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Der letzte Dictator Venedigs

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Textdaten
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Autor: Adolf Stahr
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Titel: Der letzte Dictator Venedigs
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31–32, S. 488–491, 505–506
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[488]
Der letzte Dictator Venedigs.
Von Adolf Stahr.

„Der Mond der scheint so helle,
Die Todten reiten schnelle!

Ja, „sie reiten schnell“, die großen Todten unserer Zeit, welche gefallen sind in dem heiligen Kampfe für die Freiheit und Selbstbestimmung der Völker, in diesem Kampfe, dessen Fortgang unaufhaltbar und dessen letztlicher Ausgang so unzweifelhaft sicher ist, wie das E pur si muove! („und doch bewegt sie sich!“) Galileo Galilei’s, jenes heimlich geflüsterte Wort des durch die Folter der Inquisition zum Abschwören der Wahrheit gezwungenen Märtyrers der freien Forschung.

Der Mann, der uns in den nachstehenden Blättern beschäftigen soll, ist dafür ein leuchtendes Beispiel.

Am 22. September des Jahres 1857 legte in Paris nach langen schweren Leiden ein verbannter Mann, der einstige Dictator der alten Lagunenstadt, Daniele Manin, gebrochenen Herzens sein müdes Haupt zur ewigen Ruhe. Nur wenige Freunde geleiteten seinen Sarg zur Ruhestätte in fremder Erde, und auch diesen war es versagt, ihrem Schmerze um den Todten anders als durch ihre Thränen Ausdruck zu geben und dem dahingegangenen großen Bürger Italiens Worte des Preises und Ruhmes nachzurufen in sein bescheidenes Grab. Denn in Frankreich durfte und darf nur Einer reden, oder nur die, denen dieser Eine es erlaubt, und Louis Napoleon’s Polizei hatte alles Reden am Grabe des großen Todten untersagt!

Als ich ein Jahr darauf, im Herbste 1858, die Heimathstadt Manin’s besuchte, deren Beherrscher dem Verbannten selbst den letzten Wunsch verweigert hatte, seine Asche in heimischer Erde begraben zu sehen, da scholl mir in Mercantini’s Todtenklage der trauervolle Ruf des Gondeliers entgegen:

Manin! sie haben Dich so fern begraben,
Da wir doch San Michele’s Kirchhof haben! –
O Grausamkeit! Gegönnt, Du arme Seele,
Nicht ’mal ein Kreuz ward Dir auf San Michele!

Wie sollte es auch? Wehte doch immer noch hoch vom Sanct Marcusthurme herab das schwarz-gelbe Banner der fremden Zwingherrschaft; starrten doch noch immer die Kanonen derselben auf ihren schwarz-gelben Laffetten zwischen den Marmorsäulen der eisenvergitterten Vorhalle des Dogenpalastes dräuend hervor auf die Piazzetta! Und wenig Aussicht schien vorhanden, daß sich die Hoffnung des alten Gondoliers erfüllen werde, mit welcher derselbe am Schlusse seiner Todtenklage um den Wiedererwecker Venedigs, dessen Asche er so gern aus Frankreich in die Heimath holen möchte, ausrief:

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Kein Meerschiff ist mein schwanker Gondelnachen,
Schwach ist mein Ruder nur im Meeressturme,
Nach Frankreich dennoch wollt’ ich auf mich machen –
Doch immer noch weht Schwarz-Gelb aus dem Thurme!
Doch endlich werd ich, Schwarz-Gelb, Deiner lachen,
Und wenn Du fliehen mußt vom Marcusthurme,
Wird Manin’s Grab man in der Heimath machen.
Wenn wir Manin auf San Michel’ begraben,
Dann wird San Marco die drei Farben haben!

Und also ist es gekommen, schneller als ich, als irgend ein lebender Mensch es damals geahnt. Kaum ein halbes Jahr, nachdem ich die Lagunenstadt verlassen, sah sich derselbe Mann, der dem todten Manin die letzte Ehre der Grabesrede versagt hatte, von der unerbittlichen Nothwendigkeit – „dem Herrscher über Alle“, wie sie die alten Hellenen nannten, – gezwungen, sein „Frei bis zur Adria!“ zu sprechen, und damit das Programm Manin’s auf seine Fahne zu schreiben. Es blieb unerfüllt für Venedig. Fast schien es, als wolle das Schicksal dem Manne des zweiten December die Ehre seiner Verwirklichung nicht vergönnen, sondern dieselbe einem Andern vorbehalten. Aber nur sieben kurze Jahre vergingen, und siehe, es kam die Erfüllung durch den Tag von Sadowa, und am 4. November 1806 war es mir vergönnt, in Florenz, der Hauptstadt des nun vollständigen Italiens, das Freudenfest der Vereinigung der Stadt Manin’s mit dem Gesammtvaterlande zu erleben. Abends durch die in einem Lichtmeere schwimmenden Straßen von dem brausenden Strome der Volksmenge zu dem Platze des alten Signoriepalastes geführt, dessen schlanker Thurm, bis zur äußersten Spitze hinauf von flackernden Feuersternen besäet, mit der tageshell erleuchteten Loggia, dem schimmernden Wasserstrahl des Neptun und den in Licht gebadeten Marmorriesen vor der Palasttreppe einen unvergleichlichen Anblick bot – da gedachte ich Manin’s und der Stunde, in welcher ich elf Jahre zuvor von dem Verbannten an demselben Tage in seiner ärmlichen Wohnung zu Paris den letzten Händedruck empfangen hatte. Er war dahingegangen in der Blüthe des Mannesalters, ohne den Tag der endlichen Befreiung zu erleben! Aber der erste Gedanke des neuerstandenen Venedigs gehörte dennoch ihm. Seine Asche wenigstens wollte es in der befreiten Heimatherde haben. Und als der Morgen des 21. März des Jahres 1808 anbrach, da, mit dein Frühlingsanfänge, hielt der todte Manin seinen Einzug in die Lagunenstadt, einen Einzug, großartiger und feierlicher als er irgend einem Mächtigen der Erde in der Stadt San Marco’s je zu Theil geworden und wie er dem größten Bürger gebührte, den Venedig seit mehr als einem Jahrhundert hervorgebracht hat.

