Der Traum oder der Haushahn

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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Der Traum oder der Haushahn
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Neuntes Bändchen, Seite 1146–1179
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Ὄνειρος ἢ Ἀλεκτρυών
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
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[1146]
Der Traum oder der Haushahn.
Der Schuster Micyll. Der Haushahn. Simon.

1. Micyll. Daß dich Jupiter selbst verderbe, du vermaledeiter mißgünstiger Schreihals. Ich habe so herrlich geträumt, ich war ein reicher Mann und lebte das wonnigste Leben von der Welt: da mußte mich dein ohrenzerreißendes Krähen aufwecken, so daß ich mich der Armuth, die mir noch abscheulicher ist, als sogar du selbst, nicht einmal bei Nacht soll entschlagen dürfen! – Es ist noch Alles so stille um mich her; auch der Morgenfrost ist noch nicht eingetreten, der mir sonst keine Ruhe läßt, und der sicherste Vorbote des anbrechenden Tages ist; es kann also kaum Mitternacht seyn: und doch schreit der unruhige Plagegeist schon, als ob er das goldene Vließ bei mir zu bewachen hätte. Aber wart, das soll dir nicht gut bekommen! Mein Stock soll dich dafür häßlich [1147] heimsuchen, so bald es Tag seyn wird: für jetzt wäre es mir zu beschwerlich, im Finstern nach dir zu tappen.

Der Hahn. Ich glaubte dir vielmehr einen Gefallen zu erweisen, mein bester Meister, wenn ich dir eine recht kurze Nacht machte, damit du noch vor der Dämmerung aufstehen, und mit deiner vielen Arbeit um so eher fertig werden möchtest. Denn wenn du vor Sonnenaufgang auch nur Einen Pantoffel fertig machtest, so hättest du für die Bedürfnisse des folgenden Tages schon Etwas vorgearbeitet. Willst du aber lieber schlafen, nun so will ich mich ruhig verhalten, und stummer seyn als ein Fisch. Nur siehe zu, daß du alsdann nicht, nachdem du von Schätzen geträumt, bei’m Erwachen um so hungriger seyst.

2. Micyll. O wunderthätiger Jupiter und hilfreicher Herkules, steht mir bei! Was soll das für ein Unglück bedeuten? Mein Hahn spricht ja wie ein Mensch!

Der Hahn. Wie, ist das ein großes Wunder, wenn ich eine Stimme habe, wie du auch?

Micyll. Das wird doch wohl ein Wunder seyn? Gewiß bedeutet es ein Unglück, das alle Götter in Gnaden von mir abwenden mögen!

Der Hahn. Du kommst mir sehr ununterrichtet vor, guter Micyll, da du ja nicht einmal den Homer gelesen zu haben scheinst, bei welchem des Achilles Leibpferd Xanthus[1] seines Wieherns so gänzlich vergißt, daß es mitten in der Schlacht stehen bleibt, und zu sprechen anfängt, und nicht etwa, wie ich so eben, in bloßer Prosa, sondern es deklamirt [1148] eine ganze Reihe von Versen daher und weissagt, Was kommen würde, ohne daß man Dieß seltsam gefunden, und ohne daß Achilles, aus Furcht vor der schlimmen Bedeutung dieser Erscheinung, den Nothhelfer Herkules angerufen hätte. Wie würdest du dich erst geberdet haben, wenn der Kiel des Schiffes Argo mit dir gesprochen, oder wenn die heilige Eiche zu Dodóna dir mit vernehmlicher Stimme ein Orakel ertheilt hätte, oder gar wenn du Rinderhäute herumkriechen gesehen, und Ochsenfleisch am Spieße, und halbgebraten, brüllen gehört hättest?[2] Für mich, der ich gewöhnlich dem maulfertigsten und beredtesten aller Götter, dem Merkur, zur Seite stehe,[3] und überdieß der beständige Gesellschafter und Hausgenosse von euch Menschen bin, für mich konnte es durchaus nicht schwer seyn, menschliche Sprache zu lernen. Wenn du mir übrigens versprechen willst, reinen Mund zu halten, so soll es mir nicht darauf ankommen, dir den eigentlichen Grund meiner menschlichen Sprache, und wie ich dazu gekommen bin, mitzutheilen.

3. Micyll. Es ist also wirklich kein Traum? Mein leibhaftiger Haushahn spricht mit mir? Nun so sage mir doch um deines Merkurs willen, mein allerliebstes Hähnchen, was verhalf dir denn eigentlich zu dieser Stimme? Ich werde [1149] es keiner Menschenseele weiter sagen: besorge nichts. Denn Wer würde mir glauben, wenn ich erzählte, was ich von einem Hahn gehört haben wollte?

Der Hahn. So vernimm denn das Wunderlichste von der Welt, lieber Micyll. Der vermeintliche Hahn, der hier vor dir steht, war vor nicht gar langer Zeit ein Mensch.

Micyll. Ah ich erinnere mich, vor Zeiten etwas dergleichen von dir gehört zu haben. Ein junger Mensch, mit Namen Alektryon [der Hahn], war der Liebling des Mars und der beständige Gesellschafter bei seinen Trinkgelagen, Schmausereien und Liebesabenteuern. So oft daher Mars der Venus hinter dem Rücken ihres Gatten einen Besuch abstattete, mußte ihn Alektryon jedesmal begleiten, und weil Mars Nichts so sehr als den verrätherischen Sonnengott fürchtete, vor der Thüre Wache halten, um ihm sogleich die Ankunft des Helios anzuzeigen. Einsmals aber vergaß der gute Alektryon, was seines Amts war, und schlief ein. Der Sonnengott nahte unvermerkt und überraschte das Pärchen, welches sich im Vertrauen auf ihren Wächter dem sorgenlosesten Schlummer überlassen hatte. Vulkan, augenblicklich durch Helios von der Sache unterrichtet, fing sie nun in dem künstlichen Netze, welches er seit lange schon für diesen Fall verfertigt hatte. Kaum war Mars wieder freigegeben, als er in seinem Zorne den Alektryon, bewaffnet wie er war, in den Vogel verwandelte, der nun einen Kamm statt des Helmes auf dem Haupte trägt. Daher soll es kommen, daß ihr nun, um euch gegen Mars zu rechtfertigen, wie wohl es jetzt zu spät ist, die Ankunft des Helios ziemlich lange vorher durch euer Geschrei ankündiget.

[1150] 4. Der Hahn. So erzählt man allerdings, Micyll. Mein Fall aber ist ein ganz anderer. Ich bin nur erst ganz neulich aus einem Menschen zu einem Haushahn geworden.

Micyll. Wie ging doch Das zu? Du machst mich sehr neugierig.

Der Hahn. Du hast doch wohl schon von einem gewissen Pythagoras, Mnesarchus Sohn, aus Samos, gehört?

Micyll. Dem Sophisten, meinst du, dem großen Aufschneider, der das Fleischessen verbot, der mein Leibgericht, die Bohnen, von unseren Tischen wegdisputiren wollte, und noch überdieß den Leuten weiß machte, daß sie fünf ganzer Jahre lang nicht mit einander reden dürfen?

Der Hahn. Nun so ist dir wohl auch bekannt, daß er, ehe er Pythagoras geworden, Euphorbus war?

Micyll. Ich weiß nur, daß er für einen großen Gaukler und Wunderthäter galt.

Der Hahn. Siehe, dieser Pythagoras bin ich selbst: Spare also deine Schimpfwörter, mein Bester, zumal da du den Charakter des ehmaligen Pythagoras gar nicht kennst.

