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Der Wassereinbruch in Wieliczka

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Textdaten
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Autor: Dr. W. Hamm
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Titel: Der Wassereinbruch in Wieliczka
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 276-279
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[277]

An der überschwemmten Strecke (Horizont) Austria in Wieliczka.
Nach der Natur aufgenommen von W. H.

[276]

Der Wassereinbruch in Wieliczka.

Von Dr. W. Hamm.

„Das Salzwerk Wieliczka ist verloren! Ein gewaltiger Einbruch unterirdischer Wasserströme füllt mit reißender Geschwindigkeit seine Räume! Die Stadt und ihre Bewohner sind in höchster Gefahr!“ – Diese Schreckenskunde durchlief in den letzten Tagen des November 1868 die Zeitungen und fand überall bedauernden, auch zürnenden Nachhall. Denn wer kennt nicht Wieliczka? In der Schule schon ist uns mit vielen fabelhaften Ausschmückungen erzählt worden, daß es das größte und merkwürdigste Salzbergwerk der ganzen Welt sei, Tausende haben es befahren und bewundert. Sein Alter reicht bis in graue Vorzeit. [278] Gewöhnlich wird angenommen, es sei im dreizehnten Jahrhundert aufgefunden worden, und zwar auf das Gebet hin der heiligen Kinga (Kunigunde), der Gattin Herzogs Boleslaus des Verschämten, welche ihren Ring in einen ungarischen Salzbrunnen geworfen und denselben später bei Bochnia von einem Salzkrystall umschlossen wiedergefunden habe; allein es ist verbrieft, daß schon im elften Jahrhundert Wieliczka ein „Magnum Sal“, eine große Saline, gewesen ist. Sie hat bis auf unsere Zeit merkwürdige Schicksale und Wechselfälle erlebt, wie das Land, dem sie angehört, aber immer ist sie unerschöpflich geblieben, hat sich alljährlich erweitert, im Ertrag verbessert, und verspricht noch auf Jahrhunderte hinaus eine stetige, reiche Ausbeute.

Ehe man mit der Vorsicht des jetzigen wissenschaftlich regelrechten bergmännischen Betriebs verfuhr, besonders in jenen Zeiten, wo das Werk an Pächter vergeben war, welche, unbekümmert um die Zukunft, abbauten, was ihnen am bequemsten zur Hand stand, hatten sich zahlreiche Unglücksfälle ereignet; heute noch sieht man die Spuren furchtbarer Tagbrüche – weiß man doch mit Bestimmtheit, daß die ganze Stadt Wieliczka, welche unmittelbar über den unterirdischen Salzhöhlen erbaut ist, sich im Laufe der Jahre beträchtlich gesenkt habe; man will sie früher von dem dreiviertel Meilen entfernten Krakau aus überblickt haben, was heute nicht mehr möglich ist. Auch von verheerenden Wassereinbrüchen sind beglaubigte Nachrichten genug vorhanden, wenn es gleich der Bergmannskunst immer gelungen ist, diese zu bewältigen und unschädlich abzuleiten. Aber mehr als einmal haben sie die Bevölkerung der Salzstadt aus ihren damaligen Holzhütten in die Flucht gejagt, und die Ueberlieferung hat mit romantischen Zusätzen die Angst vor solchen Ereignissen in den Gemüthern wach gehalten. Daher war es nicht zu verwundern, daß das jüngste Unglück eine so gewaltige Aufregung hervorbrachte. Unverstand und Aberglaube, zum Theil auch der Eigennutz, nährten sie, mancher Besitzer glaubte die Gelegenheit benutzen zu müssen, um sein baufälliges Häuslein zu gutem Preise an den guten Mann, Aerar genannt, zu bringen; die nimmersatten Tageblätter bemächtigten sich des willkommenen Sensationsstoffes in stiller Zeit; die derbsten Uebertreibungen wurden ausgeschrieen, und eine Unzahl von Projectenmachern bestürmte Regierung und Publicum mit Rettungsplänen, einer abenteuerlicher als der andere.

