Der Vogeltobies
„Hier finden wir den Mann, zu welchem ich Sie führen will,“ sagte mein Begleiter, ein bairischer Revierförster, mit dem ich auf einer Tour in den Frankenwald zusammengekommen war, „er ist Factor der kleinen Löffelfabrik, deren rußige Gebäude hier neben dem freundlichen Wohnhäuschen des Mannes liegen.“ Wir wurden auf das Herzlichste willkommen geheißen, nur wurde bedauert, daß wir gerade zu einer Zeit kämen, wo die Vögel nicht mehr sängen. Das mit zwei kleinen Fenstern versehene Wohnstübchen enthielt außer dem Bett, dem Tisch und einigen Stühlen in der That nichts als Vogelbauer, die theils an den Fenstern hingen, theils die diesen gegenüberliegende Wand bedeckten und selbst unter dem Ofen angebracht waren. Und welch ein Leben hier in den vielen kleinen und großen Käfigen! Diese kleine bunte Welt in ihrem schmucken Gefieder bildete einen wunderbaren Gegensatz zu der einförmigen todten Landschaft, die wir eben erst verlassen hatten. Es war ein unaufhörliches Hüpfen und Springen, ein lustiges Zwitschern und Piepen, ein munteres Spielen und Necken, so daß man fast meinen sollte, die kleine Gesellschaft befände sich hier in der Gefangenschaft wohler, als draußen im Freien. In einem einzigen Bauer, der sechs Fuß breit, vier Fuß hoch und zwei Fuß tief in eine Wandnische eingefügt war, wohnten dreiundzwanzig Vögel beisammen. Wir sahen hier eine Amsel, drei Dompfaffen, vier Finkmeisen, drei Blaumeisen, einen Zeisig, einen Hänfling, einen Stieglitz, eine welsche Grasmücke, drei Finken, ein Rotkehlchen, einen Grünling, einen Buchfinken oder Quäker, einen Emmerling und einen Meerzeisig oder Zetscher. Unter dem Ofen hatten außer verschiedenen schwarzköpfigen und welschen Grasmücken, Stieglitzen, Hänflingen und Rothkehlchen auch Feld-, Haide- und Dulllerchen ihr Logis angewiesen bekommen. An Zippen, Weindrosseln, Krammetsvögeln und dergl. fehlte es natürlich auch nicht.
In kleineren Drahtbauern, welche an den Fenstern hingen, waren die Kreuzschnäbel oder die „Kreinitze“ verwahrt. Auch im Frankenwalde ist der Glaube weit verbreitet, daß der Kreuzschnabel gewisse Krankheiten, namentlich die Gicht, der Menschen an sich ziehe und alsdann sterben müsse. Ob der Umstand, daß der Kreuzschnabel – von allen Vögeln der einzige – im Winter brütet, an der Entstehung dieses Volksglaubens Antheil hat, wollen wir dahingestellt sein lassen. Man findet aber, wie auf dem Thüringer Walde, so auch auf den Höhen des Frankenwaldes, fast in jedem Hause einen Kreuzschnabel, welcher, je nach seiner Stimme, mit dem Namen Kipper, Tripper, Witzer oder Sapper belegt wird und nur von den Samen der Tannenzapfen lebt, die er sich aus den ihm zugesteckten „Krusteln“ selbst herauszulösen weiß. Sämmtliche Vögel eines und desselben Vogelbauers, auch diejenigen des erwähnten größten Käfigs, fraßen aus einem und demselben Gefäße, und alle zusammen hatten auch nur ein Saufnäpfchen. Als der Besitzer der kleinen befiederten Wesen eine Hand voll Hanf in das Freßnäpfchen that, war es eine Lust, zu sehen, wie schnell die meisten Vögel von ihren Stangen herabgeflogen kamen, um rasch einige Körner zu erhaschen.
