Rechtfertigung des Aufsatzes: „die Bilder“
1. Polystratus. Höre Lycinus, was die schöne Frau über dich und deinen Aufsatz zu mir gesagt hat: „Ich mißkenne nicht, daß er es recht gut meinte, und daß es seine [969] Absicht war, mit diesem Schriftchen mir eine Ehre zu erweisen. Denn Wer würde sich wohl mit Loben so gewaltig angreifen, wenn es ihm nicht aus wohlwollendem Herzen käme? Uebrigens – wenn du meine Gesinnung wissen willst, so laß dir sagen, daß ich überhaupt keine Freundin von Schmeichlern bin, und dergleichen Leute für unfrei denkende Naturen halte, die ein leichtsinnig Gaukelspiel mit der Wahrheit treiben. Am wenigsten aber können mir Lobsprüche voll ungemessener und widerlicher Uebertreibungen gefallen: sie machen mich erröthen, und nöthigen mich fast, die Ohren zu verstopfen, so daß ich immer geneigt bin, das Ganze eher für Spott, als für wirkliches Lob zu halten.“
2. „Lobsprüche sind nur so weit erträglich, als der Gelobte sich bewußt ist, jeden der gerühmten Vorzüge wirklich zu besitzen. Was drüber ist, gehört ihm nicht, und ist baare Schmeichelei. Freilich kenne ich nur gar zu viele Leute, denen es Vergnügen macht, sich von ihren Lobrednern Eigenschaften, die sie nicht haben, aufheften zu lassen. Gebrechliche Alte lassen sich gerne zu ihrer jugendlichen Kräftigkeit Glück wünschen, und häßliche Figuren nehmen es an, wenn man ihnen sagt, sie wären mit den Reizen eines Nireus oder Phaon umgeben. Sie bilden sich ein, ein solches Lob vermöge ihre Gestalt umzuwandeln, oder hätte die Kraft, sie wieder zu verjüngen, dergleichen sich Pelias weiß machen ließ.“
3. „Diese Leute betrügen sich gewaltig. Wenn freilich solche übertriebene Lobsprüche den großen Nutzen gewährten, daß die angedichteten Vorzüge sich verwirklichten, so könnte man sie in der That nicht theuer genug bezahlen. So aber [970] kommt es mir gerade vor, als wenn man einem häßlichen Gesichte eine schöne Maske angelegt hätte, und dieser Mensch wollte sich große Stücke auf eine Schönheit einbilden, welche ihm der erste beste Vorübergehende abziehen und zerstören könnte; wo er denn eine um so lächerlichere Figur machen würde, wenn das wirkliche Gesicht zu Tage käme, das unter der schönen Larve gesteckt hatte. Nicht anders wäre es, wenn sich ein Zwerg den tragischen Kothurn anschnallte, und nun einen Wettstreit der Größe mit Männern eingehen wollte, die auf gleichem Boden um eine ganze Elle über ihn hinaus ragten.“
4. Sie erzählte mir bei dieser Gelegenheit von einer gewissen vornehmen Frau, die zwar sehr schöne und gefällige Gesichtszüge, aber einen viel zu kleinen Wuchs besaß, um für gut gebaut gelten zu können. Ein Dichter nun hatte den Einfall, in einem Lobgedicht auf sie auch ihre prächtige und majestätische Gestalt zu besingen, und sie in dieser Beziehung mit einer schlanken Pappel zu vergleichen. Das gute Weibchen war ganz entzückt von dieser Artigkeit: sie glaubte unter dem Vortrage dieser Verse wirklich größer zu werden, und gab ihren Beifall auf das Lebhafteste zu erkennen, so daß der Poet, wie er sah, daß seine Lobsprüche mit solchem Vergnügen aufgenommen wurden, dieselbe Stelle einigemal wiederholte, bis ihm Einer der Anwesenden leise in’s Ohr sagte: „So sey doch einmal stille; oder du wirst noch machen, daß sie aufsteht!“
5. Aehnlich, aber noch ungleich lächerlicher war, wie sie erzählte, das Benehmen der Gemahlin des Seleucus, Stratoníce. Diese hatte ein Talent demjenigen Dichter als Preis [971] ausgesetzt, der das beste Lobgedicht auf ihre Haare verfertigen würde. Nun wußte aber alle Welt, daß ihr nach einer langen Krankheit die Haare ganz und gar ausgefallen waren, und daß sie daher kein einziges eigenes auf dem Kopfe trug. Gleichwohl konnte sie es über sich bringen, den schamlosen Poeten zuzuhören, wie sie von hyacinthenen Locken und schön gewundenen Geflechten sangen, und mit üppigen Epheuranken Haare verglichen, die gar nicht vorhanden waren.
