Der letzte Schirmherr deutscher Burgen
Von Ludwig Storch.
Wenn die Wahrheit des ästhetischen Lehrsatzes, daß die krumme Linie die Trägerin der Schönheit ist, sich an irgend einem deutschen Landschaftsbilde recht klar und eindringlich offenbart, so ist es an der reizenden Stelle, wo der Main seinen prächtigen Bogen um die südliche Spitze des Spessart schlingt und, eben von Nordost gekommen, nun nach Nordwest weiter wallt. Dieser Bogen ist von allen landschaftlichen Reizen umlagert, welche ein deutsches Gemüth entzücken und in die süßeste Befriedigung harmonischer Beschaulichkeit des äußern und innern Sinnes versetzen. An das linke (südliche) Ufer des Stroms tritt ein Halbkreis von malerisch geformten, üppig bewaldeten Bergen heran, die geographisch nicht mehr zum Odenwald gezählt werden, aber doch eigentlich dazu gehören, und an ihrem Fuße hat sich dicht an das Ufer, der Biegung des Flusses auf der einen Seite und jener der Berge auf der andern folgend, das uralte freundliche Städtchen Miltenberg gelagert, das, wie fast alle diese kleinen Mainuferstädte, kaum aus mehr als einer sehr lang gestreckten Straße besteht. Aus seinen hellen Fenstern schaut es über den blaugrünen Main hinüber an die nicht minder schönen Spessartberge, die ihre trotzigen Stirnen im Strome spiegeln. An einer dieser bewaldeten Stirnen hängt, wie ein großes Schwalbennest, das stattliche Kloster Engelberg, dessen Mönche eine der köstlichsten Aussichten genießen.
Stromaufwärts hat sich das Thal zu einer kleinen lieblichen Ebene gestaltet, in welcher am linken Ufer der freundliche Ort Bürgstadt liegt; stromab tritt man aus dem Thore in einen großartigen lieblichen Park, auf dessen breiten saubern Sandwegen wir in einer halben Stunde das imposante fürstlich Löwensteinsche Residenzschloß dicht am Ufer des Mains und dabei das schmucke Dorf Kleinheubach mit den fürstlichen Dienstgebäuden erreichen. Am gegenüberliegenden Ufer breitet sich das große Dorf Großheubach mit seinen umfangreichen Weinbergen an den Wänden der letzten Spessartberge aus. Am untern Stadtthore haben wir die Mud überschritten, welche links aus einem sehr anmuthigen Thale ihr klares Gebirgswasser dem Main zuführt. Durch dieses Thal zieht sich der Weg nach dem nahen Amorbach, der Residenz des Fürsten von Leiningen, empor, welche in jüngster Zeit durch die Königin Victoria von England ein neues Interesse erhalten hat. Hier lebten ihre Eltern, und hätte die Herzogin von Kent sich nicht beeilt, ihre Niederkunft auf englischem Boden zu halten, so dürfte das Töchterlein schwerlich den Thron bestiegen haben. Das Thal der Mud wird von der malerischen Ruine des einst wichtigen Klosters Gotthardsberg auf einem Bergscheitel geschmückt.
