Der eiserne Doppelgürtel der Union

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
>>>
Autor: Theodor Kirchhoff
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der eiserne Doppelgürtel der Union
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 406–408
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[406]

Der eiserne Doppelgürtel der Union.

San Francisco, am 14. Mai 1869.

Der 10. Mai 1869 war in den Annalen Amerika’s ein bedeutungsvoller Tag; es war der der Vollendung der Pacific-Eisenbahn, jenes gewaltigen eisernen Doppelgürtels, welcher durch die beispiellose Thatkraft der Amerikaner in einem Zeitraum von wenigen Jahren über die Breite dieses Continents geschlungen wurde.

Bereits im Jahre 1862 ward der Plan zum Bau der großen Pacific-Eisenbahn (d. h. der Schienenverbindung zwischen der Atlantischen Küste und der des Stillen [friedlichen, pacific] Meeres von Nordamerika) vom Congreß definitiv festgestellt. Der im Jahre zuvor ausgebrochene und immer größere Verhältnisse annehmende Bürgerkrieg ließ eine engere Verbindung der am Stillen Meere liegenden Staaten und Territorien mit dem Osten doppelt nothwendig erscheinen, sowohl aus commerciellen Rücksichten, als auch um sie im Falle eines Krieges mit den europäischen Seemächten leichter schützen zu können. Zugleich dachte man den Gelüsten einer Trennung vorzubeugen, indem man das Nationalgefühl jener so weit entlegenen Länder durch einen engeren Anschluß an die Mutterstaaten kräftigte.

Der Bau dieser Rieseneisenbahn war aber ein außergewöhnlich schwieriges Unternehmen. Nicht allein die ungeheure Länge der Bahn und die ihrem Bau sich entgegenstellenden natürlichen´ Hindernisse mußte man berücksichtigen; es kam noch der Umstand hinzu, daß fast die ganze Länge der projectirten Eisenbahn durch eine fast nur von feindlichen Indianern bewohnte Wildniß lief und sie sich den zu ihrem Bestehen nöthigen Verkehr erst selbst schaffen mußte.

Um den Bau dieses wichtigen nationalen Werkes schneller zu fördern, ertheilte die Regierung dazu außergewöhnliche Privilegien und gab zum größten Theil selbst die Mittel her, und zwar an zwei Gesellschaften, die Central-Pacific- und die Union-Pacific-Eisenbahn-Compagnie, von denen die erstgenannte von Californien aus, letztere vom Missouri her ihre Linien nach Ost und West bauen und beide sich in der Mitte des Continents vereinigen sollten. Beide Compagnien wurden gleichmäßig von der Regierung durch Landschenkungen und Subventionen unterstützt. Jene beliefen sich auf zwölftausendachthundert Acker pro englische Meile; diese bestanden in nach dreißig Jahren zahlbaren und von der Regierung garantirten sechsprocentigen Obligationen, deren Zinsen aus dem Staatsschatze gezahlt werden sollten, zu der Durchschnittsrate von 28,250 Dollars per englische Meile. Die Regierung nahm als Sicherheit eine zweite Hypothek auf die Bahnen und gestattete diesen eine gleiche Summe in Obligationen, mit Sicherheit erster Hypothek, in ihrem eigenen Namen zu emittiren.

Im Jahre 1863 begann die Central-Pacific-Eisenbahn-Compagnie im fernen Westen den Bau von der Stadt Sacramento aus; die Union-Pacific eröffnete zwei Jahre später ihre Linie bei der Stadt Omaha am Missouri. In den ersten Jahren schritten beide genannte Bahnlinien nur langsam vorwärts. Nach Beendigung des Krieges aber, als das Vertrauen in die finanziellen Kräfte des Landes zurückgekehrt war, ward die Arbeit von beiden Gesellschaften mit frischem Muthe und frischer Kraft fortgesetzt, und in den letzten zwei Jahren war es ein Riesenwettlauf über den halben Continent.