6. Auf diese Art machte sie sich über alle die Leute lustig, die sich Schmeichlern preis geben, – „und,“ fügte sie hinzu, „es gibt Personen, die nicht mit Lobsprüchen allein, sondern auch in ihren Bildnissen auf solche Weise geschmeichelt und betrogen seyn wollen. Von allen Malern lieben Diese am meisten Diejenigen, welche ihre Züge in das Schönere zu malen wissen. Da muß der Künstler bald der Nase etwas von ihrer Länge oder Dicke nehmen, bald den Augen eine schwärzere Farbe geben, bald Etwas anderes, was sie gerne haben möchten, hinzupinseln: und am Ende loben und beschenken sie den Meister, daß er ihnen ein Porträt geliefert hat, das sie nichts angeht.“
7. Ungeachtet dieser und ähnlicher Aeußerungen ließ übrigens die schöne Frau deinem Aufsatze alle Gerechtigkeit widerfahren: nur das Einzige, meinte sie, könne sie durchaus nicht zugeben, daß du sie mit Göttinnen wie Juno und Venus vergleichest. „Dieß ist,“ sagte sie, „mehr als mir, ja es ist mehr, als der menschlichen Natur überhaupt gebührt. Ich wollte, er hätte mich nicht einmal mit den Heroinnen, einer Penelope, Aréte und Theano, verglichen, geschweige mit den höchsten Göttinnen selber. Denn ich muß dir gestehen, [972] fügte sie hinzu, im Punkte der Götter bin ich ängstlich gewissenhaft, abergläubisch sogar, wenn du willst: ich besorge, wenn ich solche Lobsprüche annähme, möchte es mir, wie der Cassiopeja ergehen, wiewohl diese nur den Nereïden sich gleichgestellt, der Juno und Venus hingegen alle Verehrung erwiesen hatte.“
8. Sie verlangt also von dir, Lycinus, daß du diese Stellen in deinem Aufsatze abänderst: sonst werde sie die Göttinnen selbst zu Zeugen anrufen, daß du gegen ihren Willen geschrieben, und daß du wohl wissest, wie unangenehm es ihr sey, ein Schriftchen im Umlauf zu wissen, das in seiner jetzigen Gestalt so manche irreligiöse Stellen enthalte. Denn sie glaubte, der größten Versündigung schuldig befunden zu werden, wenn sie geschehen ließe, daß man sie der Venus von Knidus, oder der in den Gärten bei Athen ähnlich nenne. Du möchtest dich doch an Das erinnern, was du selbst am Schlusse deines Aufsatzes von ihr sagtest, daß sie, frei von allem unbescheidenen Dünkel, weit entfernt sey, über das Maß menschlicher Größe hinauszustreben, sondern ihren Flug stets nahe an der Erde hin nehme: und du, der Das von ihr gesagt, wollest doch das sterbliche Weib über den Himmel selbst erheben, indem du ein Abbild der höchsten Göttinnen aus ihr machest.
9. Sie läßt dich bitten, sie nicht für minder vernünftig, als Alexandern, zu halten, der,[1] als ihm ein Baumeister anbot, den ganzen Berg Athos in eine Bildsäule von ihm umzuformen, die in jeder Hand eine Stadt trüge, den [973] Antrag zu einem so abenteuerlichen Beginnen, als zu vermessen für einen Sterblichen, verwarf, und dem windigen Urheber solcher colossaler Projecte bedeutete, den Athos zu lassen wie er sey, und den gewaltigen Berg nicht in das kleinliche Maß eines Menschenkörpers zwängen zu wollen. Diesen Zug von großartiger Denkungsart lobte sie sehr an Alexandern, und äußerte, er hätte sich damit in dem Andenken der ganzen Nachwelt ein größeres Denkmal, als der Athos selbst, errichtet; denn es wäre ein Beweis eines gewiß nicht kleinen Geistes, daß die Aussicht auf eine so außerordentliche Ehre ihn so wenig anregte.
