Toxaris oder die Freundschaft

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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Toxaris oder die Freundschaft
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Achtes Bändchen, Seite 989–1040
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Τόξαρις ἢ Φιλία
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
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[989]
Toxaris
oder
die Freundschaft.
Mnesippus. Toxaris.

1. Mnesippus. Also wirklich, Toxaris? Ihr Scythen haltet den Orestes und Pylades für Götter und opfert ihnen förmlich?

Toxaris. Allerdings, Mnesippus, wir opfern ihnen: allein für Götter halten wir sie nicht, sondern blos für gute Menschen.

Mnesippus. Wie? ist es denn Sitte bei euch, Verstorbenen zu opfern, als ob sie Götter wären?

Toxaris. Nicht blos Das: wir feiern ihnen auch heilige Tage und festliche Versammlungen.

Mnesippus. Und was beabsichtigt ihr damit? Denn um ihre Gnade kann es euch doch nicht zu thun seyn, da sie todt sind?

Toxaris. Es wäre wohl auch kein Fehler, wenn die Schatten uns wohl wollten. Uebrigens ist es die Rücksicht auf die Lebenden, in welcher wir es wohl gethan finden, das Gedächtniß edler Verstorbenen zu ehren. Denn wir glauben, auf diese Art in Vielen den Wunsch zu erregen, Jenen ähnlich zu werden.

2. Mnesippus. Diese Absicht ist allerdings sehr vernünftig. Allein wodurch haben denn Orestes und Pylades [990] euch solche Bewunderung abgenöthigt, daß ihr ihnen gleiche Ehre, wie den Göttern einräumtet, da sie doch Fremdlinge bei euch, und was noch mehr ist, eure Feinde waren? Haben sie nicht, als sie nach erlittenem Schiffbruche von euren Landsleuten ergriffen wurden, um der Diana geopfert zu werden, ihre Wächter überfallen und gebändigt, hierauf euren König getödtet, der Priesterin sich bemächtigt, die Diana selbst geraubt, und sie dem gesammten Scythenvolke zum Hohn[1] davon geführt? Ist es das, warum ihr den beiden Männern so hohe Ehre erweiset, so wird es euch bald nicht an Leuten fehlen, die ihnen ähnlich seyn werden. Uebrigens könnt ihr leicht aus dieser alten Geschichte selbst entnehmen, ob es für euch wünschenswerth ist, daß viele solche Orestesse und Pyladesse an Scythiens Küste landen. Ich sollte meinen, Dieß wäre für euch der nächste Weg, alle Religion einzubüßen, wenn auch die noch übrigen Götter auf diese Art aus eurer Heimath vollends entführt würden. Dann könntet ihr ja, statt der Gottheiten selbst, die Leute anbeten, die, um jene zu holen, gekommen sind, und also den Räubern des Heiligen als euren Göttern opfern.

3. War es aber diese That nicht, weswegen ihr den Orestes und Pylades verehret, so sage mir doch, mein Toxaris, wodurch haben sie sich denn sonst so verdient um euch gemacht, daß ihr sie, die euch doch früher nicht für Götter galten, nun durch die höchsten Ehrenbezeugungen für göttliche Wesen erklärt, und ihnen, die damals um ein Kleines [991] selbst als Opfer gefallen wären, jetzt Opferthiere schlachtet? Ein lächerlicher Widerspruch, wie mich dünkt!

Toxaris. Unstreitig ist auch diese That, die du so eben erwähntest, eine große herrliche That. Welch kühnes Wagestück, daß zwei einzelne Männer so weit von der Heimath sich entfernten, und das schwarze Meer, das außer den Argonauten, die nach Kolchis zogen, noch keinem Griechen bekannt geworden war, beschifften, ohne sich von den wunderbaren Sagen, die von dieser See im Umlauf waren, noch von der Benennung der unwirthbaren schrecken zu lassen, die sie, wie ich vermuthe, wegen der umwohnenden wilden Völker erhalten hat! Und da sie in Gefangenschaft gerathen waren, wie mannhaft zogen sie sich aus der Gefahr! Nicht zufrieden, blos mit dem Leben davon zu kommen, nahmen sie blutige Rache an dem Könige, der sie beleidigt hatte, und segelten mit dem Bilde der Diana, das sie erbeutet, von dannen. Verdienen solche Helden nicht Bewunderung, ja göttliche Verehrung von Allen, die hohen Muth zu achten wissen? Doch ist es nicht Dieß, was uns an Orestes und Pylades bewogen hat, sie für Heroën gelten zu lassen.

