Der neue Cäsar und seine Mutter
Von J. Marmor.
Auch das stille Constanz sollte, wie wir wissen, nicht das dauernde Asyl bleiben für die vertriebenen Napoleoniden, die Königin Hortense und ihren Sohn Louis Napoleon. Die Diplomatie ließ sie auch hier nicht in Ruhe; das zurückgezogene Leben der Königin, die fast ganz von der Außenwelt abgeschnitten war, verhinderte nicht, daß man immer und immer wieder falsche Berichte über sie machte. Man mißgönnte ihr den Aufenthalt in einer Stadt, die beinahe einem Verbannungsorte glich, und da man keinen vernünftigen Grund im Benehmen der Königin fand, um sie davon zu entfernen, so schritt man ganz einfach zur Anwendung von Gewalt. Es wurde dem Großherzog Carl von Baden bedeutet, daß er seine Verwandte aus seinem Staate verjage. Bald erschien eine Person seines Hauses, Herr von Frank, welcher den Auftrag erhalten hatte, der Königin dessen Bedauern auszudrücken, daß er sich in der traurigen Nothwendigkeit befinde, sie um ihre Abreise zu bitten. Die Großherzogin Stephanie von Baden könne es nicht genug beklagen, daß ihr Gemahl durch die großen Mächte in die peinliche Lage versetzt sei, Hortense aus dem Lande vertreiben zu müssen. Ja, nicht einmal ein Besuch sei möglich, weil Herr von Talleyrand im Zusammenkommen der beiden fürstlichen Frauen eine Verschwörung gegen die bourbonische Monarchie erblicken wolle. Hortense ertrug diese Verfolgung, wie sie Alles ertrug, mit Ruhe, Ergebung und Würde und sagte dem Herrn von Frank zu, sich sobald wegzubegeben, als die rauhe Jahreszeit und ihre zarte Gesundheit dies gestatten würden.
Von allen Seiten gedrängt, hatte sie unterdessen vom Baron von Streng am 10. Februar 1817 den im angrenzenden Canton Thurgau am untern Bodensee gelegenen Arenenberg um dreißigtausend Gulden gekauft und ließ diese Besitzung dann nach ihrem Geschmacke herstellen.
Nur sehr ungern verließ die Königin ihren Aufenthalt, der ihr die Ruhe nach dem Sturm gewährt hatte. Die Erziehung des Prinzen war hier ihre erste und vorzüglichste Sorge und Hauptbeschäftigung gewesen, wie ihre Zärtlichkeit für ihn ihr lebhaftestes Gefühl. Sie gab ihm, wie dem Leser auch schon bekannt, selbst Unterricht im Zeichnen und Tanzen, weil es an Lehrern dazu mangelte. Am Samstag jeder Woche gehörte er ganz seiner Mutter an: es wurde dann alles von ihm durch die ganze Woche Erlernte wiederholt, ob es Lateinisch oder etwas Anderes war, das der Königin fremd stand. Sie wollte ihrem Sohn durch die Aufmerksamkeit, welche sie auf die geringsten Einzelnheiten verwendete, beweisen, daß sie ihr Interesse allen seinen Fortschritten zuwende. Weil Louis von einer solchen Lebhaftigkeit war, daß es der ganzen Leichtigkeit seines frühzeitigen Verstandes bedurfte, um Etwas zu lernen, so war es schwieriger, ihn zu überwachen, als zu unterrichten. Der gute Abbé Bertrand wandte allen seinen Eifer an; allein der Prinz entschlüpfte ihm oft. Die Königin fühlte daher, daß es festerer Hände bedürfe zur Leitung dieses unabhängigen Charakters. Was den Versuch des armen Abbé noch schwieriger machte, war jene Schnelligkeit des Geistes, welche auf der Stelle eine Antwort fand und welche immer verlangte, daß man ihm den Grund angebe von dem, was man von ihm forderte.
Einst hatte der Abbé wiederholt die Befolgung einer Vorschrift verlangt, wogegen sich sein Zögling hartnäckig sträubte. Als Ersterer aber fest auf seinem Befehl besteht, läuft der Prinz davon und ergreift seinen Säbel. Bertrand klagt bei der Mutter, die den Sohn auf eine feierliche Weise züchtigen und demüthigen will. Er wird am folgenden Morgen in’s Zimmer der Königin beschieden, wo er niederknieen und in Gegenwart seines Lehrers eine ernste Strafpredigt hören muß. Nachdem ein Diener seinen Säbel zerbrochen und die Stücke vor ihn hingelegt hatte, mußte er dem Abbé Abbitte leisten.
Die Morgenstunde brachte die Königin meist allein in ihrem Zimmer zu, mit Abfassung ihrer Denkwürdigkeiten beschäftigt. Die
[197][198] Nöthigung, auf die gegen sie seit zwei Jahren veröffentlichten Unwahrheiten und Verleumdungen zu antworten, gab ihr die Idee ein, ihre Memoiren zu schreiben. Sie that dies unter dem Eindruck des Augenblicks und es war ihr gewissermaßen ein moralisches Bedürfniß, so mancherlei verleumderische Anschuldigungen, denen der verbannte Kaiser ausgesetzt war, siegreich zu widerlegen. Diese Denkwürdigkeiten, welche im Jahre 1816 angefangen wurden, erschienen erst nach ihrem Tode und sind für den Geschichtsschreiber von großem Werthe.