10. Sie könne zwar deiner Composition und der sinnreichen Zusammenstellung deiner Bilder ihren Beifall nicht versagen; nur die Aehnlichkeit zwischen diesen und ihr selbst werde sie nicht anerkennen: weder sie, noch überhaupt eine sterbliche Frau, wäre auch nur von weitem würdig, mit jenen hohen Wesen in Vergleichung zu kommen. Sie dankt dir also für die ihr zugedachte Ehre, und zieht es vor, den erhabenen Urbildern selbst in Demuth zu huldigen. Wenn du sie ja loben wollest, möchtest du nur so weit gehen, als man bei Menschen gehen kann, und den Schuh nicht größer machen, als der Fuß sey: „damit mich,“ sagte sie, „der Schuh nicht zu Falle bringe, wenn ich darin gehen will.“
11. Noch Eins hat sie dir zu sagen mir aufgegeben. „Ich habe,“ sprach sie, „öfters gehört – ob es wahr ist, müßt ihr Männer wissen – daß es nicht erlaubt sey, den Olympischen Siegern Bildsäulen, welche die Lebensgröße überschreiten, zu setzen, und daß die Hellanodiken, welche darauf zu sehen haben, daß das Maß der Wahrheit eingehalten [974] werde, es mit der Untersuchung dieser Statuen strenger nehmen, als sogar mit der Prüfung der Wettkämpfer selbst. Wir haben uns also sehr zu hüten, daß uns keine Verfälschung des wahren Maßes zur Last gelegt werde: sonst dürften Hellanodiken mein Standbild zu Boden werfen.“
12. Dieß ist’s, Freund Lycinus, was diese Frau über dein Büchlein gesagt hat. Denke nun darauf, wie du es umänderst, und jene anstößigen Stellen in Betreff der Götter, austilgest. Denn glaube mir, sie hat dieselben äußerst übel aufgenommen: einigemal sogar erschrack sie sichtbarlich während der Vorlesung, und bat die Göttinnen, ihr gnädig zu seyn. Und ich finde in der That diese Aengstlichkeit an einer Frau sehr verzeihlich; denn, um dir die Wahrheit zu gestehen, es kommt mir nun fast selbst so vor, als ob sie Recht hätte. Anfänglich zwar, als du mir deine Schrift zum erstenmale vorlasest, fand ich nichts Anstößiges darin; nachdem aber Panthéa ihre Ansicht darüber geäußert hat, fange ich selbst an, ihrer Meinung zu werden. Es ging mir damit, wie mit den Gegenständen, die wir zu nahe unter den Augen haben: wir sehen dann nicht richtig, und können das Einzelne mit dem Ganzen nicht gehörig zusammen halten: so wie wir aber den Gegenstand aus einer verhältnißmäßigen Entfernung betrachten, so erscheint uns alles klar und deutlich, was daran schön oder unschön ist.
13. Wenn du ein sterbliches Weib mit einer Juno und Venus vergleichst, was ist Dieß anders, als eine offenbare Verkleinerung dieser Göttinnen? Durch solche Gleichstellungen wird nicht sowohl das Kleine größer, als das Große, [975] indem es zu dem Kleinen herabgezogen wird, verkleinert. Denke dir, zwei Menschen, der Eine von sehr großer, der Andere von winzig kleiner Gestalt, gehen zusammen, und gleichwohl soll der Große über den Kleinen nicht emporragen: um Dieß zu bewerkstelligen, würde es nichts helfen, wenn der Kleine sich in die Höhe reckte, und wollte er auf den äußersten Fußspitzen gehen; sondern wenn beide gleich hoch erscheinen sollen, so muß sich der Große herabbücken, bis er so klein wie der Andere ist. Derselbe Fall ist mit solchen Bildern: der Sterbliche wird darum nicht größer, wenn man ihn mit einem Gotte vergleicht; wohl aber wird nothwendig das Göttliche dadurch erniedrigt, und zum Unvollkommenen herabgedrückt. Ein Anderes ist, wenn man aus Mangel an irdischen Bildern sich genöthigt sieht, zu Vergleichungen mit himmlischen sich zu versteigen: in diesem Falle dürfte man dem Vorwurf, aus Geringschätzung der Götter so zu verfahren, minder ausgesetzt seyn. Allein dir standen ja der irdischen Originale weiblicher Schönheit zur Genüge zu Gebot; was nöthigte dich, dieser Vergleichung mit Juno und Venus dich zu erkühnen?
14. Tilge also nur immer diese anstößigen Uebertreibungen aus deinem Aufsatze, lieber Lycinus. Ist es ja doch sonst nicht deine Weise, mit großen Lobsprüchen also gleich bei der Hand zu seyn, so daß ich nicht recht begreifen kann, wie du dich so auf einmal umwandeltest, und aus dem sparsamen Lobredner, der du vorher warst, ein solcher Verschwender geworden bist. Wenn gleich deine Schrift bereits in den Händen des Publikums ist, so darfst du darum keinen Anstand [976] nehmen, Aenderungen an ihr zu machen. Selbst Phidias that Dasselbe, wie man erzählt, an dem Bilde des Jupiter, das er für die Eléer verfertigt hatte. Als er dasselbe zum erstenmal zur Beschauung ausstellte, versteckte er sich hinter der Thüre, um die verschiedenen Urtheile der Anwesenden zu vernehmen. Da wußte denn der Eine Dieß, der Andere Jenes auszusetzen; dem Einen war die Nase zu dick, dem Andern das Gesicht zu lang und drgl. Nachdem sich nun die Zuschauer entfernt hatten, schloß sich Phidias wieder ein, und verbesserte sein Werk nach dem Dafürhalten der Mehrzahl, indem er überzeugt war, daß die Stimme so Vieler von Gewicht sey, und daß Viele nothwendig mehr sehen müßen als Einer, und wenn dieser Eine auch ein Phidias ist. – Dieß ist mein Auftrag von ihr an dich: und ich selbst rathe dir, wohlmeinend als dein Freund, ihn zu berücksichtigen.
