Der Todesgang des armenischen Volkes/Erster Teil/Erstes Kapitel/Zweiter Teil/Sechster Abschnitt
Das Wilajet Wan zählte unter 542 000 Einwohnern 290 200 Christen, nämlich 192 200 Armenier und 98 000 Syrer. Dazu kommen 5000 Juden. Die Minderheit von 247 000 Muhammedanern setzt sich zusammen aus 210 000 Kurden, 30 500 Türken und 500 Tscherkessen. Die Jesidies (sogen. Teufelsanbeter) zählen 5400, die Zigeuner 600.
Im Wilajet Wan sahen die Dinge bis zum April des Jahres nicht anders aus, als in den übrigen Wilajets, nur daß die Plünderungen und Massakers hier bald einen größeren Maßstab annahmen. Seit der Mobilisierung der türkischen Armee zu Beginn des europäischen Krieges waren die nach Einführung der Konstitution aufgelösten Hamidieh-Truppen (irreguläre kurdische Reiterei, die Sultan Abdul Hamid aus den räuberischen Nomaden-Kurden gebildet hatte) aufs neue bewaffnet worden. Berüchtigte kurdische Räuber wurden mit ihren Banden in die Armee aufgenommen. Da es reguläre türkische Truppen nur in geringer Zahl gab, benützten die Hamidieh-Kurden und die Tschettehs (Banden) die gute Gelegenheit, um wehrlose armenische Dörfer zu überfallen und auszuplündern.
Beim Vormarsch der Türken gegen Batum und Olti wurden von solchen Banden die armenischen Dörfer des von den Türken besetzten russischen Gebietes massakriert. So wurden im Gebiet von Ardanusch und Olti die Dörfer Berdus und Joruk geplündert, 1276 Armenier erschlagen und 250 Frauen und Mädchen geraubt. 24 Frauen vergifteten sich, um nicht vergewaltigt zu werden. Der Rest von etwa 500 Frauen und Kindern wurde von den russischen Truppen befreit. Im Gebiet des unteren Tschoroch, der bei Batum ins Schwarze Meer mündet gingen die Adjaren (muhammedanische Grusinier) zu den Türken über und beteiligten sich an den Massakers, die die türkischen Banden in den armenischen Dörfern um Artwin und Ardanusch im Tschorochtal verübten. Die Zahl der in diesem Gebiet von Türken und Adjaren massakrierten Kaukasus-Armenier wird auf 7000 geschätzt. Im Dorfe Okrobakert, in der Nähe von Batum, zwangen die Adjaren die Armenier, ihnen ihre Töchter für ihre Harems zu geben, andernfalls sie massakriert werden würden.
Das Wilajet Erzerum erstreckt sich südlich der russischen Grenze unter der Aghri-Dagh-Kette bis zum Ararat hin. Dieser Zipfel des Erzerum-Wilajets schiebt sich zwischen die Nordgrenze des Wilajets Wan und die Südgrenze des Kaukasusgebietes. Hier liegt das herzförmige Quellgebiet des östlichen Euphrat. Dieses Gebiet heißt Alaschkert.
Das Gebiet von Alaschkert und Diadin bis nach Bajasid hin ist mit zahlreichen armenischen Dörfern besetzt; in 52 Ortschaften lebten 2964 armenische Familien mit rund 40 000 Seelen.
Im Frühjahr wurde dies ganze Gebiet von türkischen und kurdischen irregulären Milizen vollständig verwüstet. Außer zwei kleinen Dörfern mit zusammen nur 35 bis 40 Familien sind die sämtlichen Alaschkert-Dörfer vollständig ausgeplündert worden. Auch in Bajesid, Karakilisse und achtzehn Dörfern fanden Massakers statt. In dem Städtchen Alaschkert konnten sich von den 300 armenischen Familien mit rund 4000 Personen nur 30 Familien retten. Von den übrigen 270 Familien sind alle männlichen Glieder massakriert worden; die Mädchen wurden entführt. Das gleiche Schicksal ereilte das Dorf Mollah Suleiman, wo von 150 Familien die Männer getötet, die Frauen und Kinder weggeschleppt wurden. Ebenso im Dorf Setkan, wo von 70 Familien die Männer getötet, die Frauen geraubt wurden. Die gleiche Zahl verlor das Dorf Amert. Im Dorf Chotschan wurden 35, im Dorf Schudgan 25 Familien von dem gleichen Schicksal betroffen. Allein aus den Dörfern Mollah-Suleiman und Setkan wurden 500 Frauen und Mädchen von den Hamidieh-Kurden geraubt. Alle geraubten Frauen und Mädchen wurden gezwungen, zum Islam überzutreten. An das Diadin-Gebiet schließt sich, durch die Owadjik-Kette getrennt, die Abagha-Ebene an, die sich zwischen der persischen Grenze und dem Nordostzipfel des Wansees südwärts auf Wan zu erstreckt. Auch hier wurden in den armenischen Dörfern Akbak, Khatschan, Tschibukli, Gahimak, Khan, Akhorik, Hassan-Tamra, Arsarik und Raschwa von den irregulären Milizen armenische und zum Teil auch syrische Christen bei der Plünderung in großer Zahl erschlagen. Man rechnet 2060 Armenier und 300 Syrer, die getötet wurden.
In der Ebene von Alaschkert waren es die drei Hamidieh-Kurden-Scheichs Musabeg, Abdul-Medschid und Chalid-Bey, die samt der örtlichen muhammedanischen Bevölkerung die Plünderungen und Massakers veranstalteten. Die Abaghadörfer wurden auf Befehl des Kaimakams von Seraj verwüstet. Die Gendarmen aus Temran plünderten die Dörfer Alur, Cholenz, Achmek. Die Gendarmen aus Paghes und das Bataillon des Tscherkess-Agha verwüsteten Gardjdan, Pegahu, Nanegans, Entsak und Eschekiß. Der Gendarm Omer-Agha überfiel das Dorf Mechkert in der Nähe von Wan und tötete 20 Frauen und Mädchen. Die Dörfer von Melaskert, nördlich des Wansees, wurden von der Bande des Ptschare-Ptschato, einem Haufen von 600 Banditen, überfallen und verwüstet.
Die Folge dieser systematischen Plünderungen und Massakers in den christlichen Dörfern war eine Massenflucht der Christen über die russische Grenze. Schon in dieser Zeit sammelten sich im Araxestal über 60 000 Flüchtlinge, meist Frauen und Kinder, an. Über Igdir, nordwestlich des Ararat, kamen 30 000, durch Kars gegen 5000, über Ardahan-Ardanusch kamen 7000 und über Djulfa (an der persischen Grenze) 20 000 Flüchtlinge in das Araxesgebiet.
Ähnliches ereignete sich in den persischen Grenzgebieten des Wilajets Wan, worauf wir noch zurückkommen werden.
Als die Russen im April die Offensive wieder aufnahmen, kehrte etwa ein Viertel der Flüchtlinge aus dem Kaukasus wieder in ihre Dörfer zurück. Beim Vordringen der Russen fürchteten die Muhammedaner wegen ihrer Untaten an der christlichen Bevölkerung bestraft zu werden. Sie verließen daher mit ihren Familien die Alaschkert-Dörfer und wurden von der türkischen Regierung in Zahl von etwa 2000 Familien in der Gegend von Malaskert und Bulanek in armenischen Dörfern untergebracht. Damals gab es keinen regulären Soldaten im Grenzgebiet. Kurden und Tschettehs waren die einzigen Truppen, über die die Regierung verfügte. Die 3000 Gendarmen der Wilajets waren mit dem Plündern der Dörfer beschäftigt. Der Wali von Wan hatte allen Kaimakams seiner Provinz den Befehl gegeben, beim geringsten Anlaß gegen die Armenier vorzugehen. Der Kaimakam von Gawascht provozierte denn auch einen Zusammenstoß, der zu einem Massaker führte. Die Daschnakzagan verlangten vom Wali, daß der Kaimakam vor ein Kriegsgericht gestellt werden solle. Der Wali versprach, eine Untersuchung einzuleiten.
Die wehrlosen armenischen Dörfer mußten sich das alles gefallen lassen. Die Führer der Daschnakzagan bemühten sich, durch die Vermittlung der Behörden dem Unheil zu steuern und die armenische Bevölkerung zu beruhigen. Der Deputierte von Wan, Wramjan, hatte schon im Januar in einem Memorandum (vom 3./16. Januar 1915), das an den Wali von Wan Djevded-Bey und an Tahsin-Bey, den Wali von Erzerum, gerichtet war, die Behörden auf die Mißstände aufmerksam gemacht.
Inzwischen war die Armee von Chalil Bey in Nordpersien in das Gebiet von Urmia und Dilman eingerückt. Den 20 000 Regulären hatten sich noch 10 000 Kurden aus dem oberen Zabgebiet angeschlossen. Auch Djevded Bey, der Wali von Wan, beteiligte sich an diesen Operationen. Djevded Bey ist ein Schwager des türkischen Kriegsministers Enver Pascha; Chalil Bey, der Kommandeur des Korps, das in Persten einfiel, ein Onkel von Enver Pascha. Die türkischen und kurdischen Truppen verwüsteten auf persischem Gebiete alle christlichen Dörfer. Die syrische Bevölkerung des Urmiagebietes und die armenische Bevölkerung der Salmas-Ebene (um Dilman) wurde, soweit sie nicht auf russisches Gebiet flüchten konnte oder in dem Anwesen der amerikanischen Mission Schutz fand, von den Kurden erbarmungslos niedergemacht.
Als Djevded Bey, der Wali von Wan, Mitte Februar aus Salmas zurückkehrte, begrüßte er freundlich die armenischen Führer, versprach den Plünderungen der Dörfer Einhalt zu tun und die Geplünderten zu entschädigen. Nur bat er, noch einige Wochen zu warten, bis die persische Expedition vorüber sei. Zugleich hörte man, daß er in einer Versammlung von türkischen Notabeln gesagt habe: „Wir haben mit den Armeniern und Syrern von Aserbeidschan (Nordostpersien) reinen Tisch gemacht; wir müssen mit den Armeniern von Wan das gleiche tun“.