Allerdings standen unermeßliche Werthe auf dem Spiel, aber nicht unwiederbringlich. Denn es ist gar kein Zweifel, daß das Land Galizien noch unendlich größere Salzschätze in seinem Schooße birgt, als Wieliczka jemals geliefert hat; an zahlreichen Orten brechen die Salzquellen zu Tage, stößt der Brunnengräber auf gesättigte Soole; eine Ausnutzung erschien aber bisher völlig überflüssig, das Monopol gestattete neben der großen Saline nur einigen wenigen Sudwerken den nicht einmal lohnenden Betrieb. Nichtsdestoweniger durfte jedoch nicht daran gedacht werden, das weltberühmte, wohlorganisirte Bergwerk, an welches das Wohl von Tausenden gebunden ist, ohne Kampf aufzugeben; er ward aufgenommen, anfangs mit Bedenken und Irrthum, allein die Kraft erstarkte, die Energie erwachte, und jetzt ist es ein lehrreich erhebendes Schauspiel, zuzusehen, wie hier der Mensch ringt mit den Gewalten der dunklen Tiefe, in dem Willen und der Hoffnung, ihrer Herr zu werden.

Es waren besonders günstige Umstände, welche mir verstatteten, Augenzeuge zu sein von dieser entschlossenen Bekämpfung eines unheimlichen Feindes, unter und über der Erde Vieles zu sehen, was Anderen unzugänglich bleibt, zu erfahren, was nicht Jedermann zu wissen braucht – wenngleich mit löblicher Umsicht den Gästen nicht das mindeste Hinderniß bei dem Besuche des Bergwerks, nach wie vor, in den Weg gelegt wird. Nebenbei sei ausdrücklich bemerkt, daß dieser Besuch völlig kostenlos geschehen kann, die Bergleute dürfen sogar bei strenger Ahndung nicht die kleinste Gabe annehmen oder gar fordern. Am 20. Februar befuhr ich das Werk in Begleitung einer Anzahl ausgezeichneter Ingenieure und unter einer Führung, wie man sie besser und fachkundiger wohl nicht haben kann. Wir fuhren, nach Anlegung der Grubenkittel, ein im Tagschacht Danielowice, der seinen Namen, wie viele Schachte und Strecken einem früheren Bergcommissär verdankt, welcher ihn im Jahre 1640 anlegte. Die Einfahrt ist so bequem wie möglich; in einer geräumigen Vorhalle wartet man, bis die Gesellschaft beisammen ist, oder betrachtet einstweilen die dicht daneben befindliche St. Antoniuscapelle mit ihren Altären, Heiligen, Kanzeln und Geräthen, sämmtlich aus festem Grünsalz herausgehauen, das Werk eines schlichten Bergarbeiters, dessen Name unbekannt ist, aus dem siebzehnten Jahrhundert, ohne allen Kunstwerth und fast grotesken Eindrucks, wenn man das Material und den Bildner vergißt.

Hier sei gleich beigefügt, daß sich auf diese früher täglich zum unterirdischen Gottesdienst benutzte Capelle reducirt, was man in älteren Reiseschriften und geographischen Handbüchern gefabelt hat von aus dem Steinsalz gehauenen ganzen Kirchen und Dörfern. Es bleibt doch an Wundern und imposanten Domen der Tiefe genug übrig. Die letzteren, weite, unregelmäßige Wölbungen, sind entstanden durch den Abbau der ungeheuren Grünsalzkörper – bis zu dreitausend Kubik-Lachter Mächtigkeit und darüber – welche im oberen Mittel des Salzgebirgs eingebettet sind. Dieses führt überhaupt drei Hauptsalzgattungen: das Grünsalz, von seiner grünlichen Farbe benannt, durch Thon verunreinigt; das Spiza-Salz, welches seine Bezeichnung von aus der Zips (Spisa) eingewanderten Bergleuten erhalten hat, dunkelgrau, mit organischen Resten vermengt; und das Szybicker Salz, von Szybik, Schacht, das in drei regelmäßig übeinander von Osten nach Westen allmählich abfallenden Flötzablagerungen ansteht, das reinste von allen, weiß und von festem Gefüge. Wir begegnen diesen verschiedenen Salzen auf der sogenannten Gasttour, d. h. den Wegen, welche die gewöhnlichen Besucher geführt werden. Anfänglich folgten auch wir denselben. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, die oft wiederholten Wunder dieser vielverschlungenen Unterweltreise auf’s Neue zu beschreiben; in glänzender, wunderbare Effecte hervorbringender Beleuchtung sahen wir die riesigen Kammern, befuhren die schwarzen Salzseen unter dem Klang von Musikchören der Bergleute, lauschten dem langhinrollenden Echo der Kanonenschläge, waren geblendet von der magischen Wirkung der Raketen und Feuerwerkskörper in den unabsehbaren Hallen der Nacht und des Geheimnisses. Aber nicht der leiseste Gedanke an Gefahr kann sich hier aufdrängen, man geht so sicher, bequem und trocken, wie im wohlgepflegten Park zur Sommerszeit; höchstens, daß die mit den talggenährten Grubenlichtern nebenherschreitenden Bergleute ein Nisko! (Nieder!) zurufen, damit man sich bückt, wenn eine Strecke nicht hoch genug ist, was aber nur ganz selten vorkommt. Besonders auffallend ist die große Trockenheit, welche allenthalben herrscht; deshalb und durch die Imprägnation mit fein zertheiltem Salz sind auch die Schutzbauten aus Holz so gut erhalten, daß in dem Tagbruch der Kammer Wlodkowice, dicht neben dem mächtigen und prächtigen Tanzsaal mit seinen riesenhaften Statuen und Kronleuchtern aus Salzkrystallen, welchen einst Suwarow herstellen ließ, das Holz der geborstenen Pfeiler noch so frisch aussieht, als sei es erst vor Wochen zersplittert, und nicht im Jahre 1703.

