Der kranke König und seine drei Söhne

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Autor: Ernst Meier
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Titel: Der kranke König und seine drei Söhne
Untertitel:
aus: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, S. 20-29
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: C. P. Scheitlin
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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5. Der kranke König und seine drei Söhne.

Da war einmal ein König von England, der war schon viele viele Jahre krank gewesen, und kein Doktor in ganz England konnte ihm helfen. Da träumte er einstmals in der Nacht: „weit weg in einem fremden Lande sei ein Garten, darin wüchsen die schönsten Früchte von der Welt, und wenn er von diesen Früchten welche eße, so würde er wieder gesund werden.“ Als er diesen Traum des Morgens seinen drei Söhnen erzählte, so waren sie auch sogleich bereit, den Garten aufzusuchen und Früchte daraus für ihren Vater zu holen. Zuerst wollte es der Aelteste versuchen. [21] Er ließ sich ein Pferd satteln, versah sich reichlich mit Gold und Silber und nahm Abschied von seinem Vater und sagte: „wenn ich heut über’s Jahr nicht wieder da bin, so werde ich nimmer zurückkommen.“ Und damit reisete er ab.

Nach einiger Zeit kam er in einen großen Wald; da begegnete ihm ein alter Mann und bat um eine kleine Gabe, weil er so arg Hunger leide und kein Geld habe. Der Prinz aber schalt ihn aus und wies ihn fort, ohne ihm etwas zu geben, und ritt immer tiefer in den Wald hinein. Als er nun schon mehre Tage lang keinen Menschen mehr gesehen hatte, traf er plötzlich mitten im Walde ein großes Gasthaus und stieg ab; da konnte er von dem Wirthe alles bekommen, was er nur wünschte. Und als er nun durch Eßen und Trinken sich erquickt hatte, traten einige wunderschöne Mädchen in’s Zimmer, die brachten ein Kartenspiel mit und forderten ihn auf, zum Zeitvertreib mit ihnen ein Spiel zu machen. Ja, das war ihm ganz recht. Da dauerte es aber nicht lange, da hatte er all sein Geld, das er mitgenommen, verspielt; und weil er immer meinte, er müße und müße doch endlich gewinnen, so machte er Schulden, und als er zuletzt nicht bezahlen konnte, so wurde er eingesperrt und zugleich wurde ihm angekündigt, daß er zwei Jahre lang Frist haben solle, dann müße das Geld aber bezahlt sein. Uebrigens gestand der Prinz nicht, daß er ein Königssohn sei, weil er sich schämte.

Nachdem nun ein Jahr um war und der älteste Prinz nicht heimkehrte, so machte der zweite sich auf den Weg. Er kam auch alsbald in den Wald; da bat der alte Mann [22] um ein Almosen; aber der Prinz machte es wie sein Bruder, und speiste den Bettler mit unfreundlichen Worten ab und ritt weiter, bis er an das Wirthshaus mitten im Walde kam. Da stieg er ab, ließ Eßen und Trinken sich schmecken, spielte dann Karten mit den schönen Mädchen, die dort waren, und verlor sein Geld und machte so viele Schulden, daß er ebenfalls wie sein Bruder eingesperrt wurde, und mit ihm in dasselbe Gefängnis kam.

Als wieder ein Jahr um war und auch der zweite Prinz nicht zurückkehrte, so wollte der jüngste, welcher Karl hieß, die Reise antreten und den Garten aufsuchen. Aber der Vater wollte ihn nicht ziehen laßen; er fürchtete, es möchte ihm ein Unglück zustoßen wie seinen Brüdern; denn er meinte nicht anders, als daß sie umgekommen seien. Weil aber dieser Sohn ihm keine Ruhe ließ und Tag aus Tag ein seine Bitten wiederholte, so gab es der Vater endlich zu und ließ ihn abreisen.