An der Spitze des Daschnakzagan-Komitees standen damals drei bekannte Armenier, Wramjan, Deputierter von Wan, Ischchan und Aram.
Der Wali stellte sich in den nächsten Wochen freundlich mit ihnen und bat sie, wie bisher, mit ihm zusammenzuarbeiten, um die Ordnung im Wilajet aufrechtzuerhalten. Es wurden Kommissionen gebildet, die in die Dörfer geschickt wurden, um den Plünderungen der Kurden und den Gewalttaten der Gendarmen Einhalt zu tun und Streitigkeiten zu schlichten. Inzwischen hatte der Wali um Verstärkungen von Erzerum gebeten und rechnete wohl auch auf die Unterstützung durch die Truppen, die in Persien eingefallen waren, falls sein geplantes Vorgehen gegen die Armenier, die sich noch nichts Schlimmes von ihm versahen, auf Widerstand stoßen würde. Plötzlich demaskierte er sich und zeigte sein wahres Gesicht.
In Schatak, einem überwiegend von gregorianischen und katholischen Armeniern, zum geringeren Teile auch von Kurden bewohnten Landstädtchen von über 2000 Einwohnern, an den Quellen des östlichen Tigris (50 Kilometer südlich von Wan), wurde am 14. April der Armenier Howsep, ein Daschnakzagan, von Gendarmen verhaftet. Seine Freunde wollten ihn befreien, es gab einen blutigen Zusammenstoß. Als der Wali davon hörte, ließ er die drei Führer der Daschnakzagan, Wramjan, Ischchan und Aram zu sich kommen und bat sie, zusammen mit dem Müdir der Polizei von Wan nach Schatak zu gehen, um den Streit zu schlichten. Das Komitee bestimmte, daß Ischchan mit drei anderen Armeniern namens Wahan, Kotot und Miran nach Schatak gehen sollte. Der Müdir der Polizei nahm einige tscherkessische Saptiehs mit sich. Halbwegs nach Schatak in der Flußniederung von Hayoz-Dzor übernachteten sie in dem Dorfe Hirtsch. Als die vier Armenier eingeschlafen waren, ließ der Müdir der Polizei sie im Schlaf durch die Tscherkessen ermorden. In der Frühe des nächsten Tages, ehe noch die Armenier von Wan etwas von dem Meuchelmorde wußten, ließ der Wali Djevded-Bey die beiden andern armenischen Führer Wramjan und Aram zu sich bitten. Aram war zufällig abwesend. Wramjan geht arglos zum Wali und wird, sobald er den Konak betreten hat, verhaftet. Der Wali schickt ihn sofort gefesselt nach Bitlis. Von Bitlis wurde Wramjan, der als Deputierter von Wan in besonderem Ansehen stand, nach Diarbekir transportiert und unterwegs ermordet.
Noch am gleichen Morgen bereitete der Wali Djevded Bey den Angriff auf die beiden armenischen Viertel vor und ließ Kanonen gegen sie in Stellung bringen. Es gab damals in Wan 10–15 Kanonen älterer Konstruktion und zwei neue Maschinengewehre, die kürzlich mit einer Abteilung Soldaten von Erzerum gekommen waren. Zur selben Zeit, als der Wali sich der Führer zu bemächtigen suchte, hatten die Massakers in Ardjesch und den Dörfern der Hayoz-Dzor schon ihren Anfang genommen. Die Armenier der Stadt konnten nichts anderes erwarten, als daß ein Massaker über sie verhängt werden sollte, auch hatten sie gehört, daß der Wali 6–7000 Mann Kavallerie aus Erzerum angefordert und beiläufig gesagt hatte, jetzt würde es gefährlich für die Armenier.
Wir lassen nun den Bericht des amerikanischen Missionars folgen, der die weiteren Ereignisse miterlebt hat:[1]
„Wan ist eine Stadt von Gärten und Weinbergen, die inmitten einer von hohen prächtigen Bergen umgebenen Ebene am Wansee liegt. Die von Mauern umgebene Stadt enthält den Bazar und den größten Teil der öffentlichen Gebäude. Sie wird beherrscht von dem Kastell-Felsen, einem gewaltigen Felsblock, der sich steil aus der Ebene erhebt, von alten Mauern und Festungswerken gekrönt ist und nach der Seeseite zu berühmte Keilinschriften trägt. Die Vorstadt Aigestan, die „Gärten“ genannt (weil jedes Haus seinen Garten oder Weinberg besitzt), erstreckt sich 4 (engl.) Meilen ostwärts der umwallten Stadt und ist 2 (engl.) Meilen breit.
Das Grundstück der amerikanischen Mission liegt am südöstlichen Rand des mittelsten Drittels der Gärten auf einer kleinen Anhöhe, wodurch die Gebäude ihre Umgebung beträchtlich überragen. Diese Gebäude bestehen aus einer Kirche, zwei großen, neuen Schulgebäuden, zwei kleineren, einer Spitzenschule, einem Hospital, Klinik und vier Missionsgebäuden. Nach Südosten dehnt sich, ganz in der Nähe, die große Ebene aus. Hier lag die größte Kaserne der großen türkischen Garnison, unmittelbar an dem Bereich der amerikanischen Mission. Nordwärts durch einige Straßen getrennt lag eine andere Kaserne, und noch weiter nördlich in Schußweite der Burgfelsen (Topkala) mit einer kleinen Kaserne darauf, die die Armenier „Pfefferdose“ getauft hatten. 5 Minuten östlich von den amerikanischen Instituten liegt das deutsche Waisenhaus, dem Herr Spörri nebst Frau und Tochter, Schweizer von Herkunft, und drei unverheiratete Damen vorstanden. Die amerikanische Mission bestand zur Zeit aus der alten Mrs. Raynolds (Dr. Raynolds war in Amerika), Dr. Usher, dem Chefarzt des Hospitals, Mrs. Usher, der Leiterin der Spitzenindustrie, Mr. und Mrs. Yarrow, den Leitern der Knabenschule, Miß Rogers, Vorsteherin der Mädchenschule, Miß Silliman, Leiterin der Vorschule, Miß Usher, Lehrerin für Musik, Miß Bond, der Oberin des Hospitals, und der Missionarin Mc. Claren. Auch Miß Knapp aus Bitlis war zu Besuch da.
Die Stadt Wan hatte 50 000 Einwohner, von denen drei Fünftel Armenier und zwei Fünftel Türken waren. Ich sage „waren“, denn inzwischen haben sich die Verhältnisse vollständig geändert. Die Führer der Armenier waren Wramjan, Ischchan und Aram, Leiter der Partei der Daschnakzagan.
In der Zeit seit der Mobilisation, im letzten Herbst und Winter, waren die Armenier unter dem Vorwand von Requisitionen in der härtesten Weise ausgeplündert worden. Reiche Leute wurden ruiniert und arme Leute völlig entblößt. Die armenischen Soldaten in der türkischen Armee wurden vernachlässigt, äußerst mangelhaft ernährt, gezwungen, nur niedrige Arbeiten zu tun, und, was das Schlimmste war, jeder Waffe beraubt, so daß sie der Gnade ihrer fanatischen muhammedanischen Kameraden ausgeliefert waren. Kein Wunder, daß, so viele es vermochten, sich von ihrer Militärpflicht loskauften, andere auch desertierten. Wir ahnten im voraus, daß es zu einem Zusammenstoß kommen würde. Aber die Daschnakzagan benahmen sich mit erstaunlicher Zurückhaltung und Klugheit, beherrschten die heißblütige Jugend, patrouillierten in den Straßen, um Unruhen zuvorzukommen, und befahlen den Dorfbewohnern, lieber schweigend zu dulden, daß das eine oder andere Dorf niedergebrannt werde, als durch Gegenwehr den Anlaß für ein Massaker zu geben.
Trotzdem Dr. Usher seit Beginn des russischen Krieges manche verwundete türkische Soldaten aufgenommen und behandelt hatte, versuchte die Regierung gleichwohl, die Arzneien der amerikanischen Apotheke zu requirieren und das Hospital zu schließen. Außerdem hatten Miß Mc Claren und Schwester Martha vom deutschen Waisenhaus im Dezember angefangen, die Verwundeten in dem anderthalb (engl.) Meilen von unserem Grundstück entfernten türkischen Militärlazarett zu pflegen, wo keine Pflegeschwestern und die Zustände unbeschreiblich waren.
Als Djevded Bey, der Generalgouverneur des Wilajets, in den ersten Frühlingswochen von den Grenzkämpfen zurückkehrte, ahnte jedermann, daß bald etwas geschehen würde. Und so war es. Er verlangte von den Armeniern 3000 Soldaten. Sie waren aufs äußerste besorgt, Frieden zu halten, so daß sie seinem Verlangen nachzukommen versprachen. Aber gerade da brach in der Gegend von Schatak der Streit zwischen Türken und Armeniern aus, und Djevded Bey verlangte von Ischchan, daß er mit drei anderen angesehenen Daschnakzagan dorthin gehen sollte, um Frieden zu stiften. Auf dem Wege wurden alle vier heimtückischerweise ermordet. Das war Freitag den 16. April. Dann befahl Djevded Wramjan zu sich unter dem Vorwand, daß er sich mit ihm beraten wolle, ließ ihn verhaften und verschickte ihn. Die Daschnakzagan wußten nun, daß sie Djevded Bey nicht trauen konnten und daß es daher unmöglich wäre, ihm die geforderten 3000 Mann zu geben. Sie sagten, sie würden 400 geben und nach und nach die Militärbefreiungssteuer für die übrigen zahlen. Der Wali erklärte aber, er brauche Leute und nicht Geld, sonst würde er die Stadt angreifen. Einige Armenier baten Dr. Usher und Mr. Yarrow, zu Djevded Bey zu gehen und zu versuchen, ihn zu begütigen. Unterwegs begegnete ihnen ein Offizier, der ausgeschickt war, um sie zu rufen. Der Wali war hartnäckig. Man habe zu gehorchen. Er werde diesen Widerstand unter allen Umständen brechen, es koste, was es wolle. Erst werde er Schatak bestrafen und dann die Sache mit Wan vornehmen. Wenn aber die Armenier nur einen Schuß abfeuerten, würde das für ihn das Zeichen zum Angriff sein. Für das amerikanische Grundstück wollte er eine Wache von 50 Soldaten stellen.[2] Diese Wache müsse entweder angenommen werden, oder man müsse ihm schriftlich das Zeugnis ausstellen, daß die Wache verweigert worden wäre und er dadurch von aller Verantwortung, für unsere Sicherheit frei sei. Er verlangte sofortige Antwort, war aber schließlich bereit, bis Sonntag zu warten. Ferner verlangte er, daß Miß Mc Claren und Schwester Martha ihre Arbeit im türkischen Lazarett fortsetzen sollten. Sie gingen und waren darauf gefaßt, vielleicht für längere Zeit nicht mit uns korrespondieren zu können.
