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Der sibirische Steinbock und die Bezoarziege

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Textdaten
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Titel: Der sibirische Steinbock und die Bezoarziege
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 116–117
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der sibirische Steinbock und die Bezoarziege.

Der Geschichtsforscher, welcher gläubig die bunte Mannichfaltigkeit des Menschengeschlechts von einem Paare ableitet, müht sich, für dieses eine Wiege zu finden. Der Zoologe sucht eben so vergeblich nicht nur nach der Wiege, sondern nach den Ureltern beinahe aller unserer Haus- und Zuchtthiere. Pferd, Esel, Stier, Schaf, Hund, Katze, ja das befiederte Völkchen unserer Hühnerhöfe – alle hüllen ihre Abkunft in ein urzeitliches Dunkel und Niemand weiß mit Sicherheit, von manchen selbst kaum mit einiger Wahrscheinlichkeit, wo ihr ursprüngliches Vaterland sei. Es beweist dieses wenigstens, daß die Allianz dieser Thiere mit dem Menschen älter ist, als die Geschichtswissenschaft, ja selbst als die Mythe, denn schon in dem mythischen Theile der Geschichte wird dieser Thiere, wenn ihrer Erwähnung geschieht, einfach als Genossen der Menschen gedacht. In den dunkelsten Partien der egyptischen Geschichte erscheint die Katze schon als hochgeschätztes Hausthier. Fügsam gegen die Macht der Einflüsse, welche Klima und Bodenbeschaffenheit, Zucht und Pflege, Arbeit und Fütterung ausüben, haben jene Thiere bald mehr, bald weniger von ihrem ursprünglichen Charakter der Gestalt und des Naturells aufgegeben und sind Andere geworden, Andere im Vergleich zu dem, was sie waren, so lange sie noch nicht unter dem Alles verändernden Einflusse des Menschen standen.

Wir sind geneigt, uns darüber ganz besonders zu wundern, daß wir nicht einmal Heimath und Abstammung des Pferdes, des Hundes und des Schafes kennen, weil uns jetzt gerade diese Thiere unentbehrliche Begleiter geworden sind. Aber gerade eben deswegen, weil sie dies sind, hat der Mensch schon lange vergessen, wie und woher sie ihm einst zugeführt wurden. Am meisten müßten wir uns eigentlich über die völlig dunkle Urgeschichte der Katze wundern, die trotz ihrer weiten Verbreitung über den ganzen Erdkreis doch überall in allen wesentlichen Kennzeichen wie in ihrem Naturell unverändert geblieben ist, so daß wir davon eben den Schluß ableiten dürfen, daß sie sich auch wenig von ihrem Urtypus entfernt haben möge, es also leicht sein müßte, diesen als solchen zu erkennen, wenn man ihn irgend vorfinden sollte – aber man hat ihn eben noch nicht gefunden, Denn die wilde Katze in unseren Waldungen ist in wesentlichen Merkmalen viel zu sehr verschieden von unserer Hauskatze, als daß sie die Stammmutter der letzteren sein könnte. Bei Hund, Schaf und Ziege ist das anders. Die zahlreichen, wenigstens bei den ersten Beiden, unter sich so sehr abweichenden Racen berechtigen zu der Vermuthung, daß sie auch ihren Urtypen sehr unähnlich geworden sein mögen und daß man daher ihre Abstammung von dem oder jenem wild angetroffenen Thieren vermuthen dürfe, wenn anders trotz der Racenabweichung eine Annäherung in wesentlichen Kennzeichen nachzuweisen ist. Das dritte der genannten Thiere, die Ziege, ist von unseren gewöhnlichen Haussäugethieren das einzige, dessen Urbild und Urheimath nur geringen Zweifel zulassen.