Nun schlug er dieselbe Straße ein wie seine Brüder und kam zuerst in den großen Wald. Da dauerte es nicht lange, da begegnete ihm der alte Bettler und sprach ihn um eine Gabe an. Sogleich griff er in die Tasche und gab dem alten Manne ein Goldstück und unterhielt sich freundlich mit ihm und erzählte ihm auch, weshalb er diese Reise unternommen. Sprach der Alte: „Es wird Dir schon gut gehen; nur hüte Dich ja und kaufe kein Galgenfleisch!“ Der Prinz aber wußte nicht, was der Mann damit sagen wollte und ritt weiter, bis er endlich auch an das Wirthshaus kam. Da nöthigte der Wirth ihn mit schönen Worten, [23] daß er doch einkehren und sich ein wenig ausruhen möchte; allein er ließ sich nicht verleiten und aufhalten, sondern setzte ohne Unterbrechung seine Reise fort.

Nach langer langer Zeit kam er endlich in ein Land, in welchem er nichts als lauter große Affen antraf; aber nirgend war ein Mensch, noch eine Stadt, noch ein Dorf zu sehen. Nachdem die Affen ihn gefragt, was er wolle, und er es ihnen gesagt, brachten sie ihn zu ihrem Könige; der war ebenfalls ein Affe, und nahm den fremden Prinzen freundlich auf und sagte ihm genau, wo er den Garten finden, und wie er in denselben hineinkommen könne. „Mittags um elf Uhr wird eine goldene Brücke niedergelaßen, über die wirst Du in den Garten gelangen; rechts und links liegen zwei mächtige Löwen, aber die schlafen von elf bis zwölf und können Dir nichts thun. Während dieser Zeit mußt Du einige Früchte in dem Garten pflücken und noch vor dem Schlag zwölf wieder draußen sein, denn sonst kostet Dir’s Dein Leben. Bringst Du aber die Früchte glücklich aus dem Garten, so wirst Du nicht bloß Deinen Vater wieder gesund machen, sondern wirst auch mich und mein ganzes Königreich nebst allen Bewohnern erlösen; denn wir sind alle mit einander verwünschte Menschen.“ Das sagte ihm der Affenkönig, und da machte der Prinz sich sogleich auf den Weg und kam auch richtig zu dem Garten. Da wartete er nun, und als es elf schlug ward eine goldene Brücke über den tiefen Graben herabgelaßen, und sogleich spazierte er hinüber und sah drüben die zwei grimmigen Löwen; die schliefen aber ganz fest. Dann trat er in den [24] Garten und konnte sich gar nicht satt sehen an den schönen Früchten, die auf allen Bäumen glänzten. Mitten in dem Garten stand ein prächtiges Schloß, in das gieng er hinein und erblickte unten in einem Zimmer ein so schönes Mädchen, wie ihm noch nie eins vor Augen gekommen war, und da das Mädchen gar freundlich gegen ihn war, so dauerte es nicht lange, da herzten und küßten sich die beiden und hatten sich lieb wie Mann und Frau. Aber plötzlich war das Mädchen aus seinen Armen verschwunden und war nirgend mehr zu sehen. Der Prinz sah nach der Uhr; da war’s drei Viertel auf zwölf. Schnell schrieb er auf ein Blättchen Papier, das da lag: „ich heiße Karl und bin der jüngste Sohn des Königs von England. Wenn das schöne Fräulein in diesem Schloße ein kleines Kind bekommt, so bin ich der Vater.“ Dann lief er in den Garten, brach einige Früchte ab und machte, daß er über die Brücke kam; und wie er eben drüben war, schlug’s zwölf, und sogleich wurde die goldene Brücke aufgezogen.

Nun ritt er rasch weiter und kam bald in die Gegend, wo er den Affenkönig verlaßen hatte. Wie der ihn kommen sah, zog er ihm entgegen, und kaum hatte der Prinz ihm einige von den schönen Früchten gegeben und er sie genoßen, so stand er wieder da als ein ordentlicher Mensch, und zu gleicher Zeit wurden auch alle seine Unterthanen aus Affen wieder in Menschen verwandelt, und die Städte und Dörfer, die versunken waren, stiegen aus der Erde hervor, und Straßen und Gärten und Alles ward wieder so, wie es vorher gewesen; aus allen Fenstern wehten weiße Fahnen [25] und die Freude und der Jubel wollten gar kein Ende nehmen; jeder wollte den Prinzen sehen und sich bedanken. Der König bot ihm an, was er nur wünsche, und wenn’s sein Königreich sei; allein er wollte nichts nehmen und eilte weiter, um nun auch seinen Vater von der Krankheit zu erlösen.