Im April 1868 erstieg die Union-Pacific bei Evans-Paß, fünfhundertundfünfzig englische Meilen westlich von Omaha, 8242 Fuß über dem Meere, den höchsten Punkt auf ihrer Linie. Seitdem hat sie über ein, namentlich in den Felsengebirgen und in dem Hochland von Utah, außerordentlich schwieriges Terrain fernere fünfhundertundsechsunddreißig Meilen bis an das nördliche Ufer des großen Salzsees erbaut, wo sie mit der Central-Pacific zusammentraf. Die Central-Pacific war erst im Juni 1868 im Stande, hundertundsechzig Meilen östlich von Sacramento, von dem Ostabhange des Gebirgszugs der Sierra Nevada in das Flachland am Humboldtfluß hinabzusteigen. Das Ueberschreiten der Sierra Nevada, wo lange Tunnels durch den Granitfels gesprengt werden mußten, war wohl die schwierigste Arbeit im Eisenbahnbau, welche bis jetzt in Amerika vollbracht worden ist. Siebentausendunddreiundvierzig Fuß über dem Meere überschritt die Central-Pacific jenen Gebirgszug. Sobald das Hochland erreicht war, ging’s dagegen mit Riesenschritten vorwärts und in eilf Monaten wurden fünfhundertdreißig Meilen bis zum Verbindungspunkte mit der Union-Pacific vollendet. Promontory Summit, der Punkt, wo die beiden Linien zusammentrafen, liegt eintausendundsechsundachtzig englische Meilen westlich vom Missouri und sechshundertundneunzig Meilen östlich von Sacramento, nördlich vom großen Salzsee.

Wie in Washington City bestimmt worden, wird die Union-Pacific-Eisenbahn-Compagnie die letzten von ihr erbauten dreiundfünfzig englischen Meilen gegen Entschädigung der Baukosten an die Central-P.-E.-E. abtreten und der künftige Verbindungspunkt der beiden Linien nicht bei Promontory Summit, sondern bei Ogden, einer blühenden Mormonenstadt, vierzig englische Meilen nord-nordöstlich von Salt Lake City gelegen, stattfinden.

In den letzten sechszehn Monaten bauten beide Bahnen zusammen eine Wegstrecke von eintausendeinhundertundzwölf englischen Meilen, neunundsechszigundeinehalbe englische Meilen per Monat. Eintausendunddreihundert Meilen dieser Linie liegen dreitausendundfünfhundert Fuß über dem Meeresspiegel, und einhundertsechszig Meilen fünftausend bis mehr als achttausend Fuß über der See. Die Entfernung von Newyork bis nach San Francisco, den Endpunkten der transcontinentalen Eisenbahn, beträgt dreitausendunddreihundert englische Meilen, also mehr als achtundvierzig Längengrade und etwa den achten Theil des Erdumfangs.

Mit gerechtem Stolze blickt Amerika auf die Vollendung dieses gigantischen Unternehmens. In Wolkenhöhe, am Rande gewaltiger Felsabhänge, durch die unzugänglichsten Gebirgsschluchten, über weite Thäler und reißende Ströme, durch die Tiefen des Gebirges hin rast der menschenbeschwerte Dampfzug, durchkreuzt endlos scheinende Wüsten und trägt die Cultur in brausendem, die Ufer weit überfluthendem Strome in das Innere eines Erdtheils, in Gegenden, welche vor Kurzem noch gegen die Civilisation hermetisch geschlossen schienen und nur die Heimath von Indianern, Wölfen, Bären, Büffeln und Antilopen waren.

Für San Francisco namentlich ist die Vollendung dieses Riesenwerks von immenser Wichtigkeit, denn durch die Pacific-Eisenbahn tritt jene Metropole Amerika’s am Stillen Ocean in directe Verbindung mit den älteren Staaten der Union, man kann sagen mit Europa. Sind die täglichen Dampferlinien, welche Amerika mit der alten Welt verbinden, doch eigentlich nichts weiter als riesige Fährboote; der Atlantische Ocean ist so zu sagen zusammengeschrumpft und für den Verkehr kaum noch so breit als z. B. das Mittelländische Meer es in früheren Jahrhunderten war. Aber nicht nur dem Osten und Europa ist San Francisco nahe gerückt. Bereits entsendet es allmonatlich nach dem fernen China und Japan gewaltige Dampfer, und die Zeit liegt nicht mehr fern, wo das große Stille Meer von hier aus, ebenso wie das Atlantische zwischen Europa und Amerika, mit täglichen Dampffähren überbrückt sein wird. San Francisco ist jetzt schon die Hauptwegstation zwischen Europa und den uralten Culturreichen von Ostasien, und die Pacific-Eisenbahn ist die große Schlagader des nordamerikanischen Zwischen-Festlandes.

