Schiffahrt, daneben auch wohl solche auf den unzuverlässigen, zum Tragen größerer Brückenpfeiler gänzlich ungeeigneten Baugrund. Der letzte Umstand mußte allerdings auch der Ausführung des Tunnels große Schwierigkeiten machen. Nicht nur das Spreebett, sondern auch der Boden an beiden Ufern des Flusses besteht an der betreffenden Stelle aus sehr lockerem mit Wasser vollgesogenen Schwimmsand. Außerdem kam man an einigen Stellen der Flußsohle bis auf wenige Meter nahe; infolgedessen stürzte der lockere Triebsand bei den Erdarbeiten unter Wasser in großen Mengen nach, so daß das vordere Tunnelende zu mehreren Malen gleichsam ins offene Wasser auslief und die Ersäufung des ganzen Tunnels zu befürchten war. In dem Artikel „Der neue Themsetunnel in London“ (vgl. Jahrgang 1897, S. 410) wurden die beim Bau derartiger Tunnel gebräuchlichen Hilfsmittel ausführlich beschrieben. Von der Stelle an, wo das Eindringen von Grundwasser möglich ist, werden die Tunnel als Rohre aus Eisen oder Stahl ausgebildet. Der vordere Teil derselben ist der sogenannte „Schild“. Das Rohr ist hier in einige Kammern abgeteilt, die nach hinten durch luftdicht schließende Thüren abgegrenzt sind. In diesen Kammern verrichten die Arbeiter das Ausgraben des Erdreichs. Damit sie vom Eindringen des Grundwassers gesichert bleiben, wird in die Kammern komprimierte Luft eingetrieben, die alles Wasser der Umgebung fortdrängt. Das gelockerte Erdreich räumt man durch die dem Schilde zunächst liegende Kammer bergmännisch fort. Nachdem dies geschehen ist, wird das Tunnelrohr durch hydraulische Maschinen vorwärts geschoben. Bei der Konstruktion des Schildes für den Spreetunnel mußte allerdings von den früher bekannten Systemen wegen der größeren hier vorliegenden Bodenschwierigkeiten, zum Teil auch weil ein Stück des Tunnels in der Kurve liegt, etwas abgewichen werden, doch führt es zu weit, auf diese beiläufig deutsche Erfindung des verbesserten Bohrschildes im einzelnen einzugehen.

Der westliche Eingang des Tunnels.

Die Ausführung der Arbeiten geschah nun, was den 200 m langen unter der Spree liegenden Teil des Tunnels und die zunächst angrenzenden, noch dem vollen Wasserdruck ausgesetzten Strecken der Rampe betrifft, ausschließlich durch bergmännischen Betrieb mit Hilfe des Schildes und der komprimierten Luft. Es wurde nicht nur der jeweilig in Arbeit befindliche Kopf des Tunnels mit der Arbeitskammer und dem Schilde, sondern auch ein längeres dahinter liegendes Stück der fertigen bereits mit Eisenplatten verkleideten Röhre unter starkem Luftüberdruck gehalten und von der Außenwelt durch einen eisernen Verschluß, später sogar durch eine starke, von Zeit zu Zeit weiter vorgerückte Backsteinwand luftdicht abgesperrt. Der Eintritt der Arbeiter erfolgte durch sogenannte Luftschleusen, in denen sich der Organismus bei jedem Schichtwechsel während eines Aufenthalts von einigen Minuten unter allmählicher Drucksteigerung an den Luftüberdruck der Arbeitsstelle gewöhnen mußte. Außer einem dumpfen Druck- und Wärmegefühl und einem nur anfangs verdächtigen Knacken im Trommelfell sind mit diesem Aufenthalt in der auf 11/4 Atmosphären komprimierten Luft, wie Verfasser während der Bauzeit an sich selbst erproben konnte, keinerlei Uebelstände verbunden, und in der That hat der Aufenthalt in der komprimierten Luft auch bei längerer Dauer keinerlei Krankheitserscheinungen unter den Arbeitern hervorgerufen. Die mechanischen Wirkungen des Luftüberdrucks in dieser langen, unter dem Wasser liegenden Röhre waren freilich auffallend genug. Soweit das aus einzelnen Platten zusammengeschraubte Tunnelrohr noch nicht mit Cement gedichtet oder der letztere noch nicht erhärtet war, zeigte eine lange Kette aufquellender Luftblasen an der Wasseroberfläche genau die Lage der Tunnelröhre an, und am Ende der letzteren entwichen andauernd so gewaltige Luftmengen, daß der Spiegel des Flusses sich an dieser Stelle beständig in der heftigsten Aufregung befand. Ja mehrmals brachte der Luftüberdruck von unten her die dünne, über dem Bohrschild liegende Sand- und Schlammschicht vollständig zum Bersten, so daß der Luftinhalt des Tunnels in vollen Strömen entwich, und das zerstörte Spreebett künstlich wieder zugeschüttet werden mußte.