Der Bruder der Königin, Eugen Beauharnais, jetzt Herzog von Leuchtenberg, der sie mehrere Male in Constanz besucht und sich bald überzeugt hatte, daß hier des Bleibens für seine Schwester nicht sei, bot Alles auf, sie nach Baiern zu ziehen. Dieser Vorschlag war für Beide angenehm; allein Hortense wollte ihrem Bruder nirgends ein Hinderniß werden für sein Glück und entschloß sich erst, seinem Antrage Folge zu geben, als der König Maximilian den Plan Eugen’s theilte und sie nach Baiern einlud.
Da sie nicht in München bleiben wollte, so schlug ihr Eugen die alte Stadt Augsburg vor, die nicht allzuweit von der Residenzstadt entfernt sei und leicht ein Zusammenkommen gestatte. Außerdem war dort eine gute Lehranstalt, was derselben in den Augen der Königin einen großen Vorzug verschaffte. Am 6. Mai 1817 verließ denn Hortense Constanz, unter großem Bedauern der Einwohner, deren allgemeine Liebe sie sich durch ihre Leutseligkeit und großartige Wohlthätigkeit erworben hatte. Bevor sie sich entfernte, fuhr sie noch nach ihrer neuen Besitzung Arenenberg, um ihrem Hausverwalter Rousseau anzuzeigen, daß er daselbst zu bleiben und inzwischen einige nothwendige Bauten und Einrichtungen machen zu lassen habe. In Augsburg lebte die Königin vier Jahre. Der Prinz besuchte die dortigen Schulen und erwarb sich für seinen Fleiß Prämien, von welchen Herr Keller, der ehemalige Besitzer des Arenenbergs, noch eine besitzt. In den Ferien besuchte der Sohn mit seiner Mutter entweder die neue Besitzung im Thurgau, oder reiste nach Italien.
Auf dem Arenenberg war nach dem Ankauf von Seite der Königin ein reges Treiben entstanden, welches denselben völlig umgestaltete. Nach noch vorhandenen Zeichnungen hatte das Schloß, wie es ehemals war, viel von einer mittelalterlichen Burg. Das Hauptgebäude war gezinnt, mit einem kleinen Thürmchen und einer Glocke versehen; eine Mauer mit vier Rundthürmen zog sich um das ganze Gut herum, das mehrere Oekonomiegebäude und Wohnungen enthielt. Als es nach dem Plane des Werkmeisters Wehrle von Constanz an’s Bauen ging, wurden die Einfassungsmauern abgerissen, ebenso die Oekonomiegebäude mit Ausnahme eines einzigen, und das Hauptgebäude verlor seine Zinnen und sein Thürmchen. Auf dem geebneten Platze erhob sich ein weitläufiges einstöckiges Gebäude mit einem Erdgeschosse, mit Stallungen, Räumen für ökonomische Zwecke, einem kleinen Theater und Glashaus. Ueberdies wurde noch eine Capelle zum Privat-Gottesdienst errichtet.
Nachdem die Königin um das Jahr 1822 ihren neuen Besitz bezogen hatte, bestimmte sie das Hauptgebäude allein für sich und die Damen ihres kleinen Hofes, sowie für weibliche Gäste. In dem Nebengebäude war unten Raum für die männliche Dienerschaft und eine Treppe höher bewohnte der Prinz zwei kleine Zimmer. Die übrigen sechs waren für die höhern Bediensteten und die Gäste vorbehalten. Im Hauptgebäude, das durch einen Anbau gegen Mittag vergrößert wurde, befindet sich zu ebener Erde ein Vorraum, aus welchem eine hölzerne Wendelstiege in den ersten Stock führt. Von jenem aus gelangt man in Salon, Empfangssalon, Sommersalon, Billard- und zugleich Bibliothek-Zimmer und in einen Speisesaal. Im ersten Stock treten wir in das Schlafzimmer der Königin, das nur ein Fenster gegen Norden und eines gegen Osten hat, an welches sich ein sehr kleines Cabinet mit einem einzigen Fenster in gleicher Richtung anschließt. Das Bett der Königin stand in einer Nische oder in einem Alkoven. Ueberdies sind noch ein kleiner Salon mit Bibliothek, zwei Schlafzimmer und ein Zimmer für eine Kammerfrau auf dem gleichen Boden vorhanden. Der zweite Stock enthält fünf Schlafzimmer.
In diesen beschränkten Räumlichkeiten lebte die Königin bis zu ihrem Tode. Wie in Constanz lag sie in ihrem neuen Asyle ihren Lieblingsneigungen, Zeichnen, Musiciren und Lesen, ob. Der Prinz setzte seine Studien unter Leitung seiner Hofmeister fort. Neben den Studien versäumte er auch nicht seinen Körper zu üben, der früher zart und schwach gewesen war. Durch anhaltende Abhärtung und Anstrengung gewann er große Stärke und Gewandtheit. Beim Herzog von Leuchtenberg in München hatte er die beste Gelegenheit, die Reitkunst zu lernen, in der er große Fortschritte machte. Nach Tische bestand seine Erholung häufig in Reiterkünsten, durch welche er auch seiner Mutter ein großes Vergnügen bereitete. Mit Leichtigkeit und Zierlichkeit sprang er links und rechts über das Pferd hinweg, wenn es in vollem Lauf dahinsauste. Ohne Anstrengung sprang er über das Kreuz des Pferdes in den Sattel. Ueberdies war er auch ein geschickter Lanzenreiter. Ohne seinen Hals auf’s Spiel zu setzen, war er als Reiter kühn und sicher. Die Strecke von sieben Viertelstunden von Arenenberg nach Constanz legte er mit dem andalusischen Rappen, welchen er von seinem verstorbenen Bruder erhalten hatte, regelmäßig in einer Viertelstunde zurück. Als der Wächter am Thore zu Constanz einmal fand, daß er allzu scharf reite, und ihm die festgesetzte Buße abverlangte, warf ihm der Prinz das Doppelte hin, indem er lachend sagte: „Da habt’s Ihr gleich für den Rückritt.“ Beim Exerciren der thurgauischen Milizen im Feuer bestieg er ein wildes Pferd, das Niemand als ihn aufsitzen ließ. So sehr sich dasselbe auch immer bäumte und schäumte, er wurde desselben doch Meister und machte es ganz ruhig und fromm.
