Eine Luftpost in Deutschland

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Textdaten
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Autor: R. H.
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Titel: Eine Luftpost in Deutschland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 719
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[719] Eine Luftpost in Deutschland. Es ist noch nicht lange her, daß diese Blätter eine ausführliche Beschreibung der durch zusammengepreßte und verdünnte Luft in Betrieb gesetzten Paketpost, welche im Postamte von Eversholt-Street in London mündet, brachten, jetzt hört man schon wieder von einer neuen, auf demselben Princip beruhenden Anlage zur Beförderung von Personen. Dieselbe befindet sich im Gebiete des Glaspalastes von Sydenham und scheint nur zu dem Zwecke eingerichtet worden zu sein, um den Besuchern dieses Ortes das besondere und seltene Vergnügen gewähren zu können, statt mit Dampf nun auch ausnahmsweise einmal mit Luft eine Strecke weit befördert zu werden. Bei dieser Gelegenheit gedenke ich eines deutschen Unternehmens, welches als eine schöne und vervollkommnete Anwendung des nämlichen Princips in Berlin zur Ausführung gebracht werden sollte. Dasselbe ist, so viel ich weiß, nur in einem engern Kreise bekannt geworden, und seit einem Jahre etwa ist auch in diesem vielleicht nicht mehr die Rede davon, sei es, daß augenblicklich im preußischen Staate kein Geld für neue Unternehmungen vorhanden ist, sei es, daß der schleswig-holsteinische Krieg nicht Zeit übrig gelassen hat, sich mit andern Dingen als gezogenen Kanonen und Panzerschiffen zu beschäftigen. Die Idee zu diesem Unternehmen ist, glaube ich, von dem um das preußische Telegraphenwesen hochverdienten Director Chauvin ausgegangen und die Unterhandlungen zur Ausführung waren bereits mit einem namhaften Industriellen Berlins bis nahe zum Abschluß gediehen, als man von der Sache wieder Abstand nahm.

Wie bekannt, müssen die telegraphischen Depeschen, welche vom Central-Telegraphenamt in Berlin nach irgend einem Orte hin befördert werden sollen, durch Boten nach dem Telegraphenamt gebracht werden; ebenso werden die Depeschen, welche daselbst ankommen, durch besondere Boten an ihre Adresse gesendet. Es ist klar, daß die Zeit, welche diese Beförderungsweise in Berlin selbst in Anspruch nimmt, in keinem Verhältniß zu derjenigen steht, welche die Depesche zum Durcheilen großer Länderstrecken nöthig hat. Durch Errichtung von mehreren einzelnen, über die Stadt zerstreuten Depeschen-Annahme-Stellen trug man wohl der Bequemlichkeit des Publicums Rechnung, aber dem Uebel selbst wurde dadurch nicht gesteuert. Selbst wenn man diese Stellen auch durch den telegraphischen Draht mit dem Central-Bureau verbunden hätte, würde man den Uebelstand noch nicht beseitigt haben; denn jede in Berlin aufgegebene Depesche hätte erst nach dem Central-Bureau und von da aus wiederum nach dem Bestimmungsort, und umgekehrt hätte jede aus dem Central-Bureau von außerhalb ankommende Depesche nach der Bezirksstation umtelegraphirt werden müssen. Daß die auswärtigen Orte nicht wegen einer einzelnen Depesche direct mit der betreffenden Bezirksstation in Berlin in Verbindung gesetzt werden können, sieht Jedermann ein, welcher sich einen Begriff von der Zahl der in Berlin ankommenden und der von dort abgehenden Depeschen machen kann. Mit dem Bau des neuen Berliner Börsengebäudes trat noch ein anderer Uebelstand ein. Wegen des enormen Depeschenverkehrs, welcher während der Börsenzeit von den Börsenmännern mit den bedeutenderen Städten Deutschlands und des Auslands unterhalten wird, sah man sich genöthigt, im Börsengebäude selbst Telegraphenapparate aufzustellen, um von hier aus direct – ohne erst die Central-Telegraphenstation zu benutzen – nach den betreffenden Orten telegraphiren zu können. Während der Börsenzeit müssen also alle Depeschen, welche zur Beförderung nach der Centralstation gebracht werden, warten, bis die Börsenzeit vorüber ist. Diese Benachtheiligung des großen Publikums zu Gunsten der Börsenwelt erheischte eine Abänderung des Verkehrssystems, und man verfiel unter diesem Drängen der Uebelstände auf die Luftröhrenposten. Man wollte die an passenden Orten der Stadt errichteten Bezirksstationen durch Röhrenposten mit der Centralstation verbinden, und das neue Börsengebäude selbst sollte eine Bezirksstation werden. Die auf Papier geschriebenen und auf einer Bezirksstation aufgegebenen Depeschen sollten nun durch das Rohr nach der Centralstation und die daselbst von außerhalb ankommenden Depeschen sollten ebenfalls auf Papier geschrieben und ebenfalls durch das Rohr nach der betreffenden Bezirksstation befördert werden.

Man hatte sich von vorn herein überzeugt, daß, damit dieses Depeschen-Beförderungs-System einer Entwickelung und Ausdehnung dem Wachsthum der Stadt Berlin gemäß fähig sei, jede Bezirksstation durch einen doppelten Röhrenstrang mit der Centralstation verbunden werden müsse. Der eine befördert dann die Depeschen in der Richtung von der Peripherie zum Centrum, der andere in umgekehrter Direktion. Die beiden Röhren, welche auf der Bezirksstation verbunden sind, münden auf der Centralstation mit einer Oeffnung in einen großen Windkessel, welcher zusammengepreßte, und mit der anderen Oeffnung in einen andern großen Windkessel, welcher verdünnte Luft enthält. Eine von einer Dampfmaschine fortwährend in Bewegung erhaltene Pumpe saugt zu gleicher Zeit aus dem einen Windkessel die Luft und drückt sie in den anderen hinein, wodurch ein continuirlicher, im Kreislauf sich bewegender Luftstrom durch die einzelnen Röhrensysteme getrieben wird. Dieser Luftstrom kann in jedem Moment, sowohl auf der Central- als auf der Bezirksstation benutzt werden, Depeschen in kleinen mit vier Rädern versehenen Wagen abzusenden. Wegen der doppelten Röhrenstränge ist keine Gefahr vorhanden, daß ein Depeschenwagen sich mit einem andern treffe, und so können von Secunde zu Secunde immer neue Depeschenwagen den eben abgegangenen nachgesendet werden.

Dieses interessante und schöne Project sollte zuerst zwischen der neuen Börse und der Central-Telegraphenstation ausgeführt werden. Die Entfernung beider Punkte beträgt auf dem in Vorschlag gebrachten Wege ungefähr 3000 Fuß, und bei einer Geschwindigkeit von 30 Fuß in der Secunde hätte der Depeschenwagen noch nicht ganz zwei Minuten gebraucht, um diesen Weg zu durchlaufen. Hätte sich diese Strecke bewährt, dann sollten hierauf die Bahnhöfe mit dem Telegraphengebäude verbunden werden, und so wäre das System nach und nach über die ganze Stadt ausgedehnt worden. Daß man mit der neuen Börse den Anfang machen wollte, daran gerade ist, wie ich vermuthe, das ganze Project gescheitert. Die Börsenwelt steht sich bei dem jetzigen Beförderungssystem zu gut, als daß sie wünschen sollte, eine Aenderung eintreten zu sehen. Die reiche Kaufmannschaft von Berlin besitzt aber eine große Macht, und wer weiß, ob sie nicht Schuld daran hat, daß bis jetzt die Luftpost noch ein – Luftschloß ist! R. H.