König Ludwig II und die Kunst

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Autor: Rosalie Braun-Artaria
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Titel: König Ludwig II und die Kunst
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 334–340
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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König Ludwig II und die Kunst.

Von R. Artaria.


So lange der in seinen Schlössern von der Welt abgeschiedene Bayernkönig lebte, lief nur dunkle Kunde um von deren künstlerischer Pracht und den dafür verausgabten Riesensummen. Nach seinem Tode freilich stehen die so eifersüchtig gehüteten Säle und Grotten dem allgemeinen Besuch offen; Tausende haben sie gesehen und bewundert, aber niemand wußte von ihrem Gründer mehr als die von München ausgehenden Gerüchte über seine Absonderlichkeiten und den Bericht von seinem tragischen Ende. Wie Ludwigs Schöpfungen aus seinem Charakter und Gedankengang zu erklären sind, das erfährt die Welt zum erstenmal durch das Buch von Luise v. Kobell, der hochbegabten Tochter Franz von Kobells, die als Gattin von Ludwigs II langjährigem Kabinettssekretär v. Eisenhart alles miterlebte und wußte, was der großen Welt draußen verborgen blieb. Treu und gewissenhaft, in lebhafter, sehr interessanter Darstellung giebt sie ein Charakterbild des Königs mit der Geschichte seiner Schöpfungen, fügt auch ihrer eingehenden Schilderung der Königsschlösser eine Fülle zum Teil bisher unveröffentlichter Illustrationen bei und führt so den Leser direkt in den früher unnahbaren Lebenskreis Ludwigs II ein.

Sicher war schon die Anlage des träumerischen, reizbaren, zur Ueberschwenglichkeit geneigten Knaben verhängnisvoll, aber Erziehung und Schicksal haben ihr mächtig Vorschub gethan. Königin Marie war eine gütige, aber ziemlich prosaische Mutter, ohne Verständnis für Ludwigs Besonderheiten. Sie wie König Max II sahen die strenge pedantische Erziehung der von ihnen bestellten Lehrer und den einförmigen Tageslauf der Prinzen Ludwig und Otto für das Richtige an. Auch bei den langen Aufenthalten in dem herrlichen Hohenschwangau war diesen keine größere Freiheit gewährt. So wuchs denn der Kronprinz fern von jugendlichen Körperübungen und Spielen zu einem verschlossenen, wortkargen Jüngling empor, dessen Seele ein schwärmerisches Phantasieleben führte, während sein langaufgeschossener Körper den täglich gleichen Familienspaziergang in Hohenschwangau mitmachte oder im „Schweizerhaus“ den Kaffeepartien der Königin und ihrer Hofdamen anwohnen mußte. Die Tischserviette war eigenes Erzeugnis – das Garn dazu hatte Königin Marie selbst in langen Nachmittagen mit diesen Damen gesponnen – schwerlich zu deren großem Entzücken!

Aus so enger Beschränkung wurde der Achtzehnjährige plötzlich auf den Thron gehoben. Ohne je nur eine größere Reise gemacht zu haben, ohne Menschenkenntnis und Erfahrung, ohne Verständnis der Staatsangelegenheiten, nicht einmal durch ein Universitätsstudium vorgebildet, fühlte er sich plötzlich als Inhaber der höchsten Gewalt und gedachte vor allem, in seiner Person das Herrscherideal zu verwirklichen, das er sich in seinen langen wachen Träumen ausgesonnen hatte.

Hierzu war Prachtentfaltung vor allem nötig. Er ging gleich daran, die von ihm bewohnten Zimmer der Residenz aufs reichste im französischen Barockstil einzurichten, und studierte selbst eifrig Stillehre, um seinen vielen Malern, Bildhauern, Gold- und Silberarbeitern auf die Finger sehen zu können. Alle Entwürfe mußten ihm vorgelegt werden, und häufig verfügte er Aenderungen, auch auf den Bildern der Künstler, welche die von ihm sehr bevorzugten französischen Hofscenen darzustellen hatten. Einem derselben ließ er das bestellte Bild „Lever[1] der Marie Antoinette“ zurückgeben mit der Weisung, es abzuändern: „Hofdamen fächelten sich nicht vor Marie Antoinette und hielten keinen Dialog mit Hofkavalieren, weil ihnen die Ehrfurcht geböte, stillzuschweigen und ihren Fächer gefaltet nach unten zu kehren.“ Der Maler nahm die gewünschten Aenderungen vor und stellte den König damit so zufrieden, daß dieser ihm einen herrlichen Blumenstrauß zusandte, dessen eiliger Ueberbringer freilich den Künstler mitten in der Nacht aus dem Bett klingelte. Am andern Morgen folgte noch ein kostbarer Diamantring nach.

