Der größte Bienenvater der Welt

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Titel: Der größte Bienenvater der Welt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 638–639
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[638] Der größte Bienenvater der Welt. Wenn man auf der Oberschlesischen Eisenbahn von Osten oder von Westen her auf die Station Brieg gelangt und hier die Oder überschreitet, so ist man im Lande der Wasserpolaken. Hat man hier durch dürftige Sandflächen und düsteres Nadelgehölz noch zwei und eine halbe Meile zurückgelegt, so erreicht man das polnische Dorf Karlsmarkt (Karlowicze). Dies kleine Dörfchen mit seinem unscheinbaren katholischen Pfarrhause ist seit etwa zehn Jahren der Zielpunkt von Reisenden aus allen Gegenden Europa’s, ja selbst aus der neuen Welt; denn von hier aus ging eine Reform in der Bienenzucht, welche diese landwirthschaftliche Branche auf eine nie erreichte Höhe hob.

Der Garten am Pfarrhause ist dicht besetzt mit wohl Hunderten von Bienenwohnungen verschiedenartiger und zum Theil noch nie gesehener Form, und die Luft erfüllt von Tausenden summender Bienen. Unter diesen wandelt im einfachen Hausrocke, ein Käppchen auf dem Haupte, ein schlichter, rührsamer Mann so ruhig umher, als sei er von Baumblüthen umflogen. Die Bienen sitzen ihm auf Hals und Rücken, Brust und Händen, ja in den Aermeln seines Rockes; doch das stört ihn nicht im Mindesten; er nimmt sie von da und dort fein säuberlich herab und läßt sie fliegen und lächelt dabei still vor sich hin, wenn Besucher anwesend sind und vor den Bienen die Flucht ergreifen oder über einen Bienenstich Ach und Weh schreien. Ihn selbst stechen sie fast nie, und wenn es ja geschieht, so achtet er das nicht mehr als einen Mückenstich. Immer ist sein Blick auf die Stöcke und die fliegenden Bienen gerichtet, und wenn seine Besucher Fragen an ihn richten, so sind seine Antworten meist sehr kurz. Man muß schon interessante Fragen zu stellen wissen, wenn er näher darauf eingeben soll. Wer hier von der Bienenwirthschaft etwas profitiren will, der muß insbesondere zu sehen und zu beobachten verstehen, wie der Mann selbst, dessen Gesicht so gutmüthig und gewöhnlich, doch nicht ohne einen sehr geistvollen Zug darin ist, und dessen Wesen eine gewisse Sprödigkeit, fast der Schüchternheit ähnlich, zeigt, so lange er sich nicht besonders angeregt fühlt.

Das ist Dzierzon, der Pfarrer (wie man hier sagt, Curatus) des Orts, durch seinen Namen schon als der polnischen Nationalität angehörig bezeichnet, der die Bienen so genau kennt, als wäre er selbst eine Biene, und der sie förmlich zu dressiren versieht. Was er will, das müssen sie thun: braucht er Honig, so müssen sie Honig fabriciren: bedarf er Wachs, so müssen sie Wachs bereiten: hat er mehr Bienen nöthig, so müssen sie sich mit ihrer Vermehrung beschäftigen. Diese seine Gewalt über die Bienen hat er eben durch seine gründliche Kenntniß ihrer Natur erreicht. Darnach macht er Gebrauch von ihren Trieben und Neigungen, vermeidet Alles, was diesen zuwider ist, schützt sie vor ihren Feinden und vor jedem übeln Witterungseinflusse, pflegt sie in Krankheiten, macht ihnen so zu [639] sagen das Leben behaglich, – und aus allem diesem folgt dann, daß sie im Stande und gewillt sind, für ihn zu arbeiten mit aller Vollkraft, wenn es gilt, gleich wie die Arbeiter eines Fabrikherrn, der für ihr Wohlsein väterlich sorgt. Man muß Dzierzon’s unausgesetzte Ueberwachung seiner kleinen Lieblinge selbst gesehen haben, um ein vollständiges Bild zu haben von dem Bienenvater, wie er sein soll. Ihm entgeht nichts, was etwa an den Stöcken zu thun oder abzuändern ist, wo ihnen Schutz vor Schlagregen oder sengendem Sonnenstich und dergleichen noth thut, und jedes Bienchen, das er ermatten sieht, wird von ihm zart aufgenommen und zu seiner Wohnung gebracht. An kühlen Morgen trägt er ein Weiselhäuschen bei sich, in welchen er erstarrte Bienen von der Erde aufliest und das er, um sie zu erwärmen, an seinem Leibe verwahrt. Seine derartige Thätigkeit ist aber keine geringe, da er außer seinem Bienenstande in Karlsmarkt noch mehrere Bienenstände besitzt und alle mit gleichem Eifer selbst beaufsichtigt. Und bei der Beaufsichtigung nimmt er auch Hammer und Säge, Bohrer und Zange zur Hand und bessert und reparirt an den Stöcken und Geräthen wie der geschickteste Handwerksmann.

