Zum Inhalt springen

Der tragische Jupiter

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Lukian von Samosata
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der tragische Jupiter
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Neuntes Bändchen, Seite 1105–1146
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: J. B. Metzler
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Ζεὺς Τραγῳδός
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[1105]
Der tragische Jupiter.
Merkur. Minerva. Jupiter. Juno. Neptun. Venus. Der Koloß zu Rhodus. Momus. Apollo. Herkules. Hermagoras. Timokles. Damis.
1. Merkur.

Was ist’s, daß du, o Zeus, in Selbstgespräch vertieft,
Blaß, wie ein Philosophe, auf- und niedergehst?
Entdecke, Herr, vertrauend mir, was dich bedrückt:
Vielleicht daß Knechtes Einfalt dir zu rathen weiß.[1]

Minerva.

Unser Vater Kronion, o du, der Gebietenden Höchster,
Höre das kindliche Fleh’n der blauäugigen Tritogeneia!
Sprich, verhehl’ uns Nichts, damit wir zeitig es wissen,
Welche verdrüßliche Sorge an Herz und Seele dir nage,
Daß du so schwer aufseufzest, und Blässe die Wange dir einnahm?[2]

Jupiter.

Nichts ist so leidig – daß ich kurz es sage – Nichts
So arg, noch gibt es je ein tragisch Ungemach,

Das nicht mit schwerem Druck auf Göttern lastete.[3]

Minerva.

Um Gott! was kündigt uns ein solcher Eingang an?

Jupiter.

Ein heillos, schändliches Gezücht, das Erdenvolk! –
Prometheus, welches Unheil schufst du mir damit!

Minerva.

Was ist’s denn? Sprich! Du bist im Kreis der Deinigen –

Jupiter.

Und mein Blitzen, mein gräßliches Donnergekrache, was hilft’s mir?

Minerva. Besänftige deinen Zorn. Wir müßten ja den ganzen Euripides verschlungen haben, um in diesem Tone mit dir fortzutragödisiren.

2. Juno. Meinst du, wir wüßten die Ursache des Kummers nicht, der dich drückt?

Jupiter.

O nein, du weißt sie nicht, sonst heultest laut du auf.

Juno. Ich weiß nur so viel, daß es eine Liebesangelegenheit ist, was dir zu schaffen macht. Ich heule freilich nicht, weil ich zu sehr gewohnt bin, Kränkungen dieser Art von dir zu erfahren. Ohne Allen Zweifel hast du auch dießmal wieder irgend eine Danaë, Semele oder Europa ausfindig gemacht, und nun quält dich die Liebesnoth; du sinnest hin und her, ob du zum Stier, zum Satyr, oder gar zum Goldregen werden sollest, um durch das Dach in den Schoos der Geliebten zu rieseln. Diese Seufzer, diese Thränen, diese Blässe sind nichts Anderes, als Zeichen der Liebe.

[1107] Jupiter. O Gute, bilde dir doch nicht ein, daß verliebte Kindereien mir je so viele Sorgen machen.

Juno. Was Anderes kann denn dich, den Jupiter, anfechten, wenn es Dieß nicht ist?

3. Jupiter. O Juno, es ist mit uns Göttern auf’s Aeußerste gekommen, und es steht jetzt nichts Geringeres auf der Spitze, als die Frage, ob wir auf Erden noch länger als Götter angesehen und verehrt, oder in Zukunft ganz und gar vernachläßigt werden, und für Nichts gelten sollen.

Juno. Die Erde hat doch nicht neue Giganten geboren? Oder haben die Titanen ihre Ketten zerbrochen, die Wache überwältigt, und auf’s Neue die Waffen gegen uns ergriffen?

Jupiter.

Sey ruhig, von dort unten droht uns nicht Gefahr.[4]

Juno. Was gäbe es denn aber sonst, was dich beunruhigen könnte? Ich begreife wahrhaftig nicht, wie du sonst vermocht werden solltest, als ein Polus oder Aristodémus[5] vor uns aufzutreten.

Jupiter. Der Stoiker Timokles, meine liebe, und der Epikuräer Damis geriethen gestern, ich weiß nicht wie, in einen philosophischen Streit über die Vorsehung, und zwar, was mich am meisten verdroß, in Gegenwart sehr vieler und angesehener Zuhörer. Damis läugnete das Daseyn von Göttern, als die ganze Welt beaufsichtigenden und ordnenden Wesen, ganz und gar; der brave Timokles hingegen [1108] gab sich alle Mühe, unsere Sache zu verfechten. Der Zulauf ward ungeheuer, und die beiden Streitenden vertieften sich so sehr in ihre Materie, daß sie sich endlich, ohne zum Ziel gekommen zu seyn, mit dem gegenseitigen Versprechen trennten, die Sache mit Nächstem wieder aufzunehmen. Jetzt ist Alles auf’s Aeußerste gespannt, Wer in dieser neuen Unterredung Recht behalten, und die Wahrheit auf seiner Seite haben werde. Ihr seht also, in welch gefährlicher Klemme wir uns dermalen befinden, da es auf einen einzigen Mann ankommen soll, ob wir in Zukunft für leere Namen gelten und in gänzliche Verachtung sinken, oder aber, wenn des Timokles Gründe überwiegen, fortan im Besitze unserer Ehren und Würden bleiben werden.

5. Juno. Das ist schlimm, in der That: nun hattest du freilich allen Grund, dich so tragisch zu geberden.

Jupiter. Und du konntest glauben, ich denke in dieser großen Bedrängniß noch an eine Danaë oder Antiope? – Nun, Juno, Merkur, Minerva, sagt an, was ist zu thun? Helft mir auf ein Mittel denken, uns aus der Verlegenheit zu ziehen.

Merkur. Ich bin der Meinung, wir müßen sämmtliche Götter zu einer Versammlung berufen, und ihnen die Sache zur Berathung vorlegen.

Juno. Auch ich stimme hierin mit Merkur.

Minerva. Meine Ansicht ist ganz die entgegengesetzte, Vater Jupiter. Statt den ganzen Olymp in Bewegung zu setzen, und allen Augen deine Verlegenheit und Angst zu zeigen, wollen wir ganz in der Stille mit einander zu Rathe gehen, wie wir dem Timokles den Sieg verschaffen, und [1109] machen wollen, daß Damis mit Schimpf und Spott den Kampfplatz verlassen muß.

Merkur. Allein die Sache läßt sich denn doch nicht verbergen, da der Streit der Philosophen öffentlich geführt wird. Man würde es also für ein herrisches Verfahren halten, Jupiter, wenn du eine so wichtige und alle Götter angehende Angelegenheit nicht Allen mittheilen wolltest.

6. Jupiter. Ich muß dir Recht geben. So rufe aus, die Götter sollen sich insgesammt hier einfinden.

Merkur. Hört, ihr Götter! Kommt Alle herbei in die Versammlung! Ungesäumt! Kommt Alle: es ist über etwas höchst Wichtiges Rath zu halten!

Jupiter. Merkur, dein Ausruf klingt viel zu platt und prosaisch für eine Sache von so großer Bedeutung.

Merkur. Wie soll ich’s denn anders machen?

Jupiter. Wie du es machen sollst? Du sollst den Ausruf in ein Sylbenmaß fassen, und ihm durch prächtig tönende poetische Ausdrücke mehr Feierlichkeit geben, damit sie desto eher herbeikommen.

Merkur. Gut: allein dergleichen ist die Sache der Heldendichter und ihrer Rhapsoden; ich selbst bin durchaus nicht poetischer Natur. Wollte ich Verse zusammenstoppeln, so würden sie bald zu lang, bald zu kurz gerathen, und ich würde hübsch ausgelacht werden mit meiner verhunzten Vorladung. Sehe ich ja doch, daß man sich selbst über Apollo wegen einiger seiner Orakelsprüche lustig macht, ungeachtet ihre Dunkelheit den Leuten so viel zu schaffen macht, daß sie nicht Zeit haben sollten, die metrische Beschaffenheit der Verse zu untersuchen.

[1110] Jupiter. Nun, so setze wenigstens die Verse zusammen, mit welchen Homer uns in die Versammlung zu rufen pflegte. Du weißt sie doch wohl auswendig?

Merkur.

Nicht so ganz zuverläßig: indessen will ich’s versuchen.
Kein Unsterblicher, ob er Gott sey, oder ob Göttin,
Bleibe zurück, kein Gott des Oceanus, noch der Gewässer,
Und nicht Eine der Nymphen! Kommt Alle zu Zeus Versammlung,
Alle, die ihr verschmauset die herrlichen Opfer der Stiere,
Alle vom mittlern Rang und vom untersten, ja sogar Alle,
Die auch namenlos einschlürfen den Dampf der Altäre![6]

7. Jupiter. Brav, Merkur! Du hast deine Sache recht gut gemacht. Schon kommen sie von allen Seiten herbei. Empfange sie und weise ihnen ihre Plätze an, je nach dem Range, der ihnen von Seiten des Stoffes oder der Kunst gebührt. Zuerst kommen zu sitzen die Goldenen, hierauf die Silbernen, dann die Elfenbeinernen, nach diesen die Ehernen und Steinernen, und von diesen wieder zuerst die von Phidias, Alkamenes, Myron, Euphranor und andern dergleichen Meister. Der ganze übrige gemeine und kunstlose Troß aber soll sich dort hinten in der Ecke zusammenstellen und sich fein still verhalten; denn sie sind ja nur da, damit die Versammlung voll werde.