Oberhalb der Stadt zieht sich ein andres nicht minder idyllisch schönes Thal, aus welchem die helle Erf dem Maine zuströmt, in die Berge empor. Ueberall, wohin sich das Auge wendet, wird es vom lieblichsten Wechsel von Berg und Thal, Wald und Rebenpflanzung, Wiese und Garten, Strom und Bach, Stadt und Dorf, Schloß und Kloster ergötzt. Aber so anmuthig und reich die Umgebung, die Stadt selbst ist dennoch der reizendste Punkt in diesem Bilde. Denn in ihr erhebt sich das schöne deutsche Landschaftsgedicht zur Romantik, und zwar sind mittelaltrige und moderne Romantik hier auf’s Innigste verwebt und verbunden. Wie sie in der Stadt selbst überall, wohin man blickt, Arm in Arm auftreten, so werden sie ganz besonders noch in zwei die Stadt malerisch überragenden Schlössern repräsentirt, in der uralten Miltenburg, vorzugsweise das Schloß genannt, und in der benachbarten neuen Woldecksburg, einer großen prächtigen Villa im neudeutschen Styl. Beide Bauten liegen auf Bergstufen, die letztere etwas höher als die erstere, und sind durch eine tiefe, den Berghalbring theilende Schlucht geschieden; dicht hinter ihnen erheben sich majestätisch die brüderlichen Waldberge. Diese beiden Schlösser sind die Kronen der Stadt und die Perlen des ganzen Landschaftsbildes. Die Woldecksburg, ein Kind der neuesten Zeit, wurde von einem preußischen hohen Officier Namens von Woldeck erbaut. Wir haben es hier blos mit der Miltenburg, dem in mehrfacher Hinsicht interessantesten Gebäude der Stadt und der Umgegend, zu thun.
Ursprünglich ein römisches Castell und zwar die letzte jener Flußvesten, welche die Römer zur Ueberwachung des Mains gegen die germanischen Volksstämme an den Ufern des Stromes von Mainz herauf in großer Anzahl erbauten (Aschaffenburg, Obernburg, Niedernburg, Dieburg, Großkotzenburg, Bürgel u. a.), dann unter den fränkischen Kaisern Sitz eines Gaugrafen (Ministerialen), kam sie zu Ende des zehnten Jahrhunderts als Geschenk der Kaiserin Theophania, Mutter und Vormündin Otto’s III., an den schlauen Kurfürsten Willigis von Mainz, mit ihr die Stadt und die Umgegend. Beim Mainzer Erzstift blieb sie bis zur Auflösung desselben durch den Lüneviller Frieden 1801 und den Reichsdeputationshauptschluß von 1803.
Nunmehr gelangte sie in den Besitz des eben mediatisirten Fürsten von Leiningen, der sie als Kaserne seiner Truppen benutzte und 1807 an einen Privatmann verkaufte. Ihr Besitz hat bis heute einigemale gewechselt. Der Hauch der Vergänglichkeit hat sie stark gestreift und der Zahn der Zeit und der Kriegsstürme, die sie heimgesucht, tief angenagt. Besonders ist dies mit dem umfangreichen Burghause der Fall, welches, 1552 von den wilden Kriegssöldnern des pfaffenfeindlichen Markgrafen Albrecht von Brandenburg, unter Anführung des Grafen von Oldenburg, zerstört (nachdem Albrecht vom kaiserlich-bischöflichen Heere bei Mainz geschlagen worden), noch jetzt Ruine ist und als solche nicht wenig zum malerischen Ansehen der Burg beiträgt.
Die Stadt Miltenberg ist die Tochter der Burg, und die Schicksale der Einen sind immer von maßgebendem Einfluß auf [717] die der Andern gewesen. Nach wechselvollen Schicksalen, in der Reformationszeit und im dreißigjährigen Kriege, wie so viele andere deutsche Städte, mehrfach ausgeplündert und verheert, hat sie, erst in der neuesten Zeit zum Königreich Baiern gehörig, Muße gefunden, sich würdig zu heben und zu entfalten, und wenn erst die projectirte Eisenbahn das Mainthal hier durchzieht, wird sie einer neuen Blüthe entgegengehen. Und daß diese eine reiche und schöne sein wird, dafür bürgt der aufgeweckte, regsame Geist ihrer Bewohner. Zweifelsohne werden sich die Bergwände und das Thal mit reizenden Landhäusern schmücken, erbaut von gebildeten wohlhabenden Menschen, welche in Miltenberg einen der gesündesten und angenehmsten Aufenthaltsorte Deutschlands entdecken werden. –
Außer vielen wackern Männern haust jetzt ein merkwürdiges Männerkleeblatt in Miltenberg, von welchem jeder in seiner Art sehr interessant und schätzenswerth ist: der Dichter Ludwig Bauer, der Geschichtsschreiber Madler und der Alterthumsforscher Habel. Dr. L. Bauer, Lehrer an der Studienanstalt, ist einer der originellsten und begabtesten Lyriker unserer Tage und ein sehr geistesreger elastischer Kopf, der sich durch eigne angeborne Kraft auf die Zinne der Neuzeit geschwungen und von ihr das Leben beherrscht. Seine Gedichte (2. Aufl., Würzburg, Stuber) enthalten eine überraschende Fülle von Schönheit und gefälliger Anmuth, aber – was den Werth des Mannes noch sehr erhöht – er steht als politischer Dichter durch hohe Freisinnigkeit, Witz, Humor, Satire und Gewandtheit in der vordersten Reihe; dabei ist er heiterer, gemüthlicher Umgangsmensch und als Parteimann muthig und unerschrocken.
