Fast zwei Stunden von der Stadt Pulsnitz entfernt liegt ein Berg, der den Umwohnern unter dem Namen „Walenberg“ bekannt ist. An diesen Berg knüpft sich eine der frühesten geschichtlichen Erinnerungen des Meißner Landes. Hier war es, wo im Jahre 934 ein blutiger Entscheidungskampf zwischen Heinrich I. und den Wenden, welche damals die Herren dieser Gegend waren, stattfand. Die Wenden sahen durch den deutschen Kaiser Heinrich ihre Herrschaft bedroht und riefen die Hunnen oder Ungarn zu Hilfe, die auch mit einem Heere von 20000 Mann kamen. Doch bewilligte Heinrich ihnen einen Tribut und brachte dadurch einen neunjährigen Waffenstillstand fertig. Die Zeit dieses Waffenstillstandes nützte aber Heinrich gut aus. Einzeln wollte er die verbündeten Feinde bekämpfen. Sein Plan, die Wenden zu unterjochen, mußte gelingen. Er griff die jenseits der Elbe wohnenden Daleminzier, einen wendischen Volksstamm, an und eroberte nach 20tägiger Belagerung ihre Hauptfeste Gana bei Lommatzsch. Schonungslos ließ er alle waffenfähigen Männer niederhauen und Weiber und Kinder als Sklaven verkaufen. Die Wenden mußten empfinden, daß ein christlicher Kaiser auch heidnische Barbarei üben könne. Nach Ablauf des neunjährigen Waffenstillstandes gab Heinrich I. den Ungarn statt des vereinbarten Tributes einen räudigen Hund. Wutentbrannt brachen die Ungarn im deutschen Reiche ein und wollten für die ihnen vom deutschen Kaiser angetane Schmach furchtbare Rache nehmen. Doch es wurden die Ungarn im Jahre 933 in der blutigen Schlacht bei Merseburg und Keuschberg so geschlagen, daß sie eiligst nach Ungarn flohen und auf einige Jahrzehnte das Wiederkommen vergaßen. Der Ausgang der Ungarnschlacht bei Merseburg war für die Wenden im Gau Nisin und Milczane, die bei der heutigen Stadt Pulsnitz, (damals ein festes Bollwerk), aneinandergrenzten, von den verhängnisvollsten Folgen. Da der deutsche Kaiser Heinrich ihnen den mächtigen Bundesgenossen genommen hatte, so standen die Wenden nun hilflos da. Darum spannten sie alle ihre Kräfte an, ihr Gebiet zu beschützen und zu behaupten.
[234] Ihre Heere stellten sie an der Westgrenze auf, um das Eindringen der verhaßten Deutschen zu verhindern. Doch die Wenden konnten Heinrichs Siegeszug nicht mehr aufhalten. Ein befestigter Ort nach dem andern wurde von Heinrich erobert, eine Schanze nach der andern fiel in seine Hände. Bis an die Elbe hatte er in kurzer Zeit alles wendische Gebiet erobert. Nun überschritt er auch diesen Strom und drang nach Osten zu immer tiefer in das wendische Land ein. Da machten die Wenden noch einen letzten Versuch, Heinrichs Vordringen zu hemmen und wenigstens den Gau Milczane zu retten. Sie zogen alle verfügbaren Streitkräfte zusammen und stellten sich ihm am Walenberge und bei der Blutmühle bei Tetschwitz entgegen. Es kam zu einem gar mörderischen Kampfe. Das Blut floß in förmlichen Strömen dahin. Die Wenden erlitten eine furchtbare Niederlage. Fast nicht ein Mann kam davon. Es war ein Vernichtungskampf, ihr letzter Verzweiflungskampf. Am Walenberge liegen sie, die für ihren heimischen Herd Leben und Blut einsetzten, begraben. Freilich ihre Gebeine sind nunmehr längst verbleicht und vermodert. Ueber ihre Gräber hin zieht heute der Pflug. Nachts aber, wenn die Sterne niederschimmern und die Menschen schlafen gegangen sind, dann wird es am Walenberge lebendig. Aus den längst verwischten Gräbern kommen sie hervor, die einst in jener blutigen Schlacht ihr Leben ließen und setzen den Kampf fort. Der Wanderer, welchen zur Nachtzeit der Weg hier vorüberführt, hört es von den Feldern her stöhnen und schreien. Er schlägt rasch ein Kreuz und eilt weiter. Blutigrot schimmert um diese Zeit der Berg. Die Leute sagen dann: „Die Wenden kämpfen wieder am Walenberge!“