Am Eifrigsten zeigten sich die Dompfaffen oder Gimpel, die sogar Niemanden weiter am kleinen Freßständer dulden wollten und um sich bissen, hierdurch aber sich in einen Krieg verwickelten, der äußerst lebhaft im ganzen Bauer herum geführt wurde und so lange währte, bis die anderen Vögel ungestört die sämmtlichen vorgeworfenen Körner aufgefressen hatten, so daß die Gimpel schließlich gar [792] nichts bekamen. Jeder Vogel hatte im Bauer sein selbstgewähltes, bestimmtes Plätzchen, und zwar meist auf den Stangen des Bauers, welches unser Vogelkundige auch selbst dann noch und zwar an der Losung zu erkennen glaubte, wenn die Vögel auf einige Zeit im Bauer herumflogen oder sonst wie promenirten oder sich nachbarliche Besuche abstatteten oder in eine Fehde verwickelt waren oder Vesper und dergl. hielten. Einige, wie z. B. die Grasmücken, die Rothkehlchen und die Amseln, lieben ein dunkles Plätzchen; andere, wie die Finken, Zeisige und namentlich die Meisen, sind weniger lichtscheu. Die unruhigsten Gesellen unter der Bevölkerung des großen Bauers waren die Meisen, die, von einer unwiderstehlichen Neugierde und Spiel- und Zanksucht getrieben, fast fortwährend hin und herfliegen oder hüpfen. Aeußerst lebhaft sind auch die Rothkehlchen, während die Dompfaffen, solange als es nicht zum Essen geht, sich als die Faulsten und Trägsten erweisen. Die Finkmeisen sind äußerst streitsüchtig, und der Zeisig macht sich als ein naseweiser und sehr gefräßiger Bursch bemerklich.
Im ersten Augenblicke war ich der Meinung, das Beisammensein so vieler Vögel in einem kleinen Raume müsse einen übelen Geruch in dem Zimmer erzeugen. Es war dies jedoch durchaus nicht der Fall. Unser Vogelmäcen gab uns auch darüber die gewünschte Auskunft. „Reinlichkeit,“ sagte er, „ist auch bei den Stubenvögeln ein Haupterforderniß, um sie recht lange munter und frisch zu erhalten. Aus diesem Grunde wird die Losung der Vögel täglich zwei Mal und zwar stets vor dem Füttern entfernt. Reines, frisches Wasser muß ebenfalls täglich mindestens zwei Mal gegeben werden. Das Futter selbst, aus griesiger Weizenkleie, gekochten Erdäpfeln und Milch bestehend, soll man jeden Tag frisch anmachen und alsdann an einem kühlen Orte aufbewahren, um das Säuern zu verhüten. Manche Vögel, z. B. die Amseln, Drosseln etc., ziehen zwar das bereits in Säure eingetretene dem frischen Futter vor; man darf indessen hierin nicht nachgeben. Als „hartes Futter“ dienen Rübsen, Canariensamen und gekochter Hanf; der letztere muß jedoch nach dem Kochen schnell an der Sonne oder auf dem Ofen getrocknet werden. Es ist sehr anzurathen, solchen Vögeln, welche, wie die Finken, Quäker, Stieglitze, Hänflinge etc., das sogenannte harte Futter dem weichen vorziehen, zuweilen nur weiches zu reichen, weil man dadurch die Lebenszeit der Vögel verlängert. Ameiseneier und Mehlwürmer dürfen nicht im Uebermaß gespendet werden, da dieselben sonst leicht ihre gute Eigenschaft, zum Singen anzureizen, verlieren.“ Als ein vorzüglich gutes Recept für Vogelkost, die ebenfalls zum Singen vielen Anreiz gäbe, empfahl unser Vogelfreund Folgendes: Man siede mehrere Eier, schneide sie in Stücke, trockene diese und gebe alsdann täglich Morgens jedem Vogel ein Stückchen, nachdem über dasselbe siedende Milch gegossen worden ist. Beinahe alle Vögel fressen das Ei gern. Je nach der Jahreszeit verabreicht unser Löffelfactor seinen Lieblingen auch etwas Grünes, z. B. Salat, Knöterich („Hühnerscherbel“), Sauerampfer, Hollunderbeeren etc. Die Hänflinge fressen den Wegebreitsamen gern.