Micyll. Das ist nun vollends das Allerwunderbarste, ein Haushahn, der ein Philosoph ist! So sage mir doch gleich, o Sohn des Mnesarchus, was in aller Welt machte dich aus einem Menschen zu einem Vogel, und aus einem Samier zu einem Tanagräer?[4] Die Sache ist eben so seltsam, als schwer zu glauben: denn ich meine, schon zwei Dinge an dir bemerkt zu haben, die sich eben nicht zum besten mit Pythagoras vertragen.

[1151] Der Hahn. Und diese wären?

Micyll. Einmal bist du ein Schwätzer und Schreier: Pythagoras aber drang, so viel ich weiß, auf das Schweigen, und zwar auf ein fünfjähriges. Das Zweite aber streitet ganz offenbar gegen des Pythagoras eigene Vorschriften. Noch gestern, als ich kein Futter für dich hatte, nahmst du gar keinen Anstand, die Bohnenkerne aufzupicken, welche ich mit nach Hause gebracht hatte. Entweder hast du mich also belogen und bist ein ganz Anderer als Pythagoras, oder du hast durch deinen Bohnenfraß gegen dein eigenes Gesetz nicht minder gesündigt, als wenn du deines Vaters Kopf gefressen hättest.[5]

5. Der Hahn. Guter Micyll, du weißt freilich den Grund davon nicht, und verstehst nicht, was sich für jedes Leben jedesmal schickt. So lange ich Philosoph war, speiste ich allerdings keine Bohnen: jetzt aber esse ich welche, als eine meiner Vogelnatur angemessene und unverbotene Speise. Laß dir nun sagen, wie ich aus Pythagoras Das, was ich jetzt bin, geworden, in wie vielen Körpern ich bis jetzt gelebt, und was ich bei jeder Verwandlung gewonnen habe.

Micyll. Ach ja, erzähle mir Das: ich verspreche mir so viel Vergnügen davon, daß, wenn ich die Wahl hätte, dir zuzuhören, oder meinen vorigen seligen Traum fortzuträumen, diese Wahl mir in der That schwer werden würde, indem mir dein wunderbares Wesen nicht minder wichtig ist, als jenes köstliche Traumgesicht.

Der Hahn. Noch immer rufst du dir deinen Traum zurück, und suchst die flüchtigen Bilder von Glückseligkeit festzuhalten, [1152] die, wie schön sie auch gewesen seyn mögen, doch nur wie leere, wesenlose Schatten dich umgaukelten?

6. Micyll. Nein, mein liebes Hähnchen, den Traum kann ich nun einmal nicht vergessen. Er hat mir im Entfliehen einen so reichlichen Honig auf meinen Augliedern zurückgelassen, daß sie, wenn sie sich kaum geöffnet haben, sogleich wieder zum süßen Schlafe sich zusammenziehen. Und was ich gesehen habe, verursachte mir einen so angenehmen Kitzel in den Augen, wie wenn man sich mit einer Feder in den Ohren kraut.

Der Hahn. Herkules! Du bist ja ordentlich verliebt in deinen Traum: was muß aber auch das für ein Traum seyn, der, statt in seinen natürlichen Grenzen, in denen des Schlafes, sich zu halten, so lebhaft und in so reizenden Bildern auch die offenen Augen noch dir umflattert? Erzähle mir doch den dreimal willkommenen.

Micyll. Recht gerne: es ist mir der größte Genuß, von ihm zu sprechen, und ihn in der Erinnerung von neuem zu träumen. Aber wann wirst du mir die Geschichte deiner Verwandlungen geben, mein Pythagoras?

Der Hahn. Wann du erst deines verführerischen Traumes dich entschlagen, und den Honig von deinen Augliedern abgewischt haben wirst. Sprich also immer zuerst, damit ich erfahre, ob dein Traum durch die elfenbeinene oder hörnene Pforte angeflogen kam.[6]

Micyll. Durch keine von Beiden, Pythagoras.

Der Hahn. Wie? Homer nennt doch nur diese Beiden.

[1153] Micyll. Gehe mir mit dem albernen Poeten. Was versteht Der von der Sache? Vielleicht, daß nur das gemeine Bettelvolk von Träumen, dergleichen er selbst sah, und nicht einmal deutlich, da er blind war, durch diese Pforten wandert. Mein wonnevolles Träumchen ist mir durch ein goldenes Thor zugekommen: es war selbst ganz golden und über und über mit Gold angethan, und brachte mir des Goldes eine Menge mit.

Der Hahn. Ei so höre einmal auf, Alles zu vergolden, du zweiter Midas: offenbar hat dir ein ähnlicher Wunsch, wie der des Phrygiers, diesen Traum und mit ihm ganze Bergwerke von Gold zugeführt.

7. Micyll. Ach, guter Pythagoras, viel Gold habe ich gesehen, viel, sehr viel! Und wie herrlich es glänzte und blitzte! – Wie sagt doch nur Pindar in jener Stelle zum Lobe des Goldes? Hilf mir darauf, Pythagoras; weißt du noch, es ist die Stelle gleich im Anfange des schönsten unter allen seinen Gesängen, wo er das Wasser das Vornehmste nennt, hierauf aber weislich zum Preise des Goldes übergeht –

Der Hahn. Du meinst doch wohl Das:[7]

Das Fürnehmest’ ist Wasser; doch ragt, wie brennendes Feuer
Sich in die Nacht erhebt, Gold in dem männerbeglückenden Reichthum.

Micyll. Ganz recht, diese Stelle meinte ich. Ist es doch, als ob Pindar mein Traumbild gesehen hätte: gerade so besingt er das Gold. Laß dir nun diesen Traum erzählen, mein hochweiser Hahn. Du weißt, daß ich gestern [1154] Abend nicht zu Hause aß, weil der reiche Eukrates, den ich auf dem Markte traf, mich nach dem Bade auf die gewöhnliche Stunde zum Essen eingeladen hatte.

8. Der Hahn. Ich weiß es nur zu gut: den ganzen Tag hungerte ich, bis du endlich des Abends spät und ziemlich reichlich beträufelt nach Hause kamst, und mir die fünf Bohnenkerne mitbrachtest, die freilich für einen gewesenen Athleten, der zu Olympia nicht ohne Glanz in die Schranken getreten, eine etwas kümmerliche Abendmahlzeit abgaben.

Micyll. Sogleich nach meiner Nachhausekunft also, und nachdem ich dir die Bohnen vorgeworfen hatte, legte ich mich schlafen. Und nun – laß mich mit Homer reden – nun

– – – erschien mir ein göttlicher Traum in dem Schlummer
Durch die ambrosische Nacht –[8]

Der Hahn. Erzähle mir vorerst, wie das Abendessen bei Eukrates war, und wie ihr euch bei’m Weine unterhalten habt. Du kannst dir auf diese Weise füglich in einer Art von wachendem Traume den ganzen Schmaus wiederholen, und das Genossene in der Erinnerung noch einmal durch den Mund gehen lassen.