15. Lycinus. Ey, ey, Polystratus! welch’ großen Redner entdecke ich in dir! du hast wahrlich meinem Büchlein eine so gewaltige Strafpredigt gehalten, daß ich gar nicht mehr weiß, wie ich mich verantworten soll. Uebrigens muß ich dir sagen: das heißt denn doch nicht so ganz im Wege Rechtens von Euch, und vornehmlich von dir, verfahren, daß ihr dem Schriftchen den Proceß macht, ohne seinen Fürsprecher gehört zu haben. So hattet ihr leichtes Spiel; denn, wie das Sprichwort sagt, Wer allein läuft, hat immer gewonnen. Was Wunder also, wenn wir den Kürzern zogen, da man uns nicht vorgeladen, und keine Zeit zu einer förmlichen Verantwortung uns anberaumt hat? Und was das [977] Ungebührlichste ist – Ihr seyd ja Kläger und Richter zugleich! – Was meinst du nun? soll ich mich in Euer Erkenntniß ruhig ergeben, oder soll ich eine Palinodie schreiben, wie der Dichter aus Himera?[2] oder wollt ihr mir gestatten, meine Sache im Wege der Appellation zu führen?
Polystratus. Warum nicht, wenn du etwas Rechtsgültiges für dich anzuführen weißt? Es ist nicht, als ob du deine Sache gegen übelwollende Gegner – wofür du uns zu halten scheinest – statt gegen Freunde zu verfechten hättest. Ich selbst bin bereit, dir gleichfalls zu Recht zu stehen.
16. Lycinus. Was mir dabei unangenehm ist, Polystratus, ist nur Das, daß ich meine Rechtfertigung nicht in Gegenwart der schönen Frau selbst vorbringen soll. Ich wäre ungleich besser daran, als jetzt, wo ich genöthigt bin, mich gegen ihren Bevollmächtigten zu verantworten. Indessen – wenn du ein eben so getreuer Ueberbringer meiner Worte bei ihr seyn willst, als du es bei mir von den ihrigen warst, je nun so will ich es wagen.
Polystratus. Sey deswegen ohne Sorgen, Lycinus. Ich werde gewiß meine Referentenrolle nicht schlecht spielen. Nur bitte ich dich, befleißige dich der Kürze, damit ich Alles um so besser behalten kann.
Lycinus. Freilich wäre nöthig, daß ich mich gegen eine so schwere Anklage sehr weitläuftig vertheidigte: doch dir zu Gefallen will ich mich so kurz als möglich fassen. Sage ihr also in meinem Namen –
[978] Polystratus. Nicht doch, Lycinus! Sprich gerade so, als ob sie selbst gegenwärtig wäre, und dann will ich bei ihr deine Person vorstellen.
Lycinus. Nun, weil du denn so willst, Polystratus –: sie ist also gegenwärtig, hat alles Dieß, was du mir so eben von ihr überbracht, selbst gesprochen, und es ist nun an mir, darauf zu antworten – aber, Freund, um dir nur zu gestehen, wie mir zu Muthe ist: du hast gemacht, daß mir bei dem ganzen Handel nur um so banger ist: ich glaube sie nun wirklich vor mir zu sehen, und das macht mich so verwirrt, daß mir der Angstschweiß ausbricht, wie du siehst. Und doch – es ist Zeit, daß ich anfange; denn wie könnte ich mich jetzt noch zurückziehen, da sie ja schon da ist?
Polystratus. Nun, bei’m Jupiter, so sieh doch, welches leutselige Wohlwollen aus ihren Mienen spricht, wie heiter und freundlich sie dich anlächelt! Also Muth gefaßt, Lycinus, laß dich vernehmen!