4. Mnesippus. Nun so sage mir doch, was sie weiter Herrliches und Göttliches verrichtet haben. Denn was diese Seereise betrifft, so könnte ich dir noch weit göttlichere Helden unter den Kaufleuten, zumal unter den Phöniziern nennen, die nicht nur das schwarze Meer, die Mäotis und den Cimmerischen Bosporus, sondern alle Theile des Griechischen, so wie des Barbarischen Meeres befahren. Da ist keine Küste, ja kein einzelnes Gestade, das sie nicht Jahr für Jahr durchsuchten; und jedesmal kehren sie erst im Spätherbste wieder [992] in ihre Heimath zurück. Diese müßtest du also mit demselben Grunde für Götter halten, wiewohl sie größtentheils weiter nichts als Mäkler und Häringskrämer sind.

5. Toxaris. So höre denn, wunderlicher Freund, und überzeuge dich, um wie viel billiger wir Barbaren über brave Männer urtheilen, als ihr. Wo weiß man bei euch von einem Grabmal des Orestes oder Pylades zu Argos und Mycenä? Wir hingegen haben einen Tempel aufzuweisen, der ihnen Beiden, wie billig, gemeinschaftlich angehört, weil sie Freunde waren: auch werden ihnen Opfer dargebracht, und überhaupt alle (Heroën gebührende) Ehren erwiesen. Denn daß sie keine Scythen, sondern Ausländer waren, hindert uns nicht, sie für vortreffliche Männer zu erkennen. Wir fragen bei edlen Menschen nicht, woher sie seyen; und es erregt nicht unsere Mißgunst, wenn schöne Thaten von Solchen gethan werden, die nicht unsere Freunde sind. Wir loben, was sie gethan, und halten sie für die Unsrigen um ihrer Verdienste willen. Was wir aber mit der größten Bewunderung an jenen Beiden loben, ist Das, daß wir in ihnen das edelste Freundepaar erblicken, das uns durch sein Beispiel lehrt, wie ein Freund mit dem Freunde Glück und Unglück theilen, und so sich die Achtung der Besten unter den Scythen erwerben soll.

6. Was sie mit einander und für einander gethan und gelitten, das Alles haben unsere Vorältern an eine eherne Säule, die im Orestestempel steht, geschrieben, und die Verordnung gemacht, daß diese Säule das erste Bildungsmittel für unsere Kinder, und ihre Inschrift das erste, was sie auswendig lernen, seyn soll. Und eher würde ein Knabe bei [993] uns den Namen seines Vaters, als die Thaten des Orestes und Pylades vergessen. Dasselbe aber, was die Säule enthält, zeigt auch die Umfangsmauer des Tempels in Gemälden, die sämmtlich von alten Künstlern verfertigt worden sind. Auf dem ersten erblickt man den Orestes mit seinem Freunde zu Schiffe; das zweite zeigt ihr Fahrzeug an den Klippen zerschellt, sie selbst ergriffen, zum Opfer zugerüstet, und die Iphigenia eben im Begriffe, die Opferhandlung zu verrichten. Gegenüber an der andern Seite der Mauer erscheint Orest, wie er sich von seinen Fesseln befreit hat, und den König Thoas und viele andere Scythen niedermacht. Das letzte Gemälde endlich stellt die Freunde wieder zu Schiffe dar, wie sie die Iphigenia und ihre Göttin davon führen: die Scythen bemühen sich vergeblich, das absegelnde Fahrzeug zurückzuhalten; sie hängen sich an das Steuerruder und suchen das Verdeck zu erklimmen, Viele aber, da sie nichts ausrichteten, schwimmen theils verwundet, theils aus Furcht wieder dem Lande zu. In diesem Kampfe mit den Scythen legte sich besonders ihre gegenseitige treue Freundschaft an den Tag. Der Maler hat nämlich Beide in dem Augenblicke dargestellt, wie Jeder, unbekümmert um seine eigenen Gegner, nur beschäftigt ist, die auf den Andern eindringenden Feinde abzuwehren, und ihren Geschossen sich entgegenzustellen: den Tod für Nichts achtend, will Jeder nur den Freund retten, und fängt mit dem eigenen Leibe die Streiche auf, die Diesem gelten.