Die Leibesübungen waren ihm so lieb geworden, daß er die Dorfjungen von dem nahen Salenstein zu sich kommen ließ und sie im Laufen und Springen übte. Preise belohnten die Tüchtigsten. Im Winter zeigte er sich als tüchtiger Schlittschuhläufer auf dem fast jährlich gefrorenen Untersee. Oft sah man ihn seine Mutter oder ihre Freundinnen auf einem Schlitten über die glatte Eisfläche dahin schieben. Im Sommer war Schwimmen ein großer Genuß für ihn. Von dem Schiffmann Fehr aus Mannenbach in einem Kahne begleitet, schwamm er öfters, ohne auszuruhen, nach der bekannten Insel Reichenau hinüber und versagte sich dieses Vergnügen selbst manchmal in der rauhern Jahreszeit nicht, wenn er z. B. von der Jagd zurückkam.
Einmal versetzte er seine Basen, die Töchter der Großherzogin Stephanie von Baden, als sie zusammen über die Neckarbrücke in Mannheim gingen, in einen nicht geringen Schrecken. Unglücklicherweise war es einer derselben eingefallen, ihn zu fragen, ob er wohl den Muth hätte, hier in den Fluß zu springen. Der Vetter antwortete schnell durch die That, indem er sich über das Geländer hinweg schwang und sich mitten in den Fluß stürzte. Lachend kam er, obgleich es noch im kalten März war, mit triefenden Kleidern in’s Schloß zurück.
Eben so gut, wie er schwamm, lenkte er den Kahn. Wenn kein Lüftchen die spiegelglatte Fläche des Sees kräuselte, an den schönen, lauen Sommerabenden, ergriff er das Steuer des Schiffes und ruderte seine Mutter mit den fast nie fehlenden Gästen auf der glatten Bahn. Oft nahm die Königin ihre Guitarre und sang so fröhlich, als hätte nie ein Hauch den Spiegel ihrer Seele getrübt. Aber auch dann, wenn der See brausend seine Wellen trieb, bewährte der Prinz seine Kraft und Geschicklichkeit. So war er einst mit einem Freunde von Zürich nach Seefelden gefahren und auf der Rückkehr der Kahn von einem heftigen Winde in den tobenden See hinausgetrieben worden. Mit aller Macht kämpfte er in der inzwischen angebrochenen Nacht zwei lange Stunden mit den Wellen und ruhte nicht eher, bis er wieder an die Stelle gelangte, von wo er abgefahren war.
Im Fechten auf Stoß und Hieb hatte er große Fertigkeit erworben. Wahrscheinlich erhielt er den ersten Unterricht darin von einem gewissen Maler Burkart in Rom, der gegenwärtig bei Agassiz in Boston verweilt. Weil der Prinz die Kriegskunst zu seinem vorzüglichsten Studium machte, so mußte er auch die Waffen führen lernen. Durch fleißige Uebung erhielt er eine gewisse Meisterschaft im Pistolen- und Stutzenschießen. Dieses übte er auf der Schießstätte zu Ermatingen im Thurgau als Mitglied der thurgauischen Cantonal-Schützengesellschaft, welcher er eine hübsche Schützenfahne schenkte, die er einmal an einem eidgenössischen Schützenfeste selbst an der Spitze der thurgauischen Schützen als Redner beim Aufzug überreichte.
Man würde sich irren, wenn man des Glaubens wäre, es sei auf Arenenberg ein üppiges und schwelgerisches Leben geführt worden. Die Königin verwendete auf Putz und Tafel nur sehr kurze Zeit. Deshalb waren die Mahlzeiten so bescheiden, daß nur sie allein fremden Wein trank, während sich der Prinz und die Uebrigen mit gewöhnlichem Landwein begnügten. Dafür hatte sie [199] mehr Genuß an einer heitern und geistreichen Unterhaltung, an der hingegen ihr Lohn wieder selten Antheil nahm, weil ihn das Salonleben überhaupt wenig anzog. Ganze Abende konnte er still und in sich gekehrt an sich vorübergehen lassen; nur hie und da warf er ein Wort hinein in die Unterhaltung. Erhielt diese eine größere Lebhaftigkeit, so ließ er sich nie in eine längere Besprechung ein, sondern gab in kurzen und bestimmten Ausdrücken seine Meinung ab.
Man bemerkte in seinen Worten und in seinem Wesen nie etwas Schwankendes; immer sprach er in seinen Antworten einen klaren und scharf ausgedrückten Gedanken aus. Gerieth das Gespräch auf seinen Onkel, den Kaiser Napoleon, welchen er wie einen Gott verehrte, und gewann es den Anschein, als ob jemand eine Gesinnung oder Handlung desselben unrichtig auslege, so stieß er seine Berichtigung oder Widerlegung scharf und schnell heraus. Er war ebenso entschieden und beharrlich in Vorliebe und Abneigung, hatte nie unstäte Einfälle, und Ungereimtheiten waren ihm fremd. Was er aber einmal wollte, verfolgte er ruhig, still und fest, weshalb ihn die Mutter „le doux entété“ (den sanften Eigensinnigen) nannte.