Dr. phil. Jos. Madler ist fürstlich leiningenscher Revierförster und fleißiger, geschickter Geschichtschreiber seiner Vaterstadt Miltenberg und deren Umgegend. Wir verdanken ihm eine Anzahl historischer Monographien, die für höhere und allgemeine Geschichtsdarstellung ein schätzbares Material bieten. Die Verdienste solcher Localgeschichtschreiber sind immer hoch anzuschlagen; denn aus der richtig erforschten und dargestellten Localgeschichte kann erst die wahre allgemeine Geschichte hervorgehen. Der treffliche Madler ist aber auch Auffinder von einer nicht geringen Anzahl zum Theil wichtiger römischer Alterthümer in den Bergen des Odenwaldes, die ohne ihn wohl nie zur Kenntniß der Alterthumsforscher gekommen wären. Das Rathhaus in Miltenberg bewahrt mehrere werthvolle Denksteine mit altrömischen Inschriften auf, die Dr. Madler aufgefunden hat. In gerechter Würdigung seiner Verdienste um die vaterländische Geschichtschreibung haben eine Menge historischer Vereine den geistesregen Mann zu ihrem Ehrenmitglied und Correspondenten ernannt. Es ist gewiß eine Seltenheit, wenn nicht gar ein Unicum, daß ein Revierförster tüchtiger Geschichtschreiber, Alterthumsforscher, Doctor der Philosophie und Ehrenmitglied bedeutender wissenschaftlicher Vereine ist.
Der dritte und interessanteste dieser Männer ist der quiescirte herzoglich nassauische Archivar Habel, der jetzige Besitzer der Miltenburg, die nach ihm vom Volksmunde schon allmählich den Namen „Habelburg“ erhält. Wenn ich von Madler die Vermuthung äußerte, er möchte wohl ein Unicum sein, so darf ich das von Habel als Gewißheit aussprechen. Es giebt keinen zweiten Mann in der Welt von Habel’s eigenthümlichem Wirken und Verdienst, und es hat nie einen andern gegeben. Wie oft, wenn ich diesem verehrungswürdigen Manne gegenüber saß, in den hellen, heitern, vom Flügelschlag des deutschen Genius durchfächelten Gemächern seiner Burg, und wir, die Gläser voll würzigen Rhein- oder Mainweins aus seinem Keller, auf die würdige Zukunft unseren Vaterlandes zusammen anstießen, die wir Grauköpfe nicht erleben sollen – zuweilen ließen Bauer und Madler ihre Gläser auch mitanklingen – und ich mich in sein mildes schönes Auge und in die fein und schelmisch lächelnden deutsch-humanen Züge Habel’s vertiefte, kam mir der Gedanke: Wie wunderbar mannigfach ist doch die Strahlenbrechung des deutschen Geistes in den verschiedenen edlen deutschen Geistern! Wie glühen und flammen sie alle für des gemeinsamen Vaterlandes Ehre, Ruhm, Einheit und Größe! Wie streben sie alle auf den [718] verschiedensten Wegen ihm eine würdige Zukunft zu bereiten! Soll denn dieses Streben immer und immer noch nicht sein erhabenes Ziel erreichen? Dieser Mann hat nun zur Verherrlichung des Genius Deutschlands seinen eigenen Weg betreten. Kein Deutscher ist mit ihm gegangen, keiner ihm gefolgt; er hat es stets vermieden von sich reden zu machen. Still und geräuschlos hat er sein Ziel angestrebt, und es ist wahrlich ein schönes, echt deutsches gewesen. Soll denn das Alles nun vergebens gewesen sein? Sollen die angeschlagenen Töne verklingen und verhallen, ohne in einen vollen Chor einzuströmen? Gewiß nicht! Auch auf der Miltenburg, in Habel’s denkwürdigen Räumen hat sich meine alte Ueberzeugung befestigt, daß alle diese Strahlen des deutschen Geistes in einen Brennpunkt zusammenschießen werden, welcher die Flamme der höchsten allgemeinen Begeisterung für Deutschland entzünden wird.