7. Eine solche aufrichtige, treue und unwandelbare gegenseitige Liebe nun, eine Freundschaft, die gemeinschaftlich alles Ungemach trägt, hielten wir für etwas mehr als menschliches, [994] für eine erhabenere Gesinnung, als die der gewöhnlichen Sterblichen ist, welche es ihren Freunden, so lange es Diesen gut geht, gewaltig übel nehmen, wenn sie ihnen nicht die volle Hälfte an dem Genusse ihres Glückes einräumen, sobald aber auch nur ein schwaches Lüftchen widrigen Geschickes den Freunden entgegenweht, sich alsbald davon machen, und sie ihrem Ungemach überlassen. Du mußt aber wissen, mein Lieber, daß uns Scythen die Freundschaft für das Höchste gilt, und daß ein Scythe seinen größten Stolz darein setzt, mit einem geliebten Freunde Mühen und Gefahren zu theilen; wie wir denn auch keinen größern Schimpf kennen, als für einen Verräther der Freundschaft gehalten zu werden. Darum achten wir den Orestes und Pylades so hoch, weil sie in Dem, was wir als das Schönste und Beste ehren, in der Freundschaft, sich als die Ersten hervorgethan: und darum heißen sie bei uns Koraken, welches Wort in unserer Sprache so viel bedeutet als Freundschafts-Genien.

8. Mnesippus. Wie ich sehe, seyd ihr Scythen nicht blos gute Bogenschützen und Soldaten ohne eures Gleichen, sondern ihr wißt auch vortrefflich zu sprechen und zu überreden. Kaum war ich noch ganz verschiedener Meinung, und nun bin ich schon überzeugt, daß ihr sehr recht daran thut, dem Orestes und Pylades göttliche Ehre zu erweisen. Und vollends, was ich mir gar nicht hätte einfallen lassen, ein meisterhafter Maler bist du. Wie anschaulich hast du mir die Gemälde im Orestéum dargestellt, den Kampf der Freunde mit den Scythen und die Wunden, die der Eine für den Andern auffing. Hätte ich doch nie gedacht, daß die Freundschaft [995] in so hohem Ansehen bei eurem Volke stünde, das doch sonst für roh und ungesellig gilt, und bei welchem Zorn, Haß und Feindschaften, wie ich glaubte, an der Tagesordnung wären. Daß nicht einmal unter den nächsten Angehörigen Freundschaft Statt finden könne, schloß ich theils aus andern Gerüchten, die über die Scythen im Umlauf sind, theils und hauptsächlich aus ihrer Sitte, ihre verstorbenen Aeltern aufzuzehren.