Bei dieser sorgfältigen Abwartung der kleinen Thiere ist es wohl kein Wunder, wenn unser Vogelfreund auch ganz besondere Resultate erzielt hat. Matthias Bechstein, der große Kenner unserer Stubenvögel, sagt irgendwo, daß man eine welsche Grasmücke kaum länger als vier Jahre in der Stube fortbringen könne; der mich begleitende Revierförster bezeugte aber unserem Factor, daß derselbe eine welsche Grasmücke bereits seit funfzehn Jahren besitze, die jetzt noch ganz wacker sänge. Ebendasselbe Thierchen hatte sich vor sechs Jahren während der Flugzeit, in welcher die Vögel Nachts bekanntlich im Vogelbauer sehr unruhig werden, die Flügelfedern ausgestoßen, so daß ihm seit dieser Zeit ein besonderer Bauer zur Wohnung gegeben werden mußte.
Auch als Wetterpropheten gelten unserem Vogelfreunde seine gefiederten Sänger. Wenn nämlich regnerisches Wetter im Anzuge ist, so verwandelt sich der Gesang der Vögel in ein unangenehmes eintöniges „Pfletschen“. Höchst ausgebildet ist ferner der Instinct, mit welchem die Stubensingvögel die Nähe eines Raubvogels draußen im Freien wittern. In einem solchen Falle verstummt natürlich der Gesang ebenfalls, und die Vögel selber machen lange Hälse, die Augen scharf nach den Fenstern des Zimmers gerichtet, bis der böse Geselle die Gegend wieder verlassen hat oder von dem Schirmherrn der geängsteten kleinen Gesellschaft mit dem stets bereit gehaltenen Gewehre erlegt ist.
Anfangs Februar fangen die meisten Vögel zu singen an, und im Mai ist das ganze Orchester besetzt, bis dann Anfangs Juli die Saison zu Ende geht. Das Morgenconcert, von den melancholischen Tönen des Rothkehlchens eingeleitet, beginnt schon während der Dämmerung. Nach der Mauserzeit, welche in den ersten Wochen des August ihren Anfang nimmt und sechs Wochen währt, singen viele Vögel noch einige Wochen zum zweiten Male. Es wurde uns auch erzählt, daß nicht selten einzelne Vögel Nachts, namentlich bei Mondenschein, im Traume zu singen anfangen. Die sogenannten Nachtschläger, wie z. B. die Haide- und die Nachtlerche, die schwarzköpfige Grasmücke oder der Meiselmönch, der Steinklitscher, die Wachtel etc., beginnen ihren Gesang einen Tag wie den andern immer zu derselben Stunde. Auch „gelernte“ Vögel bekamen wir zu sehen und theilweise auch zu hören. Es wurde uns mitgetheilt, daß es am besten sei, nur solche Vögel etwas zu lehren, welche man ganz jung, d. h. vor dem neunten Tage und also noch im Zustande der Blindheit, dem Neste entnommen habe. Die zum Lernen bestimmten Vögel werden in mit Tüchern verhängte Käfige gethan. Den Schwarzamseln bläst man auf der Flöte Melodieen in A- oder D-Dur vor. Die Orgeln, deren man sich beim Lernen wohl auch bedient, enthalten meist unreine Töne; deshalb ist es besser, eine und dieselbe Melodie mit dem Munde vorzupfeifen, was denn auch meist geschieht. Für die Gimpel oder Dompfaffen muß die Lehrstunde auf den Abend verlegt werden, wenn draußen im Freien mit der einbrechenden Dunkelheit auch vollkommene Stille und Ruhe eintritt. Ein Gimpel, welcher auch nur einige kleine Melodieen pfeift, wird nicht selten mit zehn bis fünfzehn Gulden rheinisch bezahlt.
