Der Walzerkönig

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Autor: Gerhard Ramberg
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Titel: Der Walzerkönig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 636–637
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Walzerkönig.
Zum fünfzigjährigen Dirigentenjubiläum von Johann Strauß.

Gar selten ist es in den Reichen der Kunst, daß ein Königssohn den väterlichen Thron ererbt. In der Dynastie der Wiener Walzerkönige ward dieser seltene Fall Ereignis. Der liebenswürdige Meister, der im Oktober sein fünfzigjähriges Kapellmeisterjubiläum feiert, könnte sich nennen: Johann II., von Gottes Gnaden – König im weiten Reiche des Walzers.

Johann Strauß Vater, der erste Walzerkönig, hat nicht gewollt, daß sich sein Sohn der Tonkunst widme. Der Alte mochte fürchten, daß des Sohnes Ruhm den eigenen verdunkeln werde. Aber trotz alledem war Johann I. kein Tyrann. Und ohne Zweifel hat Paul Althof das Richtige getroffen, wenn er in einem Jubiläums-Lustspiel den Vater Strauß auf die Kunde, sein Sohn habe in der Uniform der Nationalgarde öffentlich dirigiert, neugierig ausrufen läßt: „Schaut er gut aus?“ Trotz aller Entrüstung über die Unbotmäßigkeit des Jungen kommt doch die väterliche Eitelkeit zum Durchbruch.

In der That mußte sich Strauß der Sohn ganz ernsthaft gegen den Willen des Vaters auflehnen, um seinem Berufe folgen zu können. Schon im Jahre 1844, als 19jähriger Jüngling, stand Johann II. an der Spitze eines eigenen Orchesters. Alsbald unternahm der junge Kapellmeister mit seiner Schar eine Kunstreise nach dem Osten: nach Ungarn, Serbien und Rumänien.

Zu jener Zeit war das Reisen noch von Poesie umwoben. Wenn der Meister heutzutage gut gelaunt ist, schwelgt er gern in Erinnerungen an seine erste Kunstreise. In Belgrad suchte er den türkischen Pascha heim, der dort residierte, der fahrende Künstler in seiner schmucken Uniform, die er als Kapellmeister der wahrlich doch harmlosen Wiener Bürgergarde trug, wurde für einen hohen Würdenträger gehalten und mit allen militärischen Ehren empfangen. Das Blatt wendete sich freilich, als böse Gläubiger den Musikern die Instrumente pfänden wollten. Nur durch List gelang es, die Absicht zu vereiteln. In Rumänien siegte wiederum der Uebermut. Die dort lebenden Oesterreicher stellten an Johann Strauß das Ansinnen, den österreichischen Konsul abzusetzen. Es scheint, daß seine Uniform allenthalben Eindruck gemacht hat! Der junge Musiker besuchte den Konsul und erklärte ihm kurz und bündig, das Volk wünsche seine Abdankung. Eine vor dem Hause versammelte Menge verlieh dieser Erklärung Nachdruck, und der Mann ward thatsächlich auf solche Weise seines Amtes enthoben. Als Johann Strauß der Jüngere nach Wien zurückgekehrt war, verlangte die Behörde Aufklärung über diesen unerhörten Fall. Aber das Jahr achtundvierzig stand vor der Thür, die Wogen der Volkserregung gingen schon gar hoch, und der junge Strauß, der – nunmehr in der Uniform der Nationalgardisten – die Marseillaise dirigierte, hatte Macht über die Gemüter. Die Behörden hielten es für klüger, diesem Volksliebling nichts anzuhaben.

Jahre vergingen. Der Kaiser Franz Josef ernannte den Walzerkönig zum Hofballmusikdirektor, die deutschen Fürsten, der Zar von Rußland und der Kaiser der Franzosen zeichneten den Künstler aus – ein Liebling des Volkes ist Johann Strauß dabei immer geblieben. Im raucherfüllten Biersaal hat er den Taktstock weiter mit derselben Anmut und demselben Eifer gehandhabt wie in den Prunksälen der fürstlichen Paläste.

V. Tilgners Statuette von Johann Strauß.

Johann Strauß der Sohn war der erste, der die Wiener mit Tonstücken von Richard Wagner bekannt gemacht hat. Als er Wagners Weisen in Wien spielte, war die musikalische Welt noch nicht in die großen Lager der Wagnerianer und derAnti-Wagnerianer gespalten. Unbefangen und ohne Vorurteil konnten die Hörer Wagnerische Kunst genießen. Mit besonderer Freude gedenkt heute Strauß seiner Triumphe als volkstümlicher Konzertgeber.

Sein eigentliches Reich aber war von Anbeginn der Ballsaal. Wer nach den Klängen der Straußischen Kapelle getanzt hat, der weiß, daß sich der Taktstock in des Meisters Händen zum Zauberstab verwandelt, und die sprichwörtliche Lebenslust der Wiener kann sich nicht lieblicher entfalten als im Rhythmus Straußischer Musik.

In Wien wurde die Sprache, die Johann Strauß mit seinen Instrumenten zu reden weiß, stets verstanden. Gleichwohl ist dieses Verständnis nicht an die Scholle gebunden. Im kalten Norden wurde dem „Walzerkönig“ nicht weniger zugejubelt als im warmen Süden; in allen Reichen [637] Europas, ja selbst jenseit des Weltmeeres feierte er glänzende Triumphe.