Diese stete königliche Großartigkeit im Schenken machte bald in den bisher sehr knapp gehaltenen Hofkreisen stark von sich reden, aber es folgten nicht die erhofften prachtvollen Feste; der junge König hielt sich einsam in seinen Gemächern und in dem einzig schönen Wintergarten, dessen Palmengänge und Blumenfelder einen kleinen See umgaben, hinter welchem sich eine weite Perspektive auf den Himalaja zu öffnen schien. Ein nach allen Seiten zu schließender Pavillon nahm den König auf, wenn er manchmal eine Liederstimme in dem künstlichen Mondlicht dieses Zauberwaldes zu hören wünschte. Wenig Auserwählte nur bekamen den Wintergarten zu sehen, unter ihnen Frau von Eisenhart, die der König speziell dazu einlud, so daß sie aus eigener Anschauung sprechen kann. Andere, minder Bevorzugte und doch sehr Neugierige aus der Hofgesellschaft sollen sich als Gärtnergehilfen verkleidet den Eintritt verschafft haben!

Der Hang zur Einsamkeit und die krankhafte Scheu vor Menschenansammlungen machte sich schon in Ludwigs ersten Regierungsjahren geltend, doch erfüllte er noch die ihm obliegenden Repräsentationspflichten und schritt voll königlicher Würde hinter dem Altarsakrament der Fronleichnamsprozession, wie im Zuge der Georgiritter, deren alljährliches Ordensfest er als Großmeister abhielt. Kopf an Kopf stand dann die Menge in den Residenzhöfen und war entzückt über die herrliche schlanke Jünglingsgestalt in der hermelinverbrämten altspanischen Ordenstracht, über die ideale Schönheit des blassen Angesichts mit den großen dunklen Augen.

Bekannt ist Ludwigs Ruf an Richard Wagner, bekannt auch der mächtige Einfluß, den dieser als einziger unter allen auf ihn ausübte. In schwärmerischer Ekstase sah der junge König zu dem „Meister“ auf; als seine Mission betrachtete er es, das Festspielhaus für dessen „Nibelungen“ zu bauen. Semper erhielt den Auftrag, einen Plan zu machen, und zeichnete einen Prachtbau, der als Krönung einer neuen Straße auf der Isarhöhe sich erheben sollte. Als das Projekt bekannt wurde, erscholl ein Ruf der Entrüstung vom Schloß ab durch die ganze Stadt mit ihrer damals noch sehr spießbürgerlich denkenden Einwohnerschaft. Auch die Kassenbeamten wollten an die erforderlichen fünf Millionen nicht heran – so mußte Ludwig, wenn auch mit heißem [335] Ingrimm, auf das Projekt verzichten. Als ihm dann kurz darauf die von den Hofkreisen geschickt benutzte „öffentliche Meinung“ Wagners völlige Entfernung gebot, da faßte er die Abneigung gegen München und seine Bewohner, die ihn zeitlebens nicht mehr verlassen hat.

Seiner Verlobung mit Herzogin Sophie in Bayern im Frühjahr 1865 (der nachmaligen, im Jahre 1897 in Paris so schrecklich verunglückten Herzogin v. Alençon) folgte bald als ein in fürstlichen Kreisen unerhörtes Ereignis die Entlobung, deren Gründe bis heute unbekannt sind. Von da an nahm die Vereinsamung des Königs immer stärker zu.

Hatte er früher noch in seinem Thronzimmer, als neuer Ludwig XIV, zwischen Hermelinvorhängen sitzend, mit seinen Ministern konferiert, so bekamen ihn diese bald gar nicht mehr zu sehen, es mußte alles schriftlich ihm nachgesendet werden in die Berge, deren tiefe Einsamkeit ihn schon als Knaben in Hohenschwangau mächtig angezogen hatte. Das Reiten war dort die einzige den Prinzen gestattete Erholung, sie hatten es beide darin zur Meisterschaft gebracht, und bald sollten die weltfremden Gebirgsbewohner den Anblick des im Flug vorübersausenden jungen Königs zu ihren täglichen Erlebnissen zählen.

Auf einer 1867 inkognito unternommenen Reise nach Paris hatte er die Bauten seines Idealkönigs Ludwig XIV eingehend studiert, auch Trianon, den Lieblingsaufenthalt der Marie Antoinette, besucht und dort die bestimmte Vorstellung seiner eigenen künftigen Schöpfungen gewonnen. Im gleichen Jahre reiste er mit seinem Bruder Otto nach Eisenach und versenkte sich in die mittelalterlichen Herrlichkeiten der Wartburg, auck hier mit dem stillen Vorsatz, einst Aehnliches im eigenen Lande erstehen zu lassen. Denn ebenso vertraut als die Zeit Ludwigs XIV waren seinem Gemüt die Sagen deutscher Vergangenheit, und zwar nicht erst durch Wagners Werke. Schon während er als Knabe in Hohenschwangau weilte, haben ihm die von Schwind, Lindenschmit u. a. herstammenden Fresken der Burggemächer, die Geschichte des Schwanenritters, Bertha in der Reismühle, der Abschied Konradins u. a. tiefen Eindruck gemacht, und man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß es vor allem Wagners Stoffe waren, die ihn unwiderstehlich anzogen. Er selbst war nicht musikalisch, sein ehemaliger Klavierlehrer hatte es als Erlösung gepriesen, als die Stunden des Kronprinzen aufhörten; dennoch mag Ludwig in den Wogen der „unendlichen Melodien“, die freilich stets bei Nacht im Opernhaus für ihn allein entfesselt werden mußten, ein tiefgehendes beseligendes Mitströmen seines Innersten empfunden haben. Als das Wagnertheater 1876 in Bayreuth statt in München eröffnet wurde, wohnte der junge König dort der „Trilogie“ an und gab seinem Entzücken durch reiche Geschenke an den Meister Ausdruck. Aber nach der Aufführung setzte er sich nicht, wie andere, zum Abendessen, sondern wandelte allein im Mondschein des Parkes, inmitten dessen die von ihm bewohnte Eremitage lag.