Wie nicht selten ein junger Canarienvogel dadurch „gelernt“ wird, daß man ihn in die Nähe eines anderen Canarienvogels bringt, welcher ein guter Schläger ist, so geschieht dies auch bei den Finken. Gerade bei der Schätzung des Finkenschlages gelten die feinsten Rücksichten. Unser Stubenornitholog erzählte uns, daß in seiner Gegend noch einzelne gute Reitzugschläger, auch Reitpatscher und Reithähne angetroffen würden; in entfernteren Gegenden habe er einen Quetschiger, einen Hochzeitgebier und einen Wirzgebier „gestochen“, welche letzteren häufig mit fünf bis acht Gulden gekauft werden. Auch die Grünlinge lernen von anderen Vögeln und namentlich von den Finken. Auf die Spottvögel aber, welche erst Mitte Mai in den Frankenwald kommen und die Stimmen anderer Vögel gleichsam scherzend nachahmen, war unser Factor nicht gut zu sprechen. „Sie vertreiben,“ sagte er, „nicht nur die Grasmücken, sondern stören auch den Gesang anderer guter Schläger.“
„Und woran erkennen Sie denn,“ fragte ich weiter, „ob ein Vogel ein Hahn oder eine Sie ist?“ „Nur in wenigen Fällen,“ entgegnete unser Factor, „kann man sich irren. So ist der Hahn bei den Schwarzamseln bekanntlich ganz schwarz, die Henne aber rothbrann; bei den Finken zeigt der Hahn eine rothe, die Sie eine graue Brust, zudem hat der Hahn auch einen blauen Kopf. Die Hähne der Gimpel zeichnen sich durch rothe, die Hennen aber durch aschgraue Brust aus. Der männliche Zeisig ist gelb und hat einen schwarzen Kopf, während der weibliche grau und nur auf der Brust mit Blaßgelb vermischt ist. Bei den Nachtigallen fehlt ein untrügliches Unterscheidungszeichen der Geschlechter, dagegen hat das Männchen der Waldgrasmücke einen schwarzen, das Weibchen aber einen rothbraunen Kopf. Nur in der Brutzeit giebt’s ein untrügliches Kennzeichen für fast alle Vögel. Wird z. B. ein Rothkehlchen oder eine Feldlerche während der angegebenen Zeit vom Neste weggefangen, so ist das Männchen auf der Schärfe der Brust mit Flaumfedern bedeckt, während das Weibchen an derselben Stelle nackend ist. Es mag dies daher kommen, daß die Sie in der fraglichen Periode fortwährend sitzt, wodurch die zarten Flaumfedern verloren gehen. Bei vielen Vögeln, wie z. B. bei den Rothkehlchen und den Heidelerchen, ist das Weibchen übrigens von Gefieder viel schöner als das Männchen.“
Die Zeit und die Arbeit und selbst den Aufwand, welchen die Abwägung und die Unterhaltung seiner kleinen gefiederten Wesen erfordere, schlug der Mann nicht hoch an. Er meinte, daß man das wöchentliche Kostgeld eines Vogels durchschnittlich mit einem Kreuzer berechnen könne, sodaß sich für seine dreißig Vögel jährlich die Summe von sechsundzwanzig Gulden rheinisch ergäbe. Für einen echten Vogelliebhaber sei dies aber gar kein Geld. Er habe schon Grasmücken gezogen, für welche er je einen Louisdor habe lösen können. Ein guter Schläger sei ihm aber niemals feil [793] gewesen. Es schmerze ihn wohl, daß er nicht auch eine Nachtigall unter seinen Lieblingen zähle; als loyaler Unterthan suche er aber jeden Conflict mit dem königlichen Landgericht zu vermeiden; denn das Halten der Nachtigallen sei streng verboten. Uebrigens sei die Abwartung und die Beobachtung und namentlich der Gesang seiner gefiederten Pfleglinge ein Genuß, der, ihm wenigstens, durch ein Zweites nicht ersetzt werden könne. Wir sollten nur einmal im Frühjahr in der Morgendämmerung zu ihm kommen; gewiß würden wir, wie seine Arbeiter aus den unteren Dörfern, schon von Weitem stehen bleiben und seinem Morgenconcerte lauschen. Die schönste Cadenz einer Opersängerin und das beste Orchester einer Hofcapelle seien gegen diese vielen und verschiedenartigen Natursänger in keinen Vergleich zu stellen.