Wie gesagt, der 10. Mai war der ereignißvolle Tag, an welchem die letzte Schiene auf der großen transcontinentalen Eisenstraße niedergelegt wurde, welche die alte Atlanta jetzt mit dem Stillen Meere verbindet. In der Mitte des Continents, am nördlichen Gestade des großen Salzsees, jenes wunderbaren herrlichen Binnenmeeres inmitten unermeßlicher Wildniß, vollzog sich das welthistorische Ereigniß, und dort standen die Arbeiterheere der Union- (östlichen) und der Central- (westlichen) Pacific-Eisenbahn endlich einander dicht gegenüber. Im Osten waren es meistens Europäer – Irländer und Deutsche –, welche die Bahn gebaut, hier, an der Wasserscheide des Stillen Oceans, Chinesen. Aber Amerikaner hatten jene Arbeitercolonnen geführt, und ihrer nie ermüdenden Energie hat die Welt vor Allem die rasche Vollendung dieses beispiellosen Eisenbahnbaues zu verdanken.

Seit Jahren, und insbesondere während der letzten Monate, hatten die Mitglieder der beiden Arbeiterheere jede Muskel angestrengt, um es sich gegenseitig an Schnelligkeit im Eisenbahnbau [407] zuvorzuthun und ihre respectiven Linien, ehe sie zusammenträfen, möglichst weit nach Westen und nach Osten vorzuschieben. Auch lag es im Interesse der beiden rivalisirenden Compagnieen, vor dem Zusammentreffen der beiden Linien so viele Meilen ihrer Bahn als möglich fertig zu bringen, da die Vereinigten Staaten ihre Obligationen und Landschenkungen nach der von jeder Gesellschaft vollendeten Wegstrecke berechneten. Jeden Abend blitzte der Telegraph seit Monaten das Resultat der Tagesarbeit über die Länge und Breite des Continents, das namentlich in San Francisco mit fieberhafter Aufregung gelesen wurde, da Californien es als einen Ehrenpunkt ansah, sich vom Osten nicht besiegen zu lassen.

Die Schwierigkeiten, welche sich dem raschen Fortbau der Eisenbahn entgegenstellten, waren fast unglaublich. Die Schwellen mußten auf den Ebenen und in den baumlosen Wüsten, welche die Bahn durchschnitt, aus Entfernungen von hundert und mehr Stunden an Ort und Stelle gebracht werden, sowohl mit Wassermangel als mit dem Herbeischaffen von Feuerungsmaterial zum Bedarf für die Locomotiven hatte man zu kämpfen; die riesigen Felsengebirge mußten überschritten, lange Tunnels durch den Granit der Sierra gesprengt werden; Schneestürme unterbrachen im Winter wochen- und monatelang die Arbeit, und in der Sierra Nevada überdachte man die Bahn auf einer Strecke von nicht weniger als zweiundzwanzig englischen Meilen, um die Lawinen abzuhalten. Auf den Ebenen zwischen dem Missouri und den Felsengebirgen wurden die Arbeiter an der Union-Pacific oft durch Angriffe feindlicher Indianer beunruhigt, welche sich dem Bau der Eisenbahn durch ihre Jagdgründe mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln widersetzten. Die Büchsen auf der Schulter rückten die Arbeiter zum Tagewerk aus und waren nicht selten gezwungen, die Picke und Schaufel mit dem Feuerrohr zu vertauschen, um ihre wilden Feinde von der Bahnlinie zu vertreiben. Nachts wurden Vorposten ausgestellt, als ob man sich im Kriege befände.

An jedem Morgen brachen die nach vielen Tausenden zählenden Arbeiterheere ihre Zeltlager ab und transportirten ihre beweglichen Städte, wie sie vorschritten, per Roß und Wagen mit sich. Schwellen und Schienen, das ganze massenhafte Material zum Eisenbahnbau, wurde, als die Bahnen vorschritten, von Ost nach West täglich an die Fronte nachgeschafft. Alles dieses mußte in einer Urwildniß vollbracht werden, wo zum Lebensbedarf, außer den schwer beizukommenden Büffeln und Antilopen, absolut gar nichts vorhanden war.