Als Dr. Usher am Montag den Wali wiedersah, fragte der Wali, ob er die Wache senden solle. Dr. Usher überließ ihm die Entscheidung. Wir haben keine Wache erhalten.
Dienstag, den 20. April, um 6 Uhr nachmittags versuchten einige türkische Soldaten aus einem Trupp Frauen, die nach der Stadt kamen, sich eine herauszugreifen.[3] Sie floh. Armenische Soldaten kamen hinzu und fragten die Türken, was sie wollten. Der türkische Soldat schoß auf sie und tötete sie. Herr Spörri war Augenzeuge von diesem Ereignis, mit dem die Feindseligkeiten begannen. Es gab den ganzen Abend ein mehr oder weniger anhaltendes Gewehrfeuer, und vom Burgfelsen her wurde beständiger Kanonendonner auf die befestigte Stadt vernommen, die nun von aller Verbindung mit den Gärten abgeschnitten war. Nachts sah man nach jeder Richtung hin Häuser in Flammen stehen. Die Zahl der in den Gärten wohnenden Armenier betrug gegen 30 000, während die armenische Bevölkerung in der inneren befestigten Stadt nur gering war. Die Bewohner der Gartenstadt wurden nun in einem Bezirk von etwa einer (engl.) Quadratmeile zusammengebracht, und dieser Raum wurde durch „Dirks“ (Barrikaden) sowie durch Mauern und Verhaue geschützt. Von den Verteidigern konnten 1500 mit Gewehren bewaffnet werden, ebensoviele etwa noch mit Pistolen. Ihr Vorrat an Munition war gering, darum waren sie sehr sparsam damit und wandten allerlei Listen an, um die Angreifer zum Feuern und zum Verbrauch ihrer Munition zu verführen. Sie machten sich daran, Kugeln zu gießen und Patronen anzufertigen. 3000 wurden täglich fertig. Ebenso machten sie sich Schießpulver, und nach einiger Zeit machten sie sich auch drei Mörser. Der Materialverbrauch für alle diese Dinge war gering, Methoden und Einrichtung roh und primitiv. Aber sie waren sehr froh und hoffnungsvoll und freuten sich ihrer Geschicklichkeit, den Angreifern Stand zu halten. Einige der Regeln, die sie für ihre Leute aufgestellt hatten, waren: Haltet euch sauber, trinkt nicht, sagt immer die Wahrheit, sagt nichts gegen die Religion des Feindes.
An die Türken der Stadt schickten sie ein Manifest, um ihnen kundzutun, daß sie nur mit einem einzigen Manne (dem Wali) Streit hätten und nicht mit ihren türkischen Nachbarn. Walis würden gehen und kommen, aber die beiden Rassen müßten fortfahren, miteinander zu leben, und sie hofften, daß, wenn Djevded gegangen wäre, ihre Beziehungen zueinander wieder friedlich und freundlich sein würden. Die Türken antworteten in demselben Sinne und sagten, sie wären gezwungen, zu kämpfen. Tatsächlich wurde auch von mehreren vornehmen Türken ein Protest gegen diesen Kampf unterzeichnet, aber Djevded ließ ihn vollständig unbeachtet.
Die Kaserne nördlich von unserem Grundstück wurde von den Armeniern erobert und niedergebrannt. Die Insassen ließen sie entkommen. Eine weitere Offensive versuchten sie in keiner Weise, da ihre Zahl zu gering war. Sie kämpften nur für ihre Heimstätten und für ihr Leben.
Kein bewaffneter Mann durfte unser Grundstück betreten. Aram, der Führer der Armenier, verbot sogar, daß die verwundeten Armenier in unser Hospital gebracht würden, damit unsere Neutralität nicht verletzt würde. Dafür behandelte sie Dr. Usher in ihrem eigenen provisorischen Lazarett.
Am 23. April schrieb Djevded Bey an Dr. Usher, daß man bewaffnete Leute unser Grundstück habe betreten sehen, und daß die Rebellen Verschanzungen in unserer Nähe aufgeworfen hätten. Wenn bei einem Angriff ein Schuß von diesen Schanzen abgefeuert würde, würde er zu seinem Bedauern gezwungen sein, seine Kanonen auf unser Grundstück zu richten und es vollständig zu zerstören; wir möchten das als sicher annehmen7) Dr. Usher antwortete, daß wir unsere Neutralität mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln aufrecht erhielten. Kein Gesetz könnte uns verantwortlich machen für Handlungen von Personen oder Organisationen, die sich außerhalb unseres Anwesens befänden.
Unsere Verhandlungen mit dem Wali wurden durch unseren amtlichen Vertreter, Signore Sbordone, den italienischen Konsularagenten, geführt, und unser Briefträger war eine alte Frau, die sich durch eine weiße Fahne schützte. Bei ihrem zweiten Ausgang fiel sie in einen Graben, und als sie darauf ohne ihre Fahne wieder aufstand, wurde sie sofort von den türkischen Soldaten erschossen. Es fand sich eine andere, aber sie wurde verwundet, als sie vor der Tür ihrer Hütte, in der Nähe unseres Grundstückes, saß.
Da erklärte Aram, er würde keine weitere Korrespondenz mehr erlauben, bis nicht der Wali auf einen Brief des Konsularagenten Sbordone geantwortet hätte, in welchem gesagt war, Djevded könne von den Armeniern nicht erwarten, daß sie sich jetzt übergeben, da sein Vorgehen gegen die Armenier den Charakter eines Massakers habe.
Während der Zeit der Belagerung hausten die türkischen Soldaten und ihre Gesellen, die wilden Kurden, fürchterlich in der ganzen Umgegend. Sie massakrierten Männer, Frauen und Kinder und brannten ihre Heimstätten nieder. Kleine Kinder wurden in den Armen ihrer Mütter erschossen, andere schrecklich verstümmelt, Frauen ihrer Kleider beraubt und geschlagen. Die Dörfer waren auf einen Angriff nicht vorbereitet, andre widersetzten sich, bis ihre Munition verschossen war. Sonntag den 25. kam der erste Trupp Flüchtlinge mit ihren Verwundeten in die Stadt. Unser Hospital, das in normaler Zeit 50 Betten hat, mußte für 142 Patienten Raum schaffen. Bettzeug wurde geliehen und überall auf den Fußböden Lagerstätten geschaffen. Leichtverwundete wurden täglich verbunden.
4000 Menschen waren mit all’ ihrer Habe aus „den Gärten“ ausgezogen und füllten unsere Kirche, Schulgebäude sowie alle nur irgendwie entbehrlichen Räume unserer Missionshäuser. Eine Frau sagte zu Mrs. Silliman: „Was sollten wir tun, wenn die Missionare nicht wären? Das ist nun das dritte Massaker, während dessen ich hier Zuflucht gefunden habe.“ Ein großer Teil dieser Leute mußte ernährt werden, denn sie waren so arm, daß sie ihr Brot täglich vom Bäcker gekauft hatten, und nun gab es das nicht mehr. (Die Armenier backen ihr Brot meistens selbst und sorgen dafür, daß sie fürs ganze Jahr die nötigen Weizenvorräte haben.) Diese vielen Menschen unterzubringen, für ihre Gesundheit, Nahrung und Disziplin zu sorgen, waren Probleme, die uns zu schaffen machten. Mr. Narrow organisierte Komitees für diese Arbeit. Jedem irgendwie fähigen Mann wurde darin eine Rolle zugewiesen, und es zeigte sich ein wundervoller Geist der Selbstlosigkeit und Aufopferungsfähigkeit. Ein Mann gab allen Weizen, den er besaß, mit Ausnahme von einem Monatsvorrat, den er für seine Familie behielt. Ein öffentlicher Backofen wurde erworben, Weizen und Mehl gekauft und verteilt, Brotmarken ausgegeben und später eine Suppenküche eröffnet. Miß Rogers und Miß Silliman sicherten sich einen täglichen Milchvorrat und ließen die Milch von ihren Schulmädchen kochen und an die kleinen Kinder verteilen. Hundertneunzig wurden auf diese Weise ernährt. Die Schuljungen betätigten sich als Schutzleute, schützten die Gebäude gegen Feuersgefahr, hielten unser Grundstück sauber, sahen nach den Kranken und verteilten Milch und Eier an Kinder und Kranke außerhalb unseres Grundstückes. Ein regelrechtes Stadtregiment wurde von den Armeniern mit Bürgermeister, Richtern und Polizisten organisiert; die Stadt war niemals so gut regiert worden. Nach Ablauf von zwei Wochen ließen uns die in der befestigten Stadt in ihrem Viertel belagerten Armenier sagen, daß sie einige von den Regierungsgebäuden erobert hätten, obgleich sie nur eine Handvoll waren und Tag und Nacht bombardiert wurden. Ungefähr 16 000 Kanonenkugeln oder Schrapnells wurden auf sie gefeuert. Die altmodischen Kugeln trafen die drei Fuß dicken Lehmmauern, ohne viel Schaden anzurichten. Mit der Zeit fielen die Mauern natürlich ein, aber es waren die oberen Mauern, und die Leute flüchteten hinter die unteren, so daß nur drei Personen ihr Leben ließen. Einige von den „Dirks“ in „den Gärten“ wurden auch bombardiert, aber ohne viel Schaden. Es schien, als wolle der Feind sein schweres Geschütz und seine Schrapnells bis zuletzt aufbewahren. Drei Kanonenkugeln fielen in der ersten Woche auf unser Grundstück, eine davon gegen ein Tor von Dr. Ushers Haus; 13 Personen wurden von Kugeln auf unserm Grundstück verwundet, eine tödlich. Unser Grundstück liegt so im Mittelpunkt, daß die Kugeln der Türken hindurch pfiffen, in mehrere Zimmer eindrangen, die Ziegel der Dächer zerbrachen und die Mauern draußen mit Löcherspuren verzierten.