Von seinem Vater, einem reich begüterten hochgebildeten Manne, erhielt unser 1793 in Idstein in Nassau geborner Habel die ersten Anregungen zum Studium des Alterthums, das bald genug von ihm mit glühender Begeisterung betrieben wurde. Neigte sich der Vater vorzüglich lebhaft zur classischen Römerwelt, so vertiefte sich der Sohn vorzugsweise mit deutschem Ernst und Nachhaltigkeit in das Mittelalter, und hier verlegte er sich besonders auf Kunst, Wissenschaft und Geschichte des deutschen Mittelalters. Dabei wurde er von einem nicht unbedeutenden, durch guten Unterricht ausgebildeten Talent zum Zeichnen unterstützt. Unablässiges tiefes Eindringen mit gesundem Sinn in den Geist des Mittelalters hielt ihn frei von jeder süßlichen falsch-sentimentalen Auffassung desselben, wie sie zu Anfang unseres Jahrhunderts in den Schöpfungen deutscher Dichter spukte. Sein jugendlicher, echt poetischer Hang trieb ihn auf die verfallenen Burgen seines Heimathlandes, und in ihren Trümmern empfing er früh den Weihekuß des deutschen Genius für die Erforschung jener wichtigen Culturstätten des mittelalterlichen deutschen Lebens. Die deutsche Burg in allen ihren Beziehungen, so genau als dies noch möglich, kennen zu lernen, wurde die Aufgabe seines Lebens. Und wie schön und vollständig hat er sie gelöst! Kein Mensch kennt die deutsche Burg in architektonischer, künstlerischer, kulturgeschichtlicher Hinsicht wie er.
Der Vater siedelte später auf das von ihm erworbene Gut Schierstein im Rheingau über, welches der Sohn jetzt noch besitzt. Hier hielt er sich auf, als er seine juristischen Studien in Heidelberg und Gießen absolvirt hatte, durchwanderte mit der Zeichenmappe sein geliebtes Rheinland von Burg zu Burg und gab sich mit begeisterter Liebe ihrer Erforschung hin. Er zeichnete nicht nur fast alle Burgen des Rheins, nahm ihren Grundriß auf und suchte aus ihren Resten ihre frühere Gestalt sich zu construiren, er strebte auch in den Archiven und Bibliotheken der Rheinstädte und Klöster, sich durch Urkunden und geschichtliche Documente so genau als möglich über ihre und ihrer frühern Bewohner Leben und Schicksale zu unterrichten. Da ging seinem regen Geiste eine ganze versunkene Welt auf, eine bedeutsame deutsche, meist falsch beurtheilte oder uns ganz fremd gewordene Welt, in die sich seine Phantasie mit immer steigender warmer Vorliebe mehr und mehr hineinlebte. Oft zauberte der alte Vater Rhein dem seltnen und geliebten Sohne das Spiegelbild der Burgen, wie es sich vor einem halben Jahrtausend und länger auf seiner Fläche dargestellt, und in stiller zauberischer Mondnacht weihten die sagenhaften Burggeister, umflüstert von der leiseren Welle des Stromes, den edlen Jüngling zum Kenner und Bewahrer ihres alten Glanzes.
