Der bestrafte Spaßmacher

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Textdaten
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Autor: Höstermann
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Titel: Der bestrafte Spaßmacher
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 382-384
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[382] Der bestrafte Spaßmacher. Vor einigen Jahren hatte mich meine Reiselust nach einer der bedeutendsten Handelsstädte des nördlichen Europa geführt. Wochen vergingen, ohne daß mir irgend Erhebliches begegnete. Viele Bekanntschaften, von denen einige bald angenehm und cordial wurden, waren die einzige allerdings sehr schätzenswerthe Ausbeute meines Aufenthaltes. Da ward mir ein Wechsel fällig. Um diesen zu [383] heben, ging ich zu der betreffenden Bank. Als ich in das Geschäftslocal trat, sah ich eine Menge Leute darin versammelt, unter ihnen einen meiner Bekannten, einen jungen Mann von unerschöpflicher Heiterkeit und Laune, und – Lust, Andere zu necken. Diese Ueberfülle seiner guten Gemüthsart schien sein einziger Fehler – doch, was sage ich, sein einziger Fehler! Als ob nicht das beste Menschenkind sein volles Mandel hätte! Ich wollte sagen, dieser Fehler war der hervorstechendste, der ihm schon manchen Freund gekostet und also gewiß auch so manche trübe Stunde bereitet hatte.

Der sonst immer zu Späßen und lustigen Streichen aufgelegte junge Mensch sah heute gar nicht lachend aus. Sein Blick war verwirrt und Todesblässe lag auf seinem etwas, von innerer Angst, wie es schien, verzerrten Gesicht. Bald begegneten sich unsere Blicke und sogleich kam der junge Mann in fieberhafter Eile und mit offenbar etwas erleichtertem Herzen zu mir, der ich mit Erstaunen und Mitgefühl die sonderbare Veränderung an dem jungen Manne wahrgenommen hatte.

„Was gibt es, junger Freund?“ fragte ich theilnehmend.

„Ach Herr! es gewährt mir Erleichterung, Sie zu treffen, und Ihnen, einem würdigen, besonnenen Manne“ – natürlich machte ich hier meinen geziemenden Kratzfuß – „meine entsetzliche Verlegenheit auseinander zu setzen; vielleicht wissen Sie Rath und haben Erbarmen mit meiner Angst, trotz meiner unverzeihlichen Unvorsichtigkeit.“

Und nun erzählte der junge Mann mit bebenden Lippen wie folgt.

„Sie wissen, Herr, mein einziger Fehler ist,“ – wie offenherzig ihn seine Angst machte! – „Andern einen kleinen unschuldigen Schabernack zu spielen. Als ich nun heute hierher ging, traf ich auf der Treppe mehrere Menschen, unter ihnen auch, wie ich glaubte, meinen intimen Freund H., der in seiner Rocktasche eine dicke Brieftasche so übel verwahrt hatte, daß offenbar ein Griff hinreichte, sie, ohne bemerkt zu werden, herauszuziehen. Ei, ei! dachte ich, wie unvorsichtig Freund H. ist; er verdient eine Lehre. Kaum dies gedacht, war ich in zwei Sätzen hinter ihm, zog unvermerkt die verhängnißvolle Brieftasche aus seiner Rocktasche und steckte sie zu mir, worauf ich Andere mir vorgehen ließ, hielt mich aber doch immer in seiner Nähe, um, wenn er seines Verlustes inne würde, herbeizuspringen und ihm mit Begleitung einer tüchtigen Ermahnung das Verlorene zuzustellen.

„Ich sah meinen Freund hier- und dorthin sich wenden, die Hand schütteln etc., aber nie traf es sich, daß er sein Gesicht zu mir gewendet hätte. Aber diesmal traf mich der Schrecken, nein, das gräßlichste Entsetzen. Denn, heiliger Gott! als sich mein Freund nach meiner Seite wendete, erblickte ich ein mir stockfremdes Gesicht, dessen Eigenthümer eben todtenbleich nach dem verfluchten Taschenbuche suchte. Das Enorme meiner That trat plötzlich vor meine Augen; ich fühlte mich niedergeschmettert. Das Blut stürzte mir zu Kopfe, gerade so, als ob ich einen Schlaganfall bekommen sollte; Alles schwamm vor meinen Augen. Mit Riesenstärke kämpfte ich gegen den Anfall, aber als ich mich genügend gesammelt hatte und den beraubten Herrn anreden wollte, war er verschwunden.