In der Schnelligkeit des Eisenbahnbaues trugen die Chinesen an der Central-P. noch in der letzten Woche dieses Riesenwettlaufes über einen Continent über ihre kaukasischen Rivalen an der Union-Pacific-Eisenbahn den Sieg davon. Diese konnten sich rühmen, sieben Meilen eines nagelneuen Bahngeleises als Maximum einer Tagesarbeit gelegt zu haben, wogegen fünftausend gezopfte Söhne des blumigen Reiches der Mitte, mit einem Enthusiasmus, als ob die Eisenbahn direct nach Peking gebaut würde, am 28. April in elf Stunden etwas über zehn englische Meilen (etwa zwei und eine Viertel deutsche) fertig brachten, und gleichzeitig das ganze Inventarium des Eisenbahnbaues, Schwellen und Schienen, unzählige Wagen und Karren, Schmiedewerkstätten, Gerätschaften aller Art, ihre Küchen, Häuser, Zelte, Betten Lebensmittel, Feuerholz etc. mitforttransportirten.

Die Legionen mit Picke und Schaufel, welche am 10. Mai an dem nördlichen Ufer des großen Salzsees in der Wildniß aufeinanderstießen, waren in letzter Zeit allerdings bedeutend zusammengeschmolzen, da viele Arbeiter keine Beschäftigung mehr an den Bahnen fanden, als die noch zu bauende Wegstrecke täglich mehr und mehr zusammenschrumpfte; aber immer noch war es ein imposanter Anblick, der sich dem Zuschauer an jenem Tage dort zeigte.

Noch standen die letzten weißen Zelte der zusammengeschmolzenen Arbeiterheere auf den mit graugrünem Salbeigestrüpp bewachsenen Hügeln, Rosse und Reiter jagten hin und her, zahlreiche Fuhrwerke standen an der Bahnlinie und Freude und Jubel scholl himmelan. Im Süden lag der schimmernde Spiegel des großen Salzsees, mit silbernen Schaumwogen seine romantischen Gebirgsinseln umschließend, und jenseits desselben, im Südost, hoben die bläulichen Wasatchgebirge ihre schneegekrönten Gipfel hoch in den klaren Aether.

Von Ost und von West kamen die Eisenrosse hergesprengt und hielten nahe einander gegenüber, sich mit der gellenden Stimme des Dampfes begrüßend. An dreitausend Zuschauer, worunter mehrere Damen, hatten sich hier in der Wildniß zusammengefunden, um der Vollendung des großen Werkes beizuwohnen. Chinesen in ihrer Nationaltracht, Europäer und Amerikaner aus allen Theilen der großen Union drängten sich fröhlich untereinander, und alle Racenvorurtheile schienen vergessen zu sein. Die Hauptingenieure, die Directoren und Präsidenten der Central- und der Union-Pacific-Eisenbahn, sowie die mehrerer östlichen Bahnen, angesehene Personen aus Ost und West, sogar ein Mormonenapostel und zwei Mormonenbischöfe waren zugegen.

Nevada sandte einen schweren Silbernagel, Arizona einen zweiten, aus Eisen, Silber und Gold verfertigten Nagel, Californien die letzte Schwelle aus einheimischem Lorbeerholz und einen langen Goldnagel, womit die letzte Schiene der Pacific-Eisenbahn befestigt werden sollte. Chinesenarbeiter von der Central-P. brachten die letzte Schwelle von californischem Lorbeerholz an die für sie bestimmte Stelle, Angestellte von der Union-Pacific legten die letzte Schiene darauf nieder, und um die Mittagsstunde fielen die letzten Hammerschläge auf den Goldnagel.

Der dienende Blitz hatte es übernommen, die letzten Hammerschläge gedankenschnell nach allen Hauptstädten der Union zu tragen, denn der Silberhammer, den man dazu gebrauchte, war mit dem elektrischen Draht verbunden.[1]

In den großen Städten des Ostens wurde der ereignißvolle Tag überall mit Glanz und Enthusiasmus gefeiert; namentlich in Chicago war die Feier eine überaus großartige. Willkomm-Telegramme wurden im Laufe des Tages zwischen vielen Städten des Ostens und San Francisco ausgetauscht.

In San Francisco und in Sacramento fand die Hauptfeier bereits am 8. Mai statt, an welchem Tage, wie zuerst bestimmt war, die letzte Schiene an der Pacific-Eisenbahn gelegt werden sollte.

Der Aufschub der Feier bei Promontory Summit am großen Salzsee ward durch ein tragikomisches Intermezzo veranlaßt. Durant, der Vice-Präsident der Union-Pacific-Eisenbahngesellschaft, war mit einem Gefolge von Directoren, Contractoren und anderen hohen Herrschaften von Omaha unterwegs, um an der Feier [408] Theil zu nehmen, als er bei Piedmont in Utah von mehreren Hundert Arbeitern und Angestellten an der Bahn angehalten und gefangen genommen wurde, welche schworen, sie würden ihn nicht eher weiter reisen lassen, als bis er ihnen den seit Monaten rückständigen Tagelohn ausbezahlt hätte. Achtundvierzig Stunden saß der arme Mann in Haft und mußte haarsträubende Lynch-Drohungen anhören, ehe das von ihm per Telegraph requirirte Geld (vierundachtzigtausend Dollars) anlangte und er unter den Glückwünschen der Arbeiter weiter fahren durfte.