Die Leidenschaft fürs Bauen hat Ludwig II von dem Großvater Ludwig I geerbt, sie äußerte sich sehr bald in großem Stil. Im Jahre 1869 begann er den Bau des Schlosses Linderhof in der grünen Einsamkeit des Graswangthals. Von seinem Vater her stand dort ein Jagdhaus, einfach wie alles, was König Max II gebrauchte. Die Hofbeamten erachteten es auch für den jungen König ausreichend, wenn man es blau und weiß tapezierte und ein hübsches Gärtchen anlegte. Aber sie mußten bald erfahren, daß diese Mühe umsonst war; Ludwig wollte hier, in der stillen Bergwelt, ein neues Trianon erbauen, und bald dröhnte das Thal vom Lärm der Bauleute. 1878 war das Schloß vollendet und steht heute in der hohen Bergumgebung als Beweis, wie gut die Fürsten des vorigen Jahrhunderts daran thaten, ihre Schlösser in die Ebene zu stellen, welche den Bau zur vollen Geltung kommen ließ. Dieses hier wird von dunklen Waldbergen zur Unbedeutendheit herabgedrückt.

„Linderhof“ nannten es Bauleute und Thalbewohner; der König pflegte es im engeren Kreise: „Meicost-Ettal“ zu heißen, Anagramm von „1’état c’e8s moi“, dem bekannten Ausspruch Ludwigs XIV: „Der Staat bin ich.“

Im Inneren ist dieses so wenig in die deutsche Alpenlandschaft passende „Klein-Trianon“ ein Schmuckkästchen von reizender Innendekoration in vergoldeten Rokoko-Ornamenten, Stickereien, prachtvollen Wandbekleidungen, Lüstern und Malereien. Aber überall Kultus der französischen Könige Ludwig XIV und XV in Decken- und Wandgemälden, im Treppenhaus die Reiterfigur des ersteren als römischer Imperator! Nur der Gedanke, daß man hier, wie in Herrenchiemsee, sich im Bannkreis eines bereits geistig Erkrankten befindet, kann ein Gefühl der Entrüstung niederhalten über den Kultus mit diesem Ludwig XIV im Jahr 1870, wo die andern deutschen Fürsten sich um Wilhelm I scharten, und über des Königs hartnäckiges Fernbleiben vom deutschen Hauptquartier. Seine Phantasienwelt war ihm anziehender als jedes noch so große wirkliche Ereignis; Ludwig II lag offenbar wie der Verzauberte im Märchenwald, an dessen Ohr das Geräusch der Welt nur undeutlich dringt, und es brauchte, wie alle Eingeweihte wissen, die ganze Klugheit und Charakterstärke des durch und durch deutsch gesinnten Staatsrats von Eisenhart, den weltabgewandten, nur seinen Phantasien lebenden König, dessen nationale Gesinnung doch gelegentlich lebhaft aufflammen konnte, in die Stimmung zu versetzen, aus welcher dann sein hochsinniger Entschluß, König Wilhelm die deutsche Kaiserkrone anzubieten, plötzlich geboren wurde. Dies Verdienst und der ewige Dank des deutschen Volkes dafür sind so groß, daß des Königs Fehlen bei der Kaiserproklamation in Versailles und sein gleichzeitiger Kultus der Bourbonen-Autokraten doch dagegen leicht ins Gewicht fällt.

Ganz so begeistert wie für den „großen Sonnenkönig“ war Ludwig übrigens nicht für dessen Nachfolger Ludwig XV, denn er las mit Vergnügen außer seinen Lobrednern auch Scherrs und anderer heftige Ausfälle gegen diesen innerlich verfaulten, elenden Monarchen. Aber die Dekoration seiner Zimmer machte er eifrig nach, ja sogar die Einrichtung der „versenkbaren Tische“, welche Ludwig XV aus guten Gründen bei seinen ausschweifenden Festen eingeführt hatte, „um eine unbescheidene und geschwätzige Dienerschaft zu vermeiden.“ Jeder Gast legte das Verzeichnis der von ihm gewünschten Speisen und Getränke auf das Tischchen, drückte auf eine Feder, und es verschwand, um sofort mit dem Gewünschten wieder aufzutauchen. An solchem Tischchen speiste der König recht unbequem und allein in seinem von Gold und Krystall funkelnden Speisezimmer. Auch die neugierigste Dienerschaft hätte dabei keinen Stoff für ihre Schwatzhaftigkeit gefunden, aber Ludwig wollte von ihrem Anblick befreit sein.