In der langen Reihe der Dogenbilder des alten Herrscherpalastes zu Venedig erblickt der besuchende Tourist als letztes das Bild des letzten „Dogen von Venedig“, der vor siebenzig Jahren unter weibischen Thränen die tausendjährige Unabhängigkeit der Republik kampflos dem französischen Räuber überantwortete, welcher schon vorher den Raub zu Campo Formio an Oesterreich verhandelt hatte. Dieser letzte Beherrscher Venedigs aus den Reihen seiner verfaulten Aristokratie hieß Ludovico Manin.

Sieben Jahre darauf, am 10. Mai 1804, wars ein anderer Mann dieses Namens geboren. Es war Daniele Manin, der einzige Sohn Pietro Manin’s, eines venetianischen Advocaten jüdischer Abkunft. Bei dem Uebertritte desselben zum Christenthume war ein Manin, der Bruder des Dogen, Taufzeuge gewesen und hatte dem Neubekehrten zugleich, – ähnlich wie weiland die altrömischen Patricier ihren Freigelassenen, – die Annahme seines Namens gestattet. Es ist, als ob er geahnt hätte, daß der Sohn des armen Plebejers, in dessen Adern das Blut der Propheten und der Apostel floß, den stolzen Patricier-Namen Manin aus seiner späteren historischen Schande wieder zu Ehren bringen sollte. Daniele’s Vater war ein strenger Republikaner, ein Todfeind der Franzosen und Bonaparte’s, die Venedig und Italien, welche sie zu befreien gelobt, so schmählich ausgeraubt und schließlich verrathen und unter das Joch gebracht hatten. In der Gesinnung und den Grundsätzen dieses Vaters war der junge Daniele erzogen, auf dessen ungewöhnliche Begabung der Vater früh große Hoffnungen baute. Es geht eine Sage in Venedig, daß derselbe dem Knaben den Hannibalseid schwören ließ, sein Leben der Befreiung Venedigs von der Fremdherrschaft zu weihen. Mit siebenzehn Jahren promovirte der Sohn als Doctor der Rechte in Padua, mit einundzwanzig verheiratete er sich, einer Herzensneigung folgend. Bis zum vierundzwanzigsten Lebensjahre, dem gesetzlichen Alter für den Beginn der advocatorischen Praxis, mußten ihm – arm wie er war – schriftstellerische Arbeiten in seinem Fache den kargen Unterhalt gewinnen. Später besserte sich seine äußere Lage, ohne indeß jemals eine glänzende zu werden.

Ohne jemals einer geheimen Gesellschaft anzugehören, gegen die er, wie gegen alle verschwörerische Geheimbündelei, von jeher eine lebhafte Abneigung hatte, hielt der junge Advocat seine Aufmerksamkeit auf das höchste Ziel seines Interesses, auf die Wiedererweckung des politischen Geistes in Venedig, gerichtet. Die Stunden, in denen er, zur Erholung von den Mühen seines Berufes, in dem Obergestock seines auf dem Campo di San Paternian gelegenen Häuschens Tischlerei trieb, waren die Zeit, in welcher sich seine nächsten Freunde bei ihm einfanden, um die politische Constellation Europas, die Zukunft Italiens und die Möglichkeit einer Befreiung Venedigs von der Fremdherrschaft zu besprechen. Die nächste Aufgabe sah er dabei nicht, wie Mazzini, in Schürung von Aufstandsversuchen, selbst wenn dieselben keinen Erfolg versprachen, sondern vielmehr darin, überhaupt nur politische Bewegung auf den Gebieten des täglichen bürgerlichen Lebens in das Volk zu bringen. Das Volk zu gewöhnen, sich selbstthätig seiner Angelegenheiten anzunehmen, und vor Allem den Versuch zu machen, die getrennten Provinzen Venetiens und der Lombardei durch die materiellen Interessen miteinander in Verbindung zu setzen, das war sein nächstes Ziel bei seinem ersten politischen Hervortreten. Sein ganzes Verfahren bei demselben war ein durchaus praktisches, sein erster Kampf gegen die österreichische Regierung ein finanzökonomischer und industrieller. Eisenbahnanlagen und Handelsverhältnisse, der Weg der Ueberlandpost, Finanzreformvorschläge und dergleichen waren die Themata und Mittel seiner Agitation. Seine Zeitungskämpfe über die Richtung der projectirten Eisenbahn von Mailand nach Venedig, in denen er vollständig Sieger blieb, legten den ersten Grund zu seiner Bekanntheit und Popularität, und wenngleich der von ihm zu Stande gebrachte Actienverein durch einen Gewaltstreich des Gouvernements aufgelöst wurde, da dieses vielmehr darauf bedacht war, die einzelnen Provinzen zu scheiden und auseinanderzuhalten, statt sie, wie Manin und seine Freunde beabsichtigten, durch Gemeinsamkeit der materiellen Interessen einander freundlich anzunähern, so waren doch Fehlschläge, wie diese, weit entfernt, ihn zu entmuthigen, sondern nur ein Sporn für einen Mann, der als geborener praktischer Staatsmann instinctmäßig fühlte, wie in jeder politischen Agitation wahrhaft praktischer Art jedes Stück zurückgelegten Weges immer einen bedeutenden Gewinn liefert.