So wie Dzierzon die Bienenzucht betreibt und wie sie betrieben werden muß, kann man sie in Wahrheit die Poesie der Landwirthschaft nennen. Wo Bäume und Blumen sind, meint Dzierzon, da sollten auch Bienen sein, um jedes solche landschaftliche Bild zu beleben. Gewiß hat er auch mit seiner Behauptung Recht, daß Umgang mit Bienen den Menschen veredle, ihn zur Ordnung und zum Fleiß anrege und ihn von schlechter Unterhaltung abziehe. Aber abgesehen von dieser immerhin beachtenswerthen poetischeren Seite hat die Bienenzucht einen überaus großen materiellen Werth. Zuerst wird durch sie in unglaublicher Weise die Fruchtbarkeit eines Landes erhöht, indem der Blüthenstaub durch die Bienen gleichmäßiger und anhaltender als durch Winde vertheilt und ausgebreitet wird. Dann aber sind Honig und Wachs so geldwerthe und gesuchte Artikel, daß durch ihre allgemeinere Erzeugung der Nationalreichthum bedeutend erhöht wird, indem ein guter Stock in einem Tage 10 Pfund Honig einträgt und entsprechend Wachs bereitet. Dabei ist zu beachten, daß ein solcher Ertrag reiner Gewinn ist, da man die Bienen nicht wie andere Hausthiere durch Futter zu unterhalten hat.

Scharfsinn und Beobachtungsgabe sind zwei Eigenschaften, die Dzierzon in so hohem Grade wie nur wenige Andere besitzt. Durch sie ist er in das vielfach so geheimnißvolle Bienenleben tiefer als irgend Jemand vor ihm eingedrungen, ja so tief, daß kaum noch Wesentliches darüber zu erforschen übrig geblieben sein dürfte. Er hat diese Eigenschaften zur Ueberraschung der Naturforscher gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftreten documentirt, als er seine großen Entdeckungen kund gab: daß die Bienenkönigin nur einmal für ihr ganzes Leben befruchtet werde, und daß sie die einzige eierlegende Mutter im Stocke sei. Jemehr diese beiden Entdeckungen zuerst von vielen Seiten angezweifelt wurden, desto glänzender war Dzierzon’s Ruhm, als er unumstößlich deren Wahrheit durch diejenige oberitalienische Bienenart nachwies, welche von gelber Farbe ist und die schon Virgil besungen hat. Dzierzon führte diese Bienenart im Jahre 1853 bei uns ein, und die aus Italien erhaltene gelbe Königin erzeugte auch unter den deutschen schwarzen Männchen (Drohnen) fort und fort gelbe Bienen, die hierlands gebornen jungen gelben Königinnen aber nach den schwarzen Drohnen mehr oder weniger schwarze Bienen. Die weiteren auf diese Farbenverschiedenheit gegründeten Versuche gewährten alle die vollste Ueberzeugung von Dzierzon’s diesfälligen Behauptungen, so daß jetzt kein Mensch mehr daran zweifelt und Dzierzon als der größte Theoretiker und Praktiker im Bienenwesen dasteht.

Ehe Dzierzon auftrat, bestand die Bienenwirthschaft, mit wenig geringfügigen Ausnahmen, darin, daß man den Bienen so viel als möglich Honig wegnahm, was man ziemlich naiv Berauben nannte, und sie im Uebrigen machen ließ, was sie wollten. Von ihrer Natur und ihren Neigungen hatte Niemand einen rechten Begriff; man fabelte höchstens, daß man es den Bienen sagen müsse, wenn ihr Herr gestorben sei, weil sie sonst eingingen; zu Wohnungen hatte man den armen Thieren die gelassen, in denen man sie wild gefunden hatte: hohle rohe Baumstämme.

Das Alles hat Dzierzon gründlich verbessert. Er lehrt planmäßige Bienenzucht treiben. Nach seiner Methode ist man unabbängig von den Launen der Bienen, kann zur rechten Zeit und in rechter Weise von ihren Diensten Gebrauch machen, kann sich nach Bedarf in wenig Jahren Hunderte von Stöcken erziehen und die Vermehrung wieder beliebig beschränken und destomehr Honig und Wachs gewinnen. Seine Bienenwohnungen sind der Natur der Bienen angemessen und den Betrieb der Bienenzucht erleichternd. Ja, wer sich vor den Bienenstichen fürchtet, dem verschafft Dzierzon die sanften italienischen Bienen, die kaum je stechen und noch fleißiger arbeiten als die unsern.

Wer rechtes Interesse für die Bienenzucht hat und im Stande ist, die Reise nach Karlsmarkt zu machen, der wird sich hoch befriedigt fühlen und von der eignen Anschauung großen Nutzen haben. Zu einer solchen Reise ist die Zeit gleich nach Pfingsten die beste, wo der Bienenbetrieb in voller Blüthe steht und in Karlsmarkt die meisten Kunstschwärme gemacht werden.

Um durch Thatsachen zu beweisen, wie weitverbreitet Dzierzon’s Ruhm ist, sei hier erwähnt, daß die schwedische Regierung Herrn Hanson aus Drammen in Norwegen auf Staatskosten nach Karlsmarkt geschickt hat, um sich an Ort und Stelle zu unterrichten. Der Engländer Bruce hat zum selben Zweck Karlsmarkt besucht. Herr Wagner zu York in Pennsylvanien in Nordamerika hat sich vollständige Dzierzonsche Stöcke mit italienischen Bienen kommen lassen. Herr Kalinski in Bialystock, Gouvernement Grodno, in Rußland, hat zwei italienische Schwärme aus Karlsmarkt bezogen. Bei allen Vieren ist der Erfolg vollständig gewesen wie bei den vielen tausend Andern, die jetzt schon in allen Ländern der Welt nach der einzigen, unübertrefflichen Dzierzonschen Art die Bienenzucht betreiben.