9. Micyll. Ich glaubte nur, dich zu langweilen, wenn ich mich dabei aufhielte. Doch es sey, weil du es wünschest. In meinem ganzen Leben nie hatte ich in einem reichen Hause gespeist, mein lieber Pythagoras. Da wollte gestern mein guter Genius, daß ich Eukrates begegnete. Ich redete ihn, wie gewöhnlich, mit „gnädiger Herr“ an, und wollte mich wieder entfernen, um ihn nicht in Verlegenheit zu setzen, wenn ich in meinem armseligen, abgeschabten Mäntelchen [1155] ihm zur Seite gegangen wäre. Allein er sagte zu mir. „Höre, Micyll, ich feire heute den Geburtstag meiner Tochter, und habe eine große Anzahl Bekannter zu Tische gebeten. Einer Derselben soll unpäßlich und schwerlich im Stande seyn, zu erscheinen. Im Falle nun Dieser die Einladung ausschlüge – denn bis jetzt hat er sich noch nicht bestimmt erklärt – kannst du nach dem Bade dich bei mir einfinden und seine Stelle einnehmen.“ Mit einem Bückling bis auf den Boden verabschiedete ich mich, und betete im Weggehen zu allen Göttern, daß sie doch dem unpäßlichen Manne, dessen Ersatzmann und Substitut ich seyn sollte, noch obendrein einen Fieberanfall, oder das Seitenstechen, oder das Podagra auf den Hals schicken möchten. Die Zeit bis zum Bade däuchte mich eine Ewigkeit, und jeden Augenblick sah ich nach der Sonnenuhr, ob es noch nicht Zeit war, in’s Bad zu gehen. Endlich war die Stunde gekommen: ungesäumt wusch ich mir den Schmutz vom Leibe und machte mich auf den Weg, nachdem ich, um mir ein möglichst sauberes Ansehen zu geben, die innere Seite meines Mäntelchens nach Außen gekehrt hatte.

10. Wie ich vor dem Hause anlange, waren bereits viele Gäste eingetroffen; und eben kommt, von vier Burschen getragen, wahrhaftig auch der für krank angesagte Mann daher, zu dessen Stellvertreter ich bestimmt war. Und es war in der That nicht zu verkennen, daß er sich sehr übel befand: er ächzte in einem fort, und hustete so hohl, und mit einem Auswurf, der einem alle Lust benahm, in seine Nähe zu kommen; dabei war er blaß und aufgedunsen am ganzen Leibe, und hatte wenigstens seine sechzig Jahre [1156] auf dem Rücken. Wie man mir sagte, ist der Mann ein Philosoph und zwar Einer von denen, die ihre Albernheiten bei jungen Leuten anbringen: auch trug er einen recht förmlichen Bocksbart, den es gewaltig nach dem Barbier juckte. Als der Arzt Archibius ihn darüber anließ, daß er in diesem Zustande dennoch gekommen sey, erwiederte er: „Es war meine Pflicht; und seiner Pflicht darf zumal der Philosoph nicht untreu werden, wenn auch tausend Krankheiten ihn hindern wollten. Eukrates hätte mein Nichterscheinen für eine beleidigende Hintansetzung halten können.“ – „Im Gegentheile,“ fiel ich ihm in die Rede, „er würde es dir gedankt haben, wenn du lieber hättest in deinem eigenen Hause sterben, als hier über der Tafel die Seele sammt dem Schleime heraushusten wollen.“ Der Philosoph schnitt ein vornehmes Gesicht, und that, als ob er den Hieb gar nicht bemerkt hätte. Jetzt erschien Eukrates aus dem Bade, und wie er den Thesmopolis (so hieß der Philosoph) ansichtig ward, ging er mit den Worten auf ihn zu: „Ah, gelehrter Herr, recht schön, daß du selbst gekommen bist; wiewohl, es wäre dein Schaden auch nicht gewesen, zu Hause zu bleiben; du hättest von Allem deinen Antheil der Reihe nach zugeschickt erhalten.“ Damit reichte er ihm die Hand, und führte ihn mit Hülfe einiger Aufwärter, auf die er sich stützte, in’s Tafelzimmer.

11. Ich war schon im Begriff, meinen Rückzug zu nehmen, als Eukrates sich umsah, und wie er mein saures Gesicht bemerkte, nach einigem Bedenken zu mir sagte: „Nur herbei, Micyll, du kannst dennoch mit uns essen: ich schicke meinen Sohn hinauf in das Frauengemach, wo er mit der [1157] Mutter speisen soll, und du nimmst seinen Platz ein.“ Ich trete also in den Saal, hungrig wie ein Wolf, der um ein Kleines den Rachen vergebens aufgesperrt hätte, übrigens doch etwas beschämt, daß ich den Sohn vom Hause vom Tische verdrängen sollte. Wie man sich niederließ, faßten zuerst fünf große und starke Bursche den Thesmopolis, und pflanzten ihn nicht ohne große Anstrengung an seinen Platz, wo er von allen Seiten mit Kissen umbaut wurde, um sich eine Zeitlang in gleicher Lage halten zu können. Da kein Anderer es über sich brachte, neben ihn sich zu lagern, so ward ich dazu verurtheilt, sein Tischnachbar zu seyn; Jetzt ging es an’s Essen, Pythagoras! Was da ein Ueberfluß und eine Mannichfaltigkeit von den vortrefflichsten Speisen war! Welcher Reichthum an Gold- und Silbergeschirr! Alle Trinkbecher waren von Gold; die Aufwartung wurde von lauter hübschen Jungen besorgt; zudem fehlte es nicht an Musikern und Lustigmachern; kurz es war dir ein köstlicher Abend: nur das Einzige verdroß mich, daß der widerwärtige Thesmopolis immer, ich weiß nicht was, von Tugend an mich hinschwatzte, und mir demonstrirte, daß zwei Negationen eine Affirmation geben, und daß es nicht Nacht seyn kann, wann es Tag ist, und daß ich Hörner hätte,[9] und was des albernen philosophischen Plunders mehr war, den er mir in Einem fort aufdrang, und wodurch er mir, weil ich den Zitherspielern und Sängern nicht zuhören konnte, Vieles von dem Genusse dieses Abends raubte. – So war unsere Mahlzeit beschaffen, mein lieber Hahn.

[1158] Der Hahn. Für dich war sie eben nicht die angenehmste, Micyll, da dich das Loos mit diesem alten Narren zusammengeführt hat.

12. Micyll. Nun laß dir aber auch meinen Traum erzählen. Es war mir, als ob Eukrates kinderlos wäre, und auf dem Todtbette mich zu sich beriefe, wo er mir erklärte, daß er mich in seinem Testamente zum Universalerben eingesetzt hätte. Gleich darauf starb er: ich trat meine Erbschaft an, und maß mit großen Mulden das gemünzte Gold und Silber, das, je mehr ich maß, desto reichlicher mir zuströmte. Eben so nahm ich, wie sich von selbst versteht, Besitz von allen Kleidern, Tischen, Geschirren und der ganzen Dienerschaft. Hierauf setzte ich mich breit in einen mit weißen Pferden bespannten Wagen, und fuhr vornehm durch die staunende und mich beneidende Menge; Viele liefen vor mir her oder ritten mir zur Seite, und noch Mehrere folgten hinten drein. Bekleidet war ich mit dem prächtigen Gewande des Verstorbenen, und trug wenigstens sechzehen massiv goldene Ringe an den Fingern. Da kam mir der Einfall, ein glänzendes Gastmahl meinen Freunden zu Ehren veranstalten zu lassen. Augenblicklich, wie denn das bei’m Träumen natürlich ist, waren Gastmahl und Freunde herbeigezaubert. Schon schickte man sich zum Trinkgelage an; der Kuchen wurde abgetragen, und ich begann eben, jedem der Anwesenden aus einem großen goldenen Pokale den Freundesgruß zuzutrinken, als du mit deinem unzeitigen Geschrei mir den Schmaus zerstörtest, meine Tafel über den Haufen warfst, und meine Reichthümer nach allen Winden jagtest. Hatte ich also Unrecht, wenn ich [1159] böse auf dich wurde? Ach! ich hätte diesen Traum so gerne drei Nächte an einem weg fortgeträumt![WS 1]

13. Der Hahn. Also ein so gar großer Freund von Gold und Reichthümern bist du, Micyll, daß du von allen Dingen aus der Welt Nichts hochschätzest, und kein anderes Glück kennst, als nur recht viel Gold zu haben?