Bei all seinem Thun war Manin in einem nicht blos bei einem Italiener ungewöhnlichen Grade frei von aller leidenschaftlichen Ueberstürzung. Klare Einsicht und ruhige, aber feste Ueberzeugung, nicht Leidenschaft und Temperament waren es, die ihn zum Revolutionär machten. In der politischen Literatur waren es daher auch weder der phantastisch überschwängliche Mazzini, noch der für ein Italien unter dem einheitlichen Regimente des Papstes schwärmende Gioberti, welche ihn anzogen, sondern weit mehr Balbo’s Programm, der in seinen Speranze d'Italia eine Conföderation aller italienischen Staaten und Fürsten unter Sardiniens Führung und die Befreiung Italiens von der Fremdherrschaft als nächstes Ziel hinstellte. Mit Azeglio endlich theilte er dessen Motto: „Verschwörung im hellen Sonnenlichte“, Verwerfung aller Geheimbündelei und statt dessen: offenes, von gesetzlichem Boden ausgehendes Auftreten im beharrlichen Kampfe gegen alle Mißbräuche der heimischen wie der fremdherrlichen Regierungen. Er wies dabei unablässig seine venetianischen Mitbürger hin auf die vielen Punkte der von dem österreichischen Gouvernement früher selbst erlassenen und gegebenen, aber meist nicht beobachteten oder nicht in Vollzug gesetzten Institutionen und Verordnungen, welche man als ebenso viele Ausgangspunkte einer legalen Opposition benutzen könne und benutzen müsse. Freilich standen ihm bei seiner Agitation nicht, wie seinem Vorbilde O’Connell, mit dem man Manin’s Agitationsweise verglichen hat, jene mächtigen Hebel zu Gebote, welche der große irische Agitator zur Verfügung hatte. Manin’s Venedig besaß kein Versammlungsrecht, keine Tribüne, keine freie Presse, kein Associationsrecht, keine Jury mit öffentlichem und mündlichem Verfahren; wohl aber standen dem kühnen Agitator, auf den schon früh die Regierungspolizei ihr Auge gerichtet hielt, bei dem geringsten Versehen der heimliche Inquisitionsproceß und – die [490] Kerker des Spielbergs in sicherer Aussicht. Es galt also, sich gegen Beides dadurch zu schützen, daß er sich nie auf ungesetzlichem Boden finden ließ. Manin aber war dazu völlig der Mann. Niemand war in ganz Venedig dem „profunden Legisten“ (wie ihn schon damals ein Bericht der geheimen Polizei nannte) gleich in der genauesten Kenntniß aller Gesetze, aller Verheißungen, die Oesterreich jemals seinen italienischen Provinzen gemacht hatte und die Manin gleichsam das Kampfterrain seiner Agitation lieferten.

Das große Rednertalent, das seinen Vater ausgezeichnet hatte, war in noch erhöhtem Maße auf den Sohn vererbt worden. Da ihm aber zur Ausbildung und Bethätigung desselben die politische und selbst die advocatorische Tribüne fehlte – denn die österreichische Regierung hatte das öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren abgeschafft –, so benutzte er zur Uebung seines Talentes die Versammlungen der Venetianischen Gelehrtengesellschaft, zu welcher bald der Ruf seiner ungewöhnlichen Beredsamkeit immer zahlreichere Zuhörer aus allen Ständen und Classen der Bevölkerung hinzog. Erst im Jahre 1847 aber sollte sich dem zukünftigen Tribunen die Gelegenheit bieten, zu einer großen Versammlung von Italienern aller Staaten der Halbinsel öffentlich zu sprechen. Es war dies die Versammlung jenes großen italischen Gelehrtencongresses, welche am 13. September in dem majestätischen Rathssaale des Dogenpalastes zu Venedig eröffnet ward.

Diese Versammlungen, welche seit dem Jahre 1838 in Italien aufgekommen waren, bilden überhaupt ein wichtiges Moment in der Geschichte der neueren italienischen Bewegung. Sie waren der erste gelungene Versuch, die verschiedenen getrennten Theile des Landes in der Person ihrer angesehensten und intelligentesten Vertreter einander anzunähern. Sie gaben Gelegenheit, den gegenseitigen Ideenaustausch zu befördern, Reformwünsche und Hoffnungen anzuregen und auszusprechen, die, wie sorgsam sie sich auch vor allzu offenem Hervortreten zu hüten hatten, doch der Beziehung auf staatliche Verhältnisse und politische Aussichten nicht fern bleiben konnten. Selbst Neapel – wo ich im Jahre 1845 einen solchen Congreß tagen sah – hatte diese Versammlungen, nach einigem Widerstreben, gestattet. Nur die päpstliche Regierung hatte mit dem ihr eigenen Instincte die Gefahr erkannt, welche aus solchen Versammlungen für den Status quo, für die Bewahrung des Bestehenden hervorgehen möchte, und Gregor der Sechszehnte war durch keine Vorstellungen zu bewegen gewesen, dem Gelehrtencongresse das Tagen in Rom zu gestatten.

Venedig selbst galt damals in den Augen der italienischen Patrioten für stumpf und nutzlos und durch das langgetragene österreichische Joch der Nationalsache entfremdet. Selbst die österreichische Regierung theilte die Ansicht. Während sie Mailand und die Lombarden fürchtete und deshalb schonender behandelte, glaubte sie sich gegen das anscheinend in Schlaffheit versunkene Venedig kaum irgend eine Rücksicht auferlegen zu dürfen. Nur über Manin, der ebenfalls bei den italienischen Patrioten für lau und theilnahmlos galt, war sie besser als diese unterrichtet. In einem später nach der Revolution von 1848 in den Regierungsacten aufgefundenen geheimen Berichte der k. k. Polizeibehörde hieß es von dem Agitator Venedigs: „Der Advocat Manin genießt die allgemeine Achtung seiner Mitbürger durch die Reinheit seines sittlichen Lebenswandels sowie durch die unbestreitbaren Talente, mit denen er begabt ist, und durch die Uneigennützigkeit seines Charakters. Er ist ein ebenso profunder Rechtskenner als zugleich ein höchst gewandter Redner, der seine Gedanken mit großer Klarheit auszudrücken weiß. Seine Gefährlichkeit ist um so größer, da nicht Ehrgeiz und eigennütziges Interesse, sondern ein falsches(!) Nationalgefühl ihn bei seiner agitatorischen Thätigkeit und seinen Reformumtrieben leitet.“ - - Schwerlich hat jemals eine fremdherrliche Regierungspolizei von einem ihrer Gegner eine für denselben ehrenvollere Charakteristik entworfen, der es sicherlich keinen Eintrag thut, wenn im weiteren Verlaufe derselben von Manin ausgesagt wird: daß er daneben „ein unruhiger Kopf, händelsüchtig, eitel und voll starken Selbstgefühles“ sei.