17. Lycinus. „Wenn ich dich, Edelste der Frauen, auf eine Weise gelobt habe, die, wie du sagst, das gebührende Maß überschreitet, so sehe ich nicht, welches von mir gebrauchte Lob demjenigen gleich käme, das du dir so eben selbst gesprochen, indem du die Achtung vor dem Göttlichen so hoch über Alles setzest. Dieses Eine macht dir in der That mehr Ehre als Alles, was ich von dir gesagt habe; und nur der Umstand, daß mir dieser schönste Zug an dir noch nicht bekannt war, mag mich entschuldigen, daß ich ihn aus deinem Bilde weggelassen habe, da ich ihn sonst gewiß vor allen anderen angebracht hätte. Schon in sofern also bin ich so [979] weit entfernt, mich der Uebertreibung schuldig zu bekennen, daß ich vielmehr jetzt weit weniger gesagt zu haben glaube, als du verdientest. Frage dich nur selbst, ob ich nicht das Wichtigste, gerade den entscheidensten Beweis für rechtschaffene Gesinnung und richtige Denkart, in deinem Charaktergemälde ausgelassen habe, wenn anders ausgemacht ist, daß Diejenigen, deren Achtung vor dem Göttlichen ernstlich gemeint ist, auch in ihrem Betragen gegen die Menschen die Besten sind. Wenn ich also durchaus meinen Aufsatz abändern, wenn ich das Gemälde verbessern sollte, so wüßte ich mich wohl hüten, Etwas davon wegzunehmen; wohl aber würde ich jenen, das Ganze so schön vollendenden Hauptzug, noch hinzufügen. Uebrigens gestehe ich, daß ich dir eben hiedurch zu dem größten Danke verpflichtet worden bin. Ich habe deinen bescheidenen Sinn gerühmt und gesagt, daß dein gegenwärtiges, so glänzendes Glück auch nicht das Mindeste von Uebermuth und Aufgeblasenheit in dir hervorgebracht habe: nun, da du dich so sehr über meine Schrift beschwerst, bestätigst du eben damit die Wahrheit meines Lobes. Statt diese Lobsprüche begierig aufzunehmen, bist du ganz beschämt, und erklärst, sie bei weitem nicht zu verdienen: gibt es einen deutlicheren Beweis von bescheidener und anspruchloser Denkungsart? Je mehr du also gegen Lobeserhebungen so gesinnt bist, um so würdiger zeigst du dich derselben; und es bewährt sich an dir, daß Diogenes recht hatte, als er einst auf die Frage, wie man sich berühmt machen könne, zur Antwort gab: wenn man den Ruhm verachtet. Und eben so möchte ich, wenn man mich fragte: welche Leute verdienen [980] am meisten Lob? antworten: Diejenigen, welche am wenigsten begierig darnach sind.“
18. „Doch Dieß liegt vielleicht zu weit von dem Punkte ab, von welchem es sich hier eigentlich handelt. Denn Das, worüber ich mich verantworten soll, ist Dieß, daß ich bei der Entwerfung deines Bildes die Juno, Minerva und die beiden Liebesgöttinnen zu Knidus und in den Gärten zu Hülfe nahm. Dieß wäre, meinst du, über alles Maß und Verhältniß. Höre nun, was ich hierauf zu erwiedern habe. Es ist ein alter Spruch: Dichter und Maler unterliegen gar keiner Verantwortung –; eben so wenig, dächte ich, auch die Lobredner; wiewohl Diese nur, wie ich, zu Fuß und auf ebenem Boden wandeln, nicht aber, wie jene Erstern, auf dem Prachtwagen des Metrum einherfahren. Denn Lob ist etwas Freies: es ist ihm kein bestimmtes Maß der Stärke oder Schwäche vorgeschrieben; sein Zweck ist allein nur der, seinem Gegenstand den möglichst hohen Grad von Bewunderung zuzuwenden. Dennoch will ich diesen Weg nicht betreten, um dich nicht glauben zu machen, ich thue es nur, weil ich mir nicht anders zu helfen weiß.“
19. „Es kann dir nicht unbekannt[WS 1] seyn, daß es eine sehr gewöhnliche Form solcher Lobreden ist, Bilder und Vergleichungen zu gebrauchen. Die Hauptaufgabe ist dabei nur, gut zu vergleichen, und Dieß wird darnach beurtheilt, wenn man den Gegenstand nicht mit einem andern desselben Ranges, noch weniger mit einem geringeren zusammenstellt, sondern ihn durch Vergleichung mit einem höheren diesem selbst möglichst nahe bringt. Wenn zum Beispiel Jemand, um einen schönen Hund zu loben, sagen wollte, er sey größer als [981] ein Fuchs oder eine Katze, so würde gewiß Niemand behaupten, daß sich dieser Mensch auf’s Loben verstehe. Auch wenn er ihn