Wir erblicken das erstere auf der linken Seite unseres Bildes in einem Pärchen der Bezoarziege, Capra aegagrus Gmelin, welche von unserer Hausziege sich eigentlich nur dadurch unterscheidet, daß sie in ihrer Heimath sich nicht in Racen verläuft, wie es die Hausziege thut, sondern in Gestalt, Färbung und Naturell sich treu bleibt. In denjenigen Ländern, wo große Ziegenheerden in freier Haltung gezogen werden, auf rauhen Bergen herumkletternd sich ihr Futter suchen müssen, wie es z. B. im südlichen Spanien der Fall ist, da gewinnt aber auch sie schnell durch alle Generationen hindurch einen festen und unveränderlichen Typus in allen einzelnen Thieren, und nähert sich manchmal bedeutend ihrer Stammmutter, der Bezoarziege, welche wenigstens von der Wissenschaft als diese angesehen wird, wenn auch hierüber noch keine Gewißheit besteht. Die Bezoarziege lebt auf den rauhen Bergen des Kaukasus und Taurus, in Persien und im Lande der Kirgisen und Tataren. Sie gleicht in ihrer kräftigen Gestalt und ihrem Naturell sehr dem Alpensteinbock, gibt sich aber durch die an der Vorderseite nicht breit abgeflachten und knotigen, sondern scharf gekanteten knotenlosen Hörner als echte Ziege zu erkennen. Die beim Bocke über zwei Fuß langen Hörner krümmen sich in weitem Bogen, ohne nach oben weit auseinander zu treten, und nähern sich mit den Spitzen wieder etwas. Bekanntlich sind es die in ihrem Magen sich bildenden harten Ballen unverdauter Nahrungsreste, was der Bezoarziege den Namen gegeben hat. Die Zeit ist aber vorbei, wo man den Bezoar für ein kräftiges, ja fast für ein wunderbares Heilmittel hielt. Ist die Genealogie der Ziege richtig, so ist die Bezoarziege auch die Urquelle jener kostbaren Shawls, nach denen als letztem Zielpunkte das Sehnen der weiblichen Salonwelt gerichtet ist; denn die Kaschmir- und Angora-Ziege, Verwandte unserer Ziegen, sind dann auch Descendentinnen der Bezoarziege, wie sie den Stoff zu jenen kostbaren Tüchern liefern.

Neben dem so eben noch als so wichtig für den ehelichen Frieden vornehmer Neuvermählter erkannten Pärchen dehnt der sibirische Steinbock, Capra sibirica Pallas, seinen plumpen langgestreckten Leib aus, um von dem Felsen eine Spur des namentlich den Wiederkäuern so unentbehrlichen Salzes zu lecken. Wir sehen um so besser die fast mähnenartige Behaarung des Nackens und das auffallende Verhältniß der Beine, welche für den langen Leib fast zu kurz erscheinen, aber dafür mit besondere kräftigen Schenkeln begabt sind. Die mächtigen Hörner erreichen bei alten Thieren eine Länge von fast drei Fuß und haben dann 16 Knoten, die aber an den Seiten keine Wülste bilden. Vorn sind die Hörner platt, wie es allen echten Steinböcken zukommt. Man unterscheidet deren außer dem gemeinen Alpensteinbock und dem sibirischen noch sechs weitere Arten, von denen zwei in Spanien leben, der eine auf der spanischen Seite der Pyrenäen, da er auf der französischen Seite bereits ausgerottet ist, der andere auf der

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Steinböcke.[1]

Sierra Nevada. Der sibirische Steinbock ist ungemein kräftig, fast plump gebaut, und nach seinen starken aber kurzen Beinen zu urtheilen, wahrscheinlich mehr ein geschickter Kletterer und Läufer auf seinen Heimathsbergen, als ein kühner Springer, wozu der hochbeinigere Alpensteinbock und die Gemse besser geeignet sind. Er ist wild und unbändig und gleicht in seiner Lebensweise im Allgemeinen dem Alpensteinbock. Die Heimath des sibirischen Steinbockes sind die Gebirge Sibiriens, der Tatarei und Kamtschatkas.


  1. Wir freuen uns, den Lesern der Gartenlaube eine wirklich gute und getreue Abbildung der Steinböcke bieten zu können. Die bis jetzt existirenden sind fast sämmtlich nach ausgestopften Exemplaren gezeichnet, und lassen alles Charakteristische dieser kräftigen Geschöpfe vermissen, die übrigen aber nach den lebenden Exemplaren copirten Abbildungen sind in der Ausführung mehr als mangelhaft.
    D. Red.