[1111] Merkur. Gut, sie sollen sich nach der Ordnung setzen. Aber, Jupiter, Eines ist doch noch nicht ausgemacht: wenn ein Gott zwar von Gold, und dem Gewicht nach viele Talente werth, aber ohne alles Ebenmaß gearbeitet und verpfuscht ist, soll ich ihn dennoch vor die ehernen Götter eines Myron und Polyklet, und vor die Steinernen des Phidias und Alkamenes setzen, oder soll in diesem Falle die Kunst den Vorrang haben?

Jupiter. So sollte es freilich seyn: aber dem Gold gebührt nun einmal doch der Vorzug.

8. Merkur. Ich verstehe, du willst, ich solle sie nach dem Geldwerth, nicht nach Adel und sonstigen Vorzügen ordnen. So kommt denn, ihr Goldenen, und nehmt die ersten Plätze ein! – Aber es hat den Anschein, Jupiter, als ob lauter barbarische Götter den Vorsitz führen werden. Du siehst ja selbst, die Griechen sind zwar recht reizend gebildet, schön von Gesicht und nach allen Regeln der Kunst ausgearbeitet; allein sie sind alle nur von Stein und Erz, und die kostbarsten von Elfenbein, mit einem Bischen Gold hie und da oben darauf, nur um die Farbe und den Glanz davon zu haben: das Innere ist von Holz und beherbergt Schwärme von Mäusen, die hier sich ungestört eingebürgert haben. Aber diese Bendis und Anubis dort, und neben ihm Attis, Mithras und Lunus, die sind alle von massivem Gold, und unstreitig hoch an Werth.

9. Neptun. He, Merkur, wo ist das der Brauch, daß man den hundeköpfigen Aegyptier da[7] mir, dem Neptun, vor die Nase setzt?

[1112] Merkur. Nicht mehr denn billig, o Erderschütterer! Lysipp hat dich ja nur aus armseligem Erz gemacht, weil die Korinthier damals kein Gold dazu auftreiben konnten. Der einzige Anubis aber ist reicher als ein ganzes Kupferbergwerk. Du mußt dir also schon gefallen lassen, ihm Platz zu machen, und darfst es gar nicht übel nehmen, wenn dir eine so große goldene Schnauze vorgezogen wird.

10. Venus. Aber mir wirst du meinen Platz auf einem der ersten Stühle anweisen müßen, Merkur: ich bin ja die Goldene.

Merkur. Das sehe ich nun einmal nicht: sondern wenn anders meine Augen gesund sind, so bist du aus den Marmorbrüchen von Pentele gehauen, und hierauf, weil es dem Praxiteles so gefiel, zur Venus geformt und den Knidiern überlassen worden.

Venus. Homer, dächte ich, wäre doch ein vollgültiger Zeuge, der mich in seinen Gesängen überall die goldene Aphrodite nennt.

Merkur. Aber Der heißt ja auch den Apollo den goldreichen und vielbegüterten; und doch siehst du, wie Dieser jetzt in der dritten Klasse[8] sitzt, seitdem die Tempeldiebe ihm den Kranz vom Haupte genommen und die goldenen Wirbel aus seiner Leyer gestohlen haben. Sey also zufrieden, wenn du nur nicht gar mit den Tagelöhnern zu stimmen hast.

11. Der Koloß von Rhodus. Wer aber wird es wagen, mir den Rang streitig zu machen, der ich der Sonnengott [1113] und von so ungeheurer Größe bin? Hätte es den Rhodiern nun einmal nicht gefallen, mich so ganz enorm groß machen zu lassen, mit demselben Aufwand hätten wohl sechzehen goldene Götter verfertigt werden können. Nach diesem Verhältniß bin ich unstreitig der Kostbarere, um so mehr, da meine ungeheure Masse mit so ungemeiner Kunst und Sorgfalt ausgearbeitet ist.

Merkur. Was ist da zu machen, Jupiter? Der Fall ist, denkt mich, schwer zu entscheiden. Sehe ich auf sein Material, so ist er zwar nur von Kupfer. Bedenke ich aber, wie viele Talente er gekostet hat, so gehört er sogar über die oberste Klasse.

Jupiter. Warum mußte aber auch Der kommen? Man hat Nichts davon, als daß die Kleinheit der Uebrigen um so ärger absticht, und daß er uns Ungelegenheit macht. – Aber hörst du, vortrefflichster Rhodier, wenn dir auch unstreitig der Rang vor den Goldenen gebührt, wie wolltest du’s denn angehen, um zu sitzen, ohne daß alle Uebrigen stehen müßten, da ja schon dein halber Hintere alle Bänke auf einmal ausfüllen würde? Das Beste wird also seyn, du wohnst unserer Versammlung stehend an, und bückst dich etwas gegen uns herab.

12. Merkur. Schon wieder eine Schwierigkeit, Jupiter! Hier sind zwei Eherne, beide von demselben Meister, von Lysippus, und, was die Hauptsache ist, von gleich hoher Abkunft, – deine Söhne nämlich, Bacchus und Herkules. Welcher soll nun den Vorsitz haben? Sie zanken sich gewaltig darüber, wie du siehst.

[1114] Jupiter. Wir verlieren unsere beste Zeit, Merkur; die Berathung sollte längst begonnen haben. Sie sollen sich einstweilen unter einander setzen, wie sich’s eben trifft, und wo Jeder Lust hat. Die Rangsache wird ein andermal zur Sprache kommen: wir werden alsdann schon sehen, was für eine Ordnung unter ihnen einzuführen ist.

13. Merkur. Alle Wetter, nun ist das Alltagsgeschrei wieder los! Wie sie poltern, wie sie lärmen: „Ausgetheilt, ausgetheilt! Nectar herbei! Wir haben keine Ambrosia mehr! Wo sind die Hekatomben, wo bleiben die gemeinschaftlichen Opfer?“

Jupiter. Gebiete ihnen doch Stillschweigen, Merkur! Sage ihnen, das Geplapper müße aufhören, damit ich ihnen vortragen kann, warum sie zusammenberufen worden sind.

Merkur. Aber sie verstehen ja nicht alle Griechisch, und ich bin kein so großer Sprachkundiger, um mich auch den Scythen, Persern, Thraciern und Celten verständlich zu machen. Besser also, ich gebe ihnen ein Zeichen mit der Hand, daß sie schweigen sollen. Jupiter. Mach’ es so. –

14. Merkur. Ah nun sind sie stiller als Sophisten.[9] Es ist nun Zeit, deinen Vortrag zu halten. Siehst du, wie ihre Blicke auf dich gerichtet sind voller Erwartung, was du ihnen sagen werdest?

Jupiter. Höre, Merkur, du bist mein Sohn: ich darf dir also wohl sagen, was mich so eben anwandelt. Du weißt, [1115] wie zuversichtlich und mit wie kräftigen Redensarten ich mich sonst in den Götterversammlungen vernehmen ließ.

Merkur. Ich weiß es nur zu gut, du hast mir mehr als einmal Schrecken eingejagt; besonders damals, als du uns mit der goldenen Kette drohtest, und an derselben die Erde aus ihren Fundamenten reißen, und sammt dem Ocean und uns Göttern allen emporziehen wolltest.

Jupiter. Ach, mein Sohn, jetzt weiß ich gar nicht, ist es die Größe der uns drohenden Gefahr oder die Menge der Anwesenden – denn die Versammlung ist, wie du siehst, ganz außerordentlich götterreich – meine Sinne sind in Verwirrung, ich zittere, die Zunge ist mir wie angebunden, und, was das Schlimmste ist, den Eingang meiner Rede, den ich sorgfältig ausstudirt hatte, um sogleich recht prächtig zu beginnen, habe ich ganz und gar vergessen. –

Merkur. Und hast damit Alles verdorben: denn dein Stillschweigen muß ihnen verdächtig vorkommen, und sie erwarten gewiß irgend ein überschwänglich großes Unglück, weil du nicht damit heraus willst.

Jupiter. Sage mir doch, kann ich ihnen nicht den alten Homerischen Eingang abrecitiren?

Merkur. Welchen denn?

Jupiter.

Höret mein Wort, ihr Götter umher und ihr Göttinnen alle![10]

Merkur. Um des Himmels willen nicht! Wir haben schon vorher an deinem unzeitigen poetischen Pathos mehr als genug bekommen. Ueberhaupt laß das widerwärtige Versemachen [1116] jetzt ganz unter Wege. Flicke lieber aus den Philippischen Reden des Demosthenes mit einigen kleinen Veränderungen Etwas zusammen. So machen es ja gar viele Redner heut zu Tage.