Jener Gelehrtencongreß zu Venedig rückte Manin mit einem Schlage in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Ungeschreckt durch die Maßregelung des Prinzen Lucian Bonaparte, der gleich nach seiner ersten Rede von dem Gouvernement aus Venedig ausgewiesen wurde, benutzte er die ihm eröffnete Tribüne zur offenen Darlegung seiner Reformwünsche. In Gegenwart des Gouverneurs von Venedig, Grasen Palffy, der den Sitzungen regelmäßig beiwohnte, sprach er das schneidend sarkastische Wort aus: „Venedig bedürfe keiner großen Reformen, weil es ja die von anderen italienischen Staaten erstrebten Institutionen bereits lange und besser besitze – nämlich auf dem Papiere!“ In allen Fragen, bei denen er das Wort nahm, entwickelte er eine Kenntniß der Zustände und Verhältnisse, der früheren Verheißungen und Zusagen der Regierung, der bestehenden, zum Theil unausgeführten, theils in der Praxis wesentlich alterirten Gesetze und Verordnungen und daneben eine Sicherheit und Mäßigung seiner stets legalen Taktik, deren Uebergewicht bald allgemein anerkannt ward. „Ihr werdet der Erlöser Venedigs sein!“ rief ihm am Schlusse einer solchen Sitzung der Lombarde Terzaghi, Rath des Appellhofes von Venedig, beim Herausgehen zu. „Mit oder ohne Kreuzigung?“ erwiderte lächelnd Manin. „Ich hoffe das Letztere,“ versetzte der Lombarde, „aber ich verbürge es nicht!“

Seitdem war Manin der populärste Mann in Venedig. Als Cobden die Lagunenstadt besuchte und ihm zu Ehren ein Banket veranstaltet wurde, gab das Gouvernement seine Erlaubniß dazu nur unter der ausdrücklichen Bedingung: daß Manin sich bei demselben alles Redens enthalte! Da ihm öffentlich zu reden versagt war, griff er zur Feder, um bei jeder Gelegenheit seine Mitbürger über ihre Zustände aufzuklären. Sein Stil, ausgezeichnet durch einfache Klarheit, bei knapper phrasenloser Kürze und schlagender Treffkraft, bald scharf sarkastisch, bald humoristisch in den Wendungen, entsprach dem kernigen Gedankengehalte. Bei Gelegenheit des Gelehrtencongresses mit der Abfassung eines Führers für die Fremden beauftragt, benutzte er diesen Anlaß, um in demselben die altvenetianischen mit den neuen österreichischen Einrichtungen und Gesetzen zu vergleichen und unter Anderm zu zeigen: daß das österreichische Criminalverfahren an Härte dasjenige des verrufenen Raths der Zehn in der republikanischen Zeit übertreffe. – Ein Hauptgesichtspunkt seiner Taktik war: den Beweis zu führen, daß Oesterreich nicht im Stande sei’, die versprochenen oder verliehenen nationalen Institutionen zu verwirklichen, weil es dadurch seine Herrschaft in Italien gefährden würde. Er wußte nur allzu wohl, daß eine Befreiung Venedigs und Italiens nicht möglich sei, ohne die Gunst eines großen revolutionären Umschwunges in Europa überhaupt, und es war daher sein Bestreben, die Geister auf die Benutzung einer solchen Gunst, wenn sie sich zeige, vorzubereiten, zugleich aber auch sie von unreifen Erhebungen zurückzuhalten. Aber im Gegensatze zu dem populärsten Dichter Italiens, zu Silvio Pellico, der, gebrochen durch die grausame Kerkerhaft des Spielberg, die resignirende Unterwerfung predigte, erhob er seine Stimme, um sein Volk zu belehren über die wahre männliche Resignation, die sich nur beuge gegenüber der Einsicht in die Unmöglichkeit des Erfolges, nicht vor der Gefahr des Mißlingens. „Die Resignation des Einzelnen,“ so rief er seiner Nation zu, „kann eine Tugend sein; bei einem Volke ist sie es niemals. Denn das Unglück eines Volkes ist nie hoffnungslos, so lange dasselbe das Gefühl seines Unglücks bewahrt. Daher müssen zur Bekämpfung des Unglücks einer Nation alle geistigen, sittlichen und physischen Kräfte aller ihrer Mitglieder angewendet werden. Eine Generation, welche dies thut, darf hoffen, daß eine zweite erreicht, was ihr selber durchzusetzen versagt ist; denn die Nationen sterben nicht. Wer daher einer Nation als solcher absolute Resignation predigt, der predigt ihr als ein Feiger die Feigheit, und die Nation, die solcher Lehre folgt, drückt sich selbst das Brandmal der Feigheit auf!“

Die offene Reformbewegung des österreichischen Italiens begann bekanntlich in Mailand, wo der Deputirte Nazari (am 9. December) seinen Reformantrag durchgesetzt hatte. Schon vierzehn Tage darauf folgte Manin in Venedig nach. Ohne Mitglied der dort zusammenberufenen Centralcongregation zu sein, übergab er derselben einen ähnlichen energisch abgefaßten Antrag auf Reformen in der Regierung zum Schutze der Nationalität und der öffentlichen Interessen. Eine andere Petition betraf die ungesetzliche und willkürliche Handhabung des – seinem Wortlaute nach sehr liberalen – Censurgesetzes. Bei dieser Gelegenheit sprach er es als das Recht und die Pflicht jedes Staatsbürgers aus: allen nicht öffentlich bekannt gemachten Gesetzen den Gehorsam zu verweigern. Die Aufregung, welche diese in ganz Venedig durch [491] Abschriften verbreiteten Anträge und Petitionen hervorriefen, war außerordentlich. Sie ward noch gesteigert durch die Nachrichten aus Sicilien, wo offener Aufstand ausgebrochen war, aus Rom, Toscana und Piemont, wo der Weg nationaler Reformen beschritten wurde, aus der Lombardei, wo sich unruhige Bewegungen zeigten. Es kam auch in Venedig zu Demonstrationen nationalen Sinnes im Theater, man sammelte Geldbeiträge für die Opfer des in Mailand blutig gestillten Cigarrencrawalls. Da geschah das Unglaubliche. Das österreichische Gouvernement in Venedig wandte sich an Manin, an einen Mann ohne Stellung, ohne Rang und Vermögen, mit dem Ersuchen: die Aufregung zu beschwichtigen! Manin forderte als nothwendige Bedingung schleunige Erfüllung der gestellten Reformwünsche und wies auf die Gefahr hin, welche bei einer Zögerung drohe. Die Antwort war: erst müsse die Aufregung gestillt sein, ehe man die Reformgesuche in Wien empfehlen könne. Und als Manin dies für unmöglich erklärte, griff man zu und setzte ihn (18. Januar 1848) mit seinem Freunde, dem Schriftsteller Tommaseo, gefangen unter die „Bleidächer“.