In Folge dieses Aufschubs am Salzsee feierte San Francisco, wie gesagt, das Pacific-Eisenbahnfest am 8. Mai. Am frühen Morgen kündigten hundert Kanonenschüsse von den schweren Batterien bei Fort Point am goldenen Thor und auf der in der Bai liegenden befestigten Insel Alcatraz den Bewohnern der großen Goldstadt an, daß heute der Tag da sei, an dem die Pacific-Eisenbahn fertig oder vielmehr nicht fertig werden würde. Aber was that’s, ob man das Fest am 8. oder am 10. Mai feierte? Die schlechten Bezahler an der Union-Pacific sollten uns den Spaß nicht verderben, zumal bereits Alles zur Feier vorbereitet war und ein Aufschub große Störungen verursacht hätte.

Die meisten Geschäfte in der Stadt waren geschlossen, Fahnen rauschten von allen Dächern und die Straßen waren lebendig von frohen Menschen. Nach amerikanischer Sitte durfte ein Mammuths-Festzug nicht fehlen. Bei dem prachtvollsten Wetter, Schlag elf Uhr, setzte sich dieser in Bewegung, mit allen Blechinstrumenten und Trommeln in der Stadt, unter dem Läuten sämmtlicher Glocken, dem unausgesetzten schrillen Pfeifen und Geheul aller Dampfmaschinen in den zahlreichen Maschinenwerkstätten, Eisengießereien und Fabriken, auf den Dampfschiffen im Hafen und von den Dampffeuerspritzen in den Straßen, – ein großartiger Spectakel. Als der Festzug sich durch die elegante Montgomerystraße bewegte, wo ein Meer von Fahnen wogte und alle Gebäude bis an’s Dach voll waren von Menschen, war das Schauspiel im höchsten Grade imposant.

San Francisco kann man mit Recht eine Stadt von Vereinen nennen, und heute waren sie Alle in Gala ausgerückt. Es giebt deren hier fast so viele als Sand am Meere. Tagtäglich sieht man Abtheilungen von Bürgersoldaten, Turnern, Schützen und Vereinen aller Art mit hochklingenden Namen durch die Straßen paradiren. Italiener, Deutsche, Franzosen, Irländer, Skandinavier, Portugiesen, Slavonier, Illyrier, Neger, Amerikaner, Mexikaner, – Grenadiere mit gewaltigen Bärenmützen und thurmhohen rothen und weißen, wie Cardinalshüte geformten Käppis, Dragoner mit griechischen Helmen und Pferdeschweifen und in mittelalterlichen Sturmhauben, Jäger, Infanterie, Zuaven, Alle mit schweren Epauletten, so daß jeder Gemeine wie ein General aussieht, Turner, Schützen und Rothmänner wetteifern mit Leuten in Civil, in schwarzen Tuchröcken und weißen Baumwollenhandschuhen, mit unverwüstlicher Geduld, unter rauschender Janitscharenmusik und mit fliegenden Bannern Straße auf und Straße ab zu marschiren.

In dem großen Festzuge gingen natürlich Alle mit, – Vereine, Bürgersoldaten, das reguläre Militär, die californischen Pioniere (ersten Ansiedler des Landes), die Gewerke, Maschinenbauer etc., jede Abtheilung mit rauschender Musik und mit fliegenden Fahnen, und an Phantasiebildern und poetischen Darstellungen, die sich auf die Pacific-Eisenbahn bezogen, war kein Mangel. Die deutschen Turner, welche an einem auf einem Wagen angebrachten Barren Turnübungen anstellten und im Fahren einige menschliche Pyramiden zu Stande brachten, wurden mit besonderem Jubel begrüßt, und mancher Blumenstrauß flog von schöner Hand ihnen zu. Sieben blankgeputzte, mit prächtigen Pferden bespannte Dampffeuerspritzen, wie man sie schöner nirgends in der Welt sieht, die mit gellendem Schreien des Dampfes hintereinander herfuhren, und eine von zwanzig Pferden gezogene Locomotive verdienen besondere Erwähnung.