9. Toxaris. Ob unser Benehmen gegen die Aeltern nicht noch pflichtmäßiger und gewissenhafter seyn dürfte, als selbst das eurige, darüber will ich für jetzt nicht mit dir rechten. Daß aber der Scythe ein weit treuerer Freund ist, als der Grieche, und daß man bei uns weit mehr auf wahre Freundschaft hält als bei euch, das soll mir zu beweisen nicht schwer werden. Nur bitte ich dich, um der Griechischen Götter willen, eine der Bemerkungen nicht übel aufzunehmen, welche ich während meines langen Aufenthalts bei Euch zu machen Gelegenheit hatte. Ueber die Freundschaft schöne Reden zu halten verstehet ihr, wie mich dünkt, besser als irgend Jemand: allein das Gesagte auf entsprechende Weise in Ausübung zu bringen, ist nicht eure Sache; ihr begnügt euch zu beweisen, was es für ein köstliches Gut um einen treuen Freund sey. Kommt es nun darauf an, diese Grundsätze zu erproben, so werdet ihr an euren eigenen Deklamationen zu Verräthern, und räumet eilig das Feld.[2] So wie aber ein tragischer Dichter solche Freundschaften auf die Bühne bringt, [996] da wird gelobt, geklatscht, geweint sogar, wenn der Eine für den Andern in Lebensgefahr sich stürzt: allein selbst etwas Rühmliches für den Freund zu thun, habt ihr das Herz nicht; sondern, wenn der Fall eintritt, daß er eurer bedarf, weg wie Träume sind alle jene schönen Tragödien-Empfindungen, und ihr steht da, nicht minder stumm und gefühllos als die hohlen Schauspielerlarven mit ihren aufgesperrten Mäulern. Wir dagegen können es euch freilich nicht gleichthun im Wortemachen von der Freundschaft; aber desto bessere Freunde sind wir in der That.

10. Lassen wir einmal, wenn es dir gefällt, die Freundepaare ruhen, die wir, du sowohl als ich, aus der alten Zeit aufzählen könnten: denn da wäret ihr offenbar im Vortheil, da euch die Menge eurer so glaubwürdigen Dichter zu Statten käme, die das Freundschaftsbündniß eines Achill und Patroclus, Theseus und Pirithous und Anderer in den schönsten und wohlklingendsten Versen euch besungen haben. Nein, wir wollen blos aus unserer Zeit einige Beispiele, ich Scythische, du Griechische, ausheben und erzählen, was edle Freunde für einander gethan. Und Wer von uns die besten Freunde aufweisen kann, soll Sieger seyn, und seinem Vaterlande in dem rühmlichsten und ehrenvollsten aller Kämpfe den Kranz errungen haben. Ich für meinen Theil wollte es mir, glaube ich, lieber gefallen lassen, in einem Zweikampfe zu unterliegen, und dafür die Scythische Strafe des Handabhauens zu leiden, als den Wettstreit über die Freundschaft gegen einen Griechen zu verlieren, ich ein Scythe!

11. Mnesippus. Nun das ist freilich keine Kleinigkeit, sich mit einem so wackern Streiter, wie Du, der mit so scharfen [997] Worten ficht, in einen Wettkampf einzulassen. Doch bin ich nicht gesonnen, dir so schnell gewonnen zu geben, und an der gesammten Griechischen Sache zum elenden Verräther zu werden. Es wäre doch wohl zu arg, wenn nun die Griechen, allzumal ein Volk von so vielen Stämmen und Städten, es gegen dich allein aus Mangel eines Verfechters verlören, während dort eine so große Anzahl Scythen gegen zwei einzige Griechen den Kürzern zog, laut der Sage und jener alten Gemälde, die du mir so eben so beweglich beschrieben hast. Wenn ich Das geschehen ließe, so verdiente ich wahrlich, daß mir nicht die Hand, wie bei euch, sondern die Zunge abgeschnitten würde. Wollen wir übrigens eine gewisse Zahl von Freundesthaten festsetzen, die ein Jeder zu erzählen hat, oder soll Derjenige, welcher die meisten vorzubringen weiß, für den Sieger gelten?

Toxaris. Nein, nicht Wer die meisten, sondern Wer bei gleicher Anzahl die schönsten und schlagendsten Beispiele aufführen wird. So, denke ich wohl, wirst du mir desto entscheidendere Streiche beibringen, und ich werde desto früher deinen Waffen unterliegen.

Mnesippus. Gut, so wollen wir denn die Zahl bestimmen. Fünfe, auf beiden Seiten dürften, dächte ich, genug seyn?

Toxaris. Ich denke auch. Sprich du zuerst; schwöre aber, die reine Wahrheit sagen zu wollen. Denn solche Beispiele zu erdichten, wäre eben nicht schwer, wohl aber, die Erdichtung dir zu beweisen. Hast du aber geschworen, so ist es Gewissenssache, dir zu glauben.