Jupiter. Vortrefflich! Dieß ist der kürzeste Weg, zu einer Rede zu kommen, und Allen, die darum verlegen sind, ist dadurch am leichtesten geholfen.

Merkur. So fange doch einmal an!

15. Jupiter. Ich zweifle nicht, ihr Männer – Götter wollt’ ich sagen – daß Euch lieber wäre als viel Geld, wenn offenbar würde, Was denn eigentlich die Sache ist, wegen welcher Ihr dermalen zusammenberufen seyd. Bei so bewandten Umständen ist erforderlich, daß Ihr wohlgeneigt anhöret, was ich Euch sagen werde. Der gegenwärtige Zeitpunkt, ihr Götter, ruft uns, ich möchte sagen, mit lauter Stimme zu, daß wir uns der Umstände recht nachdrücklich annehmen sollen: und doch scheint es, als ob wir in dieser Hinsicht sehr gleichgültig wären.[11] Ich will Euch daher jetzt – [leise zu Merkur:] mein Demosthenes läßt mich auf einmal im Stiche – umständlich eröffnen, was mich beunruhigt, und bewogen hat, Euch allhier zu versammeln. Gestern, wie Ihr wißt, schmausten wir im Piräeus, so viel Unser nämlich von dem Schiffsherrn Mnesitheus zu dem Opfer eingeladen waren, welches Derselbe für die Rettung seines Schiffes, das bei Kaphareus beinahe zu Grunde gegangen wäre, darbrachte. Nach beendigten Libationen ginget Ihr Eures [1117] Weges, ein Jeder, wohin es ihm beliebte. Mir fiel ein, weil es noch nicht sehr spät war, in die Stadt hinaufzugehen, um einen Abendspaziergang im Ceramikus zu machen. Immer ging mir dabei die Filzigkeit des Mnesitheus im Kopfe herum, der die sechzehn Götter, die er geladen hatte, mit einem einzigen alten und rotzigen Haushahn abspeiste, und vier verschimmelte Körnchen Weihrauch dazu gab, die gar nicht brennen wollten, und nicht einmal so viel Rauch gaben, daß meine äußerste Nasenspitze etwas davon empfunden hätte. Und doch hatte er uns ganze Hekatomben gelobt, als sein Schiff zwischen die Untiefen gerieth, und an die Klippen stieß.

16. Unter solchen Gedanken war ich bis vor die Bilderhalle gekommen, als ich hier eine große Menge Volks beisammen sah, wovon Einige in der Halle selbst, die Meisten unter freiem Himmel standen; auch hörte ich, wie ein Paar Männer, die auf erhöhten Plätzen sehr laut sprachen und sich gewaltig ereiferten. Ich vermuthete sogleich sehr richtig, daß es Philosophen von der Gattung der Zänker seyn würden, und bekam Lust, näher hinzuzutreten und zu hören, wovon die Rede wäre. Da ich eine Wolke von der dichten Sorte angenommen[WS 1] hatte, so konnte ich mich ungesehen in die Gestalt dieser Leute verwandeln, und mittelst eines langen Bocksbartes mir das Ansehen von einem vollkommenen Philosophen geben. Nun machte ich mir mit den Ellbogen Platz durch die Menge, und trat ein, ohne daß man wußte, Wer ich war. Dort fand ich den verwünschten Schurken, den Epikuräer Damis, der in einem heftigen Streit mit dem Stoiker Timokles, einem sehr braven Mann, begriffen war. Timokles schwitzte über und über, und hatte sich schon fast die Lunge [1118] aus dem Leibe geschrieen. Damis aber, mit einem teuflischen Lächeln, hetzte den guten Timokles nur noch mehr.

17. Der Gegenstand ihres ganzen Streites waren wir. Der verfluchte Damis behauptete nämlich, wir übten keine Vorsehung über die Menschen aus, und kümmerten uns gar nicht um Das, was auf Erden vorginge; ja seine Behauptungen liefen deutlich genug darauf hinaus, daß wir überall gar nicht existirten. Und es waren Leute genug da, die ihm sogar noch Beifall gaben. Timokles, der unsere Sache verfocht, that, was in seinen Kräften stand, gerieth in einen schrecklichen Eifer, und stritt mit allen Waffen für uns, indem er unsere Fürsorge für die Welt rühmte, und ausführlich zeigte, wie wir Alles im schönsten Zusammenhang und in der vollkommensten Ordnung einrichteten und regierten. Auch er hatte Mehrere auf seiner Seite, die ihm beistimmten. Allein der wackere Mann war bereits ganz erschöpft, und konnte kein lautes Wort mehr hervorbringen, so daß die Menge schon anfing, nur dem Damis zuzuhören. Ich, der die Größe der Gefahr erkannte, befahl der Nacht, sich über die Versammlung zu lagern und sie auseinander gehen zu machen. Sie gingen also, nachdem sie eins geworden waren, am folgenden Tage die Untersuchung zu beendigen. Ich schloß mich der Menge an, und hörte, wie sie im Nachhausegehen unter einander Vieles zum Lobe des Damis sprachen, und wie wirklich bei weitem die Mehrzahl geneigt war, seine Ansichten zu theilen. Freilich gab es auch Einige, die nicht so voreilig die andere Partei verurtheilen, sondern abwarten wollten, was Timokles am folgenden Tage vorbringen würde.

[1119] 18. Dieß ist es also, weswegen ich Euch zusammen berufen habe, gewiß eine Sache von nicht geringer Bedeutung, wenn ihr bedenkt, daß all’ unsere Ehre, unser Ansehen und unser Einkommen allein auf den Menschen beruht. Wenn Diese sich den Glauben beibringen lassen, entweder daß es überhaupt keine Götter gebe, oder wenigstens, daß es mit unsrer Fürsorge und Regierung Nichts sey, so wird es auch mit den Opfern, Geschenken und Ehrenbezeugungen auf der Erde ein Ende haben; und wir sitzen am Ende müßig und hungrig auf unsrem Olymp, weil es keine Feste, keine Spiele, keine Opfer, keine Nachtfeiern und Prozessionen mehr gibt. Bei dieser so großen Wichtigkeit der Sache also habt Ihr Alle gemeinschaftlich auf ein Mittel zu denken, wie Timokles den Streit gewinnen und seine Meinung als die wahre erscheinen, Damis hingegen bei allen Zuhörern zum Gelächter werden möchte. Denn ich gestehe, ich traue es diesem Timokles doch nicht zu, daß er für sich allein den Sieg davon tragen werde, wenn ihm nicht von unsrer Seite einiger Beistand geleistet wird. He, Merkur, fordere Sie nun auf nach dem gesetzlichen Brauch, sich zu erheben und ihre Meinungen abzugeben!

Merkur. Horcht! Seyd stille! Seyd ruhig! Wer unter den volljährigen Göttern, denen zu reden zusteht, hat Lust, seine Meinung zu sagen? – Was ist das? Erhebt sich Keiner? Hat euch die Wichtigkeit der vorgetragenen Sache so sehr betäubt, daß sich Keiner zu rühren vermag?

19. Momus.

Möchtet Ihr Alle dafür in Wasser und Erd’ Euch verwandeln![12]

[1120] Ich hingegen wüßte gar Vieles zu sagen, Jupiter, wenn mir erlaubt wurde, offen zu reden.

Jupiter. Rede ohne alle Scheu, Momus. Deine Freimüthigkeit kann ja offenbar nur zu unserem Besten dienen.

Momus. Nun so höret an, ihr Götter alle, was ich Euch so recht von der Brust weg, wie man zu sagen pflegt, vortragen will. Ich habe recht gut vorausgesehen, daß wir einmal in diese Klemme kommen, und daß Sophisten in Menge gegen uns aufstehen würden, welchen wir selbst den Anlaß zu ihrem frechen Beginnen in die Hände lieferten. Wir dürfen, so wahr Themis lebt, weder dem Epikur, noch seinen Schülern, noch irgend den Erben seiner Grundsätze zürnen, wenn ihre Ansichten von uns nicht vortheilhafter sind. Was sollen sie Anderes von uns denken, wenn sie sehen, welche Unordnung in der Welt herrscht; wie die besten Menschen, von uns vernachläßigt, in Hunger, Krankheit und Knechtschaft zu Grunde geben, während verruchte Bösewichte mit Ehren und Reichthümern überhäuft werden, und Denen zu befehlen haben, die weit besser sind als sie; wie ferner die Tempelräuber ohne Strafe ausgehen und in sicherer Verborgenheit leben, dagegen bisweilen die unschuldigsten Sterblichen mit Schlägen gemißhandelt und sogar gekreuzigt werden? Was Wunder, wenn sie am Ende auf den Gedanken kommen, daß es mit uns Nichts sey?