Als ich die Frage aufwarf, ob die eingesperrten Vögelchen nicht auf irgend eine Weise den Verlust ihrer Freiheit merken ließen, entgegnete mir der Factor, daß man hierbei wohl unterscheiden müsse, ob blos ein Vogel in einer Stube eingesperrt sei, oder ob zu gleicher Zeit mehrere Vögel die Gefangenschaft theilten. Im letzteren Falle wollte unser Ornitholog die Beobachtung gemacht haben, daß die neuen Bewohner eines Käfigs sich leicht und schnell an die Stube gewöhnten. Er habe z. B. Schwarzamseln eingefangen, welche schon am zweiten Tage gesungen hätten. Nur die Finken zeigten in der Gefangenschaft fort und fort einen bestimmten Grad von Wildheit; doch sei ihm auch der Fall begegnet, daß einige Finken, denen er die Freiheit zurückgegeben habe, immer wieder zum Fenster hereingeflogen seien oder so lange an das Fenster gepickt hätten, bis es ihnen geöffnet worden wäre.
Wie wir schon angedeutet haben, hatte unser Stubenvögelfreund seine Lieblinge auch selbst eingefangen. Aus seinen Mittheilungen ging hervor, daß die verschiedenen Fangarten im Frankenwalde ganz dieselben sind, wie auf dem Thüringerwalde, dem Harze und im Erzgebirge. Auch im Frankenwalde ist das Finkenstechen zu Hause. Hat ein Vogelsteller irgendwie Kunde erhalten, daß sich da oder dort im Freien ein Finke aufhalte, der einen ganz besonders werthvollen Schlag hat, so macht er sich mit zwei Finken auf den Weg, von denen der eine ein Schläger sein muß, während der andere als sogenannter Läufer in einem kleinen ledernen Geschirre steckt, an welches ein anderthalb Fuß langes Drahtkettchen befestigt ist. Ist der fragliche Ort ermittelt, wobei eine Entfernung von acht, ja selbst von zwölf Stunden kein Hinderniß bietet, so wird in dem vier bis acht Morgen umfassenden Standquartier des zu fangenden Finken, in welchem dieser wohl andere Vögel, aber keinen zweiten Finken duldet und welches er wie jeder andere Vogel alljährlich wieder von Neuem bezieht, an einer freien Stelle der sogenannte Läufer an einem eingeschlagenen Nagel mit seinem Kettchen befestigt, ihm auch etwas Futter vorgestreut und einige Zoll außerhalb der Peripherie, welche der Läufer mit seiner Kette beschreiben kann, ein Ring von Leimruthen hergerichtet. Einige Fuß von dieser Stelle entfernt setzt man alsdann den kleinen Bauer nieder, in welchem – jedoch verdunkelt – der Schläger steckt, wobei man sorgfältig über sein Behältniß grüne Zweige breitet, um keine Spur von seinem Dasein aufkommen zu lassen. Während nun der Läufer an seinem Kettchen hin und her flattert und sein Futter frißt, beginnt der Finke im verdeckten Bauer zu schlagen. Der Insasse des Standquartiers, hierdurch eifersüchtig gemacht, eilt herbei, fliegt auf den höchsten Baum seines Reviers, erspäht von da den Läufer als den vermeintlichen Schläger und stößt schnell auf diesen herab. Hierbei muß er aber den den Läufer umgebenden Ring von Leimruthen durchbrechen, wobei er natürlich hängen bleibt, so daß seine Freiheit unvermuthet und schnell ihr Ende erreicht.
Die meisten der uns gezeigten Vögel hatte unser freundlicher Factor „auf der Tränke“ gefangen. Zur Tränke eignet sich am besten eine rings von Wald umgebene sonnige Stelle, wo sich etwas Quell- oder Regenwasser ansammeln läßt. Nachdem alle übrigen Wassertümpel in der Nähe sorgfältig mit Reisig zugedeckt worden sind, legt man über die Fangstelle oder die Tränke kreuzweise Leimruthen, auf welche die Vögel hierauf geflogen kommen, um ihren Durst zu stillen und zugleich ihre Freiheit einzubüßen. Hie und da bedient man sich auch auf der Tränke eines Garnes. In einer einzigen Stunde hatte unser Factor einmal sechsundsiebenzig Vögel auf der Tränke gefangen. Die Zeit der Tränke beginnt erst dann, wenn die letzten jungen Vögel die Nester verlassen haben.