[998] Mnesippus. Wohl! ich schwöre, wenn du es nöthig findest. Bei welchem unserer Götter meinst du? Genügt dir etwa Jupiter Philius [der Freundschaftsgott]?

Toxaris. Vollkommen. Ich will dir sodann auch, wenn die Reihe an mir ist, nach meiner Landessitte schwören.

12. Mnesippus. So sey also Jupiter Philius mein Zeuge, daß ich Alles, was ich dir erzählen werde, entweder selbst gesehen, oder mit möglichster Genauigkeit von Andern erkundet habe, und daß ich auch nicht den kleinsten Umstand hinzudichten wolle. – Als das erste Beispiel will ich dir nun die Geschichte der unter den Ioniern so hoch gepriesenen Freundschaft des Agathokles und Dinias erzählen. Dieser Agathokles war gebürtig aus Samos, und lebte noch vor nicht gar langer Zeit, ein Mann von dem edelsten Charakter, den er durch die That bewährte, übrigens durch Geburt, Reichthum und sonstigen Vorzügen vor der Mehrzahl seiner Mitbürger ganz und gar nicht ausgezeichnet. Von Jugend auf war er ein vertrauter Freund des Dinias, Sohnes von Lysion aus Ephesus, gewesen, der sich nun (durch den Tod seines Vaters) schnell in den Besitz eines außerordentlichen Vermögens gesetzt sah. Wie es in diesem Falle zu geschehen pflegt, so hatte auch Dinias bald eine Menge Leute um sich, die sich zwar vortrefflich darauf verstanden, angenehme Gesellschafter bei Zechgelagen abzugeben, übrigens von einer wirklich freundschaftlichen Gesinnung gegen ihn himmelweit entfernt waren. Eine Zeitlang wurde nun auch Agathokles unter diese Zahl gerechnet: er wohnte ihren Schmäusen bei und trank mit ihnen, wiewohl er durchaus keinen Gefallen an dieser Lebensweise hatte. Selbst Dinias achtete ihn nicht [999] höher, als Jeden seiner gewöhnlichen Schmarotzer. Nachgerade aber, da er sich erlaubte, dem Dinias häufige Erinnerungen zu geben, verdarb er es mit diesem, und wurde ihm besonders dadurch lästig, daß er ihm seine Vorältern beständig in’s Gedächtniß zurückrief und von ihm verlangte, ein Vermögen besser in Acht zu nehmen, das sein Vater mit so vieler Mühe und Arbeit zusammengebracht hätte. Agathokles wurde also nicht mehr zu jenen lustigen Gelagen gebeten, sondern Dinias, um sich die Anwesenheit dieses Zeugen zu ersparen, schwärmte von nun an mit seinen Zechbrüdern allein.

13. Um diese Zeit läßt sich der Unglückliche von diesen Schmarotzern bereden, Charikléa, die Gemahlin des Demónax, eines vornehmen Mannes, der zu Ephesus die höchste Stelle bekleidete, wäre sterblich in ihn verliebt. Wirklich liefen Briefchen von diesem Weibe bei ihm ein, begleitet von halbverwelkten Blumenkränzen, angebissenen Aepfeln und andern dergleichen Sächelchen, womit Buhlerinnen jungen Leuten gar künstlich beizukommen wissen, indem sie sie durch den schmeichelnden Gedanken in Liebesflammen setzen, als wären sie zuerst geliebt. Dies hat eine gewaltige Anziehungskraft zumal bei Solchen, die sich für schön halten: sie fallen in’s Garn, ehe sie es gewahr werden. Charikléa war ein feines, aber über die Maßen verbuhltes Weib, das Jedem, der es sich auch noch so wenig kosten lassen wollte, zu Willen war. Man durfte sie nur ansehen, um sogleich Winke von ihr zu erhalten, die nicht den mindesten Widerstand von ihrer Seite befürchten ließen. Sie war eine Meisterin, die alle Hetären in der Kunst übertraf, Männer an sich zu ziehen, den noch [1000] zweifelhaften Liebhaber ganz zu überwältigen, den schon eingefangenen fester zu ketten, und ihn bald durch verstellten Zorn, bald durch zärtliche Schmeicheleien, bald wieder durch Geringschätzung und anscheinende Neigung gegen einen Andern, immer mehr zu erhitzen. In allem Dem war dieses Weib ganz perfect; und es gab überhaupt keinen Kunstgriff, den sie nicht gegen ihre Liebhaber zu gebrauchen wußte.