Der geringste seiner Unterthanen würde über ein so einsames, so ganz ohne Vergnügungen verlaufendes Leben außer sich gewesen sein. Reiten und Lesen, Erledigung der nötigen Unterschriften und Besprechungen über Staatsangelegenheiten mit seinem Kabinettschef, das waren seine Hauptthätigkeiten. Dem Spiel war er grundsätzlich und von Jugend an abgeneigt. Er mußte zwar früher den Spielpartien seiner Mutter anwohnen, hatte aber weder Sinn noch Freude dafür und rührte als König nie mehr eine Karte an. „Hierbei“, sagt Luise v. Kobell, „mag wohl der Gedanke nicht einflußlos gewesen sein, daß beim Spiel auch Könige verlieren und unterliegen können.“

Auch die Zerstreuung durch eigenes Musikmachen war ihm versagt. Ein prachtvolles vergoldetes Klavier in Linderhof hat er niemals geöffnet, es steht noch heute, ohne je einen Ton von sich gegeben zu haben. Regte sich doch einmal in dem jungen Herrscher das Bedürfnis nach lebendiger Umgebung, so ließ er seine vielen Wagen-, Reit- und Lastpferde auf einer großen Wiese sich frei umhertummeln und sah mit Vergnügen ihren Sprüngen zu.

Auf einem seiner abendlichen Spaziergänge im Graswangthal begegnete dem König ein Hüterbub, der, ohne ihn zu kennen, fragte: „Woaßt net, wieviel Uhr ’s is? I soll meine Küah heimtreiben!“

„Hast du denn keine Uhr?“

„Wie werd’ denn i a Uhr hab’n?“

Der König gab ihm lächelnd Bescheid und schickte ihm tags darauf eine silberne Uhr, die den Kleinen hoch entzückte.

Eine besondere Leidenschaft hatte Ludwig für künstlerisch geschmückte Standuhren in Bronze, Lapis Lazuli etc. und bestellte stets neue bei seinen Münchner Künstlern, die trotz aller Freude, für ihn zu arbeiten, doch das Verbot des Ausstellens und das spurlose Verschwinden ihrer Arbeit nach der Ablieferung schwer ertrugen. Es war nur Geld bei diesen Aufträgen zu erwerben, kein Ruhm, da niemand das Geschaffene sehen durfte. Sehr vieles von den Nachahmungen berühmter Vorbilder mußte auch in unedlem, sehr vergänglichem Material ausgeführt werden [338] und ist, trotz der dafür bezahlten respektablen Summen, heute wertlos.

Den Gipfel dieser traurigen Nachahmung bezeichnet die in Linderhof konstruierte „blaue Grotte“. Mit künstlichen Tropfsteinen und präparierter Leinwand wurde die Form hergestellt, Spießglanz und farbige Gläser mußten unter den Händen geschickter Theatermechaniker die Bedingungen zum Lichteffekt liefern, und dieser selbst wurde durch elektrische Bogenlampen bewerkstelligt, deren Glocken mit Blau, Rot, Grün und Gelb überzogen waren. Aber Blau war des Königs Lieblingsfarbe, es kostete den mit der Illumination betrauten Maler O. Stöger unendliche Mühe, sie ganz nach seinem Wunsch herzustellen. In dieser theatralischen Zauberwelt saß Ludwig dann nach Mitternacht auf dem „Königssitz“ unter künstlichen Rosenguirlanden, bestieg dann den goldenen Nachen und ließ sich auf dem künstlichen See herumrudern, während die Grotte abwechselnd in rotem, grünem, gelbem und rosa Licht erglühte. Die Riesenkosten, die schwere Arbeit der Ofenheizer und Elektrotechniker bekümmerten ihn nicht. „Ich will nicht wissen, wie es gemacht wird, ich will nur die Wirkung sehen,“ pflegte er zu sagen, wenn irgend eine Bemerkung sich hervorwagte. Einmal nach einer solch anstrengenden Sonntagnacht, wo Stöger, der geschickte und unermüdliche Direktor des ganzen Zaubers und der vielen dabei mitwirkenden Arbeiter, sich ein paar Ausgehestunden erlaubte, kam Ludwig II an dem Laboratorium vorüber und fragte einen Wegmacher: „Wo ist Stöger?“

„Der macht blau, Majestät.“

„Ah, das ist recht, er soll nur so fortfahren!“ erwiderte der König, ahnungslos über den wahren Sinn der Rede, nur in Gedanken an seine blaue Grotte. Später bei dem Schlafzimmer in Herrenchiemsee sollte Stöger wieder eine blaue Beleuchtung liefern. Er nahm eine blaue Glaskugel und steckte das Licht hinein. Aber am nächsten Morgen war der König höchst unzufrieden: die Flamme schimmere weiß durch das blaue Glas durch. Stöger probierte und probierte, ohne besseren Erfolg. „An der Kugel werde ich noch verzweifeln,“ stöhnte der sonst so lustige Künstler gegen die Lakaien, die ihm die allerhöchste Unzufriedenheit meldeten. Aber der König ließ ihm dagegen sagen, zu verzweifeln brauche er nicht, er werde es schon herausbringen. Nach 11/2 Jahren endlich gelang das Gewünschte und der arme Stöger war erlöst.