20. Und wenn sie vollends Orakel hören, wie dieses:

Gehest du über den Strom, so fällt ein gewaltiger Thron um,

wobei nicht gesagt ist, ob sein eigener oder der des Feindes; oder folgendes:

[1121]

Vielen vom Weibe Gebornen, o Salamis, wirst du zum Unheil![13]

Die Perser waren aber doch eben sowohl, dünkt mich, vom Weibe geboren, als die Griechen – oder wenn sie von den Rhapsoden vernehmen, daß wir uns verlieben, daß wir Wunden empfingen, Knechtsdienste thaten, gefesselt wurden, Händel unter einander haben und tausendfältigen Widerwärtigkeiten ausgesetzt sind, wir, die wir doch die Seligen und Unwandelbaren seyn wollen; thun sie Unrecht daran, daß sie unser spotten, und unser ganzes Götterthum für Nichts achten? Können wir darüber ungehalten seyn, wenn Menschen, die nicht auf den Kopf gefallen sind, der Sache auf den Grund sehen, und sofort den Glauben an unsere Vorsehung verwerfen? Sollten wir nicht vielmehr froh seyn, daß es gleichwohl noch Leute gibt, die aller unserer Verkehrtheiten ungeachtet uns zu opfern Lust haben?

21. Und nun Jupiter – wir sind ja unter uns, es ist kein Mensch in unserer Versammlung, einige Eingeschwärzte, als Herkules, Bacchus, Ganymed und Aesculap, ausgenommen – nun stehe mir einmal aufrichtig Rede: hast du je einmal um den Gang der Dinge auf Erden dich bekümmert, so daß du sorgfältig erforscht hättest, welches die Schlimmen und welches die Guten unter den Menschen seyen? – Du kannst es nicht bejahen. Wenn nicht je zuweilen ein Theseus auf dem Wege von Trözen nach Athen so nebenher ein Paar Spitzbuben abgethan hätte, Deiner und deiner Vorsehung halber hätten Sciron, Pityokamptes, Cercyon, und wie sie [1122] alle hießen, noch lange ihr Wesen treiben, und ihre Lust am Morden der armen Wanderer haben können. Und hätte sich nicht der brave und weise Eurystheus aus lauterer Menschenliebe auf Kundschaft gelegt, was es in der Welt für Gebrechen gebe, und hätte er nicht diesen seinen Knecht ausgeschickt, einen rüstigen Burschen, der zu allen Arbeiten munter war, wahrlich, Jupiter, dir hätten die stymphalischen Vögel, die Hydra, die Thrazischen Pferde, und alle Tollheiten und Barbareien der Centauren wenig Sorge gemacht.

22. Wir, wenn ich die Wahrheit sagen soll, wir sitzen ganz gemächlich da und geben auf Nichts acht, als ob Niemand komme und unsere Altäre dampfen mache: alles Uebrige lassen wir gehen, wie es geht, und wie es der Zufall eben mit sich bringt. Daher darf uns gar nicht befremden, was wir jetzt erfahren und immer mehr erfahren werden, je mehr die Menschen aufwachen und zur Einsicht kommen, daß sie mit allen ihren Opfern und Prozessionen lediglich Nichts gewinnen. Du wirst mit Nächstem sehen, daß wir Leuten, wie Epikur, Metrodor und Damis, nur zum Gelächter dienen, und daß sie allen Denen, die sich unser annehmen, triumphirend das Maul für immer stopfen. Ihr also, durch deren Schuld die Sache so weit gekommen, ihr habt auch das Verdorbene wieder gut zu machen. Momus hat übrigens wenig zu verlieren: er war ja auch schon damals keiner der Geehrten, als ihr noch in alter Herrlichkeit Opfer die Fülle genoßet.

23. Jupiter. Lassen wir den mürrischen und tadelsüchtigen Alten schwatzen, was er will, ihr Götter. Tadeln, [1123] sagt der große Demosthenes, klagen, schelten ist leicht, und Jeder, der Lust dazu hat, kann es: aber guten Rath geben, wie die Umstände zu verbessern sind, dazu gehört ein kluger, mit Recht so zu nennender, Rathgeber: und ich weiß gewiß, daß Ihr Euch als solche beweisen werdet, auch wenn Momus kein Wort mehr zu sagen weiß.

24. Neptun. Ich bin zwar, wie ihr wißt, ein Wassergott und treibe mein Wesen in der Tiefe, wo ich, so viel an mir ist, die Schiffer beschütze, ihre Fahrzeuge geleite, und die Stürme besänftige. Nichts desto weniger bin auch ich bei dieser Angelegenheit sehr betheiligt. Meine Meinung ist daher: wir müßen diesen Damis, noch ehe der Streit beginnt, entweder durch einen Blitzstrahl oder auf irgend eine andere Weise aus dem Wege schaffen, damit er mit seinem Geschwätz nicht den Sieg davon trage. Denn nach Allem, was Jupiter sagte, kann er nur zu gut mit dem Disputiren umgehen. Zugleich können wir den Leuten dadurch einen Beweis geben, wie wir so freche Räsonneurs zu bestrafen pflegen.

25. Jupiter. Du scherzest, Neptun: oder hast du wirklich vergessen, daß dergleichen nicht in unserer Gewalt steht? und daß es lediglich Sache der Parzen ist, zu bestimmen, Wer von dem Blitz getroffen werden, und Wer durch einen Schwertstreich, oder am Fieber, oder an der Auszehrung sterben soll? Ja, wenn es nur von mir abhienge! Glaubst du denn, ich hätte neulich jene Tempelräuber zu Pisa unangeblitzt davon gehen lassen, als sie mir zwei meiner goldenen Haarlocken, jede sechs Minen schwer, abgeschnitten hatten? Oder hättest du wohl ruhig zugesehen, als dir einst in Gerästus jener Fischer aus Oreus deinen Dreizack mauste? Aber [1124] auch abgesehen davon, würde man nicht glauben, die Sache mache uns gewaltig zu schaffen, und wir hätten aus purer Furcht vor des Damis böser Zunge uns seiner entledigen und nicht abwarten wollen, bis Timokles es mit ihm aufgenommen hätte? Hieße es alsdann nicht, wir hätten ihm den Prozeß gemacht, ohne ihn zu hören?

Neptun. Ich dachte nur, Dieß wäre der kürzeste Weg, den Handel zu gewinnen.

Jupiter. Geh, Neptun, das war ein fischköpfischer Gedanke. Wie plump, seinen Gegner tödten, ehe man ihn besiegte, und somit den Punkt selbst, auf den es ankam, in Frage lassen!

Neptun. Nun, so denkt ihr etwas Besseres aus, weil denn doch mein Vorschlag euch so fischmäßig vorkommt.

26. Apollo. Wenn nur das Gesetz uns jungen und derzeit noch unbärtigen Göttern zu sprechen erlaubte, vielleicht, daß ich für Eure Berathung etwas Förderliches zu sagen wüßte.

Momus. Es handelt sich hier von einer so wichtigen Angelegenheit, Apollo, daß Jedem von uns, ohne Unterschied des Alters, das Wort gebührt. Das wäre lustig, wenn wir in einem Augenblicke, wo es mit uns auf’s Aeußerste gekommen, über die gesetzliche Befugniß, zu sprechen, disputiren wollten. Zudem bist du ja zu einem öffentlichen Vortrage bereits vollkommen berechtigt, da du längst aus dem Jünglingsalter getreten, und in die Liste der Zwölfe[14] eingetragen bist. Fehlt ja doch nicht viel, so hättest du schon im [1125] alten Götterrathe des Saturnus gesessen. Spiele also nicht länger den schüchternen Jüngling gegen uns, sondern sage deine Meinung herzhaft, und schäme dich um so weniger, als ein bartloser Redner aufzutreten, da du ja an Aeskulap einen Sohn hast, der schon einen recht ansehnlichen und dichten Bart besitzt. Uebrigens ist jetzt wohl die schicklichste Gelegenheit, deine Weisheit an den Tag zu legen, und zu zeigen, daß du nicht vergebens auf dem Helikon sitzest und mit den Musen philosophirst.

Apollo. Nicht dir, Momus, sondern dem Jupiter steht es zu, mir die Erlaubniß zum Sprechen zu geben. Wenn Dieser mich auffordert, so werde ich vielleicht Etwas vorbringen, das den Musen und unseren Studien auf dem Helikon keine Schande machen soll.

Jupiter. So sprich, mein Sohn: ich erlaube dir’s.

27. Apollo. Dieser Timokles ist ein ehrlicher, frommer Mann, welcher die stoische Lehre sehr gründlich studirt hat, weswegen sich immer eine beträchtliche Anzahl junger Leute zu ihm hält, welche Philosophie bei ihm hören und ihn sehr ansehnlich dafür bezahlen. Sein Vortrag ist, so lange er im vertrauten Kreise seiner Schüler spricht, lebhaft und überzeugend. Wenn er aber vor einer großen Menge reden soll, wird er furchtsam, stottert und verwirrt sich: und seine ohnehin schon ungebildete und halbbarbarische Mundart macht ihn in größeren Gesellschaften um so mehr zum Gelächter, je mehr er sich alsdann Mühe geben will, recht schön zu sprechen. Er ist ein überaus scharfsinniger Denker, wie Alle versichern, welche die stoische Philosophie näher kennen: allein wenn er sich aussprechen und deutlich erklären soll, so [1126] macht diese Schwäche, daß er Alles verdirbt und verwirrt, indem er, was er sagen will, nicht klar, sondern höchst räthselhaft ausdrückt, und auch auf vorgelegte Fragen äußerst verworrene Antworten gibt. Und so wird er denn von Allen ausgelacht, die ihn nicht verstehen. Deutlichkeit aber muß, dünkt mich, die erste Sorge jedes Redenden seyn, damit die Leute auch verstehen, was sie hören.