Micyll. Nicht ich allein urtheile so, Pythagoras. Hast du nicht selbst, da du noch Euphorbus warst, deine Locken mit Gold und Silber behangen, als du gegen die Achäer zu Felde zogst,[10] da es doch im Kriege angemessener gewesen wäre, Eisen als Gold zu tragen? Also auch in der Stunde der Gefahr sogar konntest du es dir nicht versagen, mit Gold geschmückt zu seyn? Und gewiß hat Homer aus keinem andern Grunde dein Haar den Grazien ähnlich genannt, als weil es reich von Gold und Silber umschlungen war, was unfehlbar seine Schönheit erhöhen und seinen Glanz hervorheben mußte. Doch, Das ist eben gar nichts Sonderliches, wenn du, der ja nur eines Panthus Sohn warst, so große Achtung vor dem Golde hattest. Als aber der Vater der Götter und Menschen, des Saturnus und der Rhea Sohn, von Liebe entbrannt gegen jenes Mädchen aus Argolis [Danaë], um ein Mittel verlegen war, ihr liebenswürdig zu erscheinen und die von Akrisius aufgestellten Wächter zu berücken, hast du nicht gehört, wie er da zu lauterem Golde ward, und durch das Dach hinab in den Schoos seiner Geliebten floß? Was verlangst du nach Diesem noch für weitere Beweise? Was soll ich von dem vielfachen Nutzen sagen, welchen [1160] das Gold bringt, wie es Diejenigen, welchen es sich zugesellt, in Kurzem schön, klug und stark macht, wie es seine Besitzer mit Ehre und Ruhm umgibt, und macht, daß Solche, die oft kurz zuvor noch unscheinbar und verachtet waren, nun bewundert und besungen werden?

14. Du kennst ja meinen Nachbar und Zunftgenossen Simon, der erst noch vor wenigen Wochen, an den Saturnalien, bei mir zu Gaste war? Weißt du noch, ich hatte ihm einen Bohnenbrei gekocht, und auch ein paar Stückchen Wurst dazu gethan?

Der Hahn. Freilich kenne ich ihn, den kleinen plattnasigten Kerl, der uns damals die einzige irdene Schüssel, die wir im Vermögen hatten, unter seinen Mantel praktizirte, und nach dem Essen sich damit davon schlich. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.

Micyll. Also war er doch der Dieb, ungeachtet er sich hoch und theuer verschworen, daß er unschuldig sey! Aber warum hast du mir kein Zeichen gegeben, warum hast du nicht Lärm gemacht, als du sahest, daß wir bestohlen wurden?

Der Hahn. Ich krähte ja aus vollem Halse, das Einzige, was mir damals zu Gebote stand. Aber was ist’s denn mit diesem Simon? du wolltest mir etwas von ihm sagen?

Micyll. Er hatte einen gewaltig reichen Vetter, Drimylus mit Namen, der ihm, so lange er lebte, nie auch nur einen Obolus gegeben hatte. Wie sollte er auch, da er ja nicht einmal selbst sein Geld anzurühren wagte? Neulich starb dieser Vetter, und das ganze große Vermögen fiel gesetzlich dem Simon zu. Und dieser arme Schlucker, der sonst in schmutzige Lumpen gehüllt und froh war, wenn er einen Teller [1161] abzulecken bekam, der hält nun Bediente, Wagen und Pferde, und fährt aus, in Purpur und Karmosin gekleidet, hat daheim goldene Geschirre und Tische auf elfenbeinernen Füßen, und läßt sich von jedermänniglich mit tiefen Bücklingen verehren, während er unser Einen keines Blickes mehr würdigt. Kürzlich, da ich ihm auf der Straße begegnete, rief ich ihm zu: „Guten Tag, Simon!“ Voller Zorn sprach er: „Sagt dem Bettler da, daß er sich enthalten solle, meinen Namen abzukürzen: ich heiße Simonides, nicht Simon!“ Das Wunderlichste ist, daß die Weiber jetzt ordentlich verliebt in ihn sind. Er spielt den launigten Liebhaber gegen sie, sieht die Einen über die Achsel an, und ist gnädig und freundlich gegen die Andern, so daß die Verschmähten ihm drohen, sich aufzuhängen. Du siehst also, welch herrliche Dinge das Geld bewirken kann, wenn es, wie jener Zaubergürtel bei den Dichtern, sogar die häßlichsten Leute in liebenswürdige umgestaltet. Und sagen denn die Dichter nicht:

O Gold, willkommenster Besitz der Sterblichen!

und wieder:

Das Gold allein ist’s, was die Sterblichen regiert.[11]

Aber du lachst ja, mein Hähnchen, was hast du?

15. Der Hahn. O Micyll, du bist also auch so verblendet, daß du dich von dem Urtheile des großen Haufens über die Reichen betrügen lässest? Wisse denn, das Leben, das sie führen, ist noch weit elender als das eurige. Ich sage dir Dieß um so zuversichtlicher, weil ich mehr als einmal arm und [1162] reich gewesen bin, und jede Lebensart aus eigener Erfahrung kenne. Du sollst dich sogleich selbst davon überzeugen.

Micyll. Nun, bei’m Jupiter, so säume nicht, mir die Geschichte deiner Verwandlungen zu erzählen, und wie es dir in jeder Lage ergangen.

Der Hahn. So höre denn: aber ich sage dir zum Voraus, daß ich noch keinen Menschen kennen lernte, der glücklicher lebte, als du.

Micyll. Als ich? O daß du doch selbst so glücklich wärest! Denn du reizest mich ja selbst dazu, dir zu fluchen. Aber sage nun doch einmal, was du Alles gewesen, von Euphorbus an bis zum Pythagoras, und dann so weiter bis zum Hahn. Du magst buntes Zeug gesehen und erfahren haben in so vielerlei Lebensläufen.

16. Der Hahn. Wie meine Seele zuerst von Apollo auf die Erde herabgeflogen, und, um ein gewisses Vergehen abzubüßen, einen menschlichen Leib angezogen, wäre zu weitläufig, zu erzählen: zudem steht es mir nicht zu, Dergleichen zu sagen, so wenig als dir, es zu vernehmen. Wie ich aber Euphorbus war –

Micyll. O sage mir doch vorerst, du Wunderhahn, Wer war denn ich? Bin ich denn auch verwandelt worden?

Der Hahn. Allerdings.

Micyll. Nun Wer war ich denn? Sage es mir doch, wenn du kannst: ich möchte es gar zu gerne wissen.

Der Hahn. Du warst eine von den Indischen Ameisen, welche Gold aus der Erde graben.

Micyll. So mußte mich mein Unhold plagen, daß ich versäumte, mich auch nur mit ein Paar Körnern für mein [1163] jetziges Leben zu versehen! Aber was wird denn nach diesem aus mir werden? Du weißt es gewiß. Wenn es etwas Gutes ist, so hänge ich mich ohne Weiteres an dem Pflocke auf, auf welchem du sitzest.

17. Der Hahn. Das wirst du auf keine Weise erfahren, guter Micyll. – Also, um wieder zu meiner Geschichte zurückzukehren: da ich Euphorbus war, half ich Troja vertheidigen, verlor aber mein Leben von der Hand des Menelaus, und ward einige Zeit darauf Pythagoras, nachdem ich in der Zwischenzeit ohne Heimath geblieben war, bis mir endlich Mnesarchus (der Vater des Pythagoras) eine Behausung verfertigte.

Micyll. Lebtest du denn inzwischen gänzlich ohne Speise und Trank?

Der Hahn. Versteht sich: dergleichen bedarf ja nur der Körper.

Micyll. Erzähle mir nun doch zuerst, wie es bei Troja zuging. War denn Alles wirklich so, wie es uns Homer darstellt?

