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Der gebändigte Strom

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Titel: Der gebändigte Strom
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 378–380
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der gebändigte Strom.

Abermals sahen wir den ersten Schritt zu einer Menschenthat geschehen, vor welcher die Völker der Gegenwart den Hut abziehen und die Nachkommen mit Hochachtung unserer Tage gedenken werden.

Im schönsten Frühlingssonnenglanz des vierzehnten Mai feierte Wien „die Inauguration der Donau-Regulirungs-Arbeiten“, indem der Kaiser selbst den ersten Spatenstich dazu vollbrachte. Das ist eine sinnige Weihe, ganz des modernen Geistes würdig, der „die Ehre der Arbeit“ aussprach und der sie, je mehr Cultur und Humanität Siege erringen, um so ernster vor alle übrigen Ehren stellt.

Ein Blick auf unsere Illustration genügt, um unsere Leser von der Großartigkeit und Schwierigkeit des Unternehmens zu überzeugen. Es ist in der That eine kolossale Idee, die Verlegung von einem Theile des Bettes des bedeutendsten Stromes in Europa. Ein solches Beginnen mahnt an die weltbekannten Mirakel des Alterthums, und es darf uns deshalb nicht Wunder nehmen, daß man erst nach beinahe hundertjährigem Zaudern an die Ausführung zu gehen wagt.

Der Durchstich der Donau bei Wien.

Vergleicht man die örtliche Lage großer Städte an bedeutenden Strömen, wie z. B. die von Köln, Mainz, Breslau, Dresden, Pest etc., mit der von Wien, so findet man den sehr bedeutenden Unterschied, daß die Wassermasse ungetheilt, in voller Kraft und mit allen ihren natürlichen Vortheilen im Gefolge an den gedachten Plätzen vorbeikommt, während die Wasserkraft der Donau, durch ein Chaos wilder Gewässer netzförmig ausgebreitet, an Wien vorüberfluthet. Die Größe des Donaustromes auf diesem Theile seines Laufes entspricht beiläufig, als Fluß, derjenigen des Rheines, bevor er die Mosel aufnimmt; dagegen mögen die Hochwasser der Donau bedeutender als jene des Rheines sein, da wiederholten Messungen zufolge eine mittlere Hochfluth bei der großen Donaubrücke nächst Wien einen Abfluß von 360,000 Kubikfuß Wassermasse pro Secunde ausweist.

Dem Verluste, welchen die angrenzenden Uferlandschaften an Grund und Boden ununterbrochen erlitten haben und stündlich noch erleiden müssen, den Gefahren ausgedehnter Ueberschwemmungen, welchen die Nord- und Nordosttheile Wiens ausgesetzt sind, und dem überaus schwierigen, theilweise auch unmöglich gemachten Schiffsverkehre steht die bedeutsame Regulirungsziffer von 24,600,000 Gulden gegenüber. Jetzt, wo die Arbeiten bereits begonnen haben und der Weihespatenstich geschehen ist, sei es erlaubt, auf das Wesen der Sache etwas näher einzugehen. –