„Ehret die deutschen Burgen! Erhaltet diese Denkmale der deutschen Vorzeit so viel ihr vermögt! Ehrt euch selbst in den Bauten der Vergangenheit!“ Das war Habel’s begeisterter Mahnruf meist an taube Ohren und Herzen. Das neuerwachte Deutschthum, das sich noch den Schlaf aus den Augen rieb und die französischen Bettfedern aus den Haaren zupfte, hatte dafür noch keinen Sinn. Da folgte Habel dem Drange seines Herzens und that wenigstens das Seine für seine Lieblinge. Zuerst kaufte er die Burg Eppstein im Taunus mit den zu ihr gehörigen Grundstücken an, baute sich darauf ein kleines romantisches Wohnhaus und sicherte das alte Bergschloß, das er wieder bewohnbar machte, mit großen Kosten vor dem gänzlichen Verfall. Dann kam Gutenfels bei Caub an die Reihe, das er nur mit Mühe und Opfern den Klauen einer prosaischen Gerberseele entreißen konnte, welche eben dran und drauf war in der poetischen Ruine eine Gerberei zu errichten. Auch diese Burg wurde durch kostspielige Bauten restaurirt. Ferner Thurnberg bei Welmich am Rhein, die dritte Burg, welcher Habel seine conservative Vorsorge zuwendete.
Weiter folgte die Burg Reichenberg, in einem Nebenthale des Rheins bei St. Goarshausen, das Stammschloß der Dynasten von Katzenellnbogen, die er vor Verfall bewahrte und mit freundlichen Anlagen versah. Nach Umfang, Kunstwerth und Geschichte ist sie höchst bedeutend und die merkwürdigste der Besitzungen Habel’s.
Die jüngste seiner Erwerbungen und das älteste seiner Bergschlösser ist die Miltenburg, die er vor fünf Jahren von einem Magdeburger Kaufmann für achttausend Gulden an sich brachte. Sie wurde ihm die liebste, sie wurde sein Wohnsitz, und sie bestimmte er zu einem Zwecke, mit dem sich seine patriotische Begeisterung schon lange getragen hatte. Ein köstlicher Plan, wie ihn nur ein edler deutscher Mann, wie Habel, fassen kann, soll hier zur schönen Ausführung kommen.
Schon vom Vater war eine umfangreiche und sehr werthvolle Sammlung von Büchern, Urkunden und Alterthümern aller Art auf Habel gekommen, die er im Laufe seines thätigen Lebens unablässig sehr vermehrt und vergrößert hat. Besonders reich und großartig ist seine Urkundensammlung für deutsche Geschichte. Ein fast wunderbarer Zufall, über welchen Habel jedoch ein geheimnißvolles Schweigen beobachtet, setzte ihn in den rechtlichen Besitz von geschichtlichen Urkunden von höchster Wichtigkeit, die über manche Partien der deutschen Geschichte ein ganz neues Licht verbreiten. Dadurch erhalten seine Sammlungen einen unschätzbaren Werth. Bei der Ansammlung und Vermehrung dieser großen Schätze kam unserm Patrioten seine Stellung als herzoglich nassauischer Archivrath sehr zu Hülfe. Er hatte inzwischen in seinem Lieblingsfache, worin er bewandert war, wie wenig Mitlebende, Anstellung im Staatsdienste gefunden.