Der Hahn. O nein, Micyll; wie hätte denn Homer das Alles wissen sollen, da er ja während der Trojischen Vorfälle ein Kameel in Bactra war? Ich sage dir nur so viel: Nichts von Allem war so außerordentlich, und Ajax weder so groß noch Helena so schön, als man gewöhnlich glaubt. Letztere, die ich öfters sah, hatte zwar eine sehr weiße Haut, aber dabei einen so langen und dünnen Hals, daß sie recht gut für die Tochter eines Schwans gelten konnte: im Uebrigen sah sie alt genug aus, und konnte wirklich nicht viel jünger als die Hekuba seyn, da ja schon einmal Theseus, der [1164] Zeitgenosse des Herkules, sie entführt und zu Aphidus bei sich gehabt hatte. Nun war es aber zu unserer Väter Zeit, als Herkules lebte und Troja eroberte, wie mir mein Vater Panthus mehr als einmal erzählte, der als ein kleines Knäbchen den Herkules gesehen haben wollte.

Micyll. Und wie ist es denn mit Achill? War er wirklich in allen Stücken der herrlichste aller Helden, oder ist auch Dieß eine pure Fabel?

18. Der Hahn. Mit Achilles traf ich nicht zusammen: überhaupt kann ich dir über die Achäer keine so bestimmte Auskunft geben; denn ich stand ja auf der feindlichen Seite. Seinem Busenfreunde Patroklus aber habe ich ohne sonderliche Mühe mit meinem Wurfspieße den Garaus gemacht.

Micyll. Gleich darauf aber wurde Menelaus mit dir noch weit leichter fertig, nicht wahr? Doch genug hievon. Du wurdest also später Pythagoras?

Der Hahn. Als solcher war ich, um dir die Wahrheit zu gestehen, nicht mehr und nicht weniger als ein Sophist, freilich ein sehr gelehrter, und in den vornehmsten Wissenschaften wohl erfahren. Ich hatte eine Reise nach Aegypten gemacht, wo ich die Weisheit der dortigen Propheten studirte, und in dem Innersten ihrer Tempel, deren Zutritt mir gestattet war, die Bücher des Horus und der Isis auswendig lernte. Hierauf begab ich mich nach Italien zurück, und wußte die Griechischen Bewohner jener Gegenden so für mich zu stimmen, daß sie mich für einen Gott hielten.

Micyll. Das hörte ich sagen, und noch überdieß, daß man geglaubt, du wärest nach dem Tode wieder aufgelebt und [1165] hättest dich den Leuten mit einem goldenen Schenkel gezeigt. Aber noch möchte ich wissen, was dir einfiel, daß du das Verbot des Fleisch- und Bohnenessens gabst?

Der Hahn. Frage mich nicht darnach, Micyll.

Micyll. Warum denn nicht?

Der Hahn. Weil ich mich schäme, dir den Grund zu sagen.

Micyll. Mache doch keine Umstände: ich bin ja dein Freund und Hausgenosse; denn deinen Herrn darf ich mich nun freilich nicht mehr nennen.

Der Hahn. Es war allerdings nichts Kluges daran. Allein ich sah, daß ich, wenn ich nur ganz gewöhnliche Verordnungen, wie alle Welt sie gibt, geben würde, die Bewunderung der Leute keineswegs auf mich ziehen könnte, daß ich hingegen, je seltsamer meine Aussprüche wären, desto außerordentlicher in ihren Augen erscheinen würde. Aus diesem Grunde zog ich es vor, dergleichen wunderliche Dinge aufzubringen, und machte natürlich aus der wahren Ursache ein großes Geheimniß, damit die Leute darüber hin und herrathen, und wie es bei dunkeln Orakelsprüchen geht, das Unbegreifliche anstaunen möchten.

Micyll. Höre du, ich glaube, du hast nachgerade auch mich zum besten, wie ehemals deine Krotoniaten, Metapontiner und Tarentiner und alle Die, welche in andächtigem Schweigen dir folgten und deine Fußstapfen anbeteten. Nachdem du aber den Pythagoras abgelegt hattest, welchen andern Menschen hast du nach diesem angezogen?

19. Der Hahn. Die Aspasia, die berühmte Hetäre, aus Milet.

[1166] Micyll. Oho, was du nicht sagst! Also auch ein Weib ist unter andern der große Pythagoras geworden? Gewiß war auch einmal eine Zeit, wo mein vortrefflicher Hahn Eier legte. Also im Ernste, du warst Aspasia, schliefst bei Perikles, wurdest schwanger von ihm, spannst Wolle und webtest, und führtest das Leben einer ausgemachten Buhlerin?

Der Hahn. Alles Das that ich, aber nicht ich allein, sondern vor mir schon Tiresias und Cäneus, des Elatus Sohn, so daß alle deine Spöttereien, die mir gelten sollen, auch zugleich Jene treffen.

Micyll. So sage mir doch, welches Leben gefiel dir besser, als du Mann warst, oder da du bei Perikles schliefst?

Der Hahn. Was das für eine Frage ist! Weißt du nicht, wie schlimm einst die Antwort auf die Nämliche dem Tiresias bekam?

Micyll. Nun wenn du mir es auch nicht sagen willst, so hat ja schon Euripides die Sache hinlänglich entschieden, wenn er die Medea [Med. 252. f.] sagen läßt, daß sie lieber dreimal in der Feldschlacht unter Waffen stehen, als Einmal gebären wollte.

Der Hahn. Ich werde dich daran erinnern, Micyll, wenn du einmal in Kindesnöthen liegen wirst. Denn auch du wirst mehr als einmal im Kreislauf deiner Verwandlungen zu einem Weibe werden.

Micyll. Daß du ersticktest, vertrackter Hahn! Meinst du denn, alle Leute müssen Milesier oder Samier seyn? Von dir sagt man freilich, du wärest schon als Pythagoras in deiner Jugend dem Samischen Tyrannen [Polykrates] oft genug Aspasia gewesen.

[1167] 20. Was für ein Mann oder Weib wurde aber nach jener Hetäre aus dir?

Der Hahn. Krates, der Cyniker.

Micyll. Hilf Kastor und Pollux, welche Extreme, aus einer Hure ein Philosoph!

Der Hahn. Sofort wurde ich ein König, darauf ein Bettler, dann ein Satrap, ein Pferd, eine Dohle, ein Frosch und tausenderlei Anderes, mit dessen Aufzählung ich mich nicht aufhalten will. Zuletzt wurde ich zum Hahn, was ich nun schon zu wiederholtenmalen bin, indem ich besonderes Wohlgefallen an diesem Leben habe. Und nachdem ich in dieser Gestalt vielen Andern, Fürsten, und reichen und armen Leuten gedient habe, lebe ich nun endlich bei dir, und belustige mich täglich an deinen Klagen und Seufzern über Armuth, und an deiner Unwissenheit, welche dich das Loos der Reichen bewundern und glücklich preisen läßt. O wüßtest du, wie vieles Ungemach, wie viele Sorgen damit verbunden sind, du würdest über dich selbst lachen, daß du glauben könntest, Wer Geld habe, sey im höchsten Grade und ununterbrochen glücklich!

Micyll. Je nun, Pythagoras, oder wie du dich am liebsten nennen hörest, damit keine Verwirrung entstehe, wenn ich dich bald so, bald anders heiße …

Der Hahn. Es verschlägt nichts, ob du mich Euphorbus, Pythagoras, Aspasia oder Krates nennest: denn ich bin dieses Alles noch. Am besten wirst du übrigens thun, wenn du mich heißest, was ich gegenwärtig vor deinen Augen bin, nämlich einen Hahn; sonst müßte ich es als Mißachtung gegen einen Vogel aufnehmen, der nicht so unbedeutend ist, als er scheint, sondern so nahmhafte Seelen im Leibe hat.