mit einem Wolfe vergliche, so hätte er immer noch nichts Besonderes gesagt. Aber er nenne den Hund einen Löwen an Größe, Muth und Stärke, und er hat ihm ein Lob gegeben, das wirklich ein Lob ist, gerade wie dort der Dichter den Hund des Oríon rühmt, indem er ihn den Löwenbändiger nennt. Das ist das Höchste, was zum Lobe eines Hundes gesagt werden kann. Wiederum, wenn Jemand den Milon aus Kroton, den Glaukus aus Karystus oder den Polydamas[3] loben wollte und sagte, Jeder von diesen Dreien wäre stärker als ein Weib gewesen, wie lächerlich würde sich ein so alberner Lobredner machen, da es ja nicht einmal genügt hätte, einen solchen Athleten mit irgend einem einzelnen Manne zu vergleichen! Aber wie lobte den Glaukus der berühmte Dichter?[4] „Selbst Pollux, der mächtige, hielte ihm nicht die Arme im Kampf entgegen, noch der Alkmene eiserner Sohn.“ Du siehst, mit welchen Göttern er seinen Mann vergleicht: ja er erklärt ihn für noch herrlicher denn sie; und gleichwohl wissen wir nicht, daß Glaukus böse geworden wäre, den Patronen der Athleten sich an die Seite gestellt zu sehen, noch auch, daß jene den Glaukus oder den Dichter dieses Lob als gottlos hätten entgelten lassen: im Gegentheile wurden Beide von den Griechen mit gleich großem Beifalle beehrt: der Athlet wegen seiner Stärke, und der Dichter, wie überhaupt seiner Lieder, so ganz besonders [982] eben dieses Gesanges wegen. So darfst du es also nicht auffallend finden, wenn auch ich, da dem Lobredner Vergleichungen unentbehrlich sind, eines erhabenen Gegenbildes mich bediente, welches die Natur der Sache selbst mir an die Hand geben mußte.“
20. „Da du aber auch von Schmeichelei gesprochen, so finde ich zwar den Widerwillen gegen die Schmeichler, welchen du äußertest, eben so gerecht als löblich: nur möchte ich dich auf den wesentlichen Unterschied zwischen dem Verfahren eines Lobredners und den Uebertreibungen eines Schmeichlers aufmerksam machen. Der Schmeichler, dem es nur um seinen Vortheil, um die Wahrheit hingegen sehr wenig zu thun ist, meint im Loben keine Gränzen beobachten zu müßen: er lügt von dem Seinigen hinzu, so viel er will, und bedenkt sich keinen Augenblick, einen Thersites für schöner als Achilles auszugeben und zu behaupten, Nestor wäre unter allen Helden vor Troja der jüngste gewesen. Ja, wenn er sich einen Vortheil von seiner Lüge verspricht, so schwört er, der taube Sohn des Krösus hätte besser gehört als Melampus, und der blinde Phineus bessere Augen als Lynceus gehabt. Der bloße Lobredner aber ist weit entfernt, seinem Gegenstande Vorzüge anzudichten, die Dieser gar nicht besitzt: er hält sich bloß an dessen wirkliche Vorzüge – gesetzt auch, daß sie nicht eben ungemein wären – und sucht sie zu erhöhn und zu vergrößern. So wird er sich z. B. erlauben, von einem Pferde, als von einem schnellen flüchtigen Thiere, zu sagen:
Rennend über die Fluren daher zerknickt es den Halm nicht.[5]
[983] Auch würde es ihm nicht darauf ankommen, von der Sturmeseile des schnellfüßigen Rosses zu sprechen. Und wenn es ein schönes, prächtig eingerichtetes Haus zu loben gilt, sagt er etwa:
Also glänzt wohl Zeus dem Olympier drinnen der Vorhof.[6]
Der Schmeichler hingegen wird denselben Vers auch auf die Hütte eines Schweinhirten anwenden, sobald er sich versprechen darf, von dem Schweinhirten Etwas dafür zu erhalten. Meinte doch Cynäthus, der Schmeichler des Demetrius Poliorcetes, nachdem er alle Arten von Schmeichelei erschöpft hatte, und als eben Demetrius vom Husten geplagt ward, sein Räuspern klinge so melodisch!“
21. „Jedoch das unterscheidende Merkmal zwischen Beiden besteht nicht nur darin, daß sich der Schmeichler, um sich der zu lobenden Person gefällig zu machen, die offenbarsten Lügen erlaubt, während der Lobredner nur bemüht ist, das wirklich Vorhandene zu vergrößern: sondern auch Das macht einen bedeutenden Unterschied, daß Jener den möglichst hohen Grad von Uebertreibungen anbringt, Dieser hingegen auch hierin ein weises Maß hält, und innerhalb der Gränzen bleibt. Von mehrern andern Kennzeichen der Schmeichelei und des wahren Lobes, die ich dir anführen könnte, mögen also diese wenigen genügen, um dir deinen Argwohn gegen jedes Lob zu benehmen und dich zu veranlassen, durch Anwendung der rechten Probe zwischen Lob und Schmeichelei gehörig zu unterscheiden.“