So goß man Oel in’s Feuer. Selbst das Criminalgericht weigerte sich, eine Untersuchung gegen die Verhafteten einzuleiten. Die Aufregung wuchs allgemein, die Demonstrationen häuften sich. Der Carneval blieb ungefeiert, die Schauspielhäuser blieben leer, selbst der sonst so zahme Adel Venedigs stellte seine Gesellschaften und Festbälle ein, und Mitglieder der Nobelgarde forderten in Wien ihre Entlassung aus dem Dienste. Vor Manin’s Kerker aber zogen täglich Tausende aus allen Ständen in Trauerkleidern vorbei, die Mauern mit abgenommenen Hüten und geschwenkten Tüchern grüßend. Bis in das unterste Volk drang die Begeisterung für den allgemein geliebten Tribunen. Die uralten Parteien desselben, bekannt unter dem Namen der Nicolotti und Castellani, feierten zu Ehren des Gefangenen, der ihnen früher oft vergeblich Frieden und Eintracht gepredigt hatte, in der Kirche Madonna della Salute ihre Versöhnung und Verbrüderung. Der ihres Ernährers beraubten Familie Manin’s wurden von allen Seiten Unterstützungen geleistet und angeboten, während er selbst durch die Kühnheit und Unumwundenheit seiner Sprache bei den mit ihm angestellten Verhören die Beamten in starres Erstaunen setzte. Vergebens bot die Regierung Alles auf, aus seiner Sache einen Hochverrathsproceß zu machen. Was vor Jahr und Tag noch leicht gewesen wäre, war jetzt plötzlich schwieriger geworden. Schon war man entschloßen, ihn fort von Venedig und auf den Spielberg zu bringen. Aber man wagte es nicht, und da sich die Aufregung durch die Nachricht von der Verleihung einer Constitution in Neapel noch steigerte, so wurden endlich Abgesandte mit Bitten zur Gewährung von Reformen nach Wien entsendet.

Die Antwort war: Verkündigung des Belagerungszustandes und des Martialgesetzes in Venedig!

Doch diese alterprobten Beruhigungsmittel des Metternich’schen Regierungssystems sollten sich diesmal nicht bewähren. Die Februarrevolution brach aus, und am 17. März erscholl von dem in den Hafen Venedigs einlaufenden Triester Dampfer der Ruf: „Constitution in Wien!“

An eine Abführung Manin’s nach Oesterreich war jetzt nicht mehr zu denken; statt dessen stürmte ein Volkshaufe das Gefängniß desselben. Manin jedoch weigerte sich, den Kerker ohne einen ausdrücklichen Freilassungsbefehl der österreichischen Behörde zu verlassen, und erst als derselbe erfolgte, durfte ihn das Volk unter tausendstimmigem Jubelrufe auf den Schultern aus dem Gefängniß in seine Wohnung tragen.

Das Gouvernement erbat jetzt auf’s Neue seine Hülfe zur Herstellung der Ordnung und bewilligte ihm zu diesem Zwecke die Errichtung von zweihundert Mann Bürgerwehr, die er bald auf ebensoviele Tausend brachte. Aber der von ihm ersehnte günstige Augenblick der Erhebung gegen die Fremdherrschaft war jetzt gekommen, und Manin war entschlossen, ihn zu benutzen. Der Revolutionär trat an die Stelle des geduldigen Reformers. Jetzt oder nie! hieß für ihn die Losung. „Eine Erhebung Venedigs ist unmöglich ohne den Besitz des Arsenals!“ rief er seinen Vertrauten zu. Aber fast Allen schien ein solches Unternehmen ein verzweifeltes und hoffnungsloses. Der Commandant der Bürgerwehr versagte jede Mitwirkung, ja er verweigerte Manin sogar die von demselben befehligte Compagnie. Dennoch beschloß Manin, während die städtischen Behörden kostbare Zeit in Verhandlungen mit dem Gouvernement verloren, den kühnen Handstreich auf eigene Faust zu wagen. Am Abend des 21. März sprach er zu seiner Gattin Teresa: „Morgen um diese Zeit ist Venedig in meiner Hand, oder ich lebe nicht mehr!“

Der kühne Streich gelang. Nur von seinem sechszehnjährigen Sohne und einigen zwanzig Nationalgardisten begleitet, die er unterwegs auf etwa hundert Mann verstärkte, begab er sich in der Morgenfrühe des 22. März nach dem Arsenal. Er nahm den commandirenden Admiral Martini gefangen und bemächtigte sich ohne Blutvergießen aller dort aufgehäuften Vorräthe. Er bewaffnete die Arsenalarbeiter, ernannte den Obersten Graziani zum Commandanten der Marine und zog sodann an der Spitze der unterdeß zahlreich herbeigeströmten Nationalgarden, unter Entfaltung der dreifarbigen Fahne Italiens nach dem Marcusplatze, wo er begleitet von dem Jubelrufe: Viva San Marco! die Republik proclamirte.

Der Gouverneur Graf Palffy, der noch vor Kurzem das hochmüthige Wort gesprochen: „Gegen die Venetianer brauche ich keine Kanonen, nur den Stock!“ legte sofort seine Amtsgewalt in die Hände des Militärcommandanten, Grafen Zichy, nieder, der eben so kopflos wie er noch am selbigen Tage eine unrühmliche Capitulation abschloß, welche ihm freien Abzug mit allen deutschen Truppen gestattete, während die italienischen Regimenter mit allen Kriegsvorräthen und Cassen zurückblieben. Eine provisorische Regierung ward eingesetzt, an deren Spitze der einstimmige Wille des Volks seinen Liebling Manin berief, und am 23. März ertheilte die Geistlichkeit, ihren Patriarchen an der Spitze, öffentlich der glücklich vollzogenen Revolution Venedigs ihren feierlichen Segen.