[1168] 21. Micyll. Nun also, liebster Hahn, weil du denn fast alle Lebensarten durchgemacht hast, und Alles weißt, so sage mir einmal recht aufrichtig, wie es sich mit dem Zustande der Reichen und wiederum mit dem der Armen verhält, damit ich beurtheilen kann, ob du Recht hattest, mich für glücklicher als Jene zu erklären.

Der Hahn. Bedenke nur, Micyll, wie sorgenfrei du zum Beispiel in Kriegszeiten bist. Heißt es, der Feind ist im Anzuge, so hast du nicht zu befürchten, daß deine Felder verheert, dein Park verwüstet, deine Weinreben ausgehauen werden möchten. Wenn die Trompete ertönt, so siehst du dich höchstens um, wo du deine eigene Person in Sicherheit bringen möchtest. Jene aber schweben nicht nur ihrer selbst wegen in Angst, sondern haben auch noch den Verdruß, von den Mauern herab zusehen zu müssen, wie Alles was sie auf ihren Landgütern besessen, eine Beute des Feindes wird. Muß Kriegssteuer bezahlt werden, sie allein sind’s, die man dazu auffordert. Gilt es, in’s Feld zu rücken, so müssen sie sich, als Anführer ober als Ritter, zuerst der Gefahr aussetzen. Du, mit deinem Schildchen aus Weidengeflecht, bist eben so leicht, und fertig, dein Heil in der Flucht zu suchen, als bereit, dich zum Siegesmahl zu lagern, wenn der triumphirende Feldherr sein Dankfest feiert.

22. In Friedenszeiten besuchst du, als ein Glied des souveränen Volkes, die Versammlung, und tyrannisirst da die Reichen. Diese zittern vor dir und suchen in ihrer Angst durch Geschenke dich zu begütigen. Daß es dir nicht an Bädern, Kampfspielen, Schauspielen aller Art und andern Annehmlichkeiten gebreche, ist ganz ihre Sorge. Du sitzest ihnen [1169] wie ein harter Zwingherr auf dem Nacken, beobachtest und beurtheilest sie auf’s schärfste, lässest sie oft nicht einmal zum Worte kommen, sondern sendest ihnen, wenn es dir gefällt, einen Hagel von Steinen auf die Köpfe und confiscirst ihr Vermögen. Du brauchst keinen Sykophanten zu fürchten, und bist sicher, daß dir kein Dieb über das Dach in‘s Haus steigt oder die Wand durchbricht, um dir dein Geld zu stehlen. Des verdrießlichen Geschäftes, Rechnungen zu führen, Schulden einzutreiben, mit Schurken von Verwaltern sich herumzuzanken, und hundert anderer Plackereien bist du überhoben. Hast du deinen Pantoffel fertig gemacht, so sind sieben Obolen[12] verdient: damit gehst du aus, wenn es Abend wird, nimmst ein Bad, wenn du Lust hast, kaufst einen Häring, oder ein Paar Picklinge mit Zwiebeln, lässest dir’s schmecken und bist guter Dinge, und singest und scherzest, als ein ächter Weiser, über deine eigene Armuth.

23. Bei dieser Lebensart bist du gesund und stark, und kannst Hitze und Kälte ertragen. Die Arbeit hat dich gestählt, so daß du allem Ungemach, das Andern unüberwindlich scheint, kühn die Spitze bietest. Auch die gefährlichsten Krankheiten können dir Nichts anhaben; und wenn dich auch je einmal ein leichtes Fieber befällt, so bist du dein eigener Arzt, vertreibst das Uebel mit Hunger, und springst nach wenigen Tagen frisch und gesund von deinem Lager auf; denn es ist, als ob sich das Fieber vor dir fürchtete, so wenig hält es Stand, wenn es sieht, wie du kaltes Wasser trinkst nach Herzenslust, und wie sich wegen deiner alle Aerzte zum Henker [1170] packen mögen. Wo ist hingegen ein Leiden, das nicht jene reichen Schlemmer befiele? Podagra, Abzehrung, Lungenentzündung, Wassersucht, solche Früchte tragen die üppigen Tafeln jener Unglücklichen. Daher geht es so Manchen unter ihnen, wie dem Ikarus: wenn sie sich recht hoch geschwungen haben und nahe an der Sonne sind, so vergessen sie, daß es nur Wachs ist, was ihre Fittige zusammenhält, und thun, kopfüber in’s Meer stürzend, einen gewaltigen Fall. Welche aber, wie Dädalus, nicht allzu hochfliegende Gedanken hegen, sondern nahe an der Erde hinflattern, so daß das Wachs ihrer Flügel bisweilen von der See befeuchtet wird, die fliegen meist sicher hinüber.

Micyll. Gescheidte Leute das, in der That.

Der Hahn. Desto schmählicher ist das Ende, das man die Uebrigen nehmen sieht, einen Krösus zum Beispiel, wie er, von den Persern häßlich berupft, unter dem Hohngelächter derselben den Scheiterhaufen besteigt, oder einen Dionysius, der, seiner Gewaltherrschaft entsetzt, zu Korinth Schule halten, und, statt der Rolle eines großen Königes, nun den Zwingherrn über buchstabirende Knaben spielen mußte.

24. Micyll. Ey du bist ja selbst auch König gewesen, wie du mir sagtest: sprich, wie hast du denn diese Lebensart gefunden? Ohne Zweifel warst du ganz glückselig, als du diese höchste aller Herrlichkeiten erreicht hattest?

Der Hahn. O erinnere mich doch nicht daran, Micyll. Ich war der unglücklichste aller Sterblichen. So beneidenswerth meine Lage von außen allen Leuten erschien, so wohnte doch tausendfältiger Kummer in meinem Innern.

[1171] Micyll. Kummer? Worüber denn? Ich begreife nicht, was du sagen willst?

Der Hahn. Ich herrschte über ein großes, sehr ergiebiges und volkreiches Land, dessen prächtige Städte, schiffbare Ströme und bequeme Seehäfen wenige ihres gleichen hatten: ich besaß ein zahlreiches Heer, eine vortrefflich geübte Reiterei, eine sehr ansehnliche Leibwache, viele Kriegsschiffe, eine unermeßliche Summe Geldes, eine außerordentliche Menge goldener Geräthschaften und Geschirre; kurz Alles, was zum Pompe des Königthums gehört, hatte ich im Vollauf. So oft ich mich öffentlich sehen ließ, strömte die Menge, die in mir einen Gott zu erblicken wähnte, herbei, mich zu betrachten, und mir ihre Verehrung zu bezeugen. Viele stiegen sogar auf die Dächer, und hielten es für ein großes Glück, meinen Wagen und meine Pferde, meinen Mantel, mein Diadem und mein Gefolge recht in der Nähe gesehen zu haben. Ich, der ich wohl wußte, was mich ängstigte und drückte, hatte Mitleid mit ihrer Einfalt und mit mir selbst, und kam mir vor, wie die kolossalen Bildwerke eines Phidias, Myron oder Praxiteles, die von außen aus lauterem Gold und Elfenbein gearbeitet zu seyn scheinen, und einen herrlichen Jupiter oder Neptun mit einem Dreizack oder einem Donnerkeil und Blitzstrahl in der Rechten, darstellen; schaut man aber in’s Innere hinein, so sieht man Nichts als hölzernes Sparrwerk, Klammern und Nägel, Klötze und Keile, Pech und Lehm und eine Menge dergleichen Unrath; nicht zu gedenken der Mäuse und Ratzen, welche bisweilen den unförmlichen Raum bevölkern. Gerade so ist es auch mit der Fürstenwürde.