Die Temperatur ist dabei eine durchaus angenehme, zwischen zwölf und fünfzehn Grad Reaumur, die Luft frisch, der Pfad völlig eben, das Treppenwerk solid und bequem. Nur flüchtig besichtigten wir diesmal die besonderen Merkwürdigkeiten; von der Gasttour abweichend stiegen wir nieder in die Räume der Gefahr. Diese zu erreichen brauchten wir über eine Stunde angestrengten Marsches durch phantastisch schimmernde Gänge, finstere Höhlen, klingende Betriebsschläge; vorbei an rollenden Hunden, welche die gewonnenen Berge fördern, an fleißigen Hauern, bemüht die gewaltigen Balvanen zu lösen (Balvan, eigentlich der Name eines altslavischen Götzenbildes, werden cylindrische Formsteine des Salzes von über drei Centner Schwere genannt), an den Packorten, wo Löhner die Minutien (Salzabfälle) in Fässer packen, zuletzt in die schweigende Einsamkeit. Es wurde still und stiller unter uns, die Tritte hallten dumpf wieder, seltsam flackerten die Grubenlichter, eine bängliche Erwartung war über jeden gekommen.

Nach langem Schreiten ertönte endlich das Commandowort: Halt, Vorsicht! Und zugleich flammte ein romantisches Licht auf, mit Tagesschein eine weite Wölbung übergießend und vor unseren Füßen einen schwarzen See. Wir standen dem Eingang zum Horizont Oesterreich gegenüber, welchen das eingebrochene Wasser schon bis zu fünf Fuß Höhe überschwemmt hatte, so daß nur noch seine oberste Wölbung gleich einem dunklen Höllenthor jenseits sichtbar erschien. Still, unbewegt lag vor uns die Fläche, als sei sie unverrückbar immer gewesen und doch lauert in dem Abgrund, den sie deckt, die wilde Rau; wir wußten, und die Messungen sagten es uns deutlich, daß das Element vor uns, welches jetzt [279] Sieger war, im Kampf mit dem andern, seinem ewigen Feind, nicht ruhte, unablässig sich hob, unmerklich, aber sicher. Und Niemand wußte, ob und wie weit es schon den Boden unterwaschen, auf dem wir standen; mehr als einmal wurde der Ruf: Vorsicht! laut. Es war ein großartiges, überwältigendes Schauspiel, sowohl an und für sich, als auch mit Rücksicht auf seine Wirkung und Bedeutung. Erhöht wurde es durch den seltsamen Anblick, die Schienen der unterirdischen Eisenbahn mit ihren Schwellen auf dem Wasser schwimmend zu gewahren, das sie unterspült, losgelöst hatte und sie nun in der gesättigten Soole trug neben Berghunden, Fässern, Geräthen und Holzstücken. Die Höhe des Wassereinbruchs betrug zur Zeit meiner Anwesenheit neunzehn Klafter fünf Fuß, die tägliche Steigung zwei Zoll, trotz der unaufhörlichen, aber noch unvollkommenen Bewältigungsarbeit. Der Einbruch erfolgte am 19. October 1868 in dem Querschacht Kloski, der mit dem Horizonte Austria ziemlich in gleicher Ebene geführt ist. Man hatte daselbst, gelockt von der Auffindung des Sylvins in Kalusz (in Ostgalizien an der Lomnicza), einen Hoffnungseinschlag auf Kalisalze eröffnet und dabei – was nicht ganz aufgeklärt ist – entweder den Sandstein geritzt oder den salzlosen Thon beleidigt.