28. Momus. Nun das ist ja recht schön, Apollo, daß du so sehr die Deutlichkeit lobst: sie ist sonst ganz und gar nicht deine Sache. Denn deine Orakelsprüche sind so schielend und räthselhaft, sie halten sich meist so behutsam zwischen Ja und Nein, daß man einen zweiten Apollo nöthig hätte, sie zu deuten. Aber was wäre denn nun eigentlich dein Vorschlag? Wie soll man dem Unvermögen des Timokles zu Hülfe kommen?

29. Apollo. Einen Wortführer, mein lieber Momus, wollen wir ihm an die Seite stellen, wo möglich einen von den Tüchtigsten in dieser Kunst: der soll gehörig vortragen, was Jener erdenken und ihm auf die Zunge legen wird.

Momus. Das hast du wahrlich gesprochen wie ein Mensch mit glattem Kinn, der noch einen Hofmeister braucht. Welcher Gedanke, ein Wortführer soll in dieser philosophischen Disputation sich neben den Timokles aufpflanzen, und den Anwesenden erklären, was Dieser meint! Während Damis in eigener Person und für sich selbst spricht, muß Timokles einen Akteur neben sich haben und ihm seine Gedanken leise in’s Ohr sagen, welche sodann Dieser, vielleicht ohne sie selbst zu verstehen, in ordentlicher Rede auszuführen hat! Glaubst du denn, die Menge der Zuhörer würde dabei ernsthaft [1127] bleiben? Nein wir müßen auf ein anderes Mittel denken.

30. Höre, Wundermann Apollo, du gibst dich ja für einen großen Propheten aus – und wirklich hat dir die Sache reichlichen Gewinn gebracht, so daß du sogar einmal goldene Ziegel erhalten hast – jetzt wäre der rechte Augenblick, deine Kunst zu zeigen: warum sagst du uns nicht voraus, welcher von beiden Sophisten den Sieg davon tragen wird? Ein Wahrsager, wie du, muß doch wohl den Ausgang vorher wissen.

Apollo. Wie sollte ich das jetzt im Stande seyn, Momus, wo mir kein Dreifuß, kein Räucherwerk, und keine prophetische Quelle, wie die Kastalische, zur Hand ist?

Momus. Aha! du willst dich damit aus der Schlinge ziehen, und einer Probe deiner Kunst ausweichen?

Jupiter. Laß dich immerhin vernehmen, mein Sohn, und gib dem bösartigen Spötter da keinen weitern Anlaß, über deine Sachen sich lustig zu machen, als ob deine Prophetengabe nur an den Dreifuß, das Wasser und den Weihrauch gebunden wäre, und du ohne diese Dinge lediglich Nichts vermöchtest.

Apollo. Es wäre freilich besser, mein Vater, dergleichen in Delphi oder Kolophon vorzunehmen, wo ich Alles, was ich dazu brauche, gehörig zur Hand hätte. Gleichwohl will ich auch, entblöst von Allem und unvorbereitet, wie ich bin, prophezeien, auf Wessen Seite der Sieg seyn wird. Nur müßt ihr euch schon gefallen lassen, wenn ich dießmal nicht im besten Sylbenmaße orakle.

[1128] Momus. Immerhin, aber fein deutlich, Apollo, damit du nicht auch einen Dollmetsch brauchst, der deine Gedanken auslegt. Es wird ja jetzt nicht Lammfleisch mit Schildkröten in Lydien gekocht:[15] du weißt, wovon die Frage ist.

Jupiter. Nun was wirst du uns ankündigen, mein Sohn? Schon sehen wir an dir die furchtbaren Vorboten des Orakels, die veränderte Farbe, die rollenden Augen, das emporstrebende Haar, die korybantischen Bewegungen, kurz das ganze schauerliche, mystische Ansehen eines Gottbegeisterten.

31. Apollo.

Höret den göttlichen Spruch des begeisterten Sehers Apollo.
Im Betreffe des Zankes, des gräulichen, welchen zwei Männer
Grellen Geschrei’s erhoben, mit derben Worten bewaffnet:
Alles umher erschüttert zumal des Kampfes Gekrächze,
Und der dichten Pflugsterz’ erhabene Spitzen erbeben.
Aber sobald der krummklauige Weih die Heuschreck’ erfaßt hat,
Dann zum Letztenmal krächzen die regenbringenden Krähen.
Sieger bleibet sofort das Maulthier; aber der Esel
Rennt mit böckischen Stößen der rüstigen Brut vor die Stirne.

Jupiter. Was lachst du denn so aus vollem Halse, Momus? Die Sache ist doch wohl nicht lächerlich? – Ey, so höre doch auf, Verzweifelter, du erstickst ja!

Momus. Ach Zeus, Wer sollte nicht lachen über ein so deutliches, so sonnenklares Orakel?

[1129] Jupiter. Je nun, wenn du es so gut verstehst, so erkläre uns, was es besagen will.

Momus. Nichts leichter als Dieß: wir brauchen keinen Themistokles[16] dazu. Das Orakel sagt klar genug, daß er ein Hanswurst, und wir Alle, die wir ihm glauben, große Tragesel und Maulthiere sind, die, bei’m Jupiter, nicht mehr Hirn als die Heuschrecken haben.

32. Hercules. Ich bin zwar nur, so zu sagen, ein Hintersaß, Vater Jupiter: doch nehme ich darum keinen Anstand, auch meine Meinung zu sagen. Wenn die Beiden nun an einander sind, so wollen wir zwar, im Falle Timokles sich gut hält, der Sache ganz ihren Lauf lassen. Sollte es aber schief gehen – so will ich – meinst du nicht? – ein Bischen an den Säulen der Halle rütteln und den ganzen Plunder dem Damis auf den Kopf schmeißen, damit der Verfluchte sein freches Maul nicht länger brauche.

Momus. Hercules! o weh Hercules! das war ein plumper, böotischer Einfall, zugleich mit einem einzigen Frevler so viele Unschuldige um’s Leben zu bringen, und die schöne Halle sammt der marathonischen Schlacht und dem Miltiades und Cynägirus zu Grunde zu richten![17] Wie sollten sich denn, wenn das Alles über den Haufen fiele, in Zukunft die Redekünstler behelfen, da sie ja des ergiebigsten Stoffes für ihre Deklamationen beraubt wären? Ueberdieß wärest du nur bei deinen Lebzeiten allenfalls im Stande gewesen, so Etwas [1130] zu bewerkstelligen: allein seitdem du zum Gotte geworden, solltest du doch, dächte ich, gelernt haben, daß nur allein die Parzen dergleichen Dinge thun können, daß hingegen uns diese Befugniß durchaus nicht zukommt.

Hercules. Wie? Also da ich die Hyder und den nemeischen Löwen umbrachte, waren es eigentlich die Parzen, die es durch mich ausführten?

Jupiter. Allerdings.

Hercules. Und jetzt, wenn mir Einer eine Grobheit macht, meine Tempel ausplündert, oder meine Bildsäule umwirft, so darf ich ihn nicht zermalmen, im Fall nicht von Anfang an die Parzen es so über ihn beschlossen haben?

Jupiter. So ist es.

Hercules. Nun so laß mich von der Brust wegsprechen, Jupiter: du weißt, ich bin, um mit dem Komiker zu reden, ein einfältiger Mann, der jedes Ding bei’m rechten Namen nennt. Wenn es diese Bewandtniß mit euch Göttern hat, so gehabt Euch wohl sammt Eurer himmlischen Glorie, Eurem Fettdampf und Eurem Opferblut: ich gehe hinab in die Unterwelt, wo, wenn ich auch Nichts als meinen Bogen umhabe, wenigstens die Schatten der von mir erlegten Bestien vor mir zittern müssen.

Jupiter. Nun ja, Der schwatzt erbaulich aus der Schule! Sag’ es doch dem Damis; das wird ihm vortrefflich auf die Beine helfen.

33. Aber Wer ist denn der eherne Mann dort, der so hastig herbeigelaufen kommt? Eine schöne Gestalt fürwahr, die regelmäßigsten Umrisse, die Haare nach antiker Art aufgebunden! Ah dein Bruder ist’s, Merkur, der aus dem [1131] Markte neben der Bilderhalle steht:[18] ich sehe es an dem vielen Peche, womit er beschmiert ist, weil die Bildhauer tagtäglich Modelle von ihm nehmen. – Woher so eilendes Laufs, mein Sohn? Was bringst du uns Neues von da unten herauf?