Die Regulirung des Stromlaufes wird eine Strecke von beiläufig acht Wegstunden umfassen. Der Lauf der Donau ist [379] ober- und unterhalb Wiens an zwei Stellen durch die Natur fixirt, oberhalb durch das Kahlen- und Bisamgebirge, unterhalb Wiens durch die ungarischen Grenzgebirge zwischen Haimburg und Theben. Vom Bisamberg bis Nußdorf ist der Strom am rechten Ufer durch das Kahlengebirg in seinem Lauf beschränkt. Sowie die Donau aber bei Wien in die Ebene tritt, findet sie kein von der Natur vorbereitetes Bett, sondern fließt in einem angeschwemmten gleichartigen Boden. So ist es erklärlich, daß sie sich frei überlassen, den zufällig entstandenen Hindernissen ausweichend, sich in mehrere Arme theilte, daß durch Bildung von Schotterbänken immer neue Ausartungen des Stromlaufes entstanden und bei Hochwässern ein meilengroßer Flächenraum überspült und verwüstet wurde. Unter solchen Umständen ist es natürlich, und die vorhandenen Urkunden weisen dies auch nach, daß der Hauptarm der Donau bei Wien zu verschiedenen Zeiten einen verschiedenen Lauf gehabt hat. Unstreitig ist einst der Hauptstrom von Nußdorf in der Richtung des jetzigen Donaucanals geflossen, sowie andererseits aus Urkunden hervorgeht, daß er später seinen Lauf immer mehr östlich durch die ausgedehnte Ebene des Marchfeldes genommen hat. Noch heute besitzt die innere Stadt Wien einen Stadtteil, welcher „am Gstaadt“ genannt ist und welcher seiner Zeit unzweifelhaft die Ufergrenze vom damaligen Donaustrome bildete. In der ausgedehnten Marchebene hat die Donau zwischen den beiden extremsten Stromläufen, in mehrere Arme getheilt, das Land verwüstet und der Hauptarm seine Richtung gewechselt, je nachdem ein künstlich oder vom Strome durch Ablagerung seines Geschiebes geschaffenes Hinderniß die Veranlassung zur Versandung eines Armes und zu einer neuen Stromtheilung gab. –

Diesen schweren Calamitäten gegenüber ist die Frage der Donauregulirung bei Wien im heutigen Sinne, d. h. die Zusammenfassung aller Donauarme in ein geregeltes Bett, erst seit dem Jahre 1810 in Verhandlung genommen worden. Bis dahin hatte man die Aufmerksamkeit bloß der Erhaltung der Schiffbarkeit des Donaucanals und der möglichen Verhütung einer Ueberschwemmung von Wien und dem Marchfelde durch weit auseinander liegende, verästete Dämme zugewendet. Von da ab kam die neue schwierige Frage der Erbauung einer stabilen Brücke bei Wien dazu. Bandwurmartig wand sich diese offene Doppelfrage nicht weniger als sechs Decennien hindurch. Immer schreckte das Geldopfer, welches sie auferlegte, vor der Ausführung zurück, und so blieb denn dem Jahre 1869 der definitive Anfang zur Lösung der Riesenaufgabe vorbehalten. Der Größe der Letzteren gemäß fand es die österreichische Regierung nothwendig, zu den einheimischen technischen Kräften auch die bedeutendsten Capacitäten des Wasserbaufaches im Auslande zur Ausarbeitung von Projecten und Gutachten einzuladen. Alle diese Projecte bezweckten zunächst, der Donau bei Wien in einer sanft gekrümmten Linie mittelst eines mehr oder weniger längeren Durchstichs einen regelmäßigen Lauf und eine ungefährliche Abführung der Hochwasser und des Eises zu sichern. Zu letzterem Behufe und um zugleich eine so viel als möglich gleiche Wassergeschwindigkeit herzustellen, soll das Strombett aus zwei Theilen bestehen, einem unteren für den gewöhnlichen Wasserstand und einem höheren für die Hochwasser. Das beigegebene Profil des Durchstichs zeigt dies auf’s Deutlichste. Diese Herstellung eines aus zwei Theilen bestehenden Strombettes bezieht sich auch auf die Hafenbauten bei Wien, um bei kleinerem Wasserstande die für die Schifffahrt nöthige Tiefe zu erhalten und selbst bei dem höchsten Wasserstande immer noch das Landen und Ausladen der Schiffe möglich zu machen.