Für Kunst hatte er wenig Sinn. Begannen die musikalischen Unterhaltungen im Salon, so faßte er seine Gäste am Kleide und sagte: „Kommen Sie, wir wollen hinübergeben“ (d. h. in seine vom Schloß getrennte Wohnung). Ebenso sprach ihn die schöne Literatur nur in geringem Grade an. Meinten Buchon und Andere durch einen ausdrucksvollen poetischen Vortrag die Gesellschaft zu fesseln, so fing der Prinz an zu gähnen. Hingegen interessirte ihn die Industrie, besonders die Mechanik. Ueber Versuchen und Verbesserungen darin zu grübeln, war seine Lust, namentlich wenn er dieselben auf das Artilleriewesen anwenden zu können glaubte.
Die Natur machte keinen sonderlichen Eindruck auf ihn, und doch ist es so schön auf dem einsamen Arenenberg! Von der Terrasse hinter dem Schloß hat man eine entzückende Aussicht in eine stille, idyllische Gegend. Zu den Füßen liegt der ruhige Untersee, in dem wie auf einer schwimmenden Insel die alte einst so berühmte Abtei Reichenau mit ihren höchst interessanten Kirchen herüberschaut. Ihr gegenüber auf dem Festlande steht einsam und verlassen das ehemalige fürstbischöflich constanzische Schloß Hegne, welches einst fröhliche Tage gesehen. In nicht weiter Entfernung folgt das alte Allensbach und die Stadt des heiligen Radolf, mit ihrer gegen die Reichenau sich erstreckenden Halbinsel Metnau, welche früher durch eine Straße mit ihr verbunden gewesen sein soll.
Von Radolfszell west- und nordwärts ragen die ehemaligen Vulcane des Hegaus, theils Basalt, theils Klingsteingebilde, aus der Ebene empor, ebenso reich an Naturerzeugnissen, wie an Trümmern, die ihre Kuppeln im Mittelalter als stattliche Burgen schmückten. Vor allen zeichnet sich Hohentwiel, einst der Sitz der alemannischen Herzoge, später ein Kloster und zuletzt eine erst im Jahre 1800 zerstörte würtembergische Festung, mit seiner herrlichen Aussicht aus. Neben ihm steigt schlank und kühn das ehemalige Raubnest Hohenkrähen mit seinem neckischen Burggeist Poppele empor, während der dreigipflige Hohenstosseln mit ebensoviel Burgtrümmern die Gegend beherrscht und der massenhafte Höhenhöven und das Stettener Schlößchen in nebelhafter Ferne dem unbewaffneten Auge nur als kleine Hügel erscheinen.
Gegen Untergang der Sonne schiebt sich der waldige Schienenberg wie ein gewaltiger Keil zwischen den sogenannten Radolfszeller und Bernanger See hinein, mit seinen weitbekannten Oeninger Versteinerungen auf dem Rücken, der stillen Bischöfshöri und Burgen untergegangener Geschlechter an seinem Fuße. Die Landzunge, auf welcher Berlingen, das alte Bernang liegt, schließt nach Westen ab. Mehrere Erdzungen strecken sich in den ruhigen See hinaus und versteckt und malerisch liegt in einem Winkel das Dorf Mannenbach. Gegen Mittag steigt ein Berg, zerklüftet durch mächtige Erdrisse, hier Tobel genannt, zu einer ziemlichen Höhe an. Frei die Gegend überschauend steht hoch der Eugensberg, erbaut vom ritterlichen Herzog Eugen von Leuchtenberg, und nur wenige Minuten von Arenenberg entfernt auf einem Felsenklotze die Burg Salenstein, einst Besitzthum der Abtei Reichenau.
Vom Schloß aus verstecken Wald und Bäume die Aussicht nach Osten. Ein Pavillon, nur wenige Minuten davon entfernt, gewährt aber die weiteste Aussicht nach Constanz und den glänzenden Bodensee, und über diesen hinaus in die Tiroler und baierischen Alpen, die im bläulichen Dufte zerfließen. Hier nahm die Königin oft in den schönen Nachmittagsstunden den Thee, unterhielt sich mit Musik und Gesang, oder ließ eine ausgewählte Gesellschaft Tonkünstler im nahen Wäldchen spielen.
Mit der Nachbarschaft wurde vom Arenenberg sehr freundlicher Umgang gehalten, und die angesehenern Familien eben so wohlwollend besucht wie empfangen. Besonders war es die Familie Ammann in Ermatingen, mit der man auf vertrautem Fuß stand, da die Söhne in ungefähr gleichem Alter mit dem Prinzen waren. Jetzt noch besorgt Herr Friedrich Ammann die Verwaltung des Arenenbergs und steht mit dem Kaiser in stetem Verkehre.