„Was sollte ich thun? Zwar konnte mir der Inhalt der Brieftasche über seinen Namen etc. Auskunft geben, aber mit welchem Gesicht könnte ich zu dem Manne sagen: „Mein Herr, hier ist Ihre Brieftasche, ich stahl sie Ihnen; es that mir leid, es gethan zu haben, ich nahm Sie für einen meiner intimsten Freunde.“ Das ist Alles, was ich zu meiner Entschuldigung sagen kann. Was möchte mir wohl der beleidigte und in Schrecken gejagte Herr antworten, und vor Allem, was möchte er thun? Würde er nicht am Ende sagen: „I Sie verdammter, niederträchtiger Spitzbube, wissen Sie, daß Sie durch Ihren sogenannten Spaß mir nicht geringe Ungelegenheit bereitet haben? Wissen Sie, daß ich durch ihren verruchten Spaß genöthigt wurde, einen Wechsel zu protestiren, daß ich eine mir unendlich kostbare Zeit verlor und wohl gar einen bedeutenden Gewinn riskire? Ihre Geschichte von einem Mißverständnisse ist nichts, als eine elende Erfindung, ersonnen, um den schweren Folgen der Gerechtigkeit zu entfliehen, da Sie wissen, daß man Ihnen auf der Spur ist! Mensch, ich fühle mich verpflichtet, ein so gefährliches Subject der menschlichen Gesellschaft der Polizei zu überliefern.“

„O, es ist kein Zweifel,“ fuhr der ehemalige Spaßmacher in seiner Desperation fort, „so würde der Mann zu mir reden, würde mich der Polizei übergeben, würde – großer Gott! welche Schande und Schmach, ich vor Gericht wegen Diebstahl! O, es ist entsetzlich! Selbst vor Gericht würde man mir nicht glauben und der Richter erklären, daß auf solche Entschuldigung hin kein Mensch freigesprochen werden dürfe, weil das nur heißen würde, dem Diebstahle Thür und Angel öffnen. O, ich sehe es, ich bin verloren! Im besten Falle komme ich mit ein paar Jahren Gefängniß davon. Sagen Sie, habe ich nicht Recht, Herr?“

Offenbar sprach sich der Dieb wider Willen in immer tiefere Angst hinein; ich wollte ihm in die Rede fallen und ihn beruhigen, allein er fuhr in seiner Relation fort, ohne auch nur meine Antwort auf seine Frage abzuwarten.

„Das waren und sind noch meine Gedanken, die mir durch den Kopf rannten, als ich zur Thüre eilte, um nach Hause zu eilen, dort die Brieftasche zu öffnen und zu überlegen, wie ich sie dem Eigenthümer, ohne mich zu verrathen, zustellen konnte. Aber zu meinem Entsetzen gewahrte ich am Eingange des Hauses den Herrn, welchen ich bestohlen hatte, mit zwei Polizeileuten sprechen. Diese bewachten offenbar Jeden, der aus- und einging. Worte vermögen meinen Schrecken nicht zu beschreiben. Ich sah ein, jeder Versuch, das verfluchte Taschenbuch zurückzuerstatten, würde unter diesen Umständen mir als eine Folge der Furcht und nicht der Ehrlichkeit ausgelegt werden. Was blieb mir übrig? Ich zog mich wieder hierher zurück, da ich mein Geschäft an der Bank noch nicht einmal begonnen habe. Als Sie kamen, fanden Sie da nicht vor der Thür einige Polizisten?“

„Ich sah da wohl einige Leute stehen, doch achtete ich nicht auf sie. Es ist mir, als wenn –“

„Sehen Sie, Herr, sehen Sie; man vigilirt auf mich! Um Gottes Willen, rathen, helfen Sie!“

Die Erzählung hatte mich sehr ernst gestimmt. Die Sache war kritisch und zwar um so mehr, als der junge Mann im Gefühle seiner Schuld offenbar alle Geistesgegenwart verloren hatte. Zudem verdiente er eine scharfe Züchtigung für künftige Fälle. Je tiefer diese in seine Seele schnitt, desto sicherer konnte man hoffen, er werde von seinem Fehler geheilt werden. Für jetzt war jedenfalls nöthig, ihn zu sich selbst zu bringen, damit er in Ruhe die Lage der Sache beurtheile.