Wie der Prinz nun ohne sich aufzuhalten seiner Heimath zureiste, kam er eines Tages in eine Stadt, da sah er zwei schwarze Fahnen auf dem Thurme wehen und fragte: was das zu bedeuten habe? Da erzählte ihm ein Mann: „in einem benachbarten Wirthshause haben zwei fremde Prinzen so viele Schulden gemacht, daß sie morgen sollen aufgehängt werden, weil sie nicht zahlen können und nicht sagen wollen, wo sie her sind.“ Sprach unser Prinz: „kann sie denn Niemand retten?“ „O ja,“ sagte der Mann; „wenn Einer ihre Schulden bezahlen will, so wird man sie schon loslaßen.“ Da besann sich Karl nicht lange und bezahlte sogleich die Schulden für die Gefangenen, und die wurden frei und zogen mit ihm zur Stadt hinaus in den Wald. Karl aber erkannte sogleich, daß die Gefangenen seine Brüder waren; doch sie hatten ihn nicht erkannt.

Als sie nun eine gute Strecke mit einander gewandert waren, konnte Karl sich nicht mehr halten, und gab sich seinen Brüdern zu erkennen und erzählte ihnen Alles, wie es ihm ergangen war: wie er den Garten mit den herrlichen Früchten gefunden und den Affenkönig mitsamt seinem Reiche erlöset habe, und nun auch bald ihrem Vater Hülfe zu bringen hoffe. Das hörten die beiden Brüder mit heimlichem [26] Neide und faßten böse Gedanken in ihren Herzen; und wie sie bald darauf an eine tiefe Grube kamen, packten sie den Bruder und warfen ihn hinein, stachen sein Pferd todt und nahmen die Früchte und zogen fort, bis sie zu ihrem Vater kamen.

Da war die Freude groß, als er hörte, daß sie den Garten gefunden und Früchte daraus mitgebracht hatten; als sie ihm aber sagten, daß ihr jüngster Bruder umgekommen sein müße, weil sie sein Pferd unterwegs todt gefunden, da jammerte der Vater und war untröstlich; denn seinen jüngsten Sohn hatte er ganz besonders lieb gehabt. Von seiner Krankheit aber wurde er geheilt, so wie er nur ein wenig von den mitgebrachten Früchten gegeßen hatte. –

Nachdem Karl lange Zeit in der Grube gesteckt und umsonst versucht hatte, daraus hervorzusteigen, und schon glaubte, er werde elendiglich darin verhungern müßen, hörte er eines Tags eine Stimme, die rief in die Grube hinein: „Prinz, was machst Du da unten?“ Nun erzählte er, wie seine Brüder ihn in dieß Loch geworfen und bat, daß der Mann ihm doch heraushelfen möchte. Da sagte der Mann: „ich bin der Bettler, dem Du das Goldstück geschenkt. Hab’ ich Dir nicht gesagt, Du solltest kein Galgenfleisch kaufen? Indes will ich Dich retten unter der Bedingung, daß Du nicht in Deine Heimath, sondern in ein anderes Land ziehst.“ Das versprach ihm der Prinz; dann half der Mann ihm aus der Grube und wünschte ihm Glück auf den Weg, als er weiter gieng. Darauf begab sich Karl in eine ganz abgelegene Gegend und verdingte sich bei einem Bauer und hütete ihm die Schweine.

[27] Eines Tags, als der Prinz mit der Schweinheerde im Felde war, kam ein stattlicher Wagen dahergefahren, und in dem Wagen saß ein reicher englischer Kaufmann, der erkundigte sich bei dem Sauhirten nach Land und Leuten, und merkte bald aus den Antworten, die er bekam, daß der Sauhirt ein gar kluger junger Mann war, und vermuthete sogleich, daß er wohl einem höhern Stande angehören möchte, und beredete ihn, daß er seine Schweine verlaßen und mit ihm fahren und Kaufmann werden solle. Ja, das gefiel dem Prinzen auch beßer, und er fuhr mit nach England. Dem Kaufmann aber ward er bald so lieb, daß der ihn an Kindes Statt annahm und ihm sein ganzes Vermögen vermachte; denn er selbst hatte keine Kinder.