Man denkt bei Ludwigs ausschließlicher Neigung für blaues Licht unwillkürlich an die „blauen Zimmer“ der Irrenanstalten, die eine so merkwürdig besänftigende Wirkung auf die Kranken ausüben! Im übrigen war ihm die blaue Farbe von seiner Mutter schon im Knabenalter verliehen, alle seine Besitztümer trugen sie, während Prinz Otto rot als Abzeichen bekam.

Der Linderhof war vollendet, aber des Königs Baulust noch nicht befriedigt. Ein Zufall richtete seine Augen auf das stille Eiland Herrenwörth im Chiemsee, dessen uralter Hochwald mit der Abholzung durch eine Aktiengesellschaft bedroht war. Ludwig II kaufte die Insel ihrem Besitzer ab, weilte mehrere Male dort und faßte bald den Entschluß, durch seinen Architekten Dollmann, der auch Linderhof geschaffen hatte, hier ein großes Schloß zu bauen, ein zweites Versailles, welches ebenso der Verherrlichung des „Sonnenkönigs“ gewidmet sein sollte wie das französische Original, und er besaß einheimische Kräfte genug, um den Plan glänzend auszuführen. Auf der Münchner Ausstellung von 1876 hatte das bayrische Kunstgewerbe den großen neuen Zug nach Stilreinheit und mustergültiger Arbeit zum erstenmal in vortrefflichen Werken verkörpert. Damals herrschten die Renaissanceformen, es wurde aber den Künstlern nicht schwer, sich in den von dem König gewünschten pomphaften Barockstil einzuarbeiten und für das neue Versailles die prachtvollen vergoldeten Decken, und Wandskulpturen, Stickereien, Lüster, Möbelbezüge, Holzschnitzereien, Trophäen und Spiegel anzufertigen, deren vortreffliche Nachbildungen das Buch L. v. Kobells in reicher Fülle ihren Lesern bietet. Auch die Maler mußten die Siege Ludwigs XIV zum Gegenstand der vielen Bilder nehmen, welche die Wände der goldstrotzenden Säle und Galerien schmücken.

Es gelang ihnen nicht nur, die verschiedensten Hof- und Staatsaktionen, Friedensschlüsse und olympische Scenen im Geiste jenes Zeitalters darzustellen, sondern sich auch in die Atmosphäre des absoluten Königtums soweit einzuleben, daß z. B. einer von ihnen dem auf dem Sonnenwagen emporsteigenden Phöbus Apollo Ludwigs Züge lieh! Sechs Jahre lang betrachtete der neue Sonnenkönig die gemalte Schmeichelei mit Wohlgefallen, dann siegte aber doch die historische Passion und er befahl, daß Ludwigs XIV Gesicht dem Apollo aufgemalt werde!

Die sämtlichen großen und kleinen Säle waren nur prunkvolle Coulissen für eine Schattenwelt. Nie hat in der Salle du Conseil[2] ein Ministerrat getagt, nie die goldene Chambre de Parade[3] ein königliches „Lever“ gesehen, nie wurde in dem prunkvollen Speisesaal eine Tafel für die Hofgesellschaft gedeckt: einsam saß der König in seinem großen, bildergeschmückten Arbeitszimmer oder ging des Nachts, wenn die berühmte Spiegelgalerie im Glanz unzähliger Kerzen strahlte, darin auf und ab. Im Geiste sah er alle, die einst die große Galerie in Versailles belebt hatten, Prinzen, Feldherren und Künstler, schöne Damen, die sich tief vor den eintretenden Majestäten verneigten. „Das ist mir die liebste Gesellschaft,“ sagte er, „sie kommt und verschwindet, wann ich will!“

Auf des Königs Wunsch standen fruchtbeladene Orangenbäume in prachtvollen großen Vasen in den Fensternischen der Galerie. Als er einstmals die Hand ausstreckte, eine Orange aus dem dunklen Laub herauszupflücken, bekam er statt des Stieles einen Metalldraht zu fassen, der die Frucht an dem Ast befestigte. „Schwindel!“ rief er entrüstet und warf die Orange an die Wand. Er ahnte nicht, wie oft sein herrisches Gebot derartige Surrogate hervorrief, deren Anblick ihm die Illusion gab, das Unmögliche sei für ihn möglich gemacht! Wo es aber galt, die Konsequenz seiner nur auf Pracht ausgehenden Schöpfungen, also den völligen Mangel an Behaglichkeit zu ertragen, da zeigte er sich ganz geduldig. „Nur ungern,“ sagt Frau v. Kobell, „senkte sich der Schlaf auf seine Augen in dem mit Schmuck beladenen Bett, unsanft lag der Körper auf den zollhohen Stickereien des Kanapees; setzte sich der König an den Tisch, so kamen seine Knie in empfindliche Berührung mit den Goldornamenten, die Schreibmappe war wegen ihrer Porzellan- und Metallbelastung schwer zu benutzen, der Federhalter derart mit benvenutischen[4] Ciselierungen übersät, daß ihn die Hand nur auf kurze Zeit zu ergreifen vermochte. Aber dank seiner Liebe zur Kunst setzte sich Ludwig II über diese Mängel und Schattenseiten gern hinweg.“ Sein Schreibzeug wenigstens, ein kleines Meisterwerk von Goldbronze, durch Münchner Künstler hergestellt, machte ihm ein außerordentliches Vergnügen. Es zeigte neben reichem Figurenschmuck ein von der Krone überragtes Medaillon mit dem Brustbild Ludwigs XIV. Drückte man auf eine Rosette, so verschwand dieses und an seiner Stelle erschien das Ludwigs XV. Der König ergötzte sich an diesem Mechanismus so sehr, daß er die Bilder beständig hin und her schob. Am zweiten Tag versagte der Apparat schon und mußte sofort in Reparatur gehen!