An Besuchen und Gästen fehlte es nie auf dem gastlichen Schloß. Die verwittwete Großherzogin Stephanie von Baden, die Fürstin von Sigmaringen, der alte und liebenswürdige Oheim, Marquis von Beauharnais, der verwandte Graf Tascher de la Pagerie, gewesener Adjutant des Kaisers, sowie die Jugendfreundinnen der Königin, die Herzogin von Ragusa, die Wittwen der Marschälle Duroc und Ney, waren öfters auf Arenenberg und fanden immer die liebevollste Aufnahme. Auch Frau Campan, in deren Erziehungs-Institut die Königin gewesen war, besuchte noch kurz vor ihrem Tode ihre liebe Pflegetochter, welche sich als die treue Beschützerin ihres verlassenen Alters erwiesen hatte. Bei festlichen Anlässen wurden kleine theatralische Vorstellungen gegeben, zu welchen öfters die thurgauischen Nachbarn eingeladen wurden und in denen sich die Königin in Darstellung von Rollen aus dem Volksleben in harmlosen Leichtigkeit und Heiterkeit gehen ließ. Besonders nah stand Hortense als bewährter treuer Freund der edle Freiherr Heinrich von Wessenberg, welcher der häufige, immer hoch willkommene Gast im Schlößchen war.
Da Hortense auch in der Verbannung nie des schönen Frankreichs vergaß, so blieb sie mit allen Erscheinungen der Literatur desselben vertraut. Besonders sprach sie die Poesie an. Es war daher kein Wunder, wenn Dichter und Maler immer bereitwillige Aufnahme fanden. Unter ihnen zeichnete sich Chateaubriand und Casimir de la Vigne aus. Letzterer, ein ganz unabhängiger Charakter, welcher einen Jahrgehalt und das Kreuz der Ehrenlegion aus der Hand der Bourbonen verschmäht hatte, verlebte einen Sommer auf Arenenberg und führte Fräulein Elisa von Courtin, das Hoffräulein, als Braut nach Hause.
Weil der Winter gar zu einsam auf dem Arenenberg war, so machte alsdann Hortense durch mehrere Jahre eine Reise nach Rom, auf welcher ihr Sohn sie begleitete. In Florenz, wo der ehemalige König von Holland seinen Aufenthalt genommen hatte, wurde acht oder vierzehn Tage verweilt, und Louis konnte dann mit seinem Bruder verkehren. Einstmals ging der König nach Marienbad in Böhmen und Louis durfte ihn begleiten, während sein älterer Bruder unterdessen auf dem Arenenberg blieb.
Bis jetzt hatten die Napoleoniden scheinbar ein Stillleben geführt und um die Welt draußen sich wenig bekümmert. Die Bourbonen schienen auf dem alten Throne, welchen ihnen die fremden Bajonnete wieder verschafft hatten, fest zu sitzen, als plötzlich die Julirevolution im Jahre 1830 sie, welche nie die neue Zeit begreifen lernten, von demselben stürzte. Die Pariser Revolution hatte den Funken der Freiheit in allen Ländern entzündet. In Italien entstand eine republikanische Verschwörung, die zum Ausbruche kam. An ihrer Spitze standen die beiden Söhne der Königin Hortense. Das Unternehmen endete unglücklich. Der ältere der Prinzen starb in Forli, und der jüngere konnte nur durch das entschlossene[WS 1] und kluge Benehmen seiner Mutter, die Alles für ihn wagte, gerettet werden. Sie beschrieb den ganzen Hergang in einem äußerst interessanten Schriftchen unter dem Titel: „Meine Reisen in Italien, Frankreich und England im Jahre 1831“. Von jetzt an brüteten Mutter und Sohn über dem Gedanken, wie letzterer zu der Würde emporsteigen könne, welche ihm schon an der Wiege in Aussicht gestellt war. Niemand von allen Napoleoniden glaubte so fest und zuversichtlich an den Stern des Kaisers Napoleon und an den Beruf seiner Angehörigen zur Fortsetzung seines Werkes, als Hortense. Es war ihre tiefe Ueberzeugung und der mächligste Beweggrund ihrer Bestrebungen, daß ihr Sohn ein Recht auf den Thron von Frankreich habe, so lange nicht das französische Volk die Napoleonische Familie desselben für verlustig erklärt hätte. Aus diesem Grunde eiferte sie ihren Sohn [200] mit der Ermunteruug an: er sei es seinem Namen schuldig, sich seiner Aufgabe würdig zu machen und sich für dieselbe auszubilden. Die Seele Beider wurde durch den Glauben an eine große Zukunft und die Plane zur Verwirklichung derselben ausgefüllt. Deshalb vergaß der Prinz bei aller Bescheidenheit und Schlichtheit seines Benehmens und bei der Einfachheit seiner Erscheinung nie das Gefühl seines Ranges und seiner Hoheit, wie sich das stets durch eine gewisse Abgemessenheit und Zurückhaltung fühlbar machte.
Louis war in die schweizerische Artillerie eingetreten, hatte vom General Dufour Unterricht genossen und war zum Rang eines Hauptmanns emporgestiegen. Als solcher gab er im Jahre 1833 seine politischen und militärischen Betrachtungen heraus, deren militärischer Theil daß Lob der Kenner erregte. Später erschien ein Schriftchen: „Napoleonische Ideen“, welches stark im Republikanismus fußte. Er wollte von sich sprechen und die Welt auf seine Person aufmerksam machen, deshalb suchte er alle Hebel in Bewegung zu setzen und verschiedene Kräfte zu seinen Zwecken zu benutzen.