So hatte denn der brave Patriot den Gedanken der Befreiung seines Vaterlandes, für den er in jahrelanger mühsamer Thätigkeit besonnen und maßvoll gewirkt, durch kühnen Entschluß im Ergreifen des günstigen Augenblicks glücklich verwirklicht. Aber dieser Erfolg berauschte ihn nicht. Wie er früher in fester Zuversicht alle Genossen übertroffen hatte, so war er ihnen jetzt voraus in sorgender Thätigkeit für die Sicherung des errungenen Erfolges. Er glaubte an denselben, und dieser Glaube verstärkte seine Kraft; allein auch für den Fall des Unterliegens wollte er wenigstens Eines sichern: die Wiedererhebung Venedigs in der Achtung der Welt, die Ehre seines Vaterlandes. Und diesen Vorsatz hat er treulich gehalten. Er hat Venedig nicht retten, seine Freiheit nicht erhalten können, aber es unterlag glorreich. Es fiel erst, als in ganz Italien bereits die Sache der Befreiung unterlegen war, und seinen Fall begleitete in ganz Europa die Anerkennung seines Heldenmuthes und seiner Würdigkeit zur Freiheit und Selbstständigkeit. Das war vor allen Anderen das Werk Daniele Manin’s.

[505] Ich muß es mir, wenn auch ungern, versagen, hier ausführlicher einzugehen auf die Darstellung des Heldenkampfes der endlich unterliegenden Republik von San Marco wider den immer übermächtiger herandringenden Gegner. Wer sich darüber näher unterrichten will, der möge die Geschichtswerke von De la Forge und Le Masson, die Biographie Manin’s von Martin nachlesen, und vor Allein das Tagebuch des wackern Schweizerhauptmanns Joseph Debrunner, der an der Spitze einer selbstgeworbenen Compagnie den ganzen Freiheitskampf Venedigs vom Anfange bis zum Ende durchgemacht hat.

Was von vornherein Venedig eines Hauptmittels zum Erfolge beraubte, war der Umstand, daß es den Oesterreichern gelang, durch Benutzung eines ohne Wissen Manin’s in der Capitulation gemachten Fehlers zu verhindern, daß die bei Pola in Istrien liegende venetianisch-italienische Kriegsflotte nach Venedig geführt wurde. Hierdurch wurde Venedig gleich anfangs flügellahm zur See. Dazu kamen bald, wie bekannt, noch eine Reihe anderer Unglücksfälle: das Scheitern der Erhebungen in Verona und Mantua, die zweideutige, unentschlossene Haltung der französischen Republik, die Spaltungen in Italien selbst durch die Mazzini’sche Partei, die weder von französischer noch selbst von piemontesischer Hülfe etwas wissen wollte, das Unglück Carl Albert’s und endlich der Abfall Neapels und des Papstes von der Sache der nationalen Erhebung Italiens.

Siebenzehn Monate lang war Manin während aller dieser verschiedenen Phasen fast alleiniger Regent Venedigs mit einer nahezu dictatorischen Gewalt, ohne dabei auch nur einen Augenblick aus der schlichten bürgerlichen Einfachheit seines Wesens und seiner äußeren Lebensführung herauszutreten. An Muth und aufopfernder Gesinnung den großen Bürgern altrömischer Zeit vergleichbar, war seine Tugend größer, weil sie menschlich edler und von ungleich größeren Ideen getragen war. Feind aller Anarchie, hielt er die Ordnung aufrecht durch alle Stürme und Schrecknisse dieser Zeit, ohne Blutvergießen allein durch sein Ansehen und durch das Vertrauen des Volkes zu ihm. Keine Racheopfer fielen, kein einziges Todesurtheil – außer das eines meuternden Soldaten – ward unter dem Regimente dieses großen Volksführers gefällt, dessen Größe – neben einer unerschütterlichen Energie – eben hauptsächlich in seiner Mäßigung bestand. Viele seiner Freunde hatten an dem Opfermuthe und der Bereitwilligkeit des Volkes von Venedig gezweifelt. Er nicht. „Ich kenne es besser,“ sprach er am Vorabende seines kühnen Handstreiches gegen das Arsenal zu den Zweifelnden, „und mein ganzes Verdienst besteht darin, daß ich es kenne!“ Und sein Vertrauen täuschte ihn nicht. Denn dieses Volk, über das die von ihm ausgegangene Erhebung alle Schrecknisse und alles Elend des Krieges und der Belagerung, der Seuche und des Hungers brachte, von dem die Noth der Zeit unaufhörliche Opfer forderte – entzog ihm bis zur letzten Stunde niemals sein Vertrauen und seine Liebe, begrüßte ihn, der alle Opfer und Entbehrungen theilte bis zum letzten Augenblicke, mit dem Namen „il padre“, und beging mitten unter den Schrecken der Belagerung den Jahrestag der Befreiung des „Vaters des Vaterlandes“ aus dem Kerker mit einem Feste.

Und dieser Mann, der im Innern die größten gesetzgeberischen Reformen in’s Leben rief, während er die auswärtigen Verhandlungen zu leiten und Tag und Nacht daran zu arbeiten hatte, um die Vertheidigungsmittel gegen den äußeren Feind und das für sie nöthige Geld zu beschaffen, er, auf dem siebenzehn Monate lang fast alle Last der Geschäfte lag – er litt zu derselben Zeit an einem schmerzhaften und gefährlichen körperlichen Leiden und sah sein geliebtes Kind, seine Tochter Camilla, an unheilbarem Siechthum dem Tode entgegen kranken! Aber das Bewußtsein seiner großen Aufgabe hielt ihn aufrecht und gab ihm immer neue Spannkraft. Als dreißigtausend Oesterreicher am Rande der Lagunen standen, bereit, die vernichtenden Feuergeschosse ihrer Kanonen auf die Stadt zu schleudern, wenn sie sich nicht, der an sie ergangenen Aufforderung gemäß, unterwerfe, antwortete die Versammlung der Volksvertreter mit dein einstimmig gefaßten Beschlusse des Widerstandes auf jegliche Gefahr, den alsbald der Dictator Manin seinem auf dem Marcusplatze harrenden Volke mit den Worten verkündete: „Venezia resistera ad ogni costo![1] Wie es sein Wort gehalten, das bezeugt am besten die Anerkennung, welche selbst Gegner, wie der österreichische General Schönhals, dem Heldenmuthe der Vertheidiger Venedigs gezollt haben.