Wie schon gesagt, war Ludwig freigebig mit Lob und Lohn, wenn seine Künstler ihn befriedigt hatten, aber er hetzte sie auch auf eine Weise, die nur mit seiner gänzlichen Unkenntnis der Arbeit und der dazu nötigen Zeit zu entschuldigen ist. „Ich wünsche sogleich“ … „Teilen Sie mir unverzüglich mit“ … „Setzen Sie sogleich alles Erforderliche ins Werk“ … „Ich wünsche bis morgen“ … sind die steten Anfänge seiner Billets, in denen er Kupferstiche aus entfernten Bibliotheken verlangt, oder den Hofphotographen nach Paris beordert, um einige Bilder in Versailles aufzunehmen, seltene Ausgaben von Büchern „unverzüglich“ haben will u. a. m. In anderthalb Tagen mußte die Einbanddecke eines großen Albums für die Kaiserin von Oesterreich mit Alpenrosen und Edelweiß gestickt werden. Als viele Hände bei Tag und Nacht dies fast Unmögliche vollendet hatten, schickte der König einen Riesenstrauß der schönsten Rosen an die kunstreiche Stickerin.

Aehnlich befahl er auch die Bilder und plastischen Arbeiten seiner Künstler (worunter die meistbeschäftigten: Spieß, Hauschild, Pixis, Schwoiser, F. Piloty, Heigel, Pechmann, Watter, Perron, Widnmann) in der kürzesten Zeit und korrigierte sehr häufig ihre Skizzen in Kostüm und Haltung, stieß aber auch dann und wann einmal auf einen ungeahnten Widerspruch. Moritz von Schwind, [339] der doch vor allem berufen war, die deutschen Sagen zu malen, bedankte sich in seiner unzweideutigen Manier dafür, „Wagnerische Opern zu illustrieren“, und Wilhelm von Kaulbach, der für den König einige Blätter gezeichnet hatte, nahm es gewaltig übel, daß auf einem derselben, welches Lohengrins Abschied vorstellte, auf Befehl des Königs der allerdings etwas unglaubwürdig geratene Schwan von einem Andern abgeändert wurde. Fortan war er zu keinem weiteren Bild für ihn zu vermögen. Auch Eduard Ille, der liebenswürdige Schilderer altdeutscher Sagen, von dessen Bildern der König entzückt war, verweigerte den neuen Auftrag, nun auch Episoden aus dem Leben Ludwigs XIV zu malen. Ehrerbietig, aber fest erklärte der patriotische Künstler, es sei ihm unmöglich, den Räuber Straßburgs und Zerstörer der Pfalz zu verewigen. Er glaubte hierdurch auf immer in Ungnade gesunken zu sein, aber einige Jahre später wurde er doch wieder berufen, bei dem Werke mitzuhelfen, welches Ludwigs II letzte Lebenszeit erfüllte und heute als sichtbarer Ausdruck seiner hochfliegenden Idealität in die Lande ragt: das Schloß Neuschwanstein.

Die alte Liebe zu dem herrlichen Waldparadies am Alp- und Schwansee führte den König, trotz Linderhof und Herrenchiemsee, oft genug in das Schloß seiner Jugend, jetzt als Herrn der sämtlichen, in der „Gotik“ der vierziger Jahre dekorierten Räume. Sie genügten ihm nicht lange, auch bestimmte er das Schloß zum Witwensitz der Königin-Mutter und sah sich nach einem Platz für seine „Schwanenburg“ um. Um jene Zeit mußte er das Reiten aufgeben und ließ sich nun die märchenhaften Prachtwagen bauen, welche, im tiefsten Geheimnis angefertigt, ihm in die Berge geschickt wurden und nun, besonders nachts im hellen Laternenglanz, durch die stillen Bergthäler flogen. Auch sie waren über und über mit Bildern aus dem Versailler Hofleben bedeckt. Der darinsitzende König trug einen breitkrempigen Hut mit blitzender Diamantagraffe, manchmal auch den großen blausamtnen Krönungsornat. Die Fahrten gingen, oft im tiefen Winterschnee, weit ins Land, bis zum Fernpaß, wo Ludwig in dem wundervoll gelegenen Wirtshaus eine verschwiegene Wohnung hatte. Keiner seiner zahlreichen Reitknechte und Lakaien wagte, von ihr zu erzählen: die Entlassung folgte einem unbedachten Wort auf dem Fuße.