Leider werden aber wie anderwärts so auch im Frankenwalde nicht blos nordische Zugvögel wie Krammetsvögel, Grünlinge, Zetscher etc., sondern auch die höchst nützlichen heimischen Singvögel massenweis weggefangen, obschon sich’s die Forstpolizei hat angelegen sein lassen, dieser Unsitte zu begegnen. Schon am anderen Tage hatte ich Gelegenheit, mit einem Vogelsteller eine „Schneis“ zu begehen. In einem nach Nordosten zu gelegenen und mit Fichten und Kiefern bestandenen Gelände hatte der Mann wohl gegen zwanzig Schock Bügel in zwei Reihen in Brusthöhe in die Bäume befestigt; in die aus Pferdehaaren bestehenden verschiedenen Schlingen waren als Locke Vogelbeeren gelegt. An einigen Stellen hatten Eichhörnchen die Beeren unberufen weggenommen, hie und da kam auch eine Amsel geflogen, welche, die Schlinge vorsichtig vermeidend, im Fluge ein Paar Beeren erhaschte. Wo „ausgebeert“ war, mußten frische Beeren eingehängt werden. Außer einigen Quäkern, Finken und Grünlingen hatten sich vorzugsweise auch Weindrosseln gefangen, welche in dieser Jahreszeit, wo sie aus den Weinbergen zurückkommen, besonders gut schmecken sollen. Man unterscheidet vier Perioden in der Schneis; die erste ist diejenige der Zippen, die zweite die der Weindrosseln, nach diesen kommen die Meeramseln, und ihnen wieder folgen die Krammetsvögel. Auch einen Nußhäher trafen wir an und zwar noch lebend. „Sein Fleisch ist durchaus nicht zu verachten“, meinte der Mann, und so wurde ihm die Freiheit nicht zurück gegeben. In der Schneis selbst waren hie und da – natürlich ganz versteckt – auch Laufschlingen angebracht; in einer derselben, am Ausgange des Waldes nach dem Felde zu, hatte ein Rebhuhn seinen letzten Athemzug gethan.
So lange sich im Walde noch Heidel- und Preißelbeeren finden, ist indessen die Schneis im Ganzen nicht sehr ergiebig. Auf die „Kluppe“ werden zwei Krammser und zwei Schnerren, vier Zippen und ebenso vier Weindrosseln gerechnet, während von den kleineren Vögeln, wie z. B. den Buchfinken, zwölf Stück, und von den allerkleinsten vierundzwanzig Stück eine Kluppe ausmachen. Die Kluppe wird gewöhnlich mit sieben bis neun Groschen bezahlt. Die Krammetsvögel werden auch, wenn sie sich auf Wachholderbüschen oder auf Vogelbeerbäumen niederlassen, oft massenweise im Spätherbst geschossen. Auch die Staare, welche die Gegend schon Ende August verlassen und gegen Michaelis aus den Weinbergen zurückkehren, sollen vielfach als leckeres Mahl verspeist werden. Die Zeisige loben sich den Erlensamen; deshalb legt man über die Bäche, an welchen Erlen stehen, kreuzweise einige Stecken, auf welchen Leimruthen befestigt sind.