Hermagoras. Etwas höchst Wichtiges, Jupiter, eine Sache, die in ernstliche Ueberlegung genommen seyn will.

Jupiter. Ist denn wieder was Neues gegen uns los? So sprich doch!

Hermagoras.

So eben hatte mich der Bildergießer Zunft
Mit Pech an Brust und Rücken tüchtig überschmiert:
Ein lächerlicher Panzer hing mir um den Leib
Fest angegossen, so daß meine ganze Form
In ihm sich treulich, wie ein Siegel, ausgeprägt:
Da läuft ein Menschenschwarm heran, darunter zwei
Erdfahle Schreier, rüstig zum Sophismen-Kampf,
Der Ein’ ist Damis und –

Jupiter. Halt ein, bester Hermagoras, spare deine Jamben. Wir wissen schon, was du uns sagen willst. Aber sprich, ist denn der Streit schon angegangen?

Hermagoras. Noch nicht: sie necken einander vor der Hand noch mit Schimpfwörtern, die sie erst von weitem auf einander losschleudern.

[1132] Jupiter. Was bleibt uns jetzt Anderes übrig, ihr Götter, als hinabzuschauen und zuzuhören? Die Horen sollen den Thorriegel zurückschieben, die Wolken wegschaffen und die Himmelspforte weit aufsperren.

34. Hercules! was für eine Menge Menschen ist zusammengelaufen! – Aber dieser Timokles gefällt mir nur gar nicht: er zittert, und scheint alle Fassung verloren zu haben. Der wird uns heute den ganzen Handel verderben. Es ist augenscheinlich, daß er sich gegen Damis gar nicht halten kann. Darum wollen wir wenigstens thun, was an uns ist, und – für ihn beten, aber

Nur unter uns in der Stille, damit nicht Damis es höre.[19]

35. Timokles. Was sagst du, ruchloser Lästerer, es gebe keine Götter? es gebe keine göttliche Vorsehung?

Damis. Vorerst antworte mir nur auf die Frage: was hast du für einen Grund, Götter zu glauben?

Timokles. Nein, du mußt mir zuerst antworten, Verwünschter!

Damis. Durchaus nicht, es ist an dir.

Jupiter. Bis jetzt hält sich unser Mann wacker: er schreit viel grimmiger als der Andere. Recht so, braver Timokles, herzhaft drauf los geschimpft! Darin liegt deine Stärke. Auf jede andre Weise würde er dir das Maul stopfen, daß du stummer wärest als ein Fisch.

Timokles. Nein ich antworte dir nicht zuerst, so wahr Minerva lebt!

[1133] Damis. Nun mit einem solchen Schwur hast du freilich gewonnen. So frage meinetwegen, aber ohne Grobheiten, wenn ich bitten darf.

36. Timokles. Gut. Sage mir also, gottloser Mensch, glaubst du nicht, daß die Götter für uns sorgen?

Damis. Nein.

Timokles. Wie? also Alles geschieht ohne irgend eine Vorsehung?

Damis. So ist es.

Timokles. Und das Ganze steht nicht unter der Leitung irgend eines göttlichen Wesens?

Damis. Eben so wenig.

Timokles. Also Alles folgt nur dem Strome des vernunftlosen Zufalls?

Damis. Ja.

Timokles. Wie? und ihr, ihr Leute, könnt das Alles so geduldig mit anhören, und deckt den abscheulichen Gottesläugner nicht mit Steinen zu?

Damis. Was suchst du das Volk gegen mich aufzubringen, Timokles? Und Wer bist du denn, daß du für die Götter in solchen Zorn geräthst, da sie doch selbst nicht zürnen? Wenigstens ist mir noch nichts Uebles widerfahren, ungeachtet sie mich schon lange so reden hören – wenn sie anders hören.

Timokles. Ja sie hören, Damis, allerdings hören sie, und werden dich schon heimsuchen, wenn deine Stunde gekommen seyn wird!

37. Damis. Aber wann[WS 2] werden sie denn Zeit haben, sich mit mir abzugeben, da ihnen ja, wie du sagst, die Besorgung [1134] der unendlich vielen Dinge auf der Welt so außerordentlich viele Geschäfte macht? Haben sie doch nicht einmal Dich heimgesucht wegen der großen Menge falscher Eide, die du geschworen, und so vieler andern Dinge wegen, die ich verschweige, um nicht ganz gegen den Vertrag Schimpf mit Schimpf zu erwiedern. Uebrigens sehe ich nicht, wie sie einen bessern Beweis von ihrer Vorsehung hätten geben können, als wenn sie dich zerschmettert hätten, wie du’s verdientest, Elender! Allein es ist ja augenscheinlich: die Götter sind gar nicht zu Hause, vielleicht

– – – – bei den unsträflichen Aethiopen
An des Oceanos Fluth.[20]

Denn sie haben es im Brauch, daß sie fleißig bei Diesen zu Tisch gehen, und sich wohl auch selbst dort zu Gaste bitten.

38. Timokles. Was soll ich auf eine solche unerhörte Frechheit erwiedern?

Damis. Was ich längst schon von dir hören wollte, deine Gründe für den Glauben an die Vorsehung der Götter.

Timokles. Einmal die schöne Ordnung, nach der sich Alles in der Welt bewegt, die Sonne, welche stets die nämliche Bahn verfolgt, der Mond desgleichen, der Wechsel der Jahreszeiten, das Wachsthum der Pflanzen, die Zeugung der lebendigen Wesen, und der künstliche Bau derselben, so daß sie sich nähren, sich bewegen, denken, gehen, zimmern und schustern können. Scheint dir Dieß und anderes Dergleichen nicht die Wirkung einer göttlichen Vorsehung zu seyn?

[1135] Damis. Du nimmst als bewiesen an, was erst noch zu beweisen ist. Denn Das ist damit noch gar nicht ausgemacht, daß dieses Alles von einer besondern Vorsehung gewirkt werde. Daß Alles recht gut und schön ist, behaupte auch ich; aber darum ist man noch nicht genöthigt, zu glauben, daß es von einer höchsten Weisheit herrühre. Es ist auch ein zufälliger Anfang der Dinge möglich, in Folge Dessen Alles in der nun einmal angenommenen Verfassung zusammenhält. Was du Ordnung nennst, ist bloße Naturnothwendigkeit. Aber freilich, nun wirst du wieder aufbrausen, wenn man dein bloßes Aufzählen der Dinge in der Welt und deine Lobeserhebungen, wie gut Alles sey, noch für keinen Beweis einer das Ganze und Einzelne regierenden Vorsehung gelten läßt. Drum gilt auch hier das Wort des Komikers;

Ein faul Gerede Dieß: bring’ etwas Andres vor.

39. Timokles. Ich glaube nicht, daß es noch eines andern Beweises für meinen Satz bedarf. Doch antworte mir noch auf die Frage: hältst du den Homer nicht für den größten aller Dichter?

Damis. O ja.

Timokles. Nun von Diesem habe ich meinen Glauben an die Vorsehung der Götter, die er so deutlich ausspricht.

Damis. Wie sonderbar! Daß Homer ein vortrefflicher Dichter war, wird dir freilich Jeder zugestehen, nicht aber, daß dieser oder irgend ein anderer Dichter einen zuverläßigen Gewährsmann in Sachen dieser Art abgeben könne. Die Wahrheit ist ihre geringste Sorge, dünkt mich: ihre Absicht ist nur, die Zuhörer zu ergötzen und zu bezaubern, und zu [1136] diesem Ende singen sie liebliche Fabeleien in gefälligen Rhythmen und Weisen; kurz Alles ist bei ihnen blos auf das Angenehme angelegt.

40. Doch hätte ich Lust zu vernehmen, welchen Homerischen Stellen du denn eigentlich so vorzüglichen Glauben schenkest. Etwa jener Erzählung von Jupiter,[21] wie seine Tochter, sein Bruder und seine Gemahlin mit dem boshaften Plane umgingen, ihn fest zu nehmen, und wie sich der wackere Jupiter in der That hätte in Ketten und Banden davon führen lassen müssen, wäre nicht (der hundertarmige) Briareus von der Thetis aus lauterem Mitleid zu Hülfe gerufen worden – für welchen Liebesdienst er denn auch so dankbar war, daß er der Thetis zu Gefallen dem Agamemnon jenen trügerischen Traum[22] zuschickte, welcher so vielen Achäern das Leben kostete? Siehst du? Er war nicht im Stande, dem Agamemnon einen Blitzstrahl auf den Kopf fahren zu lassen, der ihn zu Asche verbrannte: nein, er mußte als offenbarer Betrüger erscheinen. Oder haben dir vielleicht jene Stellen[23] deinen Glauben aufgenöthigt, wo Diomedes der Venus, und sodann auf der Minerva Geheiß, sogar dem Kriegsgott selbst blutige Wunden beibringt, und wo am Ende die Götter und Göttinnen selbst ohne Unterschied des Geschlechts an einander gerathen und paarweise sich raufen; wo denn Minerva den Mars, den ohne Zweifel die von Diomedes erhaltene Wunde geschwächt hatte, zu Boden ringt, und

gegen Leto Hermeias, der segnende Bringer des Heiles,

[1137] ankämpft? Oder fandst du die Erzählung von der Diana so glaubwürdig,[24] welche, aus Verdruß, von Oeneus nicht zum Schmause geladen worden zu seyn, einen entsetzlich großen und unüberwindlich starken wilden Eber auf seine Felder schickte? Sag’ an, Timokles, sind es solche Stückchen, womit Homer dich überzeugte?