[984] 22. „Wohlan denn, wenn es dir gefällt, versuche diese Probe auch mit Dem, was ich in meinem Aufsatze von dir gesagt habe, um zu sehen, welcher von beiden Gattungen es am ähnlichsten sieht. Findet sich, daß ich eine Frau von häßlichem Aussehen dem Bilde zu Knidus ähnlich genannt habe, je nun so werde ich mit allem Grunde für einen Betrüger und unverschämten Schmeichler, als selbst Cynäthus, gelten müßen. Habe ich es aber von einer Frau gesagt, die – so ist, wie wir sie alle kennen, sollte denn der Unterschied, und somit mein Wagestück so groß seyn?“
23. „Vielleicht sagst du – doch nein, du sagtest es ja wirklich: „„daß ich deine Schönheit an dir gelobt hätte, möchte noch hingehen; allein ich hätte es nicht auf eine Art thun sollen, die den Unwillen der Göttinnen rege machen müße, mit welchen ich dich, die Sterbliche, verglichen.““ Allein – die Wahrheit muß nun schon heraus – nicht mit den[WS 2] Göttinnen selbst habe ich dich verglichen, Vortrefflichste, sondern nur mit den marmornen, ehernen und elfenbeinernen Kunstwerken großer Meister. Und was kann denn Gottloses daran seyn, Sterbliche mit Werken der Sterblichen zu vergleichen? Es wäre denn, du hieltest das Gebilde des Phidias für die Minerva selbst, und glaubtest, die Statue, welche Praxiteles vor nicht gar langen Jahren zu Knidus aufgestellt, wäre die wirkliche Venus Urania. Aber siehe zu, ob nicht eine solche Vorstellung von den Göttern eine noch weit größere Versündigung wäre: ich meines Orts wenigstens denke mir die göttlichen Urbilder viel zu erhaben, um von einem Sterblichen durch Nachahmung erreicht werden zu können.“
[985] 24. „Uebrigens, wenn ich dich auch wirklich mit den Göttinnen selbst verglichen hätte, so wäre der Einfall nicht mein, und ich nicht der Erste, der diesen Weg betreten, indem viele und vortreffliche Dichter schon vor mir dergleichen gewagt haben. Der vornehmste unter Diesen ist dein Landsmann Homer: ihn rufe ich auf, sich meiner anzunehmen; denn es kann nicht fehlen, auch seine Sache steht und fällt mit der meinigen. Ich frage ihn also, oder vielmehr ich frage dich an seiner Statt (denn ich weiß, du hast die schönsten Stellen seiner Gesänge alle im Gedächtniß), was hältst du von jener Stelle, wo er von der Sclavin Briseïs sagt, sie hätte, als sie den Patroclus bejammerte, der goldenen Aphrodite gleich gesehen? und weiter hin, als ob es nicht genügte, wenn sie blos der Aphrodite gleiche, heißt es:
Also sprach mit Thränen das Weib, Göttinnen vergleichbar.
Wenn nun Homer sich so ausdrückt, wird er dir dadurch zuwider? Verwirfst du darum sein Buch, oder räumst du ihm das Recht ein, zu loben, wie es ihm gefällt? Und wolltest auch du ihm dieses Recht streitig machen, so haben es ihm nun schon so viele Jahrhunderte zugestanden, und noch hat Keiner ihn deswegen belangt; sogar jener Verwegene[7] nicht, der des Dichters Standbild geißelte, noch auch jener Kunstrichter, der doch so manche Verse dieser Gesänge als unächt mit Strichelchen bezeichnete.[8] Homer also soll es erlaubt seyn, ein weinendes Mädchen, das nicht einmal eine Griechin war, mit der goldenen Aphrodite zu vergleichen, und – [986] ich sage Nichts von deiner Schönheit, weil du nun einmal nicht davon reden hören kannst – eine freundliche Frau, über deren Züge sich fast immer ein Lächeln verbreitet, das die Sterblichen nur mit den Göttern gemein haben, sollte ich nicht einmal den Statuen von Göttinnen an die Seite stellen dürfen?“
25. „Ferner in seinem Gemälde von Agamemnon, sieh doch selbst, wie wenig er hier die Götter spart, und wie er einzelne Theile ihrer Gestalten nimmt, um sie in ein ebenmäßiges Ganze zusammenzuordnen: er nennt ihn
Gleich an Augen und Haupt dem donnerfrohen Kronion,