Das Innere des Tunnels.

Auch sonst hat die Ausführung des Spreetunnels noch manche interessante Neuerungen gezeitigt. Zum erstenmal wurde hier anstatt der früher üblichen Ausmauerung der Röhre oder ihrer Herstellung aus gußeisernen Ringen ein Mantel aus verhältnismäßig dünnen Flußeisenplatten zusammengesetzt, die in den Kruppschen Werken gepreßt wurden und von denen im ganzen 6 bis 7000 Stück erforderlich gewesen sind. Je neun solcher Platten wurden zu einem kreisförmigen Ring von 65 cm Breite zusammengeschraubt, und je nach dem durch hydraulische Pressen bewirkten Vorrücken des Bohrschildes war es möglich, täglich ein bis zwei, ja zuletzt sogar drei solcher Ringe einzubauen und damit die Tunnelröhre um 1 bis 2 m zu verlängern. Am schwierigsten gestaltete sich der Bau auf der an der Stralauer Seite in der Kurve liegenden und gleichzeitig stark ansteigenden Strecke des Tunnels.

Das anfangs auch hier geplante bergmännische Verfahren durch Vortreiben des Schildes ließ man, vermutlich wegen der Schwierigkeit, den Schild durch die Kurve zu bringen, bald fallen und entschied sich für die Fortsetzung des Baues in großen, wasserleer gepumpten Baugruben. Bald aber erwies sich, daß dies auf der Treptower Seite in geringeren Tiefen gut gelungene Verfahren sich hier nicht ohne weiteres ausführen ließ, weil der Wasserandrang so ungeheuer stark war, als ob man mitten in der Spree arbeitete. Man brachte nun ein anderes, hier wohl zum erstenmal zur Ausführung gekommenes Arbeitsverfahren in Anwendung. Die künftige Baugrube [334] wurde durch tiefe, nahezu luftdicht gemachte Spundwände markiert, die obere Oeffnung durch einen Deckel, wie der Caisson eines unterseeischen Brückenpfeilers, abgeschlossen und alsdann diese Kammer ebenso wie früher der Tunnel selbst unter Luftdruck gesetzt. So gelang die Ausräumung des Bodens, die Cementierung der Grubensohle, und nun konnte man unbesorgt das Dach der Baugrube entfernen und die Tunnelröhre im Trockenen und bei Tageslicht verlegen. Mit Hilfe des Schildes wurde dann endlich die ältere Tunnelstrecke an die neue angeschlossen. Der Spreetunnel hat bei weitem nicht die Dimensionen des zuletzt gebauten Themsetunnels, da er anstatt des Fußgänger- und Straßenverkehrs nur eine eingleisige elektrische Untergrundbahn aufzunehmen haben wird. Während der englische Tunnel bei 8 m Durchmesser eine Länge von 2 km besitzt, hat der Spreetunnel einen Durchmesser von 4 m und eine Länge von etwa 500 m, wozu noch beiderseits die geneigten, den Uebergang in die volle Tunnelröhre vermittelnden Rampen kommen. Das unter der Spree liegende Stück ist 200 m lang und liegt mit der Tunnelsohle 10 bis 11 m unter dem Wasserspiegel. Die beiderseits anschließenden Endstrecken haben eine Steigung von 1 zu 20, um den Uebergang aus diesem tiefen Niveau in das der angrenzenden Straßen zu vermitteln. Unsere Abbildung zeigt das Innere des vollendeten Spreetunnels mit den seitlich liegenden elektrischen Leitungen und Entwässerungsröhren, der elektrischen Beleuchtung durch eine lange Kette von Glühlampen und der betonierten, aber noch nicht mit den Straßenbahnschienen versehenen Tunnelsohle. Die architektonische und dekorative Ausstattung der Tunnelportale zeigt unsere Abbildung des westlichen Ausganges.

Die Vollendung des Spreetunnels hat, vom Beginn der Arbeiten an gerechnet, einen mehr als dreijährigen Zeitraum in Anspruch genommen; aber dabei ist zu berücksichtigen, daß die Arbeiten mehrmals monatelange, ja halbjährige Unterbrechungen erlitten, die nicht auf technische Hindernisse, sondern auf den langsamen Fortschritt der Verhandlungen mit den in Frage kommenden Verwaltungen zurückzuführen waren. In einem Zuge durchgeführt, hätten sich die Arbeiten in etwa anderthalb bis höchstens zwei Jahren vollständig bewältigen lassen. Leider ist die sofortige Ausnutzung des Tunnels für eine elektrische Verbindung zwischen beiden Spreeufern für den Augenblick noch nicht möglich, da eine Einigung der Unternehmer mit einem Teil der Verwaltungsbehörden nicht erzielt werden konnte. W. Berdrow.