Im italienischen Feldzuge war Louis mit mehreren später geächteten Personen bekannt geworden, so mit dem feinen und gewandten Arzt Enrico Conneau aus Florenz, durch dessen Hülfe er vorzugsweise aus dem Schloß Ham entkam; ferner mit dem geistvollen und feurigen Grafen Arese und mit Visconti. In Rom hatten Mutter und Sohn den Maler Cottreau kennen gelernt, der dann mehrere Jahre auf Arenenberg lebte und hier seine Kunst ausübte. Zu ihnen gesellten sich noch mehrere Franzosen, von denen der ernstere Persigny, sowie de Querelles und Laity die ausgezeichnetsten waren. Sie verweilten häufig und länger auf Arenenberg. Mit ihnen und dem Obersten Carl Parquin, welcher die Vorleserin der Königin, Fräulein Cochelet, geehlicht und das nahe Schloß Wolfsberg gekauft hatte, wurde der Plan zu dem kühnen Streiche aus Straßburg berathen. Das Schloß konnte vor diesem Ereigniß oftmals die Zahl seinr Gäste nicht fassen, welche deshalb in Ermatingen untergebracht werden mußten.
Schon an und für sich zurückhaltend verrieth der Prinz durch kein Wort und keine Miene dasjenige, was ihn wachend und träumend beschäftigte. Er hatte die Jagd in den Waldungen der badenschen Gemeinden von Wollmatingen bis Marktelfingen im Anfange der dreißiger Jahre auf zehn Jahre gepachtet, mehr um seiner Freunde, als seiner selbst willen. Obgleich ein sehr guter Schütze, liebte er die Jagd doch nicht leidenschaftlich. Wurden mehr Rehe geschossen, als zur Deckung des Bedürfnisses erforderlich, waren, so verkaufte er dieselben um keinen Preis, sondern verschenkte die überflüssigen an die Armen von Allensbach, damit sie auch Wildpret genießen könnten.
Einstmals saß er, als die Jagdgefährten sich schon auf den Anstand gestellt hatten, träumerisch und in sich verloren unter einem Baume und starrte in die Gegend hinaus. Ihm nahte sich der Gemeindeammann Hutterle von Salenstein, ein bei ihm sehr wohlgelittener Mann, und fragte ihn: „Prinz, woran denken Sie und warum jagen Sie nicht?“
Dieser entgegnete: „Wenn ich mir denken könnte, daß meine Kappe wüßte, was unter ihr vorginge, so würde ich sie augenblicklich verbrennen.“
Schon einige Zeit trug sich der Prinz mit dem Gedanken, gezogene Kanonen zu erfinden. Er ließ zu diesem Behufe im Jahre 1836 Kanonen in der Constanzer Glockengießerei gießen und Züge aus Stahl durch den Mechaniker Klein daselbst fertigen. Eine dieser Kanonen gerieth schlecht und sollte also wieder zerstört werden. Man versuchte dies zweimal vergeblich durch Ladung von trockenem Sand, den man auf den Wunsch des Professors Lachmann sogar von Paris zu diesem Zwecke kommen ließ. Klein versuchte es auf eine andere Weise, mittels einer fest passenden Schraube. Der Versuch zur Sprengung wurde an einem bestimmten Tag in Gegenwart des Prinzen zwischen dem Kreuzlinger- und Emmishoferthor bei Constanz gemacht, wo damals noch die Wallgräben standen. Er gerieth so gut, daß die Stücke überall und selbst bis auf die Marktstätte flogen und einen gewaltigen Spectakel erregten. In der ersten Verwirrung setzte sich der Prinz auf sein Roß und ritt in gestrecktem Galopp davon auf das thurgauische Gebiet. Er kehrte nicht wieder nach Constanz zurück, bis die Sache geschlichtet war, die übrigens nicht viel auf sich hatte, weil die Polizei vom Unternehmer vorher benachrichtigt worden war. Mit den zwei übrigen Kanonen machte er Schießübungen von Arenenberg nach einer Scheibe, die in der gegenüberliegenden Reichenau aufgestellt war. Er verfehlte in mehreren Schüssen sein Ziel nie.
Inwieweit Hortense in die Pläne des Prinzen auf Vertreibung Louis Philipp’s eingeweiht war, ist unbekannt. Wahrscheinlich wußte sie mehr davon, als man glaubt; denn als er sie unter dem Vorwand verließ, einer Jagd in der Nähe von Hechingen beizuwohnen, schlang sie ihre Arme um seinen Hals, drückte ihn an’s Herz und steckte ihm fast unbemerkt den Verlobungsring Napoleon’s und Josephinen’s an den Finger, welchen Sie als eine Art von Talisman in der Stunde der Gefahr betrachtete. Der unglückliche Ausgang des 30. Octobers 1836 in Straßburg ist bekannt. Es erschien darüber eine eigens Broschüre in französischer und deutscher Sprache. Das Schiff, welches den König von Frankreich dem Prinzen zur Verfügung gestellt hatte, brachte ihn nach Rio Janeiro in Brasilien. Von hier aus schrieb er an seine Mutter: „Vor zwei Monaten wünschte ich nie mehr nach der Schweiz’ zurückzukehren. Wenn ich mich jetzt meinen Gefühlen überlassen wollte, so hätte ich kein anderes Verlangen, als mich wieder in meinem kleinen Zimmer zu finden und in dem schönen Land, wo ich so glücklich hätte sein können.“
Doch blieb er nicht lange in Brasilien, da ein Brief seiner innigstgeliebten Mutter vom 3. April 1837 ihn zur baldigsten Rückkehr nach dem Arenenberg aufforderte. Sie litt an einer schon lang verheimlichten fruchtbaren Krankheit (Gebärmutterkrebs), auf deren Heilung sie nicht mehr zu hoffen wagte, und sprach es als den höchsten ihrer Wünsche aus, ihren Sohn noch einmal zu sehen. Der Prinz trotzte der Regierung Louis Philipp’s, fuhr wieder über den Ocean und langte am 4. August 1837 bei seiner Mutter an. Diese ging mit ruhiger Heiterkeit und entschlossenem Muthe dem Tode entgegen, da sie die feste Ueberzeugung in sich trug, daß ihr Sohn für eine hohe Stellung bestimmt sei. Je näher der Tod an sie heranrückte, desto liebevoller ward sie; ein jedes Blümchen war im Stande, sie zu erfreuen. Unendlich glücklich war sie, wenn der Sohn mit einem Gefährten sie im Freien herumtrug. Mit Herzlichkeit nahm sie von allen ihren Dienern Abschied, welche sie ihrem Sohne bestens empfahl. Als dieser nach der letzten Unterredung ohne Zeugen von ihrem Sterbebette wegging, rief sie ihm immer und immer wieder zu: „Lebe wohl, Louis, lebe wohl für immer.“ Sie hielt die Hand eines alten Priesters von Ermatingen, bis sie verschied. Dies geschah am 5. October 1837 Morgens um fünf Uhr.