Die Habel’schen Sammlungen sind ungemein groß, reich, vielseitig und können sich mit fürstlichen dieser Art ohne Scheu messen. Außer der großen Bibliothek, die, zumeist historischen und archäologischen Inhalts, doch auch alle übrigen Fächer des menschlichen Wissens umfaßt, und der bereits erwähnten wichtigen Urkundensammlung sind es Kunstgegenstände aller Art, als Oelbilder aus allen Zeiten und Schulen, darunter Werke der berühmtesten Meister; Skulpturen in Marmor, Elfenbein, Holz, Erzgüsse. Sehr bedeutend ist die Sammlung der Alterthümer, vorzüglich der christlich mittelaltrigen; ebenso die mineralogische, botanische etc. Der Reichthum und die Vielseitigkeit sind so groß, daß ich Manches übersehen habe, zumal die Sammlungen noch nicht aufgestellt sind.
Die Miltenburg ist nämlich zu einem großartigen deutschen Museum bestimmt, in welchem alle diese Sammlungen in wissenschaftlicher Ordnung zur allgemeinen Benutzung der Jünger der Wissenschaft aufgestellt werden sollen, und zu diesem Zwecke eben im Umbau begriffen. Die weiten Räume der Burg, die sonst von Waffengeklirr und Kriegsgeschrei, von Jagdlärm und Geräusch der Zechgelage widerhallten, welche die Flamme der Zerstörungswuth durchleuchtete und die Blutspur der Mordgier zeichnete, werden nun ein Emporium der Wissens- und Kunstschätze des deutschen Forschergeistes werden und dem sanften Ringer nach Erkenntniß zum erwünschten Aufenthalt dienen.
Statt des grellen Scheins der Kriegsfackel wird Minerva’s süßes Lampenlicht diese Hallen durchdämmern, wo die Zeichen trotziger Gewalt und widriger Unsittlichkeit den Siegesfahnen des geistigen Aufschwungs, der Sitte und Humanität, der Würde und wahren Bestimmung des Menschen Platz gemacht haben. Die Stätte der Rohheit der „guten alten Zeit“ wandelt sich sanft in eine Stätte der edelsten und höchsten Güter der bessern neuen Zeit. Sehet da in dieser Wandlung den Prototyp des deutschen Bildungsganges überhaupt! Die Habelburg wird ein leuchtendes Vorbild der „festen Burg“ des Vaterlandes sein. Heil der schönen Wandlung! Heil dem edlen Vorbildner! Denn das muß ich zuletzt noch mit klaren Worten aussprechen, was ich bis jetzt nur ahnen ließ, daß unser Burgenfreund und Museumstifter mit Geist und Seele ein Mann der deutschen Zukunft ist.
Eben weil er das Mittelalter kennt, wie Wenige, weiß er, daß es eine Leiche ist, deren Exuvien wir ehren und erhalten sollen, um sie möglichst zu Schmuck und Zierde der Neuzeit zu verwenden, die aber selbst durch Galvanisation nicht zu einem widrigen Scheinleben zu bringen ist. Gerade weil seine Liebe die untergegangene Welt umfaßt, hat sie das volle warme Verständniß für [719] die aufsteigende. Denn der klare und sichere Blick in die Vergangenheit schärft das gesunde Auge für Gegenwart und Zukunft, und wer die politischen und religiösen Zustände des Mittelalters richtig versteht, wird sich in Beurtheilung der Gesetze nicht irren, nach welchen das Leben der Menschheit sich stets umgestaltet.
Habel war Mitglied der nassauischen zweiten Kammer, wo er durch seine consequente Opposition das Mißfallen der Regierung auf sich zog, die nun ein ebenso consequentes als beliebtes Verfahren gegen ihn beobachtete. Der ewigen Chicane müde, gab er seine amtliche Stellung als Archivrath auf, um sich ganz der Ausführung seines herrlichen Planes zu widmen. Und er hat Sorge getragen, daß sein Werk auch nach seinem Ableben nicht untergehe und seine Lieblinge, die von ihm gepflegten Burgen, nicht verfallen. Wir aber dürfen Goethe’s schönes Wort auf ihn anwenden:
„Die Stätte, die ein edler Mensch betrat,
Ist eingeweiht für alle Zeiten.“