In den langen, schweigsamen Stunden im Wagen oder Schlitten spann der König seine Gedanken und Projekte; die Möglichkeit weiter Reisen stieg in ihm auf, Indien, der Orient überhaupt leuchteten in seine Phantasien herein, sogar ein chinesisches Schloß wollte er gerne an dem stillen, tannendunklen Plansee bauen lassen. Und seine Umgebung sah mit Schrecken, wie er sich dem eingehenden Studium des chinesischen Hofceremoniells hingab. Dort war freilich sein Ideal des absoluten Königtums vollständig erfüllt!

Es ist ein mitleiderweckendes Bild: der kranke, nur noch in Phantasien lebende König, der dieses draußen in der Welt unerfüllbare Ideal in der Einsamkeit der schneebedeckten Hochthäler suchen muß, wo der Troß seiner Dienerschaft jedem Wink gehorcht und die seltenen Wanderer staunend am Wege stehen, wenn der aus der Dunkelheit auftauchende märchenhafte Goldschlitten lichtfunkelnd vorüberfliegt. Nur wenige außer seiner gewohnten Umgebung bekamen den König ausgangs der siebziger Jahre zu sprechen, sie waren alle stets entzückt von seiner geistvollen und huldreichen Ausdrucksweise, allein er selbst fühlte sich von jedem Widerspruch verletzt und äußerte sein Mißfallen nach solchen Audienzen sehr unumwunden. Den fürstlichen Besuchen wich er von weitem aus und vergrub sich in tiefe Einsamkeit, bis sie München wieder verlassen hatten.

In diesen Zeiten wuchs das Schloß Neuschwanstein unter der Leitung der Architekten Dollmann und Hofmann mächtig empor. Seine Lage auf steilem Fels über der tiefen Pöllatschlucht und angesichts der Seen und Waldberge war die Wahl des Königs. Er hätte keine glücklichere treffen können, und diesmal paßte das Bauwerk ganz und gar zu seiner Umgebung. Man kann für die wunderbare Waldespracht von Hohenschwangau, für die verträumte Lieblichkeit der Seen und den zwischen ihnen aus dunklen Wipfeln emporstrebenden alten Schloßbau keine andere Bezeichnung finden als das heute gänzlich in Mißkredit geratene Wort „romantisch“. Und in diese Landschaft baute nun Ludwig seine „Schwanenburg“ im „romanisch-romantischen Stil“.

Wer, von Hohenschwangau durch den Wald heraufkommend, die hoch über die Schlucht schwingende „Marienbrücke“ betritt, hat plötzlich den Anblick der weißen Burg mit ihren starken aus dem Abgrund emporwachsenden Strebepfeilern, mit ihren Zinnen und Türmen, ein Architekturwerk von großer Schwierigkeit, aber auch von ganz außergewöhnlicher Wirkung. Man tritt durch den starken Thorturm ein und durchwandert die Galerien und Säle der drei Stockwerke, sieht des Königs gotisches Schlafgemach, sein Ankleide- und Arbeitszimmer, mit den romanischen Truhen und Schreibgeräten, dann die lange Folge der übrigen Gelasse bis zu dem großen Thronsaal und dem darüber liegenden Sängersaal. Ueberall Wandgemälde: Gudrun- und Sigfridsage, Lohengrin, Tannhäuser, Parzival und vieles andere, zum Teil künstlerisch schön anmutend, zum großen Teil aber die Spur der hastigen Arbeit tragend, die eben das Nächstbeste nimmt, um schnell fertig zu werden. Der König trieb auch hier unaufhaltsam. Als seine Künstler im Herbst 1885 an der Arbeit waren, erhielten sie plötzlich ein Schreiben des Hofsekretärs: „Seine Majestät kommt am ersten Weihnachtsfeiertag nachts 12 Uhr nach Neuschwanstein und will, daß bis dahin alle Bilder vollendet seien.“ Sprachloses Entsetzen aller Beteiligten, dann aber angestrengteste Arbeit, Tag und Nacht, mit schnell geworbenen Hilfskräften, und richtig, bis Mitternacht des Weihnachtstages war der letzte Pinselstrich gethan. Pünktlich zur selben Stunde traf der König ein und betrachtete im Glanz der großen romanischen Kreislüster die Gemälde. In der tiefen Nacht stand er dann wieder auf der Marienbrücke und weidete sich am Anblick des auf seinen Befehl glänzend erleuchteten Schlosses unter dem blitzenden Sternenhimmel.

Es ging rasch vorwärts mit der Geistesumnachtung des unglücklichen Monarchen. Zu oberst im Treppenhause von Neuschwanstein steht eine als Palme gestaltete Säule, an deren Fuß ein Drache grimmig faucht. Der letztere bedeutete die Verkörperung des bösen Prinzips, die Palme aber die des guten. Vor ihr stand der König täglich in ehrerbietiger Andacht und tiefem Schweigen. Niemand weiß, welche Gedanken dabei seinen kranken Geist bewegten.