„Ich bin weit entfernt, junger Mann,“ sagte ich sehr ernst, „Ihnen Vorwürfe zu machen; diese machen Sie sich selbst. Aber Ihre nicht abzuleugnende Schuld hat Sie Ihrer sonstigen Geistesgegenwart gänzlich beraubt. Gleich nach dem ersten Schreck, der wohl unvermeidlich war, hätten Sie die Sache in Ordnung bringen können. Hätten Sie nicht einfach die Gegenwärtigen fragen können, ob einer von Ihnen etwas Werthvolles verloren habe? Fand sich keiner, so Uebergaben Sie die Brieftasche an den Bankier. Jetzt freilich ist dies nicht mehr möglich; denn allerdings bemerkten Sie ganz richtig, daß die Rückgabe jetzt mehr aus Furcht als aus Ehrlichkeit dictirt erscheinen dürfe.“

„Ja, ja! Sie haben ganz Recht. Die Schuld hat mich meines Verstandes beraubt. Es ist mir, als ob sie jeder von meinem Gesicht herabzulesen vermöchte. Welch ein fatales Ding um ein böses Gewissen! Herr Gott, was wollt’ ich nicht Alles darum geben, wenn ich ebenso frei und offen überall hinzugehen vermöchte, wie noch vor einer halben Stunde! O, mein Herr, denken Sie für mich! Gibt es kein Mittel, aus diesem gräßlichen Zustande glücklich herauszukommen?“

„Habe ich Sie recht verstanden,“ sagte ich, „so haben Sie das Taschenbuch noch nicht geöffnet, um den Namen des Eigenthümers zu erfahren. Das muß sogleich geschehen. Wissen wir erst, mit wem wir es zu thun haben, wird sich doch wohl ein Plan zur Rückgabe finden. Kommen Sie in jene Ecke, dort öffnen Sie das fatale corpus delicti.“

Wir gingen an den bezeichneten Platz und ich stellte mich so, daß Niemand das Taschenbuch zu Gesicht bekommen konnte. Eine Minute darauf flüsterte mir der Geängstigte zu:

„Es gehört einem Herrn B.“

Dieser Name war mir wohl bekannt. Den Träger desselben hatte ich seit Jahren hier und da auf meinen Ausflügen getroffen. Auf Reisen schließt man bekanntlich sich viel schneller aneinander und so waren dieser Herr und ich ziemlich intim geworden. Schon wollte ich dem natürlichen Gefühle der Ueberraschung nachgeben und meinem jungen gequälten Freunde meine Hoffnung, die Sache schnell beilegen zu können, aussprechen, als dieser von fern mit den Worten angerufen wurde;

„Hollah M.,“ – so hieß unser Missethäter – „was machst denn Du dort in der Ecke?“

„Gott sei Dank!“ rief mit tiefem, aber erleichterndem Seufzer M., „da ist mein intimer Freund H.“

Inzwischen kam dieser zu uns und als er das verstörte Aussehen seines Freundes bemerkte, rief er:

„Was? Du Ewiglustig, Niemalstraurig, wie siehst Du denn aus? Was ist mit Dir?“

Ich ließ die beiden Freunde allein und ging, mein Geld zu holen. Während dieses nach Vorweisung meines Wechsels mir ausgezahlt wurde, hatte ich Zeit, nachzudenken, was ich für meinen jungen Freund thun könnte, um ihn schnell und doch auch zu seinem Heile von seiner Angst und den etwaigen Folgen seines Leichtsinnes zu befreien. Späterhin erfuhr ich, was zwischen ihm und H. verhandelt worden war; ich lasse dies sogleich hier folgen.

Während ich mich von den beiden Freunden entfernte, hörte ich noch M. zu H. sagen:

„Du siehst in mir einen unglücklichen, elenden Menschen.“

„Was?“ hatte darauf H. geantwortet, „Du hast doch nicht Bankerott gemacht? Wie kam das, und so schnell?“

„Ach lieber Bruder, es ist viel schlimmer.“

„Schlimmeres? Den Teufel, was könnte schlimmer sein, als zum Bettler werden? Du bist doch gesund?“

„Ach lieber Junge, meine Ehre, meine Ehre! Hilf, wenn Du kannst.“

Und nun erzählte der Zerknirschte wieder seine Geschichte. H. hörte bis zum Ende schweigend und immer düsterer werdend zu, und schwieg selbst dann noch einige Secunden.