Für den Vogelsteller von Profession ist namentlich auch der Meisenfang von Wichtigkeit. Die Finkmeisen, bekanntlich äußerst neugierige Vögel, kehren in manchen Jahren in ungemein großen Schaaren nach dem Süden zurück. Um sie zu fangen, baut man aus Fichten- und Tannenreisig eine Hütte von der Größe, daß ein Mann bequem in derselben stehen kann. Der Eingang zu derselben muß jedoch, sobald der Vogelsteller in die Hütte eingetreten ist, vollständig mit grünem Reisig bedeckt werden, so daß die herbeigelockten Meisen nichts von dem Innern der Hütte gewahr werden können. Sobald der Vogelsteller hierauf aus einem kleinen Loche der Hütte den „Kloben“ oder das Fangholz herausgesteckt und mit der Lockpfeife, die aus dem Rohre eines Gänseflügels besteht oder auch aus Messing gefertigt ist, zu locken begonnen hat, kommen die Meisen herbeigeflogen und setzen sich auf den Kloben. Hat eine hinreichende Zahl Vögel Platz genommen, so wird der Kloben „gerückt“, wodurch die Vögel mit den Füßen zwischen den zwei Hölzern des Klobens gefangen und hierauf eingezogen werden. Alsdann werden die Meisen getödtet, was am besten von einem zweiten Steller in der Hütte besorgt wird, und der Fang beginnt sofort von Neuem. An besonders nebeligen Morgen ist schon oft von einem einzigen Vogelsteller von fünf bis zehn Uhr in guten Jahren ein ganzer Korb voll Meisen gefangen worden. Nur hat sich der Vogelsteller zu hüten, daß nicht beim Zuziehen des Klobens eine Meise, die mit auf dem Kloben stand, entschlüpft. Die einmal Geprellte schwirrt nämlich von diesem Augenblicke an ununterbrochen um die Hütte herum, fliegt jedem neuankommenden Zuge ihrer Colleginnen entgegen und zeigt diesen durch besondere Töne und unruhiges Umherfliegen die Gefahr an, so daß sich keine einzige Meise mehr dem Kloben nähert.
Am großartigsten wird der Vogelfang aber auf den Vogelheerden betrieben. Meist sind industrielle Anlagen, z. B. Hammerwerke, Glashütten etc., auch Forsteien und selbst Pfarreien mit dem Privilegium eines Vogelheerdes ausgestattet. Wer auf dem Vogelheerd [794] stellen will, muß das ganze Jahr hindurch gegen zwanzig gute Schläger, die den verschiedensten Vogelarten angehören, unterhalten, um dieselben dann im Herbst als sogenannte Lockvögel verwenden zu können. Damit die Vögel aber während der Zugzeit im Herbste singen, werden ihre Käfige schon Anfangs April in eine dunkle Kammer gebracht, so daß die Vögel sich unbehaglich fühlen und zu singen aufhören. Mitte August läßt man das Licht alsdann wieder zu, worauf die Vögel dann bis tief in den Herbst hinein schlagen. Als ich nach einigen Tagen zu unserem freundlichen Factor zurückkehrte, verabredeten wir, am andern Morgen einen Vogelheerd in der Nähe zu besuchen. Wir machten uns gegen vier Uhr auf den Weg, sodaß wir bei dem Heerde eben ankamen, als die Knechte des Besitzers desselben die Lockvögel in großen, eigens für diesen Zweck bestimmten Körben herbeitrugen. Es war noch völlig dunkel, und ein kalter Ostwind fegte über die kahle Hochebene, auf welcher wir uns befanden. Wir gingen deshalb in die jedem Vogelheerde nothwendige kleine Hütte, welche eine Moosbank und einen Kochheerd enthielt, auf welchem der eine Knecht auch sofort ein Feuer anzündete, das nicht nur die nöthige Wärme in der Hütte verbreiten, sondern auch zur Bereitung des Kaffees dienen sollte. Draußen wurden unterdessen beim Schein einer Laterne die kleinen Käfige der Lockvögel an den den eigentlichen Heerd ringsum umstehenden „Krakeln“ aufgehängt. Diese Krakeln sind entweder lange Stangen, in welchen etliche grüne Zweige als Scheinäste befestigt sind, oder sie werden von natürlichen Fichten gebildet, denen man jedoch die Aeste bis fast hinauf zum obersten Wipfel abgeschnitten hat, damit die herbeigelockten Vögel nicht viel Raum zum Niedersetzen finden, sondern vielmehr genöthigt sind, auf den Heerd aufzufallen. Der Heerd selbst besteht aus einem sechs bis acht Fuß breiten, vierzehn bis sechszehn Fuß langen und zwei bis drei Fuß hohen horizontalen Erdaufwurf. Auf demselben werden Wachholderbüsche und Vogelbeeräste herumgelegt, verschiedene Sorten Vogelfutter ausgestreut, und zuletzt die sogenannten Läufer an ihren Kettchen befestigt. Das Heerdtuch endlich, aus starkem Bindfaden filetmäßig gestrickt und schon in früherer Zeit mit zwei bis drei Karolin bezahlt, wird in der Weise um den Heerd herum ausgebreitet, daß durch einen raschen, festen Zug an einem Seile, welches durch eine kleine Oeffnung bis in die Hütte reicht, sofort sämmtliche Vögel zu Gefangenen gemacht werden, die im Augenblicke des „Rückens“ sich auf dem Heerde befinden.