Sechs Tage darauf, am 11. October Morgens neun Uhr, fand das Leichenbegängniß der Königin in feierlichster Weise statt. Nachdem der Sarg, von zahlreichen Leidtragenden begleitet, nach der Kirche zu Ermatingen gebracht mit hier vom Prälaten des nahen Kreuzlingen ein Trauerhochamt abgehalten worden war, trug man ihn in derselben feierlichen Weise nach dem Arenenberge zurück, wo die Leiche ruhte, bis die Erlaubniß eintraf, sie nach Ruelle bei Paris zu verbringen, wo auch die Mutter der Königin, die Kaiserin Josephine, den ewigen Schlaf schläft.
Die Verschiedene hatte schon am 3. April 1837 ihr Testament gemacht und die Frau Salvage zur Vollstreckerin desselben ernannt. Ich unterlasse des beschränkten Raumes wegen, welcher mir vergönnt ist, die Angabe der einzelnen Vermächtnisse, so interessant sie auch in mancher Beziehung sein möchten, und theile nur einige Hauptstellen des Testamentes mit: „Der Regierung des Cantons Thurgau hinterlasse ich eine goldene Pendeluhr, die, meinem Wunsche nach, in den Saal des Landraths gestellt werden soll. Dieses Andenken möge sie an den edeln Muth erinnern, womit man mir eine ruhige Gastfreundschaft in diesem Canton bewahrt hat. Ich hoffe, daß mein Lohn den Herrn Vincent Rousseau immer bei sich behalten wird. Seine Ergebenbeit und seine Uneigennützigkeit können nicht bezahlt werden; ich will, daß er wisse, wie hoch ich ihn schätze und wie sehr ich wünsche, daß er meinem Sohne diene, wie er mir gedient hat. Mein Gemahl möge meinem Andenken eine Erinnerung schenken und er wisse, daß mein größtes Leid dasjenige war, daß ich ihn nicht glücklich machen konnte. Ich habe meinem Sohn keine politischen Rathschläge zu ertheilen; ich weiß, daß er seine Lage kennt und daß er weiß, was für Pflichten sein Name ihm auferlegt. Allen Fürsten, mit denen ich in Freundschaftsbeziehungen gestanden, verzeihe ich die Leichtfertigkeit ihres Urtheils über mich. Allen Ministern und [201] Geschäftsträgern der Mächte verzeihe ich die Falschheit der Berichte, die sie beständig über mich erstattet. Einigen Franzosen, denen ich Gelegenheit gehabt hatte nützlich zu sein, verzeihe ich die Verleumdung, womit sie mich überhäuft haben, um mir ihren Dank zu bezahlen; ich verzeihe denen, die dieser Verleumdung ohne Untersuchung Glauben beigemessen haben, und ich hoffe ein wenig im Andenken meiner theuern Landsleute zu leben. Ich danke allen denen, die mich umgeben, gleichwie meinen Dienern für ihre guten Dienste, und ich hoffe, daß sie mein Andenken nicht vergessen werden.“
Der Prinz hatte seine Mutter zärtlich geliebt; sein Schmerz aber blieb still und in sich gekehrt. Ueberall war ihr Bewunderung, Achtung und Liebe gefolgt; sie bildete in der Schweiz den Mittelpunkt einer großen Wohlthätigkeits-Gesellschaft und gewann möglicherweise durch ihre Verbindung mit den Napoleoniden weniger, als sie dadurch verlor. Louis Napoleon betheiligte sich jetzt mehr als früher am öffentlichen Leben der Schweiz, lehnte aber Stellen im großen Rath etc. ab. Auf sein Thurgauisches Bürgerrecht schien er einen Werth zu legen, was die Behörden der Schweiz veranlaßte, sich seiner thätig anzunehmen. Der sonst so schlaue und berechnende König der Franzosen hatte die Unklugheit begangen, die Ausweisung des Prinzen aus der Schweiz zu fordern. Dadurch legte er diesem eine ungeheure Wichtigkeit bei in den Augen der Napoleonisten und Frankreichs, lenkte die Aufmerksamkeit auf ihn und machte ihn zu einem politischen Märtyrer. Wie ein Mann stand die Schweiz in Waffen auf zur Vertheidigung ihres Bürgers, und es hatte ganz den Anschein, als ob die Angelegenheit auf blutigem Wege entschieden werden sollte, als plötzlich der Prinz der ganzen Sache eine andere Wendung gab. Am Nachmittage des 21. Septembers 1837 zeigte er dem Präsidenten des kleinen Raths zu Frauenfeld, Landammann Anderwert, persönlich seinen Entschluß an, die Schweiz nicht in die Nothwendigkeit zu versetzen, seinetwegen Krieg zu führen, indem er ihr für ihren Schutz seinen Dank aussprach.