41. Jupiter. Verzweifelt! Hört ihr, was das Volk für ein Geschrei erhebt, wie es den Damis beklatscht! Unser Mann steht da, wie Einer, der sich nicht mehr zu helfen weiß: er fängt an zu zittern vor Verlegenheit und Angst; und schon sieht er sich um, wie er sich bei Seite drücken und davon laufen könne.

Timokles. Hat auch Euripides nichts Kluges gethan in deinen Augen, wenn er die Götter selbst auf die Bühne brachte, um zu zeigen, wie sie die frommen Helden schützen, die Schlimmen aber und die Gottlosen deines Gleichen zu Boden schmettern?

Damis. O du vortrefflichster aller Philosophen! Wenn solche Darstellungen der Tragiker dich von dem Daseyn der Götter überzeugten, so muß nothwendig Eines von Beiden seyn: entweder mußt du die darstellenden Personen, einen Polus, Aristodémus, Satyrus für Götter halten, oder das Wesen der Götter in den Masken derselben, den Kothurnen, den langen Prachtgewändern, den Handschuhen, den Wattirungen, kurz in dem ganzen Apparate suchen, womit man die tragischen Personen zu höhern Wesen zu steigern bemüht ist. Ließe sich aber etwas Alberneres denken, als eine solche Vorstellung? [1138] An denjenigen Stellen übrigens, wo kein dramatisches Bedürfniß den Euripides hindert, seine eigene Ueberzeugung auszusprechen, thut er Dieß mit vieler Freimüthigkeit. Höre zum Beispiel:

Siehst du den hohen, gränzenlosen Himmelsraum?
Die Erde hält er rings mit weichem Arm umfaßt –
Den nenne Zeus, Den halte für den höchsten Gott.

Und an einem andern Orte:

Zeus – Wer ist Zeus? dem Namen nach nur kenn’ ich ihn –[25]

und dergleichen mehr.

42. Timokles. Also wären alle Menschen aller Nationen im Irrthum: denn allenthalben glaubt man an Götter und feiert ihnen Feste.

Damis. O schön, Timokles, daß du mich an den Glauben der Völker erinnerst; denn gerade an diesem läßt sich am sichersten wahrnehmen, wie wenig festen Grund alle die Göttersagen haben. Welche Verwirrung, welcher Widerstreit der Meinungen! Die Scythen opfern dem Säbel, die Thracier dem Zamolxis, einem aus Samos zu ihnen entlaufenen Sclaven, die Phrygier der Mene (dem Monde), die Aethiopier dem Tage, die Cyllenier dem Phales, die Assyrer einer Taube, die Perser dem Feuer, die Aegyptier dem Wasser. Und zwar ist diese Verehrung des Wassers allen Aegyptiern gemeinsam: insbesondere aber gilt den Memphiten der Stier für einen Gott, den Pelusioten die Zwiebel, Andern der Ibis, das Krokodil, der hundeköpfige Affe, die Katze, der Pavian. Ja es gibt Dörfer dort, wo in dem Einen die rechte Schulter, in [1139] dem zunächst Liegenden die Linke göttliche Verehrung genießt. Etliche hinwieder beten die Hälfte von einem Menschenkopf, Andere sogar einen irdenen Krug[26] oder eine Schüssel an. Ist das Alles nicht zum Lachen, mein bester Timokles?

Momus. Sagt’ ich’s nicht, ihr Götter, daß diese Sächelchen alle hervorgezogen, und des Breitern besprochen werden würden?

Jupiter. Du sagtest es allerdings voraus, Momus, und hast Recht, uns darüber Vorwürfe zu machen. Ich werde auch wirklich darauf denken, dem Uebelstande abzuhelfen, sobald nur die gegenwärtigen mißlichen Umstände beseitigt seyn werden.

43. Timokles. Aber höre, du abgesagter Feind der Götter, Wessen Werk sind denn die Orakel und die Vorhersagungen künftiger Dinge, wenn nicht der Götter und ihrer Vorsehung?

Damis. Sprich mir doch nicht von den Orakeln, oder ich verlange zu wissen, an welches derselben du dich am liebsten erinnern lässest? ob etwa an jenes, welches der Lydierkönig vom Pythischen Apoll erhielt, und welches eben so zweideutig und doppelgesichtig war, wie gewisse Hermen, die Einem, man mag sie von vorn oder von hinten betrachten, immer dasselbe Gesicht zuwenden. Denn wie konnte Krösus wissen, daß er durch den Uebergang über den Halys vielmehr sein eigenes, als das Reich des Cyrus über den Haufen werfen würde? Gleichwohl hatte der erbärmliche Sardianer den schielenden Spruch mit nicht wenigen Talenten erkauft.

[1140] Momus. Der Mann spricht auf’s Haar, wie ich es mir vorgestellt habe. Wo ist denn nun unser schöner Citherspieler? He da, steige doch hinab und verantworte dich.

Jupiter. Du bringst uns um, Momus, mit deinen unzeitigen Vorwürfen.

44. Timokles. Siehe zu, was du anrichtest, gottloser Mensch! Dein Geschwätz hat nichts Geringeres zum Ziel, als die Sitze der Götter und ihre Altäre umzustürzen.

Damis. Nein, Timokles, nicht alle Altäre: denn was ist wohl Schlimmes dabei, wenn sie von Räucherwerk und Wohlgerüchen duften? Nur die Dianenaltäre in Taurien, wo sich die Jungfrau an Menschenfleisch weidet, die würde ich mit Herzenslust auf den Kopf gestellt sehen.

Jupiter. Daß uns diese verzweifelte Ungelegenheit über den Hals kommen mußte! Der Mann schont ja keines Einzigen von uns! Frech wie ein Bacchante zieht er über uns Alle los,

Und greift nach einander, Wer schuldig ist, oder Wer schuldfrei.[27]

Momus. Wiewohl der Unschuldigen wirst du eben nicht zu viele finden, Jupiter. Ich denke, der Bursche wird mit Nächstem sogar noch weiter gehen, und auch ein gewißes hohes Haupt anzutasten wagen.

45. Timokles. Hörst du denn nicht, wenn Jupiter donnert, Rasender?

Damis. Wie sollte ich nicht hören, wenn es donnert, Timokles? Ob aber Jupiter der Donnerer ist, wirst ohne Zweifel du besser wissen, der du ja, wie es scheint, von dort [1141] oben zu uns herabgestiegen bist. Freilich die Leute aus Kreta berichten uns hierüber ganz anders. Dort werde ein Grabmal gezeigt und eine Säule auf demselben, aus deren Inschrift hervorgeht, daß Jupiter wohl nie wieder donnern werde; denn er wäre längst gestorben.

Momus. Das sah ich kommen – was ist das, Jupiter, du wirst blaß, du zitterst, daß die die Zähne klappern? – Nun, nun, Muth gefaßt! Solche sterbliche Kerlchen muß man verachten.

Jupiter. Wie kannst du so sprechen, Momus, verachten! Siehst du denn nicht, wie Viele es mit anhören, wie nach und nach Alles gegen uns Partei nimmt, wie dieser Damis den ganzen Haufen an den Ohren gefangen führt?

Momus. Aber, Jupiter, wie wäre es jetzt, wenn du deine goldene Kette herabließest, und

Selbst mit der Erde sie zögest empor und selbst mit dem Meere?[28]

46. Timokles. Sprich, Verfluchter, bist du jemals zur See gewesen?

Damis. Mehr als einmal, Timokles.

Timokles. Nicht wahr, da fuhr entweder der Wind in die Segel und schwellte sie, oder die Ruderleute trieben das Schiff von der Stelle, aber die Richtung gab ihm nur Einer, der Steuermann, und nur Dieser bewahrte es vor dem Untergang?

Damis. Allerdings.

Timokles. Ohne Steuermann hätte also das Schiff seine Fahrt nicht vollenden können; und doch glaubst du, daß [1142] das ganze Weltall ohne alle höhere Leitung auf’s Gerathewohl sich fortbewege?

Jupiter. Schön, Timokles, ein kluger Gedanke! Das Gleichniß hat Nachdruck.

