Der Todesgang des armenischen Volkes/Erster Teil/Erstes Kapitel/Zweiter Teil/Fünfter Abschnitt

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5. Wilajet Diarbekir.


Das Wilajet Diarbekir liegt völlig abseits vom Kriegsschauplatz, ungefähr in der Mitte zwischen dem Busen von Alexandrette und der türkisch-persischen Grenze, in den Bergen des Taurus. Seine Südgrenze reicht bis an die mesopotamische Ebene. Es wird vom Tigris durchflossen, an dem die Hauptstadt Diarbekir liegt. Von seiner Gesamtbevölkerung von 471 500 Bewohnern waren 166 000 Christen, und zwar 105 000 Armenier und 60 000 Syrer (Nestorianer und Chaldäer) und 1000 Griechen. Die übrige Bevölkerung setzt sich zusammen aus 63 000 Türken, 200 000 Kurden, 27 000 Kisilbasch (Schi'iten) und 10 000 Tscherkessen. Dazu kommen noch 4000 Jesidis (sogenannte Teufelsanbeter) und 1500 Juden. Die christliche Bevölkerung betrug also reichlich 1/3, die muhammedanische 2/3 der Gesamteinwohnerschaft des Wilajets.

In Diarbekir wurde im Frühjahr 1915 auf Veranlassung des Walis eine Kommission „zum Studium der armenischen Frage“ eingesetzt.[1] Präsident dieser Kommission war der Mektubdschi Bedri Bey. Außer ihm gehörten der Kommission an der Ex-Sekretär von Hoff Bey, der Deputierte Pirendschi-Zade-Faizzi Bey, Major Rüdschi Bey, der Binbaschi (Hauptmann) der Miliz Schefki Bey und der Sohn des Müfti (Richter) Scherif Bey (Vetter des Deputierten Pirendschi). Sie begannen ihre Tätigkeit mit der Verfolgung der Anhänger der Daschnakzagan. Ihre ersten Opfer waren der Vorsitzende der Daschnakzagan und 26 armenische Notable, darunter auch der Priester Alpiar. Man nahm sie gefangen, mißhandelte sie im Gefängnis und ließ sie dann durch Osman Bey und den Müdir der Polizei Hussein-Bey ermorden. Die junge Frau des Priesters wurde von 10 Saptiehs vergewaltigt und fast zu Tode gemartert. Etwa 30 Tage lang ließ man täglich eine größere Anzahl Armenier verhaften, die dann in der Nacht im Gefängnis umgebracht wurden. Zwei armenische Ärzte wurden gezwungen zu bescheinigen, daß die Todesursache bei allen Umgebrachten Typhus gewesen sei.

Dr. Wahan wurde mit 10 andern Notabeln mit der Angabe, daß sie nach Malatia verbannt werden sollten, verhaftet. Auf dem Wege dahin wurden sie alle umgebracht. Um bei dem geplanten Massaker mitzuwirken, wurde ein berüchtigter kurdischer Räuber Omar Bey aus Djezire, der Sohn der Kurdenfrau Peri-Chanum, von dem Deputierten Faizi-Bey unter Zusage der Straflosigkeit nach Diarbekir geholt.

Zwischen dem 10. und 30. Mai wurden weitere 1200 der Angesehensten unter den Armeniern und Syrern aus dem Wilajet verhaftet. Am 30. Mai wurden 674 von ihnen auf 13 Keleks (Flöße, die von aufgeblasenen Schläuchen getragen werden) verladen, unter dem Vorwande, daß man sie nach Mosul bringen wolle. Den Transport führte der Adjutant des Walis mit etwa 50 Gendarmen. Die Hälfte derselben verteilte sich auf die Boote, während die andere Hälfte am Ufer entlang ritt. Bald nach der Abfahrt nahm man den Leuten alles Geld, ca. 6000 türkische Pfund (110 000 Mark) und die Kleider ab. Dann warf man sie sämtlich in den Fluß. Die Gendarmen am Ufer hatten die Aufgabe, alle, die sich etwa durch Schwimmen retten wollten, zu töten. Die Kleider der Ermordeten wurden in Diarbekir auf dem Markte verkauft. Bei der Ermordung half auch der obengenannte Omar Bey.