Inzwischen war der Besitzer des Heerdes selbst angekommen. Er besichtigte die sämmtlichen Vorrichtungen, und nachdem er Alles in Ordnung gefunden hatte und in die Hütte wieder eingetreten war, befahl er, ihm das Rückseil durch die fragliche Oeffnung in die Hütte zuzureichen. Die Morgendämmerung begann; einzelne Sterne fingen schon an zu erbleichen. Jetzt wurden wir gebeten, die größte Stille zu beobachten. Der Vogelsteller nahm seine kleine messingene Locke vor den Mund und spähte wie wir durch eine kleine Oeffnung, die einen Blick von der Hütte aus über den Vogelheerd gestattete. Da mit einem Male wurde es draußen lebendig: das Morgenconcert der Lockvögel begann. Das war ein Wettgesang, wie ich ihn noch nie gehört, ein Schmettern und ein Pfeifen, ein Jubiliren und Frohlocken in die Stille der Morgendämmerung hinein, daß man sich plötzlich in den Frühling versetzt glaubte. Der Vogelsteller fing jetzt an, lauter und lauter zu locken; ein großer Schwarm Quäker kam näher geflogen und nahm seine Richtung nach dem Heerde zu; plötzlich fiel ein Schwarm von mehr als vierzig Stück auf den Heerd auf, andere herbeigeflogene Vögel nahmen auf den Krakeln Platz, und nun galt es, auch diese noch auf den Heerd zu locken. Bald da, bald dort verließ ein Vogel seinen Krakel, um die tückische Luft auf dem Heerde zu theilen. Schnell ein gewaltiger Ruck – und das rings um den Heerd ausgebreitete Garn schnellte in die Höhe, die Vögel waren gefangen. Nun ging es an ein grausames Morden der harmlosen Thiere, daß mir die Lust in der That verging, noch länger diesem Schauspiele zuzusehen. Nachdem die Beute in einem Sacke geborgen war, wurde von Neuem gestellt, wiederum gelockt und, sobald sich eine größere Anzahl Vögel auf dem Heerde niedergelassen hatte, gerückt etc. Mitunter verstummen die Lockvögel plötzlich, dann ist stets ein Raubvogel in der Nähe, der weggeschossen oder doch wenigstens vertrieben werden muß, wenn die Lockvögel ihren Gesang wieder beginnen sollen.
Auf dem Heimwege konnte ich nicht umhin, meinem Begleiter zu bemerken, daß unter den Lockvögeln auf dem Heerde doch ganz vorzügliche Schläger gewesen seien. „Glauben Sie dies nicht, lieber Herr!“ sagte er, „erst müssen Sie einmal im Frühjahr zu mir kommen, um meine Vögel zu hören; dann wird Ihr Urtheil anders lauten.“
„Und hat der Mann auch immer Absatz für die vielen Vögel, welche er jeden Morgen fängt?“ fragte ich weiter.
„Meistens doch,“ wurde mir entgegnet, „außerdem werden die Vögel gebrüht, gerupft und eingepökelt!“
Ihr lieben gefiederten Sänger des Waldes – eingepökelt in Fässern!
„Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau!“ sagte ich beim Abschied.
„Sie meinen meine Schwester, lieber Herr. Ich habe nie eine Frau gehabt!“
„Und wie kommt das, da Sie doch ohnedies so klösterlich einsam wohnen?“
„Das ist wohl wahr,“ entgegnete mein Begleiter, „aber wer konnte wissen, ob die Frau, wenn ich geheirathet hätte, die Liebe zu meinen Vögeln billigen würde, und ohne meine Vögel kann ich ja doch nicht leben!!
„So grüßen Sie mir die Schwester und Ihre Vögel dazu,“ antwortete ich, „bis ich im Frühjahr wiederkehren und Ihre Schläger bewundern werde.“ Und mit einem herzlichen Händedruck schieden wir von einander.