Wer mag die Frage entscheiden, ob Strauß der Kapellmeister oder Strauß der Tondichter höher zu stellen ist? Jene liebenswürdige Heiterkeit, die den Menschen auszeichnet, bildet auch das Merkmal des Komponisten, und darüber sind die Musikgelehrten wohl einig, daß Johann Strauß der Sohn die künstlerische Form des Walzers zu einer vorher nicht gekannten Höhe emporgehoben hat. Während die Jugendwerke so sehr ins Volk gedrungen sind, daß sie wohl nicht so bald aus seinem Besitze verschwinden dürften - wer kennt nicht den Walzer „An der schönen blauen Donau“, dessen Anfangstakte, in getreuer Nachbildung von Strauß’ eigener Handschrift, der Leser an der Spitze dieses Artikels findet – werden seine neueren Stücke als Muster tonkünstlerischer Durchbildung geschätzt. Just als Tonsetzer verdient Johann Strauß den Namen eines Walzerkönigs. Denn auch in seinen Bühnenwerken ist es stets ein Walzer, der am meisten zündet. Als unser Künstler auf der Höhe seines Schaffens stand, beherrschte die Operette den Geschmack. Mit seiner „Fledermaus“, die einen förmlichen Siegeszug durch Europa hielt, bewies Johann Strauß auch auf diesem Gebiete seine unerreichte Meisterschaft. Die Operetten „Prinz Methusalem“, „Das Spitzentuch der Königin“, „Der lustige Krieg“ und „Eine Nacht in Venedig“ trugen dem Komponisten nicht nur theatralische Erfolge ein, sondern lieferten auch zahllose Stücke für Tanz- und Konzertmusik. Der „Zigeunerbaron“, mit dem uns der nahezu Sechzigjährige eine Fülle eigenartiger Melodien von großer orchestraler Wirkung geschenkt hat, wurde in verschiedenen Städten mehr als hundertmal aufgeführt.

An die Operette „Simplicius“ knüpft sich der bedeutendste Eindruck, den ich persönlich von Johann Strauß erhielt. Während der Erstaufführung im Theater an der Wien, die Strauß selbst leitete – es mag sieben Jahre her sein –, brach ein wüster Feuerlärm aus. Die Insassen der Logen erhoben sich von den Plätzen, im Parkett begann ein furchtbares Gedränge, von den Galerien hörte man gellende Angstrufe, und auf der Bühne liefen die Darsteller in wirrem Durcheinander auf und ab. Nur das Orchester blieb in Ordnung. Man hätte glauben sollen, daß Johann Strauß, der als nervös bekannt ist und der Frau und Kind im Hause wußte, als einer der ersten aufspringen werde, um sich und die Seinen zu retten. Aber er blieb auf dem Posten! Ohne mit einer Wimper zu zucken, den Taktstock in der erhobenen Rechten, stand er aufrecht, bis der Sturm ausgetobt hatte. Das dauerte Minuten. Bei der ersten Pause, die in dem allgemeinen Lärm entstand, ließ Johann Strauß die Musik wieder einfallen, und von der Bühne her erklang das Walzerlied: „So denk’ ich auch so gern der schönen Zeit, die fern ...“ Das Publikum beruhigte sich.

Und so wird Johann Strauß in meiner Erinnerung fortleben: eine wilderregte Menge durch der Töne Macht besiegend und von gemeiner Todesfurcht zurückzwingend zum Genießen heiterer Kunst ...

Spät, wenngleich nicht zu spät, hat Johann Strauß in das Wiener Hofopernhaus seinen Einzug gehalten mit dem „Ritter Pazmann“, für welchen Ludwig von Dóczy die Worte gedichtet hatte. Für sein neuestes Werk verfassen der Musikschriftsteller Max Kalbeck und der Lustspieldichter G. David gemeinsam das Textbuch. Eben jetzt arbeitet Johann Strauß mit nicht versiegender Schaffenskraft an seiner neuen Oper, während sich Wien zur fünfzigjährigen Jubelfeier rüstet. Ein kunstverständiges Mitglied des österreichischen Hochadels, Hanns Graf Wilczek, steht an der Spitze der Männer, die sich zur Ehrung des Meisters vereinigt haben. In allen Wiener Theatern werden Festaufführungen geplant, und auch die bildenden Künste tragen zur Huldigung das Ihre bei. Karl Rudolf Huber schuf ein lebensgroßes Bildnis des Walzerkönigs, Anton Scharff fertigte das trefflich gelungeue Modell für eine Denkmünze zum Straußjubiläum, Viktor Tilgner verewigte seine Züge in einer Büste, die ein ernsteres Gegenstück zu desselben Künstlers genial skizzierter Statuette bildet, welche die „Gartenlaube“ mit diesen Zeilen ihren Lesern vorführt.

Möge Johann Strauß, der heute noch trotz seiner 69 Jahre – er ist am 25. Oktober 1825 zu Wien geboren – mit dem elastischen Schritt und dem leuchtenden Auge eines Jünglings dahinwandelt, in ungetrübter Freude den schönen Abend seines schönen Lebens genießen; an der Seite seine liebenswürdige, reizvolle Gemahlin, der er eines seiner besten Stücke, den „Adelenwalzer“, gewidmet hat.

So lange die Menschheit empfänglich ist für heitere Anmut in der Kunst, wird sie Johann Strauß, dem Walzerkönig, als dem Spender so vieler glücklicher Stunden, dankbare Erinnerung weihen. Gerhard Ramberg.