Dr. Usher tat und tut noch die Arbeit von drei Menschen. Als einziger Arzt in der belagerten Stadt mußte er natürlich für die Patienten im Hospital, die verwundeten Flüchtlinge und die verwundeten armenischen Soldaten tätig sein, aber auch seine Poliklinik und seine Außenpatienten vermehrten sich in erschreckender Weise. Bei den Flüchtlingen hatten Not und Mangel unzählige Fälle von Lungenentzündung und Dysenterie im Gefolge; dazu wütete unter den Kindern eine Masernepidemie. Miß Silliman übernahm die Masernkranken, Miß Rogers und Miß Usher halfen im Hospital, wo Miß Bond und ihre armenischen Krankenschwestern bis an die Grenzen ihrer Kraft angestrengt wurden. Nach einer Weile eröffnete Miß Usher mit Hilfe von Miß Rogers ein weiteres Hospital in einem armenischen Schulhaus, in dem vorher Flüchtlinge Unterkunft gefunden hatten. Dabei war die Schwierigkeit, Bettzeug, Utensilien, Helfer, ja selbst Nahrung für die Patienten zu bekommen. Die ärztliche und wundärztliche Tätigkeit wurde durch Mangel an Medikamenten gehemmt, denn die jährlichen Lieferungen für Dr. Ushers Apotheke lagerten im Hafen von Alexandrette.
Zwei Wochen nach dem Beginn der Belagerung kam ein aus Ardjesch geflüchteter Mann, um von dem Schicksal dieser Stadt, der zweitgrößten im Wilajet, nach Wan zu berichten. (Ardjesch liegt in der fruchtbaren Ebene, die das Nordufer des nordöstlichen Ausläufers des Wansees, der See von Ardjesch genannt wird, bildet. Die alte Stadt, eine Residenz der armenischen Könige und des Seldschukken Toghrul Beg, ist vor 70 Jahren vom See überschwemmt worden, und der Name ist auf die neue Stadt (Agantz) übergegangen. Die Ebene von Ardjesch ist durch ihre Fruchtbarkeit und Melonenkultur berühmt.) Der Kaimakam von Ardjesch hatte die Männer von allen Handwerksgilden zusammengerufen. Da er immer freundlich gegen sie gewesen war, vertrauten sie ihm. Als sie alle beisammen waren, ließ er sie von den Soldaten niedermähen. Soweit wir in Erfahrung bringen konnten, entkam nur ein Mann und zwar dadurch, daß er sich die ganze Nacht unter einem Haufen von Leichen versteckt hielt.
Viele von den Flüchtlingen hatten nahe bei der Stadt in dem kleinen Dorf Schuschanty auf einem Berge, wo man einen Blick auf die Stadt hat, haltgemacht. Hier befahl ihnen Aram zu bleiben. Am 8. Mai stand das Dorf in Flammen, und ebenso verbrannte das danebenliegende Kloster Warak nebst seinen unersetzlichen alten Manuskripten. Jetzt kamen die Flüchtlinge in die Stadt. Der Wali Djevded schien seine Taktik geändert zu haben. Er ließ Frauen und Kinder zu Hunderten hereintreiben, damit sie die Hungersnot in der Stadt vermehren hülfen. Dank der Mobilisation im vorigen Herbst waren die Weizenvorräte in „den Gärten“ schon im Anfang sehr zusammengeschmolzen und nun, da zehntausend Flüchtlingen eine tägliche Ration gegeben wurde – wenngleich eine Ration, die kaum zur Erhaltung des Lebens genügte –, neigten sich die Vorräte schleunigst ihrem Ende zu. Auch die Munition wurde knapp. Die Aussichten schienen sehr trübe. Djevded konnte viele Leute und Munition von anderen Städten heranschaffen. Wenn nicht von anderer Seite Hilfe kam, war es nicht möglich, die Stadt noch länger zu halten, und die Hoffnung auf solche Hilfe schien sehr schwach zu sein. Wir hatten keine Verbindung mit der Außenwelt. Ein Telegramm, das wir an unsere Botschaft schicken wollten, kam nie aus unserer Stadt heraus. Die Daschnakzagan schickten Hilferufe an die russisch-armenischen Freiwilligen an der Grenze, aber keiner von den Boten kehrte zurück, und wir haben seitdem erfahren, daß keiner seinen Bestimmungsort erreichte. Wir wußten, daß in der letzten Bedrängnis unser Grundstück die letzte Hoffnung für die Leute in den belagerten „Gärten“ sein würde. Von Djevded, der über die lange Belagerung wütend war, konnte man kaum hoffen, daß er das Leben von irgend einem dieser Männer, Frauen und Kinder schonen würde. Er würde vielleicht den Amerikanern persönliche Sicherheit versprechen, wenn sie das Grundstück verließen, aber das wollten wir natürlich nicht tun. Wir wollten das Schicksal unserer Leute teilen. Und es war auch durchaus nicht unwahrscheinlich, daß der Wali uns nicht einmal Sicherheit bieten würde, da er zu glauben schien, daß wir die „Rebellen“ unterstützten.
Sonnabend und Sonntag, den 15. und 16. Mai, sah man mehrere Schiffe Avantz, den Hafen von Wan, verlassen. Sie enthielten die Familien von Türken und Kurden; den Männem war verboten worden, sich zu entfernen. Wir begaben uns nun alle auf die Dächer, sahen durch Ferngläser und wunderten uns. Bei den Türken herrschte augenscheinlich eine Panik. Schon einmal am Anfang des Jahres war unter ihnen eine Panik ausgebrochen, als die Russen bis Sarai vorgerückt waren; aber es war weiter nichts erfolgt. Hatte diese Flucht eine ähnliche Bedeutung?
Wie dem auch sein mochte, jedenfalls hatten die Türken die Absicht, noch so viel Unheil als möglich anzurichten. Am Sonnabend begannen die Kanonen der großen Kasernen auf uns zu schießen. Zuerst konnten wir nicht glauben, daß die Schüsse auf unser Sternenbanner zielten, aber schließlich blieb kein Zweifel darüber.[4] Sieben Bomben fielen auf unser Grundstück, eine auf das Dach von Miß Rogers und Miß Sillimans Haus, wobei sie ein großes Loch machte. Zwei andere bewirkten dasselbe auf den Dächern der Knaben- und Mädchenschule. Am Sonntag morgen begann das Bombardement von neuem. 26 Bomben fielen schon am Vormittag auf unser Grundstück, am Nachmittag weitere 10, die entweder niederfielen, oder in der Luft explodierten. Das Pfeifen der Schrapnells war ein Laut, den man nie wieder vergißt. Eine Granate explodierte in einem Zimmer von Mrs. Raynolds Haus und tötete ein kleines Kind. Eine andere Granate schlug durch die äußere Mauer von Miß Knapps Zimmer in Dr. Ushers Haus, explodierte, und dabei drangen die Hülsen und die Kugeln, die sie enthielt, durch die Mauer in das angrenzende Zimmer und zerbrachen die Tür der entgegengesetzten Mauer.
Nach Sonnenuntergang war alles still. Es kam ein Brief von den Bewohnern des einzigen armenischen Hauses innerhalb der türkischen Linien, das verschont geblieben war, weil Djevded als Knabe darin gelebt hatte.[5] Darin wurde mitgeteilt, daß die Türken die Stadt verlassen hätten. Die Kasernen auf dem Burgfelsen und am Fuß desselben enthielten eine so kleine Wache, daß sie leicht überwältigt wurden. Dann wurden die Kasernen niedergebrannt. Dasselbe geschah mit sämtlichen türkischen „Dirks“ (Verschanzungen), die danach aufgesucht wurden. Die große Kaserne spie ihre Garnison aus, einen Trupp von zahlreichen Reitern, die über die Hügel davon ritten. Nach Mitternacht wurde dann die Kaserne niedergebrannt. Man fand große Vorräte von Weizen und Munition. Das alles erinnerte an 2. Könige 7 (Belagerung von Samaria).
Die ganze Stadt war wach, man sang und freute sich die ganze Nacht. Der Weg zur befestigten Stadt war nun offen, ebenso auch zum türkischen Hospital. Nun aber kam der erste Dämpfer auf unsere Freude. Miß Mc Claren und Schwester Martha waren nicht da. Sie waren vor vier Tagen mit den verwundeten Soldaten nach Bitlis geschickt worden. [Ein Brief von Djevded Bey an Herrn Spörri besagte, „das Kriegsglück habe sich gewendet und die Schwestern seien mit ihrem Willen nach Bitlis gegangen“. Nach einer Mitteilung von Herrn Spörri.] Aus anderer Quelle erfuhr ich, daß Djevded ihnen nicht gestattet hätte, uns zu besuchen, weil (so sagte er) die Armenier vernichtet worden seien und es nicht sicher für sie wäre, zu uns zu gehen. Wir waren ihretwegen sehr besorgt.[6] 25 türkische Soldaten, die zum Reisen zu krank waren, hatte man ohne Nahrung und Wasser im Hospital zurückgelassen. Sie wurden zu uns gebracht. Man fand viele Leichen, einige von russischen Kriegsgefangenen, die die Türken bei ihrer Flucht getötet hatten.