Am 24. August 1849 capitulirte Venedig. Der Dictator Manin war in den letzten Tagen wieder Nationalgardist geworden. Mit seinen Compagnien hatte er persönlich in der Stadt Emeuten unterdrückt, das Leben des Patriarchen, den das Volk des Einverständnisses mit den Oesterreichern bezichtigte, geschützt und überall in der durch Hunger, Feuersnoth und Cholera bedrängten, von einzelnen Desperados aufgehetzten Bevölkerung die Ordnung aufrecht erhalten. Dann, als die Regierung zur Einleitung der Capitulation ihre Gewalt in die Hände der Municipalität niederlegte, zog er sich in seine Wohnung zurück, um sich und die Seinen zur Abreise zu rüsten. Die ganze Nacht hindurch hörte er die Stimmen aus den Volkshaufen unter seinen Fenstern, die ihm zuriefen: „Povero nostro padre! hai tanto sofferto per noi![2] Es war sein schönster Lohn und – sein einziger. Arm, wie er seine Dictatur übernommen, hatte er sie niedergelegt, so arm, daß er – der über Millionen während seines Regimentes verfügt und der niemals eine Besoldung genommen hatte – jetzt genöthigt war, eine Summe von viertausend Scudi (etwas über fünftausend Thaler) anzunehmen, welche ihm die Municipalität im letzten Augenblick als nächste Aushülfe für Flucht und Exil aufdrang. Denn Manin und mit ihm noch vierzig andere Patrioten waren auf Verlangen Oesterreichs von der Capitulation ausgeschlossen worden.

Das Exil! das war das Härteste, was Manin treffen konnte. Zum Tode erschöpft, mit zerrissenem Herzen, bestieg er – während Patriarch und Geistlichkeit, wie immer dem Sieger gewärtig, zu Ehren der wiedergekehrten Fremdherrschaft in demselben Dome das feierliche Tedeum anstimmten, in welchem sie siebenzehn Monate zuvor die Sache der Freiheit gesegnet hatten – mit seinem Weibe und seinen beiden Kindern das Schiff, das ihn auf Nimmerwiedersehen von der Heimath fort nach Frankreich in’s Exil tragen sollte.

Das Schicksal liebt es, dem Starken viel aufzuerlegen. Wenige Stunden, ehe er aus der Heimath schied, starb ihm sein treuester Freund, sein ihm ganz ergebener Secretär Pezzato, an gebrochenem Herzen. Kaum in Marseille angelangt, verlor er die Gattin; Teresa Manin, die ihrem Gatten in allen seinen Kämpfen, Mühen und Leiden mit heroischem Muthe zur Seite gestanden hatte, erlag, von Kummer und Heimweh erschöpft, einem Choleraanfalle. Allein mit seinen beiden Kindern, seinem siebenzehnjährigen Sohne und seiner unheilbar kranken Tochter, erreichte er endlich Ausgangs October die Hauptstadt Frankreichs, welches die Lagunenstadt in ihrem Todeskampfe so schmählich verlassen hatte.

Seine geringen Mittel waren bald erschöpft. Aber vergebens boten ihm Verehrer seines Heldenmuthes, bot ihm selbst das Gouvernement [506] Unterstützungen an. Der Dictator Venedigs, der Nachfolger der Dogen, schlug alle solche Anerbietungen aus. Er zog es vor, sein karges Brod durch seine Arbeit zu verdienen. Er ward Sprachlehrer und ertheilte als solcher Unterricht nicht nur in seiner Wohnung, sondern auch außerhalb derselben in bekannten Privathäusern. Als ihm in einem solchen die Tochter des Hauses zum ersten Male, mit verlegener Scham, die wenigen Goldstücke zu überreichen zauderte, sagte er freundlich (wir haben diesen Zug aus dem eigenen Munde der Dame): „Warum scheuen Sie sich, mir zu reichen, was ich durch Arbeit verdient habe und verdient zu haben stolz bin?“

Als ich im Jahre 1855 bei Gelegenheit der Weltausstellung mehrere Monate in Paris verweilt, ward mir das Glück zu Theil, Daniele Manin persönlich kennen zu lernen. Ich hatte diesen Wunsch gegen eine uns befreundete Dame, die Gräfin Marie d’Agoult – rühmlich bekannt unter dem Schriftstellernamen Daniel Stern – ausgesprochen. Manin besuchte damals kaum noch eine Gesellschaft. Seine Gesundheit war bereits untergraben, Leiden aller Art und hauptsächlich der Kummer über das mitleidwerthe Schicksal seiner siechen Tochter hatte sein Herzübel zu einer gefahrdrohenden Höhe gesteigert. Dennoch folgte er der Einladung der Gräfin, die zu seinen nächsten Befreundeten gehörte, an einem bestimmten Abende ihren Salon zu besuchen, wo ich ihm alsbald vorgestellt wurde. Ich erlaube mir, den Eindruck, den ich von ihm empfing, mit den Worten meines Tagebuches zu schildern. Manin’s äußere Erscheinung hatte auf den ersten Blick nichts Frappirendes. Eine gedrungene, breitbrustige, untersetzte Gestalt von Mittelgröße in einfacher schwarzer Kleidung, in Haltung und Behaben durchaus einfach, schlicht und scheinlos. Nur der Kopf mit der hohen, breiten Denkerstirn, der, von langem, schwarzem Haar umwallt, fest und stolz auf dem starken Halse und den mächtigen Schultern saß, hatte, verbunden mit dem leuchtenden Blitze des Auges, wenn er sprach, etwas löwenartig Majestätisches, was den zum Herrschen geborenen Mann zu verkünden schien. Aber seine Stimme klang sanft; seine Rede floß ruhig und einfach dahin, und der Gesammtausdruck des kräftigen, von einem bereits stark ergrauenden Barte eingefaßten Antlitzes war überwiegend der der Gutmüthigkeit und Biederkeit. Man hätte ihn statt für einen Italiener vielmehr für einen Deutschen, etwa für einen Gelehrten, halten können, so ganz war das Einnehmende seines Wesens auf Schlichtheit und Natürlichkeit gestellt. Er sprach das Französische äußerst fließend und gewandt, wenn auch mit etwas italienischem Accente, Stimmton und Ausdrucksweise waren jedoch von edelster Simplicität und ohne jede Spur von französischem Pathos, ruhig vortragend mit geringer Handbewegung, wie Einer, der leicht und gern docirt. Man mochte ihm gesagt haben, daß ich Italien kenne und liebe und längere Zeit daselbst gelebt habe, denn er begann das Gespräch mit italienischen Dingen.