14. Charikléa also ward von den Schmarotzern des Dinias in ihr Interesse gezogen, und diese Letztern verstanden ihr Spiel so geschickt unter der Decke zu spielen, daß sie den armen Jüngling endlich ganz und gar in den Taumel der Leidenschaft für diese Buhlerin stürzten. Charikléa, die schon so manchen jungen Menschen ruinirt, schon so unzähligemale die Verliebte gespielt und dadurch die reichsten Häuser zu Grunde gerichtet hatte, diese vielgewandte, ausgelernte Hetäre hatte nicht sobald den unbefangenen, und mit allen dergleichen Künsten unbekannten Jungen in ihren Händen, als sie die Krallen fest um ihn schlug, und, um von allen Seiten seiner mächtig zu seyn, sich so tief einhackte, daß sie ihn nicht eher los ließ, als bis sie den Bedauernswürdigen in tausendfältiges Unheil gestürzt, und sich selbst mit ihrem Raube das Verderben bereitet hatte. Das erste also, womit sie ihn anköderte, waren jene Liebesbriefchen; hernach mußte ihre Zofe sich einmal um das andere zu ihm schleichen, und ihm vorstellen, wie viele Thränen und schlaflose Nächte die Liebe zu ihm ihre Gebieterin koste, und wie die Aermste nahe daran sey, sich in der Verzweiflung aufzuknüpfen; bis endlich Dinias sein Glück begriff und sich überreden ließ, daß er wirklich liebenswürdig, und ein Gegenstand [1001] zärtlichen Verlangens für die Frauen von Ephesus sey. Und so kam es denn nach vielen Bitten zu der ersten geheimen Zusammenkunft.

15. Jetzt war es nun freilich, wie sich leicht denken läßt, für eine so schöne Frau vollends leicht, ihn gänzlich zu ihrem Gefangenen zu machen: sie wußte ihrer Unterhaltung so viele Anmuth zu geben, verstand so vortrefflich zu rechter Zeit eine Thräne fallen zu lassen, und ihre Worte durch zärtliche Seufzer zu unterbrechen, sie ließ ihn nicht los, wenn er gehen wollte, und flog ihm entgegen, wenn er kam, sie wählte immer den Anzug, und den Schmuck, in welchem er sie am liebsten sah, sang bisweilen und spielte die Zither, kurz sie bot Alles auf, um den armen Dinias in völlige Liebestrunkenheit zu versetzen. Und wie es ihr gelungen war, wie sie sah, daß er vor Liebe schmachtend sich verzehrte, da sann sie noch auf ein anderes Mittel, um ihn gänzlich zu vernichten. Sie gab vor, schwanger von ihm zu seyn, und weiter bedarf es oft nicht, einem Schöps von Liebhaber den Kopf noch heißer zu machen. Auf einmal aber stellte sie ihre Besuche bei ihm ein, unter dem Vorwande, von ihrem Manne, der von der Liebschaft Wind bekommen, bewacht zu werden. Das war ihm denn ganz unerträglich; er konnte nicht leben ohne sie: er weinte, schickte seine Schmarotzer an sie ab, rief die Geliebte unaufhörlich bei Namen, umschlang heulend die marmorne Bildsäule, die er sich hatte von ihr verfertigen lassen, wälzte sich verzweifelnd auf dem Boden; kurz sein Zustand war erklärte Raserei. Er machte ihr Geschenke – freilich nicht Aepfel und Blumenkränze, dergleichen er erhalten, sondern ganze Höfe und Dörfer, Landgüter, [1002] Sclavinnen, prächtig gestickte Kleider, und Gold, so viel sie nur wünschte. Mit einem Worte, in wenigen Wochen war das Haus Lysions, sonst das nahmhafteste in ganz Ionien, ganz und gar erschöpft und ausgeleert.