Am Dienstag, den 18. Mai, kam die Vorhut der russisch-armenischen Freiwilligen. Sie hatten keine Botschaft von Wan erhalten und wußten nicht, daß die Stadt schon in den Händen der Armenier war. Am Mittwoch, den 19. Mai, kamen die Freiwilligen mit Soldaten der russischen Armee herein. Sie hatten das ganze Land östlich des Wansees von türkischen Truppen gesäubert und fuhren damit fort. Auch heute wurde heftig gekämpft. Russische Truppen hatten schon den Weg nach Bitlis eingeschlagen, wo bis dahin noch kein Massaker stattgefunden hatte, wie uns der russische General erzählte. Das Feldlazarett war bei dem schnellen Vormarsch mehrere Tage hinter der Armee zurückgeblieben; ebenso war es mit den Proviantkolonnen. Es war für die Stadt eine schwere Aufgabe, jetzt auch noch die Armee zu ernähren und ihr alles zu überlassen. Es gab Weizen, aber kein Mehl, denn die Mühlen hatten nicht mehr gearbeitet. Fleisch war kaum zu bekommen, obwohl die Kosaken große Schafherden in den kurdischen Bergen requiriert hatten.
Auf unserm Grundstück sind tausend türkische Frauen und Kinder, die die armenischen Soldaten uns gebracht haben, weil das der sicherste Zufluchtsort für sie wäre.[7] Die Armenier haben überhaupt den türkischen Gefangenen gegenüber eine bewunderungswürdige Selbstbeherrschung gezeigt, wenn man bedenkt, wie die Türken sich ihnen gegenüber benahmen. Ein verwundeter Soldat, der vom türkischen Hospital zu uns gebracht wurde, rühmte sich, daß er 20 Armenier getötet habe. Sie setzten ihn bei uns ab und taten ihm weiter nichts. Die Ernährung der Flüchtlinge in dieser Notzeit und die Frage, was mit ihnen werden solle, sind schwierige Probleme für unsere Mission und werden schwieriger von Tag zu Tag. Es würde ihr Tod sein, sie jetzt wegzuschicken, sie müssen unbedingt durchgebracht werden, und niemand außer uns kann es tun. Der General hat uns eine Wache für sie versprochen.
Inzwischen ordnen sich allmählich die Verhältnisse. Aram ist zum Gouverneur ernannt worden. Die Dorfleute kehren zu ihren Heimstätten zurück. Unsere 4000 Gäste haben uns verlassen. Wir haben die Schutzvorrichtungen von unseren Fenstern entfernt. Die Freiwilligen haben unser zweites Hospital übernommen; so wird die Arbeit in unserem eigentlichen Hospital wieder leichter.“
Soweit der amerikanische Bericht.
Ein anderer Bericht enthält noch folgende Einzelheiten:
„12 000 Granaten wurden gegen die Stadt gefeuert. Die Kanonenschüsse haben fast keine Verluste gebracht. Sie zerschossen am Tage die Häuser, aber in der Nacht wurden sie wieder instand gesetzt, so daß die Armenier kein Terrain verloren, dagegen wurden 20 türkische Häuser von ihnen neu besetzt. Den Hauptvorteil gewannen sie, als es ihnen am vierten Tage gelang, die Hamid-Agha-Kaserne in die Luft zu sprengen und niederzubrennen. Sie legten eine Bombe an die Grundmauer der Kaserne, die explodierte. Obwohl die Kaserne nicht zusammenstürzte, geriet sie in der Nacht plötzlich in Brand. Einige Soldaten verbrannten, die übrigen flohen im Schutz der Nacht. Durch Besetzung des Terrains dieser Kaserne waren die Armenier Herren von Aigestan. Die Stärke der Regierungstruppen überstieg nicht 6000 Mann, nur die Hälfte waren reguläre Truppen. Die Regierung versuchte alle Mittel, die Armenier zur Übergabe zu bewegen. Bis zur letzten Stunde wußten sie nichts von einem Entsatz.
Die Belagerung hatte genau 30 Tage gedauert. Auf armenischer Seite sind im ganzen nicht mehr als 18 gefallen, aber viele verwundet; die Verluste der Türken sollen beträchtlicher gewesen sein. Von den armenischen Stadtteilen verbrannten Glortach und Surb Hagop, ebenso mehre türkische Quartiere. Die türkischen Bewohner flohen nach Bitlis. Zehn Tage nach dem Einmarsch der russischen Vortruppen in Wan kam der General Nikolajeff mit dem Gros in die Stadt. Aram begrüßte ihn und sagte in seiner Ansprache: „Als wir vor einem Monat zu den Waffen griffen, rechneten wir nicht damit, daß die Russen kommen würden. Unsere Lage war damals verzweifelt. Wir hatten nur die Wahl, uns zu ergeben und uns wie die Schafe abschlachten zu lassen, oder mit klingendem Spiel im Kampfe zu sterben. Wir zogen das Letztere vor. Unerwartet wurden wir von Ihnen entsetzt, und jetzt sind wir Ihnen, nächst der tapferen Verteidigung der Unsrigen, unsere Errettung schuldig.“
Es ist wichtig, festzustellen, daß, wie die amerikanischen Missionare und der Bericht über den Empfang der Russen übereinstimmend bezeugen, die Armenier von Wan in keiner Verbindung mit den Russen und den russisch-armenischen Freikorps standen, auch während der Belagerung nicht in der Lage waren, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Der sogenannte „Aufstand von Wan“ war ein Akt der Selbstverteidigung und eine Episode in der Geschichte der Massakers, nicht Landesverrat.[8] Der Entsatz von Wan war eine Etappe in den Operationen der russischen Truppen gegen Nordpersien und das Wangebiet, nicht eine Aktion zugunsten der Armenier von Wan. Die beiden Ereignisse, die Selbstverteidigung der Wan-Armenier gegen das ihnen drohende Massaker und der Vormarsch der Russen stehen in keinem kausalen Zusammenhange zueinander. Hätten die Türken genügende Truppen und fähige Führer gehabt, um den russischen Vormarsch aufzuhalten, der ihnen ihre nordpersischen Eroberungen und die nordöstliche Hälfte des Wilajets Wan kostete, so hätte die Episode keinerlei Bedeutung für die Kriegslage an der kaukasisch-persischen Grenze gehabt. Durch ihre Selbstverteidigung bezweckten die Wan-Armenier nichts anderes, als das Leben der Ihrigen zu retten. Sie hätten sonst dasselbe Schicksal wie die Armenier der übrigen Wilajets erlitten.
In Berliner Kreisen wurde schon im Juni erzählt, der Wali von Wan Djevded Bey, der Schwager des Kriegsministers Enver Pascha, sei in seinem Konak durch eine armenische Bombe lebensgefährlich verwundet worden und zur Vergeltung dafür sei das Strafgericht über die Armenier verhängt worden. Im Oktober brachten deutsche Reisende aus Konstantinopel die Nachricht mit, Djevded Bey sei in Wan von den Armeniern auf den Straßen tot geschleift worden. Beide Nachrichten sind frei erfunden. Djevded Bey hat drei Tage vor dem Einmarsch der Russen in voller Gesundheit Wan verlassen und hat sich mit seinen Truppen nach Bitlis zurückgezogen. Er ist dann bei dem Rückzug der Russen noch einmal drei Tage in Wan gewesen. Da die Stadt von den Türken angezündet worden war, hatte er in dem einzigen Hause, das von der Deutschen Mission noch stand, Quartier genommen und ist dann nach Bitlis zurückgekehrt.
Die Operationen der Russen auf dem türkisch-persischen Grenzgebiet ergeben folgendes Bild:
Am 2. und 3. Mai wurde die türkische Armee unter Chalil Bey, die das Salmas- und Urmiagebiet besetzt und die armenischen und syrischen Dörfer des ganzen Bezirks verwüstet hatte, von den Russen bei Dilman geschlagen und mußte sich nach Urmia zurückziehen. Bei Urmia verstärkten sich die türkischen Truppen, die von ihren 20 000 Mann einige Tausend verloren hatten, durch 10 000 Kurden, die um Urmia konzentriert wurden, und versuchten, wieder in die Salmas-Ebene vorzudringen. Am 15. Mai wurden sie von den Russen aus der Salmas-Ebene vertrieben und mußten sich ins obere Zab-Tal in der Richtung auf Mosul zurückziehen. Inzwischen waren russische Truppen in das Quellgebiet des östlichen Euphrat, in die Ebene von Alaschkert, und aus dem Wilajet Erzerum in das Wangebiet nördlich des Wansees eingerückt. Sie hatten am 9. Mai Tutak, am 11. Mai Padnotz, am 17. Mai Melaskert besetzt. Sie drangen dann noch weiter bis Gob und Achlat (in der Nordostecke des Wansees) vor, wo sie sich bis Anfang August behaupteten. Gleichzeitig drangen andere Abteilungen der Kaukasusarmee südlich des Ararat in die Ebene von Bajasid vor, besetzten am 8. Mai Teperes, überschritten die Kette des Owadschik Dagh, drangen in die Abagha-Ebene vor, besetzten am 11. Mai Berkeri, am 13. Mai Ardjesch und rückten am 19. Mai mit ihrer Vorhut in Wan ein. Gleichzeitig überschritt die Armee, die die Türken aus der Salmas-Ebene verdrängt hatte, die türkisch-persische Grenzkette und stieg in das Quellgebiet des oberen Zab hinunter, wo sie am 16. Mai Baschkaleh besetzte und durch das Hayoz Dzor auf Wostan (an der Südostecke des Wansees) vorrückte, um auf Bitlis weiter zu marschieren.
Die ganze Operation der russischen Armee bestand, nachdem Nordpersien von türkischen Truppen gesäubert war, aus einem konzentrischen Vorgehen längs der ganzen türkischen Ostgrenze in der Richtung auf den Wansee. Der Erfolg der Operationen war die Besetzung des Gebietes nördlich, östlich und südöstlich vom Wansee.