[1172] 25. Micyll. Du hast mir aber noch nicht gesagt, was ich mir unter dem Sparrwerk, den Klammern, dem Lehm und allem dem innern Unrath des Königthums zu denken habe. Daß ein König, wenn er ausfährt, das Ziel aller Blicke ist, daß er Tausenden gebietet und wie ein höheres Wesen verehrt wird, insofern paßt allerdings deine Vergleichung mit einem colossalen Bildwerke sehr gut: denn es ist in der That etwas Göttliches um eine solche Herrlichkeit. Aber was sich innen findet, beschreibe mir etwas näher.

Der Hahn. Ich weiß wahrlich nicht, Was ich dir zuerst nennen soll, Micyll – unaufhörlich beängstigender Argwohn, Feindschaft und Meutereien von Seiten der nächsten Umgebungen, und daher kurzer, leicht verscheuchter Schlaf, schreckliche Träume, ein Gewirr sorgenvoller Gedanken, und trostlose Blicke in die Zukunft, zudem eine Masse öffentlicher Geschäfte, Audienzen, Rechtssachen, Leitung des Kriegswesens, Erlasse, Unterhandlungen, Staatsrechnungen, kurz eine Menge von Dingen, die dem Könige, der für Alle zu sorgen hat, allein zu schaffen machen, und ihn nicht einmal im Schlafe einen ruhigen Augenblick genießen lassen. Denn

Nur nicht Atreus Sohne, dem Hirten des Volks; Agamemnon,
Nahte der liebliche Schlaf, da Vieles im Geist er bewegte,[13]

während doch alle seine Achäer schnarchten. Dort jener Lydierkönig grämt sich über seinen taubstummen Sohn;[14] dem Perser [Artaxerxes] macht Klearch, der für Cyrus Truppen wirbt, dem Dionysius Dion zu schaffen, wenn Dieser irgend [1173] einem Syrakuser einige Worte in’s Ohr sagt; einem Andern [dem Alexander] ist es unerträglich, wenn er den Parmenio, den Perdikkas, wenn er den Ptolemäus, und Diesem, wenn er den Seleukus rühmen hört. Noch andere Dinge gibt es, die nicht minder Verdruß bereiten – ein Liebling, den man erst zwingen muß, sich zu fügen, eine Mätresse, die ihr Wohlgefallen an einem Andern hat, das Gerücht, daß dieser oder jener Vasall den Gehorsam aufkündigen wolle, drei oder vier Trabanten, die Heimlichkeiten mit einander zu schwatzen haben, und dergleichen mehr. Das Aergste ist noch, daß man seinen liebsten Freunden und Verwandten nicht trauen darf, sondern gerade von Diesen sich stets des Schlimmsten zu versehen hat. Ich selbst starb an Gift, das mir mein eigener Sohn beigebracht hatte: Dieser starb auf dieselbe Art von der Hand seines Günstlings; und ohne Zweifel hat auch Dieser einen ähnlichen Tod gefunden.

26. Micyll. Stille, mein lieber Hahn, das sind entsetzliche Dinge, die du mir sagst. Da ist es denn freilich weit gerathener, ich bücke mich über meine Schusterei her, als daß ich Schierling und Tollbeerensaft aus goldenen Pokalen auf meine eigene Gesundheit trinke. Alles, was ich bei jener zu befahren habe, ist etwa, daß mir der Schusterkneif beiseit fährt, und mir die Finger ein Bischen blutig ritzt. Jene Glücklichen aber, von denen du sagtest, umgeben von Widerwärtigkeiten tausendfältiger Art, sind noch obendrein an ihren eigenen Tafeln des Lebens nicht sicher. Und wenn sie denn zu Falle kommen, so gleichen sie ganz den tragischen Schauspielern, die eine Zeitlang in der Rolle eines Cekrops, Sisyphus oder Telephus mit einem Diadem, einem Schwerte [1174] mit elfenbeinernem Griffe, einem stolz wallenden Helmbusche und in einem goldgestickten Mantel prangen; wenn aber, was oft der Fall ist, Einer von ihnen aus Unvorsichtigkeit [über die Breter der Bühne] hinaustritt und hinunterfällt, welches Gelächter erhebt sich da unter den Zuschauern, wenn die Maske sammt dem Diadem zu Schanden gegangen ist, und nun das blutige eigene Gesicht des Akteurs, seine bloßen Beine, und unter dem Prachtgewande armselige Lumpen und das Mißverhältniß des unförmlichen Kothurn’s mit dem schmächtigen Fuße, zum Vorschein kommen! – Du siehst, liebster Henning, wie ich dir das Gleichnissemachen abgelernt habe. – Solche Bewandtniß hätte es also mit dem Fürstenstande. Aber wie du Pferd, Hund, Fisch oder Frosch warst, wie bekamen dir denn diese Lebensarten?

27. Der Hahn. Du bringst hier Etwas zur Sprache, was uns zu weit führen würde, und nicht dieses Ortes ist. Uebrigens kann ich dich in der Hauptsache versichern, daß jedes von diesen Thierleben mir minder mühselig vorkam, als das menschliche, weil sich das Thier lediglich in den Gränzen seiner natürlichen Triebe und Bedürfnisse hält. Es gibt unter den Pferden keinen Zolleinnehmer, unter den Fröschen keinen Sykophanten, unter den Dohlen keinen Sophisten, keinen Koch unter den Mücken, keinen Cinäden unter uns Hähnen; kurz nichts von allem Dem, was euch so viel zu schaffen macht, findet sich bei Jenen.

28. Micyll. Das mag Alles sehr wahr seyn: dennoch schäme ich mich nicht, dir zu gestehen, wie mir zu Muthe ist. Ich kann mir einen Wunsch, den ich seit meinen Knabenjahren hege, noch immer nicht aus dem Sinne schlagen, [1175] den Wunsch, ein reicher Mann zu seyn: auch schwebt der Traum, der mich so viel Geld sehen ließ, noch immer vor meinen Augen. Was ich aber vollends nicht verschlucken kann, ist der Gedanke an den verwünschten Simon, der sich nun im Besitze eines so großen Vermögens gütlich thut.

Der Hahn. Von diesem Uebel will ich dich heilen, lieber Micyll. Da die Nacht noch nicht vorüber ist, so stehe auf und folge mir: ich werde dich in das Haus dieses Simon und noch einiger andern reichen Leute führen, damit du dich selbst überzeugen kannst, wie es mit ihnen steht.

Micyll. Wie soll denn Das zugehen, bei verschlossenen Thüren? Du wirst doch nicht haben wollen, daß wir durch die Wände einbrechen?

Der Hahn. Durchaus nicht. Merkur, dem ich geheiligt bin, hat mir die besondere Gabe verliehen, daß die längste meiner Schwanzfedern, welche ihrer Dünne wegen gebogen ist – – –

Micyll. Ich sehe aber zwei solcher Federn –

Der Hahn. Ich meine die rechts – Wer mir diese Feder auszieht, der kann, so lange ich sie in seinen Händen lasse, jede beliebige Thüre öffnen und Alles sehen, ohne selbst gesehen zu werden.

Micyll. Wer hätte Das gedacht, mein Hähnchen, daß auch ein Zauberer in dir steckte! Gib mir diese Feder nur ein Einzigesmal, und du sollst in wenigen Augenblicken alles Eigenthum des Simon hieher verpflanzt sehen. Ich werde Alles selbst herübertragen, und er soll mir wieder, wie sonst, an seinem Sohlenleder nagen. [1176] Der Hahn. Nein, Das darfst du nicht, Micyll. Merkur hat mir auf’s Strengste befohlen, sobald Einer einen solchen Gebrauch von meiner Feder machen würde, ihn sogleich durch mein Krähen zu verrathen.