„Um Gotteswillen, H.!“ rief M. als er seines Freundes tiefen Ernst gewahrte. „Du glaubst doch nicht, daß ich wirklich die Brieftasche stehlen wollte, daß ich irgend Schlimmes beabsichtigte?“

„Gewiß nicht, Freund M.,“ erwiderte noch immer sehr ernst H. „Ich glaube Dir auf’s Wort. Ich kenne Deine unglückliche Neigung, auf anderer Leute Kosten Spaß zu machen. Doch kann ich Dir nicht verhehlen, die Geschichte hat ihre bösen Haken. Der B. ist ein Mensch, mit dem sich nicht spaßen läßt. Es wird schwer halten, ihn von unangenehmen Schritten abzuhalten, sage ich Dir. Doch will ich mit ihm reden; ich hoffe, er nimmt Vernunft an.“

„Herr Gott, H.! siehst Du die Polizeibeamten dort? sie beobachten uns.“

„Leider, mein Junge. Es ist die höchste Zeit, daß ich den B. aufsuche und mit ihm rede. Bleibe inzwischen hier, bis ich wiederkehre, und sollte während deß etwas geschehen, was ich nicht abwenden kann, so möge Dich der Gedanke stärken, daß ich für Dich thun werde, was ich vermag.“

H. ging und ließ seinen Freund in wenig getröstetem Zustande zurück. Am Abend, da er seine Rettung feierte, beschrieb er diesen etwa folgendermaßen:

„Ich habe Vieles über die Schrecknisse eines Schiffbruchs gelesen; so Manches gehört von dem feierlichen Augenblicke, in dem man sein Leben im Kampfe auf das Spiel zu setzen im Begriffe ist, aber alle diese Zustände sind gewiß nicht so entsetzlich, als der, in welchem ich mich befand, als H. mich verließ. Eine Zeit lang schauten meine Augen unverwandt [384] auf den Boden, während meine Seele fort und fort bebte in dem Gedanken, man werde mich bald genug gefangen fortführen, und doch schien jede Minute, die verfloß, ein Jahrhundert. Denn die ersehnte Rettung nahete nicht. Zuweilen schielte ich nach den Polizisten hin, deren Blicke immer mißtrauischer auf mir zu haften schienen. Die Angst stieg immer gräßlicher; die Todesangst kann nicht schauerlicher sein. Jetzt – jetzt! Gott meiner Väter! jetzt traten die Polizisten auf mich zu. Da öffnete sich, so schien es mir, der Boden unter mir, ich versank, mein Bewußtsein schwand. Nur das weiß ich noch, daß ich einen verzweifelnden Blick nach der Thüre warf.“

Das war der Augenblick, in welchem ich mit H. und dem Eigenthümer des Taschenbuches eintrat; gleich darauf sank M. zu Boden. Wie eilten zu seinem Beistande, nahmen das unglückselige Taschenbuch aus der Tasche und brachten ihn fort, indem wir den neugierigen umstehenden Leuten sagten, der junge Kaufmann M. sei in Folge eines gefürchteten sehr bedeutenden Verlustes erkrankt.

Nachdem wir den halb Ohnmächtigen nach Hause und wieder gehörig zu sich gebracht hatten, sagte Herr B., dem wir, H. und ich, sehr dringend hatten zusetzen müssen, bevor er von seinem Entschlusse, den Dieb der Polizei zu überliefern, abstehen wollte:

„Junger Mann, ich sehe wohl, daß die Herren mir recht berichteten, als sie sagten, Sie hätten aus Spaß das Taschenbuch aus meiner Tasche gezogen. Ich wollte es anfangs, ich gestehe es, gar nicht glauben, obwohl mir diese Herren als sehr ehrenwerth bekannt sind. Auch glaubte ich, es sei eine unerläßliche Pflicht, solchen gefährlichen Spaßmacher dem Gericht zu überantworten. Es freut mich jetzt, es nicht gethan zu haben. Doch nehmen Sie sich diese Affaire ad notam, junger Mann, und –“

„Kein Wort weiter, lieber Herr! Ich bin für immer von meiner Spaßmacherei geheilt, und ich fühle mich jetzt so leicht, wie ein neugebornes Kind, und so froh, wie ein Verliebter, der von seiner Geliebten erhört worden ist. Thun Sie mir den Gefallen, meine Herren, und besuchen Sie mich heute Abend zu einer Flasche echten Champagner.“

An diesem Abend erzählte M., in welchem schauerlichen Seelenzustande er sich befunden, als H. von ihm ging.

Höstermann.