Ohne Zweifel gehörte zu den wichtigen Fragen, namentlich neben der Bestimmung der künftige Trace der in ein Bett zusammengefaßten Donau, auch die: wie es zu ermöglichen sei, während der Durchstichs- und Canalisirungsarbeiten der Schifffahrt auf der Donau keine Hemmung zu bereiten. Unsere Illustration zeigt, daß auch diese Aufgabe gelöst ist, denn es kann in der unteren Donaustrecke, wo es sich nur um die Rectificirung und Eindämmung des alten Flußbettes handelt und die Schifffahrts-Stromrinne nirgends behindert zu werden braucht, selbstverständlich von einer Unterbrechung der Schifffahrt ebenso wenig die Rede sein, als in der oberen Strecke, weil der Durchstich, schon zur Gewinnung des nöthigen Anschüttungsmaterials, in der ganzen Breite des neuen Flußbettes, sowie in der Mitte desselben und an dem Landungsufer in einer solchen Tiefe ausgehoben werden muß, daß, sobald der Durchstich eröffnet werden wird, die Schifffahrt sogleich die nöthigen Wassertiefen finden kann. Bis zu seiner einstigen Eröffnung bleibt die Donau unbehelligt im alten Flußbett.

Es liegt auf der Hand, daß Hochwasser und Eis bei einem mehr geradlinigen Bett leichter abgeführt werden, als in einem gekrümmten, dabei kommt aber noch in Betracht, daß durch diesen Durchstich und die damit im Zusammenhang stehenden Correctionsarbeiten der Wasserspiegel gesenkt und damit die Geschwindigkeit des Stromes vergrößert wird. Durch diese Senkung des Wasserspiegels und die gleichzeitig eintretende vergrößerte Geschwindigkeit des Stromes wird aber offenbar die Gefahr der Ueberschwemmung wesentlich vermindert. Hauptsächlich aber wurde bei der Feststellung der Trace dieser Donau-Regulirung darauf Bedacht genommen, daß es sich weit weniger um die gewöhnliche Regulirung eines im freien Lande fließenden Stromes handle, als darum, daß dieser Strom dem Handel und der Industrie, welche ihren Sitz in einer so großen Stadt aufschlagen, dienstbar gemacht werde. Wien insbesondere hat die glücklichste Lage für einen bedeutenden Stapelplatz der Flußschifffahrt, denn während die Donau Oesterreich von Westen nach Osten durchzieht und eine vorzügliche Wasserstraße in dieser Richtung nach dem schwarzen Meere herstellt, laufen von Wien aus mehrere große Eisenbahnen nach Norden und Süden, welche ihren natürlichen Anknüpfungspunkt und den Umschlagsort für die gemeinsamen Frachten hier finden. Wenn daher die Hemmnisse von der Donau- Schifffahrt entfernt sein werden, wenn für Wien ein entsprechender Landungs- und Stapelplatz hergestellt sein wird, dann wird auch ein Schwerpunkt des Verkehrs naturgemäß sich hier an die Donau verlegen.

Theils zur Erzielung einer rascheren Ausbildung des künftigen neuen Strombettes, theils in Rücksicht auf die sofortige Benützung des Durchstichs nach seiner Vollendung durch die Schifffahrt ist als nothwendig festgestellt, das künstliche Bett sogleich auf seine ganze Breite von zweitausendzweihundert Fuß bis zum Nullwasserspiegel und weiter am rechtseitigen Ufer zwei Fuß unter dem Nullpunkte, in der Mitte aber in einer Breite von tausend Fuß und einer Tiefe von sechs Fuß unter dem Nullpunkte auszuheben. Dieser Theil der Arbeit erfordert allein eine Erdbewegung von 1,142,000 Kubikklaftern und außerdem 30,000 Quadratklaftern Steinpflasterungen.

Nach Herstellung des neuen Strombettes soll die untere Stromstrecke bis Fischamend in Angriff genommen werden. In derselben findet ein Durchstich nicht statt, da das neu festgestellte Bett größtentheils mit dem bestehenden zusammen- oder in dessen Nebenarme fällt und die Regulirung daher mehr als eine Rectification der Flußtrace und solide Befestigung der Ufer als in der Art eines completen Neubettes auszuführen sein wird.

Was die Kosten der Durchführung dieser Donauregulirung betrifft, so sind in der obengenannten Summe von 24,600,000 Gulden auch die auf beiläufig vier Millionen Gulden sich belaufenden Unkosten inbegriffen, welche zur Grundeinlösung einer am rechten Donauufer liegenden Fläche von 330,000 Quadratklaftern und zu deren Erhöhung und Planirung über den höchsten Wasserstand mittelst Zuführung von mehr als einer Million Kubikklafter Auffüllungsmaterial aus dem Durchstiche nothwendig sind.