Gleich dem Ares am Gürtel, an hoher Brust dem Poseidon.[9]
So zerstückelt er gleichsam seinen Mann in so viele Theile, als er Götterbilder gebraucht, aus denen er ihn zusammensetzt. Anderswo nennt er ihn „dem mordenden Ares vergleichbar.“ Hector heißt bei ihm „der Göttliche“ und Achilles mehr als einmal „der Göttergleiche.“ Doch ich komme wieder auf die Stellen zurück, wo er von Frauen spricht. Du erinnerst dich des Verses von der Penelope, sie sey
Artemis gleich an Gestalt und der goldenen Aphrodite.[10]
Und Nausikaa sey herrlich, wie Artemis, wenn sie über die Berge gehe.“[11]
26. „Und nicht blos die Menschen selbst vergleicht er mit Göttern, sondern sogar das Haar des Euphorbus, das blutbefleckte, findet er den Grazien ähnlich. Kurz diese Art zu [987] vergleichen findet sich so häufig, daß fast kein Abschnitt in seinen Gedichten ist, der nicht mit solchen Götterbildern ausgeschmückt wäre. Also müßen entweder alle diese Stellen aus Homer gestrichen, oder auch uns gestattet werden, Aehnliches zu wagen. Wie wenige Verantwortung übrigens das Bilder- und Vergleichungswesen überhaupt nach sich zieht, ergibt sich auch daraus, daß Homer es wagen durfte, die Göttinnen selbst sogar durch Vergleichung mit niedrigern Dingen zu loben: die Augen der Juno verglich er mit Farrenaugen; ein anderer Dichter nennt der Venus Augenlieder dunkel wie Violen. Und Wer, der auch nur ein wenig in Homer’s Gesängen sich umgesehen hat, kennt nicht die rosenfingrige Eos?“
27. „Die äußere Gestalt eines Menschen der eines Gottes ähnlich zu nennen, ist wahrlich nicht das Auffallendste. Gibt es denn nicht Viele, deren Namen sogar nach denen der Götter gebildet sind, die Dionysius, Hephästion, Zenon, Posidonius, Hermes u. dergl. heißen? Die Gemahlin des Cyprischen Königs Evagoros hieß Leto, ohne damit den Groll einer Göttin auf sich zu laden, der es ein Leichtes gewesen wäre, sie wie einst die Niobe in Stein zu verwandeln. Dessen nicht zu gedenken, daß die Aegyptier, ein ängstlich religiöses Volk wie keines, gleichwohl der Götternamen bis zum Ueberdruß sich bedienen, indem fast alle ihre Namen aus dem Himmel genommen sind.“
28. „Du hast also durchaus keine Ursache, wegen dieser Lobschrift bange Besorgnisse in dir aufkommen zu lassen. Habe ich es dadurch in Etwas gegen die Götter versehen, so bist ja du außer aller Verantwortung; du müßtest es denn für eine [988] Versündigung halten, daß du sie dir vorlesen ließest. Mich aber werden Götter erst dann zur Strafe ziehen, wann sie dieselbe zuvor an Homer und den übrigen Dichtern werden vollzogen haben. Allein sie haben sich ja noch nicht einmal an jenem großen Philosophen gerächt, der einst gesagt hat, der Mensch wäre der Gottheit Ebenbild! – Noch könnte ich dir mehreres Andere für meine Sache anführen; allein ich schließe hier um des Polystratus willen, damit es ihm nicht zu schwer werde, das Gesagte im Gedächtnisse zu behalten.“
29. Polystratus. Ich weiß in der That nicht, Lycinus, ob es mir auch nur mit dem Bisherigen gelingen wird: du hast lange gesprochen, und länger, als die dir zugemessene Zeit währte. Doch will ich es versuchen, und mich an Alles, so gut ich es vermag, wieder erinnern. Ich eile also zu ihr, und halte mir unter Weges die Ohren zu, damit mir nicht andere Dinge in den Kopf kommen, und die Ordnung des so eben Gehörten verwirren: ich würde sonst gewiß mit meiner Rolle zu Schanden werden.
Lycinus. Ich muß lediglich dir überlassen, lieber Polystratus, meine Person, so gut du kannst, zu spielen. Das Drama habe ich dir übergeben; ich trete ab. Nur erst, wenn die Richter ihren Spruch fällen werden, finde ich mich wieder ein, um zu sehen, wie meine Sache abgelaufen seyn wird.
- ↑ S. Wie soll man Gesch. schr. 12.
- ↑ S. Schutzschrift für den Aufs.: „Die gedung. Gel.“ I, S. 484. Anm. **)
- ↑ Die Simsone der Griechen.
- ↑ Vielleicht Pindar in einem seiner verlornen Gesänge.
- ↑ Iliade XX, 227.
- ↑ Odyss. IV, 74.
- ↑ Zoïlus.
- ↑ Aristarch.
- ↑ Iliade II, 478. f. Voß.
- ↑ Odyss. XVIII, 54.
- ↑ Ebend. VI, 102.