Am 26. Mai hatten die vorrückenden russischen Truppen Wostan, an der Südostecke des Wansees, besetzt und dadurch die Verbindung der in Nordpersien operierenden Armee von Chalil Bey mit Bitlis und Erzerum gesperrt. Die Armee von Chalil Bey mußte daher versuchen, durch die kurdischen Gebiete südlich des Wansees oder über Mosul den Anschluß an die türkische Hauptarmee, die bei Erzerum stand, zu erreichen. Im Urmiagebiet konnte sie sich unter dem Druck der russischen Truppen nicht länger behaupten. Drei Wochen nach der Niederlage von Diliman, am 25. Mai, hatte Chalil Bey Urmia geräumt. Die Russen rückten in Urmia ein und ermöglichten den zwangsweise islamisierten Christen, die noch zurückgeblieben waren, wieder zurückzutreten. Chalil Bey blieb nur der Weg in das obere Zabtal, denn die Russen hatten bereits Diza, im Distrikt von Geber und Baschkaleh, erobert. Aber auch das schwer passierbare obere Zabtal, durch das der Weg nach Mosul herunterführt, war von den nestorianischen Bergsyrern bei Djulamerk gesperrt worden. Diese hatten von den Massakers unter ihren Volksgenossen im Urmiagebiet gehört und waren entschlossen, sich gegen ein gleiches Schicksal zu verteidigen. Als ein halbunabhängiger Stamm, der, den Kurden gleich, in den wilden Bergen des Hakkari-Gebietes lebt, sind sie auch in Friedenszeiten bis an die Zähne bewaffnet, um sich gegen ihre kurdischen Nachbarn zu verteidigen. Chalil Bey blieb daher nichts anderes übrig, als sich mit seiner Armee zwischen den Russen und den Bergsyrern durchzuschlagen, um auf halsbrecherischen Wegen über die kurdischen Berge Bitlis zu erreichen. Auf diesem Marsch wurde er von den russischen Truppen aus der Richtung von Baschkaleh angegriffen. Sich langsam zurückziehend, hielt er hartnäckig stand und besetzte zuletzt eine fast unzugängliche Gebirgskette, 40 bis 50 Kilometer südlich von Baschkaleh. In diesen Felswüsten, deren Gipfel noch mit Schnee bedeckt waren, begann ein verzweifelter Kampf. Am 4. Juni wurden durch einen Angriff der Russen die Truppen von Chalil Bey zersprengt und in das Tal von Liwa herabgeworfen. Reste seiner Armee schlugen sich auf Bergpfaden nach Sört durch. Chalil Bey selbst gelangte auf Umwegen nach Bitlis und sammelte dort, was sich von seiner persischen Okkupationsarmee allmählich wieder zusammenfand. Die Kurden, die sich in Urmia an die Armee von Chalil Bey angeschlossen hatten, waren in die kurdischen Distrikte von Schemdinan, südöstlich von Urmia, entwichen.
Inzwischen hatte der Nordflügel der türkischen Kaukasusarmee aufs neue die Offensive gegen Olti ergriffen. Da sie hier auf den hartnäckigen Widerstand der Russen stießen und nicht vorwärts kamen, verstärkten sie wieder ihren rechten Flügel, der gegen das Wangebiet operierte. In breiter Front drangen sie von Keslar Dagh bis zum Scharian Dagh vor, und suchten durch den Delibaba-Paß wieder in die von den Russen besetzte Alaschkert-Ebene vorzudringen. Ebenso rückten sie von Westen her gegen die russische Front vor und besetzten eine Linie, die vom Nimrud-Dagh, am Westende des Wansees über Karmuch und Pirrhus, zum Nassik-See und über den Bulama-See nach Gob führte. Die Russen waren zuvor schon westlich des Nimrud-Dagh auf Bitlis vorgestoßen und bereits in die Ebene von Musch heruntergestiegen, wo sie Wardenis besetzten, hatten aber diese vorgeschobene Stellung wieder geräumt und sich auf die Linie Achlat-Melaskert zurückgezogen, als Truppen, die aus Mosul kamen, sich mit den Resten der Armee von Chalil Bey in Bitlis vereinigt hatten. Die Türken warfen nun ein Armeekorps von Erzerum gegen die russische Front. Am 8. August eroberten sie den Paß von Mergemer, der ihnen die Alaschkert-Ebene aufschloß. Die Russen aber warfen sie wieder zurück und hielten nach verschiedenen Kämpfen die Linie Gob-Achlat.
Während der Offensive der türkischen Armee räumten die Russen vom 31. Juli bis zum 2. August Wan. Die Türken hatten von Bitlis aus einen Vorstoß gegen Wan gemacht, dem die Russen auswichen, um nicht den Operationen nördlich des Wansees Truppen zu entziehen. So konnte Djevded Bey vier Tage nach dem Abzüge der Russen mit 400 Mann Wan besetzen. Er fand aber Wan leer, da die Russen die gesamte armenische Bevölkerung samt den amerikanischen und deutschen Missionaren mitgenommen hatten. Die Räumung der Stadt hatte Hals über Kopf stattgefunden. Die Amerikaner verließen Wan am 2. Juli, der Leiter des deutschen Waisenhauses mit seiner Frau und Tochter und den deutschen Missionarinnen am 3. August. Schwester Käthe schiffte sich mit 50 Kindern des deutschen Waisenhauses ein, um über den See zu fahren. Da das Boot von Kurden beschossen wurde, mußte sie mit den Kindern am 8. August in die brennende Stadt Wan zurückkehren. Am 9. August kam Djevded Bey nach Wan und stieg in der deutschen Mission ab, wo Schwester Käthe ihn aufnahm, da sonst alles verbrannt war. Noch mancherlei war in der Stadt zurückgelassen worden. Die Kurden und Türken fingen sofort an, zu plündern. Die etwa 400 Armenier, die von den 30 000 armenischen Bewohnern der Stadt noch zurückgeblieben waren, Greise, Frauen, Kinder und Kranke konnten sich zum größeren Teil in das Anwesen der deutschen Mission flüchten, wo wenigstens ihr Leben geschützt war. Was die Kurden von Armeniern noch vorfanden, schlugen sie tot, die Frauen nahmen sie mit. Schon nach vier Tagen verließen die türkischen Truppen wieder Wan. Am 14. Juli kehrten die russischen Truppen wieder zurück und mit ihnen viele armenische Familien. Später wiederholte sich, wie es scheint, dieser Wechsel der Besatzung noch einmal. Wan wurde von den Türken wieder besetzt und wieder geräumt. Die Russen kehrten zurück und haben seitdem Wan in Händen.
Schon die erste Räumung von Wan durch die Russen war ziemlich zwecklos. Vielleicht hatte die Heeresleitung nur die Absicht, die Armenier aus Wan herauszuholen. Denn der alte Grundsatz von Lobanoff-Rostowski: „Armenien ohne die Armenier“ hat niemals aufgehört das leitende Prinzip der russischen Armenierpolitik zu sein.
Zu der Zeit, als Wan durch türkische Truppen belagert wurde, sind die wehrlosen armenischen Dörfer des Wilajets systematisch verwüstet und die Einwohner, soweit sie sich nicht flüchten konnten, massakriert worden. Die Flucht, die Anfang April einsetzte, als die Alaschkertdörfer und die Abagha-Ebene geplündert wurden, nahm von Woche zu Woche größere Maßstäbe an. Nach einer Statistik über die Massakers sind in der Zeit von Ende Oktober 1914 bis Mitte Juni 1915 im Wilajet Wan und in den benachbarten Distrikten des Wilajets Erzerum 258 Dörfer geplündert und zerstört und gegen 26 000 Armenier massakriert worden. Die übrige Bevölkerung entzog sich dem sicheren Untergang durch die Flucht. Das Wilajet Wan, das vor dem Kriege 185 000 Armenier zählte, scheint gegenwärtig von Armeniern ausgeleert zu sein. Desgleichen die südöstlichen Gebiete des Wilajets Erzerum mit ca. 75 000 Armeniern. Was noch zurückgeblieben war oder bei dem Vormarsch der Russen seit Mitte Mai zurückkehrte, ist von russischer Seite evakuiert worden, als die russischen Truppen zeitweise Wan räumten (Mitte August). Alles, was sich an armenischer Bevölkerung aus den türkischen Grenzgebieten vor dem Schwert hat retten können, befindet sich gegenwärtig auf russischem Boden, im Araxestal. Die Zahl der Flüchtlinge, die sich größtenteils um Etschmiadzin, den Sitz des armenischen Katholikos, gesammelt haben, soll 200 bis 250 000 betragen. Etwa 200 000 befinden sich auf russischem und 25 bis 50 000 (mit Einschluß der Nestorianer) auf persischem Gebiet. Außer denen, die sich in Urmia zu den amerikanischen Missionaren flüchten konnten, ist dies alles, was von der armenischen und syrischen Bevölkerung in den östlichen Wilajets und in Nordpersien übrig geblieben ist. Über die Verwüstungen, die die türkische Armee von Chalil Bey und die mit ihr vereinigten kurdischen Truppen im Urmia- und Salmasgebiet angerichtet haben, liegen einige Berichte aus Urmia vor:
Der deutsch-amerikanische Pfarrer Pfander aus Urmia schreibt unter dem 22. Juli 1915:
Die frühere Leiterin des deutschen Waisenhauses in Urmia, Frl. Anna Friedemann, die zu Anfang des Krieges gezwungen wurde, ihr Waisenhaus zu räumen und russischen Offizieren zu überlassen, erhielt den folgenden Brief:
Ein anderer Brief sagt:
Ein dritter Brief berichtet:
Über die Verwüstungen der armenischen Dörfer im Wilajet Wan, die von verschiedenen Seiten bestätigt sind, liegt auch noch ein deutscher Bericht von Herrn Spörri, Leiter des deutschen Waisenhauses in Wan, vor, der von einer Reise berichtet, die er im Juni, also nach dem Einmarsch der Russen in das Wangebiet, in der Umgegend von Wan unternahm:
„Da liegt Artamid im Schmuck seiner reizenden Gärten vor uns. Aber wie sieht der Ort aus? Zum großen Teil ist er nur noch ein Trümmerhaufen. Wir sprachen dort drei unserer früheren Waisenknaben, die in der Zeit Furchtbares durchgemacht hatten. Wir reiten weiter über den Berg von Artamid. Unsere Blicke schweifen über das prächtige Tal Hayoz Dzor. Dort liegt vor uns Artananz, jetzt auch ganz zerstört. Weiterhin in dem kräftigen Grün liegt Wostan. Beim ersten Anblick könnte man es ein Paradies nennen, aber in den letzten Tagen ist es zur Hölle geworden. Wieviel Blut mag dort geflossen sein? Es war ein Hauptstützpunkt der bewaffneten Kurden. Am Fuß des Berges kommen wir nach Angegh. Auch dort wieder viele Häuser zerstört. 130 Personen sollen hingemordet sein. Wir lagerten uns hier angesichts der schwarzen Trümmer. Da lag vor uns ein „Amrodz“, wie man sie hier so häufig sieht, ein aus Mistkuchen gebauter Turm. Man sagte uns, in diesem haben die Kurden die getöteten Armenier verbrannt. Schrecklich! Doch ist das immerhin noch bester, als wenn die Leichen der Erschlagenen, wie es an anderen Orten geschehen, lange unbegraben liegen bleiben, von Hunden aufgefressen werden und die Luft verpesten. Als wir dann nach Genn weiterreiten, kommen uns schon Bekannte aus dem Dorfe entgegen, die uns von dem Geschehenen berichten. Auch dort liegen die Stätten unserer früheren Wirksamkeit, Schule und Kirche, in Trümmern, und außerdem noch viele Häuser. Der Mann, bei dem wir sonst einzukehren pflegten, ist auch unter den Erschlagenen. Seine Witwe kann sich noch immer nicht fassen. Hier sollen es ungefähr 150 Ermordete sein. Es seien so viele Waisen in dem Orte, sagte man uns. Ob wir jetzt wieder welche aufnehmen wollten. Wir konnten keine bestimmte Antwort darauf geben… Wir hatten einen wundervollen Blick von der Bergeshöhe, aber in den Dörfern sieht man überall geschwärzte und zerstörte Häuser.“
Von dem Massaker von Ardjesch, das während der Belagerung von Wan stattfand, haben wir schon im amerikanischen Bericht gelesen. Um dieselbe Zeit wurden Achlat und Tadwan überfallen. Die Verwüstungen wurden später vervollständigt, als die Russen im August zeitweise die von ihnen nördlich des Wansees besetzten Gebiete räumten. Der ganze Norden und Nordosten des Wilajets Wan und die angrenzenden Distrikte des Wilajets Erzerum bis zur türkischen Grenze sind so gut wie ausgeleert. Die türkische Bevölkerung, nach türkischer Quelle in Zahl von etwa 30 000, ist vor den Russen her in das Wilajet Bitlis geflüchtet, die armenische Bevölkerung in den Kaukasus.