Im Anfange legte man nicht viel Gewicht auf den Einbruch von Süßwasser. Die Bergarbeiter, welche ihn zuerst bemerkten, gaben an, daß es in einem breiten, schrägen Strahl, wie aus einem engen Spalt, hervorgerieselt sei, und dachten dabei, an derlei Unfälle gewöhnt, an keine größere Gefahr. Erst allmählich steigerte sich der Zustrom, am dritten Tage betrug er schon fünfzig Kubikfuß in der Minute. Nunmehr erwachte die Angst, man suchte Vorkehrungen zu treffen, doch zu spät. Die aufgemauerten Dämme wurden umwaschen, überspült; unaufhaltsam ergoß sich die Fluth durch den Schacht Wodnagora (Wasserberg) in die tiefer liegenden Baue. In dem Franz-Joseph-Schachte war zwar eine Pumpe aufgestellt, aber sie leistete viel zu wenig; eine zweite Pumpentour ward eingebaut. Gleichzeitig beschloß man auch, die nutzlos aufgerichteten Dämme wieder zu durchbrechen und den ganzen Kloskischlag zu bewältigen, um im salzleeren Hangendtegel etwa abermals neue, erfolgreichere Dämme zu errichten. Diese schwierige, zeitraubende Arbeit, bei welcher nur je zwei Mann, die halbstündig abgelöst werden mußten, in unerträglicher Atmosphäre, im engsten Raum und bei steter Lebensgefahr vordringen konnten, wurde bis nahezu in die sechszigste Klafter fortgesetzt, mußte jedoch ebenfalls aufgegeben werden, da das Wasser, unter fünfunddreißig Kubikfuß Zustrom per Minute, endlich auch den Kloskischlag überschwemmte. Von nun an war man ganz auf die oberirdischen Bewältigungsarbeiten durch die Maschinen angewiesen.

Aber woher kommt die ungeheure Wassermenge des Einbruchs? ist die natürliche Frage, welche Jeder aufwirft. Man weiß es nicht: ist man auf eine wasserführende Schicht, einen unterirdischen Sumpf oder ein Reservoir gestoßen, hat sich das Wasser der Weichsel durch eine Kluft des Gebirgs Bahn gebrochen in das Bergwerk? Viele sind geneigt, das Letztere anzunehmen, obgleich der Strom über eine Stunde von Wieliczka entfernt ist; nahe der Stadt fließt das Serawa-Flüßchen, in welches die Grubenwässer geleitet werden, jenem zu.

Nach genauer Besichtigung und Untersuchung, deren Einzelergebnisse hier mitzutheilen nicht der Ort ist, fuhren wir wieder aus zum Tageslichte, sehr beruhigt über die Gefahr und mit vollem Vertrauen in die Umsicht der Männer, welche die Vorkehrungen zu ihrer ferneren Abwehr und gänzlichen Bannung in die Hand genommen haben. Die Besten ihres Faches, bekannte Namen in der wissenschaftlichen Welt, haben dazu mit Rath und That gewirkt; gegenwärtig ist die Leitung der Bewältigungsarbeiten, wie der ganzen Saline, dem rechten Manne übertragen; sie hat in bessere Hände nicht gelegt werden können, und Anerkennung verdient, was seine Energie und Kenntniß binnen kurzer Zeit geschaffen hat. Die Ueberzeugung vom endlichen Erfolg muß sich jedem aufdrängen, der, wie wir, mit den Augen des Sachverständigen die an Tag errichteten Bewältigungswerke betrachtet. Nicht, daß Alles vollkommen, nichts zu tadeln wäre, im Gegentheil; aber mit Hinsicht auf die drängende Eile der Nothwendigkeit ist geleistet worden, was möglich war. Die Salzförderung geht ununterbrochen vorwärts im Franz-Joseph-Schacht, welcher täglich fünf- bis siebentausend Centner Szybicker Salz mittels Dampfkraft fördert, und in dem Göpelschacht Boza wola mit sechshundert Centnern Herausgebung (Porrecte). Im erstgenannten Förderschacht heben die Pumpen in der Minute zehn Cubikfuß Einbruchwasser. Der Elisabethschacht wird jetzt blos zur Wasserhebung mittels Dampfkraft benutzt; zwei eiserne Förderkästen im Wechsel bringen in 2,5 Minuten zweiunddreißig Cubikfuß Wasser an den Tag. Da der Zufluß gegenwärtig höchstens vierzig Cubikfuß in der Minute beträgt, so wird schon über die Hälfte desselben bewältigt. Binnen wenigen Tagen wird aber in dem Elisabethschacht eine kolossale Dampfpumpe spielen, welche neunzig Cubikfuß in der Minute fördert, so daß ein Steigen der Wässer unbedingt unmöglich, das ganze Entleeren des Werkes binnen vier bis sechs Monaten aber sehr wahrscheinlich ist. Leider fließt die zu Tag geförderte, völlig gesättigte Soole von achtzehn Grad in krystallklarem, durch den Salzinhalt wunderbar funkelndem Strome völlig unbenutzt ab in den Bach Serawa, dessen Wasser sie zur Tränkung der Heerden untauglich macht. Sie durch Sud zu verwerthen, ist aber trotzdem nicht rathsam, der Anlagekosten und der Theuerung des Brennmaterials halber, auch weil man darauf baut, die Saline bald wieder vom Einbruch zu befreien. Um nichts zu versäumen, wird jedoch zugleich ein Schacht auf den Kloskischlag niedergeteuft, um womöglich das Unheil an der Wurzel zu fassen und durch kunstgerechte Eindämmung gänzlich zu beseitigen. Die Gesammtkosten aller Schutz- oder Hülfsvorrichtungen und Arbeiten werden sich auf ungefähr dreihunderttausend Gulden belaufen.