Am 14. October Nachmittags um halb drei Uhr traf der Prinz, von achtzehn Equipagen bis an die Barriere begleitet, in Constanz ein, wo er im Gasthof zum Adler einstieg. Von da aus fuhr er um fünf Uhr Abends mit Postpferden wieder ab. Sein Freund Gerelle saß allein bei ihm in seinem Reisewagen; in einem andern folgte sein Arzt Conneau und sein Kammerdiener Carl Thelin. Eine dumpfe Stille herrschte beim Einsteigen unter den ihn umstehenden Zuschauern aus Mitgefühl über sein Schicksal, und der Schmerz, einen so werthen Nachbar zu verlieren, sprach sich unverkennbar aus. Die Reise ging über Stuttgart, Mainz, Coblenz, Cöln, Wesel und Rotterdam nach England.
Der nun verwaiste Arenenberg blieb bis zum Mai 1843 im Besitz des Prinzen, wurde aber in diesem Jahr mit dem Inventar sammt Gütern und Wäldern an einen Herrn Keller aus Sachsen verkauft. Im Jahr 1855 erwarb ihn der Kaiser wieder, mit Ausnahme des Waldes, den Herr Keller behielt. Das Oekonomiegebäude, welches dem Zerfallen nahe war, wurde in der nämlichen Weise wieder fester und dauernder ausgebaut und die innere Einrichtung des Schlosses durch neue Tapeten von ganz gleicher Zeichnung und Farbe wie die ursprünglichen ersetzt. – Wenn wir jetzt den Arenenberg besuchen, so finden wir trotz des vielen Schönen dennoch die interessantesten und kostbarsten Stücke nicht mehr. So fehlt z. B. der prachtvolle Gobelin mit dem Bilde Kaiser Napoleon’s I. zu Pferde, dem einige Grenadiere eine Fahne überreichen, einem der gelungensten Portraits desselben. Er befindet sich jetzt im Invalidenhaus zu Paris. Ebenso mangeln das herrliche Bild Napoleon’s auf der Brücke von Lodi von Gros, die Marmor-Bildsäule der Kaiserin Josephine von Canova, die Büsten der Königin Hortense und ihres in Italien verstorbenen Sohnes Napoleon, des Prinzen Eugen, ein Mercur, eine Mediceische Venus etc. aus cararischem Marmor, was Alles nach Paris kam.
Nichts desto weniger ist der Besuch dieser historischen Stätte sehr lohnend. Im Vorraume grüßen uns sechs Portraits von ägyptischen Scheiks, welche dem Kaiser Napoleon I. Besuche abstatteten. Im Empfangszimmer sehen wir das große Portrait der Königin Hortense vom Maler Cottreau, der manche Jahre auf dem Arenenberge verweilte, in sehr sonderbarer Beleuchtung – Mond- und Lampenlicht. Ihm gegenüber hängt vom gleichen Maler der Prinz, seinen andalusischen Hengst im Schnee an der Hand zum Arenenberg führend – es ist das Bild, welches die eine der beigegebenen Illustrationen wiedergiebt – und außerdem an den Wänden die Portraits von Joseph Bonaparte, Eugen Beauharnais und drei Kindern desselben, sammt einem Bilde der zwei jüngsten Kinder der Hortense. Im Bibliothekzimmer befinden sich Portraits der Kaiserin Josephine in ganzer Figur, des Generals Beauharnais, des Grafen Tascher de la Pagerie und Murat’s etc.
Eine Wendelstiege führt zu dem im ersten Stock gelegenen Sterbezimmer der Königin, welches früher beschrieben wurde. Der Eintritt in dasselbe kann nur gegen einen Erlaubnißschein seiten des Administrators Ammann in Tägerweilen erlangt werden. Die Wände sind mit Damasttapeten bekleidet, weiße Verzierung auf gelbem Grunde. Die Möbel, zwei Commoden mit goldenen Verzierungen und einem großen Blumenstrauß auf Porcellan gemalt, erregen ein wehmüthiges Gefühl im Beschauer, denn sie gehörten einst der Gemahlin Ludwig’s XVI., der unglücklichen Königin Antoinette, die auch im Tode sein Schicksal theilte. Eine betende Frau von Fräulein Marie Ellenrieder in Constanz und ein Bild, welches den jetzigen Kaiser Napoleon und seinen ältern Bruder als Cherubim darstellt, vollendet die Ausschmückung des kleinen Zimmers. Das in einer Nische stehende Bett ist das nämliche, in welchem die Königin starb. In dem anstoßenden Cabinetchen beschauen wir das Portrait der Kaiserin Josephine, die in eine schöne Gegend hinaussieht und das von Hortense selbst gemalte Bildniß der liebenswürdigen Madame de Broc. Dieselbe verunglückte am 10. Juni 1813 vor den Augen der Königin, als sie den Wasserfall von Gresy in Savoyen besuchte, in welchen sie hinunterstürzte und ertrank.
Der Kaiser ließ seiner Mutter in der Capelle auf Arenenberg von Bartolini in Florenz im Jahr 1845 ein Grabmal aus Alabaster setzen. Hortense ist knieend dargestellt, mit zum Gebet gefalteten Händen. Die ganze Capelle stimmt, klein wie sie ist, zur Andacht und Erhebung, im Einklang übrigens mit einer gewissen süßen Melancholie, die den ganzen Ort umweht.
- ↑ S. Gartenlaube 1865, Nr. 7
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: entschossene