Der alte Gaul
O armer Gaul aus edlem Sproß,
Wie bist du zugeritten!
Wie hast du, einst ein Feuerroß,
So ruhig dies gelitten!
Und liefest auf den Wiesen;
Man durft’ dich nicht in Sklaverei
In einem Stall verschließen.
Du trugst den einen Reiter nur,
Er konnte blos dich durch die Flur
Mit sanftem Zügel leiten.
Wenn er mit Sporen dich verletzt
Und dich im Sattel drückte,
Eh’ es ihm zweimal glückte.
Jetzt spornt und schlägt und hetzt man dich
Und du gehst ruhig weiter
Und trägst, seitdem der eine wich,
Ein jeder hat an dich jetzt Recht
Und übt es aus mit Prügeln
Und hält für dich noch manchen Knecht,
Um tüchtig dich zu striegeln.
Und lassen dich bewachen,
Damit dich nicht der Sonne Schein
Zu kräftig möge machen.
Nur wenn einmal ein Fremder naht,
Man legt dir auf den besten Staat
Und macht mit dir Parade.
Man wirft dir etwas Hafer vor –
Doch weit von deiner Nase –
Du seist von edler Race.
O guter Gott! wie trägst du steif
Den Kopf dann in die Höhe!
Wie schlägst du mutig mit dem Schweif,
Wie grüß’st du wiehernd deinen Herrn,
Den größten von den vielen,
Wenn er sich lächelnd naht von fern,
Einmal mit dir zu spielen!
Läßt stolz den Schweif dir winden,
Um gleich nach dem Paradetrab
Dich fester nur zu binden.
Er hüb’ sich gern allein zum Herrn,
Und drückte seinen Adler gern
Dir auf die Hinterbacken.
O steh nicht ruhig wie ein Schaf,
Laß dich nicht mehr besteigen;
Dir nur den Hafer zeigen.
Man wird dich, daß du besser trägst,
Allmählich englisiren
Und dir den Schweif, womit du schlägst,
Dann läßt man dich – denn du bist doch
Zu frei noch im Bewegen –
Von dem Kosakenhengste noch
Am Ende gar belegen.
Wie kamst du in die Falle!
Zerreiß die Ketten mit dem Maul
Und fliehe aus dem Stalle!
Noch ist es Zeit, sie werden bald
Um leicht dich, ohne viel Gewalt,
Lebendig dann zu schinden.
Anmerkung des Herausgebers
- ↑ Niederdeutsch, für „hoch auf!“
[489] Dieses Gedicht war nach einer Erklärung der Redaktion der „Sächsischen Vaterlandsblätter“ anfänglich dieser Zeitschrift angeboten, aus ungenannten Gründen aber nicht dort an die Öffentlichkeit gelangt.[WS 1] Die Autorschaft wird von dem genannten Organ „einem süddeutschen bekannten Dichter“ zugeschrieben: daß damit Uhland[WS 2] gemeint sein konnte, wie mehrfach angenommen wurde, ist unseres Erachtens unzutreffend. Die dem ungenannten Verfasser von den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ zugeschriebenen späteren poetischen Veröffentlichungen bezeugen ebensowenig den Geist des schwäbischen Dichters.
Anmerkungen (Wikisource)
Das wohl 1843 entstandene Gedicht thematisiert die Repression im deutschen Vormärz. Der Gaul meint die deutschen Bürger, die früher nur einen Herrn (Vers 9), nämlich den Kaiser hatten, nun aber von 36 Fürsten (gemeint ist der Deutsche Bund) beherrscht werden (Vers 20). Der größte (Vers 42) ist der König von Preußen.
Möglicherweise spielt Vers 58 (englisieren) auf den Hannoverschen Verfassungskonflikt an. Theodor Oelckers verwendete 1847 den Anfang des Gedichts als Motto seines Kapitels über diese Auseinandersetzung: Google.
- ↑ Siehe auch die Notiz im Vorwärts!, die sich auf den ersten Jahrgang 1843 bezieht Google
- ↑ Ludwig Uhland