Nicht lange nachher geschah es, daß das schöne Fräulein, welches der Prinz in dem Garten getroffen und so lieb gewonnen hatte, einen Sohn kriegte. Da war dieß Fräulein, welches eine Prinzessin war, auch erlöset; denn sie war in das Schloß so lange verwünscht worden, bis ein fremder Prinz sie besuche und ihr einen Sohn schenke. An dem Zettel aber, den der Prinz beschrieben, erkannte sie, daß der jüngste Sohn des Königs von England der Vater ihres Kindes sei. Und wie sie nun frei war und wieder in ihre Heimath kam, da ruhte sie nicht und ließ ein mächtiges Kriegsheer rüsten und führte es selbst an, und machte sich mit ihrem Kinde auf den Weg nach England. Wie sie dort ankam, zog sie gerades Wegs auf die Hauptstadt los und lagerte sich eine Stunde weit vor derselben. Die Straße bis zur Stadt aber ließ sie mit scharlachrothem Tuche belegen, [28] und schickte Abgesandte zum Könige und ließ seinen jüngsten Sohn zu sich entbieten, denn sie betrachtete ihn als ihren rechtmäßigen Gemahl. Da entstand groß Jammern und Wehklagen in der Stadt, weil der Prinz nicht wieder gekommen war. Der König aber schickte seinen ältesten Sohn hinaus, um mit der Prinzessin zu reden. Wie der nun ganz schüchtern neben der Scharlachdecke herritt, so ritt die Prinzessin mit eingelegter Lanze ihm entgegen und hieß ihn weichen und heimgehen. Dann kam der zweite und machte es ebenso wie sein Bruder, und ritt gar ängstlich neben der rothen Decke her. Die Prinzessin aber hielt ihm den Speer entgegen und befahl, daß der jüngste Prinz kommen sollte, wo nicht, so werde sie nach drei Tagen die Hauptstadt von allen Seiten anzünden laßen.

Nun schickte der König in alle Gegenden seines Reichs reitende Eilboten, die sollten den Prinzen aufsuchen und Erkundigungen über ihn einziehen. Das hörte auch der reiche Kaufmann, der den Prinzen als Pflegsohn angenommen hatte, und beredete ihn, daß er sogleich mit zur Hauptstadt reiste. Er sagte aber nicht, was er mit ihm im Sinn hatte. So wie sie nun in der Residenz angekommen waren, ließ der Kaufmann sich beim Könige melden und entdeckte ihm seine Vermuthung, daß sein Pflegsohn wohl der verlorene Sohn sein möchte. Da begleitete der König sogleich den Kaufmann in’s Wirthshaus, und da kannst du wohl denken, wie der alte Vater sich freute, als er seinen Sohn wieder sah und ihn umarmen und küssen konnte.

Am andern Morgen ritt nun der Prinz in königlichen [29] Kleidern in’s Lager der Prinzessin; er ritt aber mitten auf der Scharlachdecke hin, und wie die Prinzessin ihn kommen sah, kam sie mit ihrem Kinde ihm entgegen, und da wollte das Herzen und Küssen und der Jubel in dem Kriegsheere gar nicht wieder aufhören. Dann zog der Prinz mit seiner Gemahlin zu seinem Vater in die Hauptstadt und erzählte Alles, was ihm begegnet war, und wie die eignen Brüder ihn hatten umbringen wollen. Da wurden die zwei gottlosen Prinzen von acht Stieren in Stücke zerrißen; Karl aber wurde König von England und lebte glücklich mit seiner Gemahlin bis an sein Ende.

Anmerkung des Herausgebers

[301] 5. Der kranke König und seine drei Söhne. Mündlich aus dem würtembergischen Oberlande, aus der Gegend von Ulm. Bei Grimm entspricht Nr. 57, der goldene Vogel, besonders eine Erzählung in den Anmerkungen dazu, und bei Wolf, deutsche Hausmärchen: „die Königstochter in Muntserrat.“ Verwandt ist auch bei Grimm Nr. 97, das Waßer des Lebens, und in 1001 Nacht: der Sultan von Jemen und seine drei Söhne, Nacht 483-486 bei Habicht und v. d. Hagen.