Die Berichte ergeben, daß bei den Massakers im Wangebiet und in den persischen Distrikten von Salmas, Urmia und Sautschbulak zwischen armenischer und syrischer Bevölkerung kein Unterschied gemacht wurde. Auch die Bergsyrer sollen jetzt von türkischen Truppen zerniert sein. Am 30. September kamen in Salmas viele nestorianische Flüchtlinge aus Djulamerk im oberen Zabtal an. Diese Syrer erzählten, daß weitere 30 000 Nestorianer, unter ihnen auch der nestorianische Patriarch Marschimum, auf der Flucht seien und ihnen folgen würden. Sie seien von türkischen Truppen angegriffen und vertrieben worden. Weiter erzählten sie, daß 25 000 Bergsyrer von Kurden und türkischen Truppen umzingelt seien und sich schwerlich vor Vernichtung würden retten können. Ein
Marschimum Benjamin, der im Oktober nach Chossrowa in Persien kam, teilt näheres über die Verfolgung seiner Kirche in der Türkei mit. Der Marschimum hat seinen Sitz in Kotschannes bei Djulamerk im oberen Zabtal. Er ist ein Mann von 25 Jahren. Das Patriarchat ist erblich in seiner Familie. Der Sitz des Patriarchates wurde im Jahre 1500 von Bagdad nach Kotschannes verlegt. Da die syrisch-nestorianischen Christen der Türkei teils aufgerieben, teils über die persische Grenze und nach Rußland geflohen sind, hat der Patriarch vorläufig seinen Sitz nach Chossrowa in der Salmasebene verlegt. Dort machte er einem Besucher gegenüber die folgenden Mitteilungen:
„Mein Volk besteht aus 80 000 Seelen, die als freie Aschirets (Stämme) in der Türkei lebten. Sie hatten, wie die kurdischen Aschirets, weder Steuern zu zahlen noch Soldaten zu stellen. Kein türkischer Beamter kam in unser Gebiet. Unsere Stämme sind von alter Zeit her bewaffnet, schon die zehnjährigen Knaben werden im Waffendienst geübt, so daß wir uns mit unseren 20 000 Bewaffneten gegen die Raubüberfälle der um uns wohnenden Kurden schützen konnten. Als die Konstitution in der Türkei eingeführt wurde, schenkten wir den Versprechungen der Regierung Glauben, die uns Sicherheit verbürgte, und verkauften einen großen Teil unserer Waffen, da man uns glauben machte, daß auch die Kurden entwaffnet worden seien. Dadurch wurde unser Volk wehrlos. Nach der Erklärung des Dschihad beschlossen die Türken, uns ebenso wie die Armenier auszurotten und ließen uns durch ihre Truppen und durch die Kurden, in deren Mitte wir wohnen, überfallen. Unsere Lage verschlimmerte sich noch mehr, als Chalil Bey nach seinen Niederlagen in Salmas und im Urmiagebiet sich im April des Jahres mit seiner geschlagenen Armee durch unsere Täler zurückzog. Ende Mai brachen türkische Truppen aus Mosul, in unser Gebiet ein. Mit dieser Zeit begannen die offiziellen Massakers und Verwüstungen in unseren Dörfern. Unser Volk verließ die Weideplätze und zog sich in das Hochgebirge von Betaschin zurück, wo es jetzt eingeschlossen ist. Die Lebensmittel drohen ihnen auszugehen, und es herrschen Epidemien. Es bleibt ihnen nur noch die Hoffnung, durchzubrechen, und über die persische Grenze zu fliehen.“
Wie die „Frankfurter Zeitung“ unter dem 4. 2. 1916 berichtet, ist der Patriarch nach Tiflis gekommen, und hat dort den Exarchen von Georgien, der dem russischen Synod unterstellt ist, gebeten, für ihn eine Erlaubnis zur Reise nach St. Petersburg auszuwirken. Die Reise soll bezwecken, eine Vereinigung der syrisch-nestorianischen Kirche mit der russisch-orthodoxen herbeizuführen. Nach der Behandlung, die den christlichen Kirchen in der Türkei seit der Erklärung des Dschihad zuteil geworden ist, hat dieser Entschluß nichts Verwunderliches. Die türkische Regierung treibt mit Gewalt Armenier und Syrer in die Arme Rußlands.
Ein Bild von dem Schicksal der Flüchtlinge gibt der folgende
(Schreiber dieses Briefes ist der Lehrer Parunag Ter Harutunian aus Wan, Adressatin Frl. Kohareg Bedrosian.)
Wagharschabad, den 27. August 1915.
Du wirst wohl aus den Zeitungen von der völligen Zerstörung von Wan gehört haben. Mitte April äscherten die Türken mein Haus und unsere ganze Straße ein, in unserem Haus waren 250 Frauen und Kinder aus den Dörfern in der Umgegend von Wan und 50 aus der Stadt, die alle mit verbrannt sind. Es herrschte in Wan eine fürchterliche Pockenkrankheit, die täglich 60 bis 70 Kinder dahinraffte.
Im Juli mußten sich die Russen zurückziehen; infolgedessen mußten auch die überlebenden Armenier Wan verlassen. Meine Schwägerin mit meiner Frau, jede ein Kind in den Armen, und ich mit meinen zwei kleinen Buben, die 8 und 11 Jahre alt sind, mußten ohne jeden Proviant und Reisegepäck die Stadt verlassen. Von Wan bis Igdir – ach dieser Weg des Elendes und des Jammers, gleich der Hölle! – waren wir dreizehn Tage unterwegs, weil wir zu Fuß gehen mußten. Überall auf der Straße fanden wir Leichen. Auf den Feldern lagen die gefallenen Soldaten. In den Dörfern, die völlig verödet waren, war niemand mehr am Leben, außer den Hunden, die die Leichen fraßen. Unsere Karawane bestand, als wir Wan verließen, aus 872 Personen. Nur 93 davon sind in Igdir angekommen. Auch mein eignes Kind, der hoffnungsvolle Zolag, starb unterwegs, und ich konnte ihn nicht einmal begraben. Hingeworfen, weitergezogen oder vielmehr weitergeschoben.
Wir hatten 8 Tage lang unsere Kuh mit, die geduldig abwechselnd unsere Kinder trug. Sie mußte aber am 9. Tage unseres Elendes geschlachtet werden, um die Flüchtlinge am Leben zu erhalten.
Seit vier Wochen hüte ich das Bett und bin froh, daß ich noch am Leben bin. In Wan ist kein Mensch mehr, weder Türke noch Armenier. Hier sind wir mit noch 17 anderen in einem Zimmer einquartiert. Viele sterben durch Schmutz und Hunger. Sorge für Geld und Hilfe um Gottes willen, sonst können wir nicht am Leben bleiben.
1)
Die letzte Phase der Verfolgungsgeschichte spielte sich im Kaukasus ab, als nach dem Frieden von Brest-Litowsk die russische Armee sich zurückzog und den Kaukasus der Invasion der türkischen Truppen preisgab. Über die Vorgänge im Kaukasus vgl. „Deutschland und Armenien 1914–1918“. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, hersg. und eingel. von Dr. Johannes Lepsius. Der Tempelverlag in Potsdam 1919. Einl. S. XLV und die Aktenstücke d. Js. 1918, S. 365 ff.
2) Über Nazareth Tschauch und die Entstehung der Unruhen in Zeitun vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. IX ff. und die Berichte von Konsul Roeßler, Aleppo, Aktenstücke Nr. 11 und 25.
3) Die Gesamtzahl der Deserteure, die, aus Christen und Muhammedanern bestehend, schon vor dem Kriege seit 1913 sich in die Berge geflüchtet hatten, betrug zu der Zeit nach Mitteilung von Herrn Konsul Roeßler etwa 150. Der Verlust der Toten und Verwundeten bei dem Angriff auf das Kloster wird von ihm auf „eine Anzahl Toter und Verwundeter“ angegeben.