In der gleichen Zeit etwa wurden gegen 700 armenische junge Männer im Alter von 16 bis 20 Jahren angeblich zum Militär eingezogen und angestellt, um auf der Straße Karabaktsche-Habaschi, zwischen Diarbekir und Urfa, zu arbeiten. Bei dieser Arbeit wurden diese Arbeitssoldaten von den sie bewachenden Saptiehs niedergeschossen. Der befehligende Onbaschi (Unteroffizier) rühmte sich nachträglich der Heldentat, daß er es fertig gebracht habe, die 700 auf die Strecke verteilten wehrlosen Armenier mit nur 5 Saptiehs abzuschießen. In Diarbekir ließ man eines Tages 5 Priester, die man nackt ausgezogen und mit Teer bestrichen hatte, durch die Straßen führen.

Der Kaimakam von Lidscheh hatte die durch einen Boten des Walis mündlich überbrachte Ordre, die Armenier niederzumachen, zurückgewiesen, mit dem Bemerken, er wünsche den Auftrag schriftlich zu haben. Er wurde abgesetzt, nach Diarbekir gerufen und auf dem Wege dahin von seinen Begleitmannschaften umgebracht.

Auch in Mardin wurde der Mutessarif abgesetzt, da er nicht nach dem Willen des Walis mit den Armeniern verfahren wollte. Nach seiner Absetzung wurden zuerst 500, dann 300 armenische und syrische Notable nach Diarbekir auf den Weg gebracht. Die ersten 500 sind nicht nach Diarbekir gekommen; auch von den andern 300 hat man nichts mehr gehört.


4. Nachträge.


1) Die letzte Phase der Verfolgungsgeschichte spielte sich im Kaukasus ab, als nach dem Frieden von Brest-Litowsk die russische Armee sich zurückzog und den Kaukasus der Invasion der türkischen Truppen preisgab. Über die Vorgänge im Kaukasus vgl. „Deutschland und Armenien 1914–1918“. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, hersg. und eingel. von Dr. Johannes Lepsius. Der Tempelverlag in Potsdam 1919. Einl. S. XLV und die Aktenstücke d. Js. 1918, S. 365 ff.

2) Über Nazareth Tschauch und die Entstehung der Unruhen in Zeitun vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. IX ff. und die Berichte von Konsul Roeßler, Aleppo, Aktenstücke Nr. 11 und 25.

3) Die Gesamtzahl der Deserteure, die, aus Christen und Muhammedanern bestehend, schon vor dem Kriege seit 1913 sich in die Berge geflüchtet hatten, betrug zu der Zeit nach Mitteilung von Herrn Konsul Roeßler etwa 150. Der Verlust der Toten und Verwundeten bei dem Angriff auf das Kloster wird von ihm auf „eine Anzahl Toter und Verwundeter“ angegeben.

4) Die Zahl von 20 000 Seelen umfaßt auch die Dörfer in der Umgegend von Zeitun.

5) Über die Vorgänge in Dörtjol sind nähere Berichte in dem deutschen Konsularbericht aus Adana vom 13. März 1915 gegeben. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 19.

6) Über die Vorgänge in Urfa siehe die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Roeßler von Aleppo, Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 193, 202 und 226 Anl. 1. Am 19. und 20. August fanden Massakers statt, bei denen etwa 200 Armenier getötet wurden. Am 29. September setzten sich die Armenier, um der drohenden Deportation zu entgehen, in Verteidigungszustand in ihrem Stadtviertel. Vom 4. bis zum 15. Oktober währte die Belagerung des Viertels durch türkische Truppen, wobei diese 50 Tote und 120 bis 130 Verwundete hatten. Die männliche armenische Bevölkerung der Stadt wurde, nachdem der Widerstand gebrochen war, zum größten Teil getötet, die Frauen und Kinder deportiert. Die Stadt zählte vor der Deportation etwa 20 000 Armenier.