Die Festsetzung des jetzigen Planes zur Donau-Regulirung ging keineswegs so glatt ab, wie es bisher schien, sondern das österreichische Schicksal hatte auch hier erst seine Lehre zu geben. Ursprünglich war der Plan des Ministerialraths Pasetti der begünstigte, trotzdem derselbe die Ueberschwemmungsgefahr nur verminderte, nicht beseitigte, und auf den Schifffahrtsverkehr, die Industrie und den Handel keine Rücksicht nahm, sondern den Hauptstrom der Donau von Wien entfernen, das sogenannte Kaiserwasser in einen Winterhafen umwandeln wollte und den Donaucanal mit einer Tiefe von sechs Fuß für die Schifffahrt als genügend erklärte. Dieses Project erfreute sich des besondern Beifalls der feudalen Kriegspartei, welche auf eine Befestigung Wiens im großen Styl hindrängte – und zwar 1867, also nach dem bekannten Jahre 1866 –; den Vertretern der Wiener Gemeinde und des Landes Niederösterreich wurde damals von Seiten der Regierungsorgane kurzweg bemerklich gemacht, daß dem militärischen Theil der ganzen Frage alle anderen [380] Rücksichten untergeordnet werden müßten, weil dieser das Staatswohl tief berühre.

Ohne Zweifel würden alle Anstrengungen der Volksvertreter und der tüchtigsten Fachmänner zur Abwendung dieser großen Gefahr von Wien und Niederösterreich vergeblich gewesen sein, wenn nicht zu Ende des Jahres 1867 das Bürger-Ministerium die Regierungsgeschäfte übernommen hätte und insbesondere Giskra für eine verständigere Donau-Regulirung aufgetreten wäre. Ihm allein verdankt man die Lösung der Frage im volkswirthschaftlichen, nicht im militärischen Interesse, und ihm verdankt es Wien, wenn diese Regulirung es wirklich zu einem Welthandelsplatz erhebt. – Es war daher, nach dem Sprüchwort, daß Undank der Welt Lohn sei, ganz in der Ordnung, daß beim großen Festmahle des Inaugurationstages alle nur möglichen Persönlichkeiten betoastet wurden, aber des seitdem von seinem hohen Posten zurückgetretenen Dr. Karl Giskra kein Anwesender mit einer Silbe gedachte. – Selbst vor dem größten Werke können viele Menschen nicht aufhören, klein zu bleiben.

Uebrigens ist die Arbeit, unter den durch Giskra ernannten Commissionsmitgliedern, Ministerial- und Bauräthen v. Wehli, Waniek, Wex u. A., bereits im besten Gange. Beim Inaugurationsfest im Prater, in der Nähe der Militär-Schwimmschule, konnte der Kaiser von einem Gloriett aus den ganzen durch Fahnen und Flaggen markirten Lauf des Durchstichs von Nußdorf bis Fischamend überschauen und die Thätigkeit der Doppelmaschine des „Excavateur“ beobachten, einer Baggermaschine, die sich gleichzeitig vorwärts bewegt, mit riesigen Schaufeln Erde aushebt und die Lowries eines danebenstehenden Eisenbahnzuges füllt, und zwar je eine Lowry von fünf Kubikmeter oder fünfsiebentel Kubikklafter in einer Minute. Vier Locomotiven sind fortwährend beschäftigt, das ausgehobene Material wegzuführen, und können kaum der Thätigkeit des Excavateur nachkommen. Mit solch einer Kraftmaschine, die schon beim Suez-Canal sich bewährt hat, ist dem Unternehmen zugleich ein bedeutendes Maß von Vertrauen mitgegeben, und Jedermann weiß, wie viel gerade dieses bei den Unternehmungen unserer Tage werth ist.