47. Damis. Aber sage mir, du Liebling der Götter: du sahest doch immer, wie der Steuermann unausgesetzt alles dem Schiffe Förderliche im Voraus bedachte, wie er für Alles sorgte, den Schiffleuten die zweckmäßigsten Befehle ertheilte, und wie sich überhaupt in der ganzen Einrichtung des Schiffes nichts Ungehöriges und durchaus Nichts fand, was nicht für die Fahrt selbst nothwendig und ersprießlich gewesen wäre? Hingegen der Steuermann, welchen du an das Ruder des großen Weltschiffes zu stellen für gut findest, und alle seine Gehülfen, was haben sie je Vernünftiges und Zweckmäßiges angeordnet? Das Masttau ist an das Hintertheil gespannt, beide Segeltaue an das Vordertheil: die Anker sind bisweilen von Gold, der Zierrath hinten von Blei, der untere Theil des Schiffes, der unter Wasser geht, schön bemalt, der obere grau und schmutzig.

48. Von den Schiffleuten ist mancher faule Bursche, der weder Geschick noch Muth zum Geschäfte hat, als Befehlshaber des dritten Theils oder gar der Hälfte von der ganzen Mannschaft angestellt: ein Anderer, der vielleicht vortrefflich mit dem Schwimmen umzugehen versteht, mit der größten Leichtigkeit auf die Segelstangen klettert, und so gut wie Keiner jeden Augenblick weiß, was zu thun ist, muß sich zum Wasserausschöpfen brauchen lassen. Nicht anders ist es mit den Passagieren. Der Schurke, der die Peitsche verdiente, hat den Ehrenplatz neben dem Steuermann, und läßt sich den [1143] Hof machen: Knabenschänder, Vatermörder, Tempelräuber stehen in höchsten Ehren, und nehmen die ersten Stellen im Schiffe ein, während eine Menge wackerer Leute sich im Raume des Schiffes zusammendrückt, und ausgemacht schlechte Kerls über ihren Köpfen wandeln lassen muß. Erinnere dich nur, was Sokrates, Aristides, Phocion für eine Fahrt gehabt haben, wie oft es ihnen sogar am trockenen Brode gebrach, und wie ihnen kaum Platz genug vergönnt war, ihre Beine auf den harten Bretern neben der Pumpe auszustrecken; in welchem Ueberflusse dagegen ein Kallias, Midias, Sardanapal schwelgte, und mit welchem empörenden Uebermuthe sie allen Denen, welche unter ihnen waren, begegneten.

49. So geht es in deinem Schiffe zu, mein hochweiser Timokles. Daher die unzähligen Schiffbrüche. Stände ein Steuermann mit umsichtigem Blicke und ordnendem Geiste am Ruder, so würde er für’s Erste wissen, Wer die Guten und Wer die Schlimmen seiner Passagiere sind; für’s Zweite würde er Jeden nach Verdienst lohnen, und die Guten auf die bequemen obern Plätze neben ihm selbst, die Nichtswürdigen unten an setzen; Einige der Vortrefflichsten würde er zu seinen Tischgenossen und Rathgebern machen, und von seinen Matrosen je dem Tüchtigsten und Fleißigsten den Befehl über das vordere Verdeck, über die Seiten, oder gar über die ganze Mannschaft anvertrauen, den Faulen und Liederlichen hingegen fünfmal des Tages mit dem Tau-Ende bläuen lassen. Du siehst also, mein wunderlicher Timokles, dein Gleichniß mit dem Schiffe ist in großer Gefahr zu scheitern; denn es hat einen sehr ungeschickten Steuermann erhalten.

[1144] 50. Momus. Nun jetzt hat es gute Wege, der fährt mit vollen Segeln seinem Siege zu.

Jupiter. Du magst recht haben, Momus. Dieser Timokles weiß aber auch gar nichts von Gewicht aufzubringen. Alles, was er von sich gibt, ist das Platteste, Alltäglichste, Unhaltbarste.

51. Timokles. Nun wenn denn dieses Gleichniß nicht stichhaltig ist, wie du meinst, Damis, so höre meinen letzten Beweis. Er ist, was man so nennt, mein Nothanker, den du mir auf keine Weise entreißen sollst.

Jupiter. Was doch das für ein Beweis seyn mag?

Timokles. Sieh’ also zu, ob folgender Schluß richtig ist, oder ob du dir allenfalls getrautest, auch diesen über den Haufen zu werfen. Wenn es Altäre gibt, so gibt es auch Götter: nun gibt es Altäre, also gibt es auch Götter. He, was sagst du dazu?

Damis. Wenn ich mich erst satt gelacht habe, so will ich dir antworten.

Timokles. Wird das Gelächter kein Ende nehmen? Was ist denn Lächerliches an Dem, was ich sagte?

Damis. Daß du gar nicht merkst, an welchem dünnen Fädchen du deinen Anker, deinen Nothanker sogar, aufgehangen hast. Denn du knüpfst den Satz, daß es Götter gebe, an die Thatsache, daß es Altäre gibt, und glaubst dennoch Wunder, wie bündig und fest Das zusammenhänge! Weil du denn selbst erklärt hast, nichts Nothfesteres als Dieß in Bereitschaft zu haben, so ist das Beste, wir gehen nach Hause.

52. Timokles. Du gibst mir also gewonnen, weil du zuerst davon läufst?

[1145] Damis. Wie sollte ich nicht? Hast du dich ja doch, wie Einer, dem Gewalt geschieht, zu den Altären geflüchtet. Ich erkläre also, bei deinem Nothanker, daß ich bereit bin, eben vor diesen deinen Altären einen Bund mit dir zu schließen, daß wir nie wieder über solche Dinge mit einander streiten wollen.

Timokles. Du willst noch deinen Spaß mit mir haben, du Frevler, du Gräberdieb, du scheuslicher, anspeiungswürdiger Schurke du? Glaubst du, wir wissen nicht, Wer dein Vater gewesen, und daß deine Mutter eine Hure war, daß du deinen Bruder erwürgt hast, und daß du ein Ehebrecher, ein Knabenschänder, ein schamloser, schweinischer Wollüstling bist? Aber wart, du sollst mir nicht so ungeschlagen davon kommen! Mit diesem Ziegelstück da will ich dir die Hirnschale zerschmettern, verfluchter Lästerer!

53. Jupiter. O weh, Damis läuft aus vollem Halse lachend davon: Timokles, außer sich über den frechen Spötter, läuft ihm nach, schimpft und macht Miene, ihm einen Ziegel an den Kopf werfen zu wollen. So stehen die Sachen, ihr Götter; was ist nun zu thun?

Merkur. Ich denke, der Komiker Menander hat Recht, wenn er sagt:

Thu nicht, als ob dir was geschehen sey, so ist
Dir nichts geschehen –

Was ist es denn auch für ein großes Uebel, wenn eine Handvoll Leute von Damis für seine Meinung gewonnen davon geht? Bleibt uns nicht eine unzählige Menge Derer, die das Gegentheil glauben, die Mehrzahl der Griechen, der ganze [1146] große Haufe nämlich und sämmtlicher Pöbel, und überdieß alle Barbaren?

Jupiter. Allein es ist nicht minder richtig, was Darius von Zopyrus sagte.[29] Auch ich möchte lieber einen einzigen Mann, wie Damis, auf meiner Seite, als zehentausend Babylon’s haben.


  1. Ohne Zweifel Parodie einer Stelle aus einem verlornen Trauerspiel.
  2. Zum Theil aus Iliade VIII, 31. I, 363. III, 35.
  3. Parodie von Eurip. Orestes 1 – 3. Auch die folgenden Verse scheinen Parodieen des Eurip. zu seyn.
  4. Par. von Eurip. Phöniz. 116.
  5. Namen berühmter tragischer Schauspieler.
  6. Zum Theil Parodie von Il. VIII, 7. XX, 7. f.
  7. Den Anubis.
  8. „Unter den Zeugiten,“ der dritten der vier Klassen, in welche Solon die Attischen Bürger theilte. Die vierte war die der Theten oder Tagelöhner.
  9. Ohne Zweifel sind diese Worte ironisch zu nehmen. „Es hält eben so schwer, hier Ruhe zu schaffen, als bei einem Schwarme geschwätziger Sophisten.“
  10. Il. VIII, 5.
  11. Bis dahin größtentheils Worte des Demosthenes aus dem Eingang des ersten olynthischen Rede.
  12. Iliade VII, 99.
  13. S. Herodot I, 53. VII, 141.
  14. Der zwölf obern Götter.
  15. S. der überwiesene Jupiter, 14.
  16. S. Cornel. Nep. Themist. 2.
  17. Die von Polygnotus in der Pöcile, oder Bilderhalle, gemalt waren.
  18. Hermes agoräos, von Lucian in Hermagoras zusammengezogen, eine bronzene Bildsäule von hohem Kunstwerth.
  19. Parodie von Il. VII, 195.
  20. Iliade I, 323.
  21. Il. I, 396. ff.
  22. Il. II, 6. ff.
  23. Il. V, 335. ff. XX, 70, ff.
  24. Il. IX, 529. ff.
  25. Bruchstücke aus unbekannten Trauerspielen des Euripides.
  26. Anspielung auf den Gott von Canobus.
  27. Iliade XV, 137.
  28. Iliade VIII, 24.
  29. Herodot III, zu Ende.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ungenommen
  2. Vorlage: waun