7) Dazu schrieb Prediger J. Spörri, Leiter der Station Wan des deutschen Hilfsbundes für Christliches Liebeswerk im Orient, am 7. 10. 1916 aus Zürich an den Verfassen

„Als am 20. 4. 15 die Feindseligkeiten vor meinen Augen ausgebrochen waren und in schauerlicher Weise auf uns geschossen wurde, war ich gedrungen, an den Wali zu schreiben. Ich erzählte den Anfang der Feindseligkeiten, teilte mit, daß wir dem Kugelregen ausgesetzt seien, ersuchte, da ich annehmen mußte, daß solches unmöglich nach dem Wollen des Walis sein könne, um weitere Vermeidung solcher Handlungen und bat, die Streitigkeiten friedlich zu ordnen. Mit meinem Schreiben ging ich zu Dr. Usher (es war das ein gefährlicher Weg, da unaufhörlich geschossen wurde), las ihm den Inhalt vor und veranlaßte ihn, von seiner Seite ein Gleiches zu tun. Der Brief vom 23. 4. von Djevdet Bey war die Antwort auf unser Schreiben. Übrigens hatte ich die Verteidiger gebeten, sie möchten sich von der Front unserer Station zurückziehen, da sie das Feuer auf uns zögen. Ich hatte die Genugtuung, daß mein Wunsch erfüllt wurde. Freilich war auch so von einem Aufhören des Feuers gegen uns nicht die Rede.“

8) Auch der Wali Rachmi Bei wurde schließlich, wenn auch erst ein Jahr nach der allgemeinen Deportation, durch den Befehl der Regierung von Konstantinopel gezwungen, den Befehl zur Deportation zu geben. Lediglich dem Einschreiten des Oberbefehlshabers General Liman von Sanders, der mit militärischem Widerstand drohte, ist es zu danken, daß die Deportation der Armenier von Smyrna nicht zur Ausführung kam. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LIX und die Aktenstücke Nr. 306, 307, 308.


9) Vgl. den fesselnden Bericht über die Flucht der Armenier von Suedije von Pastor Digran Andreasjan, der im Anhang von Lepsius, Dtschl. und Arm. abgedruckt, auch im Tempelverlag in Potsdam separat erschienen ist, „Suedije, eine Episode aus den Armenierverfolgungen des Jahres 1915.“ M. 0,50.

10) Durch Gesetz vom 1. August 1916 wurde ein Jahr darauf die alte Kirchenverfassung der gregorianischen Kirche zerstört und das Patriarchat von Konstantinopel in das Kloster Mar Jakub in Jerusalem verlegt. Erst nach dem Sturz der jungtürkischen Regierung und dem Zusammenbruch der Türkei wurde das Gesetz wieder aufgehoben.

11) Nach dem Zusammenbruch der Türkei ist das ursprüngliche Programm der Daschnagzagan natürlich gegenstandslos geworden. Auf den Glücksfall, daß die beiden Feinde der Armenier, die Türkei und Russland, gleichzeitig zusammenbrechen würden, so daß für ein völlig unabhängiges Groß-Armenien Raum wurde, konnte kein politisches Programm im voraus rechnen.

12) Wartkes wurde zusammen mit Sohrab auf dem Wege von Urfa nach Diarbekir durch die begleitenden Gendarmen auf Befehl der Regierung ermordet. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. 109.

13) Die Polizei in Konstantinopel hat nachträglich zwei Bilderbücher mit Haufen von Gewehren, Bomben, Fahnen und dergl. veröffentlicht, die nur Unkundige über den Wert solcher Machwerke täuschen können. Eine Charakteristik dieser Publikation hat die Deutsch-Armenische Gesellschaft veröffentlicht.