4) Die Zahl von 20 000 Seelen umfaßt auch die Dörfer in der Umgegend von Zeitun.
5) Über die Vorgänge in Dörtjol sind nähere Berichte in dem deutschen Konsularbericht aus Adana vom 13. März 1915 gegeben. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 19.
6) Über die Vorgänge in Urfa siehe die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Roeßler von Aleppo, Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 193, 202 und 226 Anl. 1. Am 19. und 20. August fanden Massakers statt, bei denen etwa 200 Armenier getötet wurden. Am 29. September setzten sich die Armenier, um der drohenden Deportation zu entgehen, in Verteidigungszustand in ihrem Stadtviertel. Vom 4. bis zum 15. Oktober währte die Belagerung des Viertels durch türkische Truppen, wobei diese 50 Tote und 120 bis 130 Verwundete hatten. Die männliche armenische Bevölkerung der Stadt wurde, nachdem der Widerstand gebrochen war, zum größten Teil getötet, die Frauen und Kinder deportiert. Die Stadt zählte vor der Deportation etwa 20 000 Armenier.
7) Dazu schrieb Prediger J. Spörri, Leiter der Station Wan des deutschen Hilfsbundes für Christliches Liebeswerk im Orient, am 7. 10. 1916 aus Zürich an den Verfassen
„Als am 20. 4. 15 die Feindseligkeiten vor meinen Augen ausgebrochen waren und in schauerlicher Weise auf uns geschossen wurde, war ich gedrungen, an den Wali zu schreiben. Ich erzählte den Anfang der Feindseligkeiten, teilte mit, daß wir dem Kugelregen ausgesetzt seien, ersuchte, da ich annehmen mußte, daß solches unmöglich nach dem Wollen des Walis sein könne, um weitere Vermeidung solcher Handlungen und bat, die Streitigkeiten friedlich zu ordnen. Mit meinem Schreiben ging ich zu Dr. Usher (es war das ein gefährlicher Weg, da unaufhörlich geschossen wurde), las ihm den Inhalt vor und veranlaßte ihn, von seiner Seite ein Gleiches zu tun. Der Brief vom 23. 4. von Djevdet Bey war die Antwort auf unser Schreiben. Übrigens hatte ich die Verteidiger gebeten, sie möchten sich von der Front unserer Station zurückziehen, da sie das Feuer auf uns zögen. Ich hatte die Genugtuung, daß mein Wunsch erfüllt wurde. Freilich war auch so von einem Aufhören des Feuers gegen uns nicht die Rede.“
8) Auch der Wali Rachmi Bei wurde schließlich, wenn auch erst ein Jahr nach der allgemeinen Deportation, durch den Befehl der Regierung von Konstantinopel gezwungen, den Befehl zur Deportation zu geben. Lediglich dem Einschreiten des Oberbefehlshabers General Liman von Sanders, der mit militärischem Widerstand drohte, ist es zu danken, daß die Deportation der Armenier von Smyrna nicht zur Ausführung kam. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LIX und die Aktenstücke Nr. 306, 307, 308.
9)
Vgl. den fesselnden Bericht über die Flucht der Armenier von Suedije von Pastor Digran Andreasjan, der im Anhang von Lepsius, Dtschl. und Arm. abgedruckt, auch im Tempelverlag in Potsdam separat erschienen ist, „Suedije, eine Episode aus den Armenierverfolgungen des Jahres 1915.“ M. 0,50.
10) Durch Gesetz vom 1. August 1916 wurde ein Jahr darauf die alte Kirchenverfassung der gregorianischen Kirche zerstört und das Patriarchat von Konstantinopel in das Kloster Mar Jakub in Jerusalem verlegt. Erst nach dem Sturz der jungtürkischen Regierung und dem Zusammenbruch der Türkei wurde das Gesetz wieder aufgehoben.
11) Nach dem Zusammenbruch der Türkei ist das ursprüngliche Programm der Daschnagzagan natürlich gegenstandslos geworden. Auf den Glücksfall, daß die beiden Feinde der Armenier, die Türkei und Russland, gleichzeitig zusammenbrechen würden, so daß für ein völlig unabhängiges Groß-Armenien Raum wurde, konnte kein politisches Programm im voraus rechnen.
12) Wartkes wurde zusammen mit Sohrab auf dem Wege von Urfa nach Diarbekir durch die begleitenden Gendarmen auf Befehl der Regierung ermordet. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. 109.
13) Die Polizei in Konstantinopel hat nachträglich zwei Bilderbücher mit Haufen von Gewehren, Bomben, Fahnen und dergl. veröffentlicht, die nur Unkundige über den Wert solcher Machwerke täuschen können. Eine Charakteristik dieser Publikation hat die Deutsch-Armenische Gesellschaft veröffentlicht.
14) Vgl. den Bericht des deutschen Botschafters Freiherrn von Wangenheim in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 38. „Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.“ Die Pforte selbst erklärte offiziell die Verschickung der Konstantinopler Intellektuellen nur für eine Vorbeugungsmaßregel.
15) Die letzte türkische Lesung lautete, daß alle 180 000 Muselmanen von den Armeniern massakriert worden seien. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXIII f.
16) Vgl. dazu die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Anders in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 5, 6 und 10.
17) Das später erschienene Communiqué der türkischen Regierung über die Vorgänge in Urfa wird von dem deutschen Konsul Herrn Roeßler in Aleppo in seinem Bericht vom 16. November 1915 einer Kritik unterzogen. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 202.
18) Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl Kap. V, 5: Die offizielle Motivierung. S. LXVI ff.
19) Vgl. die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln ebenda S. LXXVI ff.
20) Vgl. das Urteil des deutschen Botschafters Graf Wolff-Metternich in Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 287.
21) Vgl. die Urteile deutscher Konsuln in Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXVI ff.
22) Wäre die Türkei siegreich aus dem Krieg hervorgegangen, so wäre allerdings nicht daran zu denken gewesen, daß der Raub des gesamten Nationalgutes des armenischen Volkes wieder rückgängig gemacht worden wäre. Auch jetzt wird es schwer sein, auch nur einen beträchtlichen Teil der beweglichen Habe den Dieben und Räubern, die daß Gut schon längst verschleudert haben werden, zu entreißen.
23) Vgl. den Bericht über die Verhandlungen im türkischen Senat vom Oktober und November 1915 in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 223.
24) Vgl. zu diesem Kapitel den Abschnitt: Zwangsbekehrungen zum Islam, in der Einleitung von Lepsius, Dtschl. und Arm. und ebenda die Konsularberichte laut Sachregister unter Zwangsbekehrungen.
25) Vgl. den Bericht des deutschen Vizekonsuls Herrn Kuckhoff vom 4. Juli 1915 aus Samsun, Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 116 Anlage.
26) Nur unter den syrischen Nestorianern gab es eine kleine hochkirchliche Mission, die am Sitz des nestorianischen Patriarchen in Kodschannes bei Djulamerg im oberen Zabtal und in Urmia auf persischem Gebiet eine Vertretung hatte und eine Art Nuntiatur des Erzbischofs von Canterbury bei dem nestorianischen Patriarchat bildete. Diese hochkirchlichen Herren haben niemals mit Armenien oder der armenischen Frage zu tun gehabt und sich ausschließlich auf die syrischen Nestorianer beschränkt.
27) Dies war Anfang 1916 geschrieben. Nach der Vernichtung ihres Volkstums in der Türkei würden es jetzt natürlich alle noch Überlebenden Armenier ablehnen, unter türkische Herrschaft zurückzukehren.
28) Vielleicht wird Herr Bratter nach der Veröffentlichung der diplomatischen Aktenstücke über den Vernichtungskampf der Türken gegen die christlichen Armenier durch die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln jetzt eines Besseren belehrt werden.
29) Den genannten Städten ist noch Aleppo hinzuzufügen, wo dank der rastlosen Bemühungen des deutschen Konsuls wenigstens die ortsansässige Bevölkerung von der Deportation verschont blieb. Die Armenier von Bagdad waren zunächst nach Mossul deportiert worden und sollten von dort weitergeschafft werden. Der Einspruch des Feldmarschalls Freiherrn von der Goltz, der den Weitertransport untersagte, wurde von der Regierung in Konstantinopel erst respektiert, als der Feldmarschall wegen dieser Sache telegraphisch um seine sofortige Abberufung bat. S. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl. S. LIX und Aktenstück Nr. 224.
30)
Über den Gesamtverlust an Ermordeten und Verhungerten, der auf eine Million geschätzt wird, vgl. Lepsius Dtschl. und Arm. Einleitung V, 4, S. LXIII, das Kapitel: Opfer.
Anmerkungen
- ↑ Der amerikanische Bericht wird durch die Mitteilungen von Herrn Spörri, Leiter des deutschen Waisenhauses, der nach der Zerstörung von Wan als Letzter die Stadt verlassen hat und über Rußland zurückgekehrt ist, bestätigt.
- ↑ Das gleiche Angebot wurde dem deutschen Waisenhaus gemacht und von Herrn Spörri angenommen; eine Wache wurde aber nicht gestellt
- ↑ Sie war als Mädchen im deutschen Waisenhaus erzogen und war vom Lande, wo die Dörfer verwüstet wurden, in die Stadt geflüchtet.
- ↑ Auch das Grundstück der Deutschen Mission wurde beschossen, obwohl eine deutsche Fahne darüber wehte.
- ↑ Djevded Bey ist der Sohn und Nachfolger des ausgezeichneten Wali Tahir Pascha, der 16 Jahre lang im besten Einvernehmen mit den Armeniern als Gouverneur des Wilajets Wan in der Stadt gelebt hatte und Muhammedanern und Christen gleichermaßen gerecht geworden war.
- ↑ Inzwischen traf die Nachricht ein, daß Schwester Martha Kleiß am 30. Juli in Bitlis an Typhus gestorben ist.
- ↑ Auch auf dem Grundstück der deutschen Mission wurden 600 türkische Frauen und Kinder untergebracht.
- ↑ Dies wird auch von den Deutschen, die die Belagerung mit durchmachten, bestätigt.