„Wir sind unterlegen in dem ersten Versuche,“ sagte er, „aber dieser erste wird nicht der letzte sein, wenn ich die Erneuerung auch schwerlich erleben werde.“ Er hielt dabei die rechte Hand unter dem Rocke fest auf das Herz gedrückt, während ein leises Zucken über seine bleichen Züge flog. „Was man auch sagen möge, Eins ist trotz aller Niederlagen erreicht worden. Italien hat der Welt gezeigt, daß es für seine Unabhängigkeit zu kämpfen weiß. Europa hat fortan kein Recht mehr zu sagen, daß Rom und Venedig nichts Besseres werth seien, als das Joch der Fremdherrschaft zu tragen. Italien hat seine Sache mit der Sache aller nach Freiheit und Recht strebenden Nationen Europas verbunden, und diese Verbindung wird ihre Frucht tragen.“

Es war unmöglich, selbst nach kurzem Gespräche den bedeutenden Menschen, den zum Regieren und zum Beherrschen der Geister geschaffenen Volksführer und Staatsmann zu verkennen, der alle diejenigen, welche ihm nahten, gleichsam mit magnetischer Gewalt an sich zog und fesselte. Ich fragte, ob ich mir gestatten dürfe, ihn vor meiner nahen Abreise noch einmal in seiner eigenen Wohnung zu besuchen. Er gab die Erlaubniß auf das Freundlichste und nannte mir nach einigem Ueberlegen Tag und Stunde, wo er sicher zu sein hoffe, meinen Besuch nicht zu verfehlen. „Ganz sicher bin ich freilich nie,“ setzte er Italienisch redend mit einem leisen Seufzer hinzu, „denn meine Tochter ist sehr krank!“

Die Stunde, die ich mit ihm in seiner bescheidenen Wohnung in der Rue blanche verlebte, wo er in einem der höchsten Stockwerke einige kleine, sehr niedrige Zimmer bewohnte, wird mir unvergeßlich sein. Sie ward ausgefüllt durch Mittheilungen und Gedanken seinerseits, welche sich mir tief in’s Innerste einprägten. In allen seinen Aeußerungen und Ansichten lag eine Ehrlichkeit und Güte des Herzens, verbunden mit einer antiken Klarheit, Einfachheit und Folgerichtigkeit, die etwas unwiderstehlich Ueberzeugendes hatten. In dieser absoluten Scheinlosigkeit beruhte die Großheit seines Wesens, wie in seiner Selbstlosigkeit das Geheimniß seiner Macht lag. Aus meine Frage: ob er nicht die Geschichte seiner Wirksamkeit schreiben werde? antwortete er: „Ich habe mich nicht dazu vorbereitet. Mögen das Andere thun; ich für meinen Theil habe nie daran gedacht, was man von mir sagen werde. Mögen das Andere thun,“ wiederholte er, „wenn ich nicht mehr bin, und das wird nicht lange mehr sein!“ Seine Resignation war die eines guten Gewissens und des festen Glaubens an die Zukunft seines Vaterlandes und seiner Nation. „Dazu könnt auch Ihr Deutschen, und Ihr vor Allen, etwas thun,“ sagte er, „wenn Ihr die Vorurtheile beseitigen helfet, die sich gegen unser Volk aus trauriger Vergangenheit noch immer forterben. Gerechtigkeit üben gegen eine unterdrückte Nation kann und soll ein Schriftsteller immer.“ Ich wies hin auf unsere traurigen deutschen Preßverhältnisse, – das Manteuffel-Hinckeldey’sche Regiment stand damals noch in voller Sündenblüthe. „Ich will Ihnen etwas sagen,“ versetzte er, „auch unter der schwersten heimischen Reaction, von der Sie klagen, läßt sich immer etwas thun. Es giebt eine Wahrheit, die man auch bei Ihnen ohne Gefahr verfechten kann und die zu wiederholen man nie meiden soll, und diese Wahrheit, in welcher die ganze Zukunft Italiens enthalten ist, lautet für Deutschland: Was Du nicht willst, daß man Dir thue, das thue Du selbst auch keinem Andern. Sie wollen eine unabhängige geeinte Nation werden. Wir wollen das auch! Nationen aber sind Individuen so gut wie wir Einzelmenschen. Das Wohlergehen und die Unabhängigkeit, Bildung und Selbstherrlichkeit der einen können daher nie ein Hinderniß, sondern nur eine Förderung des Wohlergehens, der Bildung und Unabhängigkeit der andern sein. Predigen Sie und Ihre Freunde diese Wahrheit! Sie ist das Fundament der neuen glücklichen Zukunft für alle Völker Europas. Sie ist zugleich die allein wahre Erfüllung der christlichen Religion, die man jetzt heuchlerisch mit den Lippen bekennt, während man sie mit der sogenannten politischen Praxis schändet und verleugnet!“

Seine schönen hellen Augen leuchteten in unbeschreiblichem Glanze, als er mir mit diesen Worten die Hand, welche er in der seinigen hielt, zum Abschiede drückte. Es waren die letzten, welche ich von seinen beredten Lippen vernommen. Ich habe ihn nicht wiedergesehen.

Vor mir liegt sein Bild in einer Zeichnung nach dem Originale von der Meisterhand seines Freundes, des auch schon dahingegangenen berühmten Malers Ary Scheffer, das uns in der verklärten Todesruhe des Sterbelagers den hohen Frieden eines guten Gewissen in den edlen Zügen des entschlafenen Menschheitshelden zeigt. Kaum acht Jahre sind verflossen, seit ich von diesem Bilde die Worte niederschrieb: „Dies Bild wird einst, in nicht allzuferner Zukunft, den Anfang einer neuen Reihe ruhmreicher historischer Portraitbilder des erneuten Venedigs beginnen, wenn die Saat aufgegangen sein wird, die er gesäet hat!“

Fürwahr! „die Todten reiten schnell“ in unserer Zeit.




  1. „Venedig wird widerstehen, es koste, was es wolle!“
  2. Unser armer Vater! Du hast so viel für uns gelitten!