14) Vgl. den Bericht des deutschen Botschafters Freiherrn von Wangenheim in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 38. „Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.“ Die Pforte selbst erklärte offiziell die Verschickung der Konstantinopler Intellektuellen nur für eine Vorbeugungsmaßregel.

15) Die letzte türkische Lesung lautete, daß alle 180 000 Muselmanen von den Armeniern massakriert worden seien. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXIII f.

16) Vgl. dazu die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Anders in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 5, 6 und 10.

17) Das später erschienene Communiqué der türkischen Regierung über die Vorgänge in Urfa wird von dem deutschen Konsul Herrn Roeßler in Aleppo in seinem Bericht vom 16. November 1915 einer Kritik unterzogen. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 202.

18) Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl Kap. V, 5: Die offizielle Motivierung. S. LXVI ff.

19) Vgl. die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln ebenda S. LXXVI ff.

20) Vgl. das Urteil des deutschen Botschafters Graf Wolff-Metternich in Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 287.

21) Vgl. die Urteile deutscher Konsuln in Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXVI ff.

22) Wäre die Türkei siegreich aus dem Krieg hervorgegangen, so wäre allerdings nicht daran zu denken gewesen, daß der Raub des gesamten Nationalgutes des armenischen Volkes wieder rückgängig gemacht worden wäre. Auch jetzt wird es schwer sein, auch nur einen beträchtlichen Teil der beweglichen Habe den Dieben und Räubern, die daß Gut schon längst verschleudert haben werden, zu entreißen.

23) Vgl. den Bericht über die Verhandlungen im türkischen Senat vom Oktober und November 1915 in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 223.

24) Vgl. zu diesem Kapitel den Abschnitt: Zwangsbekehrungen zum Islam, in der Einleitung von Lepsius, Dtschl. und Arm. und ebenda die Konsularberichte laut Sachregister unter Zwangsbekehrungen.

25) Vgl. den Bericht des deutschen Vizekonsuls Herrn Kuckhoff vom 4. Juli 1915 aus Samsun, Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 116 Anlage.

26) Nur unter den syrischen Nestorianern gab es eine kleine hochkirchliche Mission, die am Sitz des nestorianischen Patriarchen in Kodschannes bei Djulamerg im oberen Zabtal und in Urmia auf persischem Gebiet eine Vertretung hatte und eine Art Nuntiatur des Erzbischofs von Canterbury bei dem nestorianischen Patriarchat bildete. Diese hochkirchlichen Herren haben niemals mit Armenien oder der armenischen Frage zu tun gehabt und sich ausschließlich auf die syrischen Nestorianer beschränkt.

27) Dies war Anfang 1916 geschrieben. Nach der Vernichtung ihres Volkstums in der Türkei würden es jetzt natürlich alle noch Überlebenden Armenier ablehnen, unter türkische Herrschaft zurückzukehren.

28) Vielleicht wird Herr Bratter nach der Veröffentlichung der diplomatischen Aktenstücke über den Vernichtungskampf der Türken gegen die christlichen Armenier durch die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln jetzt eines Besseren belehrt werden.

29) Den genannten Städten ist noch Aleppo hinzuzufügen, wo dank der rastlosen Bemühungen des deutschen Konsuls wenigstens die ortsansässige Bevölkerung von der Deportation verschont blieb. Die Armenier von Bagdad waren zunächst nach Mossul deportiert worden und sollten von dort weitergeschafft werden. Der Einspruch des Feldmarschalls Freiherrn von der Goltz, der den Weitertransport untersagte, wurde von der Regierung in Konstantinopel erst respektiert, als der Feldmarschall wegen dieser Sache telegraphisch um seine sofortige Abberufung bat. S. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl. S. LIX und Aktenstück Nr. 224.


30) Über den Gesamtverlust an Ermordeten und Verhungerten, der auf eine Million geschätzt wird, vgl. Lepsius Dtschl. und Arm. Einleitung V, 4, S. LXIII, das Kapitel: Opfer.




Anmerkungen

  1. Das Folgende nach Berichten von deutschen Beamten.