Nachdem der Festzug durch die Hauptstraßen der Stadt marschirt war, ging’s nach dem „Pavillon“, ein Gebäude, das viertausend Menschen faßt. Hier wurden die unvermeidlichen Festreden gehalten, der Dichter des Tages trug seine eleganten Verse vor, die Nationalhymne „star spangled banner“ ward unter der Begleitung von dreihundertundfünfzig Instrumenten gesungen. Abends brannten gewaltige Feuer, wobei das Brennmaterial aus Brettern, Fässern, Kisten und Kasten bestand, an den Straßenecken und auf den Hügeln in und um die Stadt, die Hauptstraßen waren illuminirt, Raketen sausten in den Himmel – so war das Pacific-Eisenbahnfest hier in der großen Goldstadt am Gestade des Stillen Oceans.

Theodor Kirchhoff in San Francisco.



  1. Die deutsche Presse hat der amerikanischen längst die Schilderung des großen Telegraphenfestes nacherzählt, welches mit dieser Feierlichkeit verbunden war. Da jedoch der geschilderte Augenblick zu den großartigsten der Weltgeschichte gehört, so halten wir es für unsere Pflicht, ihn nach dem Wortlaute der New-Yorker Handels-Zeitung vom 13. Mai auch der Gartenlaube einzuverleiben.
         „Es war mit der Zeremonie eine Telegraphenfeier verbunden, welche etwas in hohem Grade Anregendes hatte. Die Arrangements waren so getroffen, daß jede Bewegung aus jenem obscuren Punkt des Erdkreises sofort über das ganze Land telegraphirt wurde, sodaß das ganze Volk Zeuge dessen sein konnte, was dort im engsten Kreise stattfand. Die Einrichtung war, daß der Telegraphendraht an den letzten Bolzen befestigt wurde, und daß die Hammerschläge auf diesen, in jeder Telegraphenstation gefühlt, der Welt das Geschehene im gleichen Moment verkündeten. Omaha war der Centralpunkt dieses großartigen Arrangements; von dort wurden rings in der Runde die Befehle ausgetheilt. Der Vorsteher des Telegraphendepartements in Washington setzte den Draht mit einer Glocke in Verbindung. Jene Glocke mußte von den Hammerschlägen auf dem zweitausendvierhundert Meilen entfernten Promontory Summit getroffen und in Bewegung gesetzt werden! Das Signal wurde gegeben: ‚Macht euch bereit!‘ Washington, Neworleans, Chicago, Boston etc. antworteten: ‚Wir sind fertig!‘ Es war nach zwei Uhr. Auf den Telegraphenbureaux herrschte dieselbe Spannung, welche man unmittelbar vor dem Eintreffen einer Sonnenfinsterniß empfindet. Einige wurden ungeduldig und richteten Fragen an Omaha. Von dort erfolgte die Antwort: ‚Seid ruhig. Stört den magnetischen Kreis nicht, sondern wartet den Hammerschlag ab.‘ Um zwei Uhr siebenundzwanzig Minuten, nach der Washingtoner Zeit, sagte Promontory Summit: ‚Beinahe fertig. Die Hüte ab! Es wird gebetet!‘ Unwillkürlich gehorcht ein Jeder, dem das Signal kund wird. Tiefes, feierliches Schweigen. Um drei Uhr vierzig Minuten lautet das Wort: ‚Das Gebet ist zu Ende, der Bolzen soll eben überreicht werden!‘ Chicago erwidert: ‚Der Osten ist bereit!‘ Promontory Summit spricht: ‚Fertig! Gleich kommt’s! Dreimal wird gezuckt vor den Hammerschlägen!‘ Das Signal erfolgt, Eins, Zwei, Drei! Eine Pause von einigen Minuten. Und dann fühlt man die Hammerschläge im Osten, im Westen, im Norden und im Süden, die Glocke in Washington klingt, einmal, zweimal, dreimal! Die Fahnen steigen empor, die Kanonen donnern, und hier läutet das Glockenspiel des Trinitythurmes: ‚Nun danket Alle Gott!‘ Der Moment wird allen denen unvergeßlich sein, welche an der Feier betheiligt waren. So bildet die Völkerfamilie Einen harmonischen Körper, dessen Nervensystem die Fäden des elektromagnetischen Telegraphen repräsentiren, und was im entlegensten Winkelchen geschieht, das beseelte Ganze kann es spüren und empfinden.“
    D. Red.