Micyll. Geh, das glaube ich nicht. Merkur ist selber ein Dieb, und sollte es Andern mißgönnen, es ebenfalls zu seyn? Doch – gehen wir. Ich will das Gold unberührt lassen, wenn mir’s möglich ist.

Der Hahn. Rupfe mir also vorerst die Feder aus. – Was machst du? Du nimmst mir ja beide?

Micyll. Zur Vorsorge, Freund Henning: überdieß würde es nicht gut lassen, wenn die eine Hälfte des Schweifes kürzer als die andere wäre.

29. Der Hahn. Nun meinetwegen. Gehen wir zuerst in Simons Wohnung, oder zu einem Andern von diesen Geldhabern?

Micyll. Zu Simon, der jetzt, seitdem er reich geworden ist, durchaus viersylbig seyn will. – Wir stehen an seiner Hausthüre: was habe ich nun zu thun?

Der Hahn. Berühre das Schloß mit der Feder.

Micyll. Ei, Herkules, die Thüre geht ja auf, als ob sie mit dem Schlüssel geöffnet wäre.

Der Hahn. Geh immer voran! Siehst Du, wie er dort sitzt und an den Fingern zählt?

Micyll. Wahrhaftig, bei’m Jupiter, dort sitzt er bei’m düstern Schein eines halbvertrockneten Oehllämpchens. Aber wie kommt es denn, daß er so blaß und abgezehrt aussieht? Die Sorgen müßen ihn so ausmergeln; wenigstens wüßte ich nicht, daß er krank gewesen wäre.

[1177] Der Hahn. Hören wir, was er mit sich spricht. Du sollst bald erfahren, warum er so aussieht.

Simon [zu sich selbst]. Nun, die siebzig Talente, denke ich, sind unter meiner Bettstelle in sicherer Verwahrung: keine lebendige Seele hat zugesehen, wie ich sie vergrub. Aber die sechzehen andern – ich fürchte, ich fürchte, der Stallknecht Sosylus hat mich bemerkt, als ich sie neulich unter der Krippe verbarg. Wenigstens macht sich der Bursche, der doch sonst immer so nachläßig und faul war, jetzt immer Etwas im Stalle zu schaffen. Ach! und wie leicht ist es möglich, daß man mir noch weit mehr gestohlen hat! Denn wie hätte sich sonst Tibius gestern einen so großen Seefisch kaufen können? Seinem Weibe soll er sogar ein Paar Ohrringe um fünf Drachmen[15] gekauft haben. O ich armer Mann! Man ruinirt mich ganz und gar! – Meine vielen Trinkgeschirre sind auch nicht gut aufbewahrt: ich bin keinen Augenblick sicher, daß mir kein Dieb durch die Wand bricht und sie fortschleppt. Es sind der Leute gar zu viele, die mit neidischen Blicken auf mein Eigenthum lauern, vor Allen aber Nachbar Micyllus.

Micyllus [leise]. Zum Jupiter, ich wäre also, wie du, und trüge die Schüsseln unter dem Arme davon?

Der Hahn. Bst! Sey doch stille, er merkt ja sonst, daß wir da sind.

Simon [fortfahrend]. Das Beste wird wohl seyn, ich halte mich wachend, und mache die Runde durch das ganze Haus. – Wer da? Halt Spitzbube, ich sehe dich wohl! [1178] Gottlob, es war nur eine Bildsäule. – Ich will doch mein liebes Gold wieder ausgraben und noch einmal nachzählen, ob ich mich vorhin nicht verrechnet habe. – Horch! schon regt sich wieder Etwas, dicht neben mir. Es ist nicht anders, ich bin allenthalben von geheimen Feinden umlagert. Wo ist mein Dolch? Wart, wenn ich dich erwische! – – Nun will ich es wieder begraben, nein Geldsäckchen.

30. Der Hahn. Nun weißt du ja, wie gut es Simon hat. Laß uns nun das Restchen der Nacht benützen, noch ein Paar Andere zu besuchen.

Micyll. O des erbärmlichen Menschen, was das für ein Leben ist! Jedem meiner Feinde wünsche ich, so reich zu seyn. Ich muß ihm doch eine Ohrfeige geben zum Abschied.

Simon. Was war Das? Wer schlägt mich? O weh! Diebe! Räuber! ich werde bestohlen!

Micyll. Heule du nur, wache, zehre dich ab, und werde so gelb als dein Gold. – Nun wollen wir zu Gniphon gehen, dem reichen Wucherer; er wohnt nicht weit von hier. – Die Thüre ist offen.

31. Der Hahn. Siehe, auch Dieser kann vor seinen Sorgen nicht schlafen: ganz abgemagert sitzt er da und rechnet seine Zinsen an den Fingern her, und doch wird er Alles, was er hat, in Kurzem verlassen müßen, um in eine Motte, eine Mücke, oder eine Hundefliege sich zu verwandeln.

Micyll. Ich sehe ihn, den kläglichen Narren: lebt er doch jetzt schon ein wahres Mottenleben; denn auch er hat ja über dem leidigen Einmaleins die Schwindsucht bekommen. Fort! zu einem Andern.

[1179] 32. Der Hahn. Zu deinem Eukrates, wenn du Lust hast. – Siehst du, auch diese Thüre hat sich geöffnet, wir können eintreten.

Micyll. Ach, alle diese Dinge waren so eben noch die meinigen!

Der Hahn. Wie? Du träumst noch immer von Reichthümern? Nun so siehe hier diesen Eukrates – was sein Sklave mit ihm treibt, einem Manne von diesen Jahren –!

Micyll. Bei’m Jupiter! ich sehe eine schändliche, unnatürliche Scene – und dort in jenem andern Zimmer seine Gattin in den unzüchtigen Armen des Kochs!

33. Der Hahn. Wie nun, Micyll? Möchtest du auch jetzt noch solcher Leute Erbe und in Allem ein Eukrates seyn?

Micyll. Das sey ferne! Lieber wollte ich vor Hunger sterben, als zu solchen Dingen mich hergeben. Weg mit dem Golde und den Schmausereien! Lieber seyen zwei Obolen mein ganzer Reichthum, als daß ich mich meinen Bedienten –

Der Hahn. Wir wollen nach Hause gehen, Micyll: der Tag graut schon. Das Weitere sollst du ein andermal zu sehen bekommen.


  1. Iliade XIX, 404. ff.
  2. Odyss. XII, 394. ff.:

    Bald darauf erschienen die Wunderzeichen der Götter:
    Ringsum krochen die Häut’, und es brüllte das Fleisch um die Spiese,
    Rohes zugleich und Gebratnes; und laut wie Rindergebrüll scholl’s.

  3. Der Hahn, als Sinnbild der Wachsamkeit, gehörte zu den Attributen des Merkur.
  4. Die Hähne von Tanagra in Böotien waren, besonders als Streithähne, die geschätztesten.
  5. S. Todtengespr. XX.
  6. Odyss. XIX, 560. ff. und (nach Homer) Virgil VI, 894.
  7. Pindar, Olymp. I, 1. ff. nach Thiersch.
  8. Iliade II, 56. f.
  9. S. Todtengesp. I.
  10. Iliade XVII, 51. f.
  11. Bruchstücke des Euripides.
  12. Etwa 30 Kreuzer.
  13. Iliade X, 3. f. Voß.
  14. Vergl. Rechtfert. des Aufs. „die Bilder,“ 20.
  15. 2 fl. 10 kr.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: for geträumt!