Aber die Gefahr ist beseitigt, deß darf man sicher sein. Sehr groß ist sie überhaupt nicht gewesen. Selbst wer es als Gast befahren, hat nicht den geringsten Begriff von der ungeheuren Ausdehnung des Wieliczkaer Bergwerks. Dasselbe besteht aus sieben Etagen oder Horizonten untereinander, deren tiefster 128,9 Klafter oder 774 Wiener Fuß unter dem Tagkranz Danielowice liegt; es führen aber Schachte bis in 150 Klafter Tiefe. Die Horizonte heißen: 1. Danielowice, 33,4 Klafter; 2. Ludovica (oder Kunigunde), 14,5 Klafter; 3. Kaiser Franz, 9,3 Klafter; 4. Albrecht, 14,4 Klafter; 5. Rittinger, 22,5 Klafter; 6. Haus Oesterreich, 15,2 Klafter; 7. Tiefster Regis 19,1 Klafter. Allein nur in seiner Mitte, in einer Länge von etwa vierhundert Klaftern, ist das Bergwerk so tief; nach den beiden Endpunkten, welche, so viel bekannt, mindestens zweitausend vierhundert Klafter auseinanderliegen, verflacht es sich gegen Tag auslaufend. Der Wassereinbruch ist demnach genau zu vergleichen dem in den Keller eines mehrstöckigen Hauses, der die Bewohner der oberen Stockwerke wahrscheinlich wenig geniren wird. Zwar löst das Wasser das Salz auf, laugt die Pfeiler aus, doch nur so lange, bis es gesättigt ist. Zudem ist auch überall durch Holzverzimmerung etwa zu fürchtenden Senkungen zuvorgekommen; sagt man doch, daß die kahlen Höhen der Umgegend von Wieliczka nur davon herrührten, daß ihr einst prächtiger Hochwald Stamm nach Stamm unter die Erde gewandert sei.

In der Holzverschwendung bei solchen Schutzbauten hat die Vorzeit allerdings Unglaubliches geleistet; jetzt ist man klüger. Da das Bergwerk, je höher zum Tag, um so mehr in Länge und Breite sich ausdehnt, so mußte auch das Wasser um so langsamer steigen, je mehr es sich emporhob; man hat ausgerechnet, daß es bei ungemindertem Zustrom mindestens fünfzehn Jahre brauchen würde, um die Soole des Tagschachtes Danielowice zu erreichen, wodurch das gesammte Werk ersoffen sein würde. Man wolle nur erwägen, daß schon im Jahre 1840 nach der Messung des Markscheiders Hrdina die Strecken und Gänge des Wieliczkaer Salzbergwerks, aneinander gereiht, eine grade Linie von sechsundachtzig geographischen Meilen Länge gebildet haben würden; und wie viele sind bis heute hinzugekommen, wie viele sind gänzlich unbekannt, von keinem Fuß mehr betreten! Es bedarf langer, langer Jahre, ehe die erfahrensten Markscheider und Bergmeister sich in diesem unermeßlichen Labyrinth der Unterwelt mit einiger Sicherheit zurechtfinden, trotz der jetzt vorhandenen trefflichen Karten. –

Die kurze Schilderung meiner interessanten und ergebnißreichen Grubenfahrt schließe ich, im vollen Einverständniß aller Sachverständigen, deren Begleitung ich mich erfreute, mit dem zuversichtlichen Ausspruch: „Noch ist Wieliczka nicht verloren!“