Eine seltsame Zusendung beschäftigte ihn um jene Zeit lebhaft. Ein Kistchen kam an mit dem Vermerk: „Eigenhändig zu öffnen“. Der König übergab es seinem Kammerdiener und fragte später nach dem Inhalt. „Ein Bild, Majestät!“

Der König ließ es sich bringen und sah – ein Totenbild, einen vornehmen jungen Mann, leichenblaß, mit geschlossenen Augen, in schwarzer Ordensrittertracht mit goldener Kette und einem Band mit Vergißmeinnicht auf der Brust. Keine Erklärung dabei, keine Spur des Absenders. Der Aufgabestempel deutete auf Oesterreich, aber alle dorthin gerichteten Nachforschungen blieben ohne Resultat. Das Bild wurde bei Seite geschafft, aber Ludwig grübelte noch lange über dies rätselhafte Memento mori.

Seine letzte Zeit verbrachte er vielfach auf dem Schachen, wo er sich das einfache Jagdhaus im Innern zum orientalischen Pavillon hatte einrichten lassen. Dort lag er in türkischer Tracht lesend auf seinem Diwan, während seine Dienerschaft, ebenfalls als Moslems verkleidet, auf Teppichen und Kissen herumlungerte, Tabak rauchend und Mokka trinkend. Räucherpfannen dufteten, und große Pfauenwedel wurden in der schweren Atmosphäre bewegt. Draußen aber blaute der klare Herbsttag über der unermeßlichen Gebirgswelt voll Sonnenglanz und Himmelsluft! …

Es nahten die schweren Tage der Pfingstzeit 1886, wo der Irrsinn des unglücklichen Königs voll ausbrach und das Einschreiten seines Oheims, des jetzigen Prinzregenten Luitpold, nötig machte. In der ersten Aufregung wollte sich Ludwig II vom höchsten Turm von Neuschwanstein hinabstürzen, man verhinderte ihn daran, und als der Paroxismus vorüber war, willigte er in die Ueberführung nach Berg am Starnbergersee, jenem Lieblingsschloß seines Vaters, dessen ganz schlichte Einrichtung er unverändert beibehalten und nur durch zahlreiche Bilder bereichert hatte. Es ist noch in Aller Erinnerung, wie dort anfänglich alles gut zu gehen schien, der König sich willig den Anordnungen des Irrenarztes v. Gudden fügte, denselben dann am trüben Abend zu einem Spaziergang am See aufforderte – und wie man eine Stunde später Beider Leichen in dem seichten Wasser schwimmen fand … So lag denn am Pfingstmontag der tote König auf dem einfachen Bett in seinem Schlafzimmer und alle Anwohner des [340] unteren Sees drängten sich hinein, ihn noch einmal zu sehen, der schon bei Lebzeiten Gegenstand der Volkssage war und es mit seinem dunklen Tode für kommende Jahrhunderte geworden ist. –

Ueberblickt man nun sein Leben und Wirken, wie es das Kobellsche Buch so lebendig darstellt, so kann man sich der Wehmut nicht erwehren darüber, daß so viel Kunstsinn und Kunstbegeisterung sich nicht, wie bei Ludwig I, in den Dienst seiner Zeit und seines Volkes stellte. Ueber 20 Jahre lang entwickelte sich die eigentliche Münchner Kunst aus eigener Kraft, unbeachtet und ungefördert von einem Fürsten, der viele Millionen für seine eigenen Kunstzwecke verbrauchte und damit doch nur Kuriositäten geschaffen hat, die der Fremdenstrom alljährlich abpilgert, die aber unter ihren vielen Bildern und plastischen Figuren kein bedeutendes, in die Kunstgeschichte eingreifendes Meisterwerk aufweisen. Diese hatte man während Ludwigs Regierung in den großen Ausstellungen und der Galerie Schack zu suchen, denn die neue Pinakothek mußte jahrzehntelang in unverändertem Zustand verharren, fast ohne Zuwachs neuer Bilder.

Immerhin zählen die „Königsschlösser“ zu den großen bayrischen Sehenswürdigkeiten und enthalten eine Menge kunst- und wertvoller Arbeiten, deren vortreffliche Abbildungen den Text des Kobellschen Buches aufs beste erläutern. Es ist dasselbe die Frucht langer und mühsamer Arbeit und wird unter den Quellen zu Ludwigs II Geschichte einen hervorragenden Platz einnehmen, denn keine frühere Veröffentlichung brachte je eine solche Fülle authentischer Züge von dem schönen, schwärmerischen, unglücklichen Bayernkönig, dessen Figur bis auf den heutigen Tag nicht aufgehört hat, die Phantasie seines Volkes und vieler anderer Deutschen zu beschäftigen.

Bei dem bestimmten Programm: „Ludwig II und die Kunst“ hatte die dem bayrischen Königshaus warm und treu ergebene Verfasserin ein Recht, Ludwigs traurige letzte Zeiten mehr andeutungsweise als in ausführlicher Darlegung zu behandeln. Sie zeigt dafür sein früheres Wesen, die lebhafte Begeisterungsfähigkeit, die große Idealität und geistige Regsamkeit des jugendlichen Herrschers, den so wenige nur gekannt haben, während unzählige nach seinem furchtbaren Tode in Erschütterung standen vor diesem tragischen Menschen- und Königsschicksal!



  1. Das Vombettaufstehen der französischen Könige und Königinnen, welchem immer eine Menge von Höflingen anwohnen mußte.
  2. Beratungssaal.
  3. Paradezimmer.
  4. Benvenuto Cellini, der berühmte Goldschmied.