16. Und wie denn der gute Dinias auf dem Trockenen war, ließ sie ihn sitzen, und machte auf einen reichen jungen Kretenser Jagd, der sich auch wirklich einbildete von ihr geliebt zu seyn. Dinias, jetzt nicht nur von Charikléa, sondern auch von allen seinen Schmeichlern verlassen, die sich nun zu dem geliebten Kretenser geschlagen hatten, begab sich zu Agathokles (der längst wußte, wie schlimm seine Sachen standen), und erzählte ihm mit Beschämung seine Liebesgeschichte, schilderte ihm seine Noth und die Verachtung, womit ihm Charikléa begegnete, deren Gunst ihm ein Nebenbuhler aus Kreta raubte, und erklärte endlich, daß ohne seine Geliebte zu leben ihm nun einmal nicht möglich sey. Agathokles meinte, es wäre jetzt nicht an der Zeit, den Dinias daran zu erinnern, daß er ihn allein aus dem Kreise seiner Freunde ausgeschlossen und Schmarotzer ihm vorgezogen hatte, sondern ging, verkaufte sein väterliches Haus zu Samos, worin sein ganzes Vermögen bestand, und brachte ihm den vollen Erlös im Betrage von drei Talenten.[3] Kaum hatte Dinias diese in Händen, als auch Charikléa ihre Augen wieder auf ihn warf. Auf einmal war Dinias wieder schön: die Zofe erschien wieder mit Liebesbriefchen und Vorwürfen, daß er schon so lange Zeit ausgeblieben, und die Tischfreunde eilten herbei, um Nachlese zu halten, wie sie sahen, daß noch Etwas an ihm zu verzehren war.

[1003] 17. Der verliebten Frau versprach er einen Besuch, und schlich sich auch wirklich um die Zeit des ersten Schlafes in ihre Wohnung. Schon war er in ihrem Gemache, als plötzlich Demónax, Chariclea’s Gemahl – sey es nun, daß er Unrath merkte, oder daß es mit ihr so abgeredet war, denn man sagt Beides – wie aus einem Hinterhalt hervortritt, die Thüre des Vorhofes verschließen läßt, mit gezogenem Degen dem Dinias die martervollsten Strafen des Ehebruchs androht, und seinen Sclaven befiehlt, ihn zu greifen. In dieser verzweifelten Lage bemächtigte sich Dinias eines eisernen Stabes, der zufällig bei der Hand war, und versetzte damit dem Demónax einen Streich an den Schlaf, daß er sogleich todt zu Boden stürzte. Hierauf schlug er mit seinem Eisen wiederholt auf Chariclea, und durchbohrte sie endlich mit dem Degen des Demónax. Die Sclaven, die inzwischen von diesem unerwarteten Schauspiel ganz bestürzt und sprachlos da gestanden hatten, wollten sich jetzt seiner bemächtigen; allein da er mit dem Degen auch aus sie losging, liefen sie davon. Dinias eilte nun nach dieser blutigen That aus dem Hause und brachte den Rest der Nacht bei Agathokles zu, wo sie gemeinschaftlich über das Geschehene und seine wahrscheinlichen Folgen sich besprachen. Mit Tagesanbruch erschienen die Polizeibeamten – denn die Sache war schon ruchbar geworden – verhafteten den Dinias, der den Mord auch gar nicht läugnete, und brachten ihn vor den damaligen Präfekten von Asien. Dieser schickte ihn an den Kaiser, und kurz darauf wurde Dinias nach der Cycladischen Insel Gyarus abgeführt, wo er für immer im Exil zu leben von dem Monarchen verurtheilt worden war.

18. Und Agathokles, der ihn nie verlassen, der mit ihm [1004] nach Italien geschifft war, der ihn allein unter allen Freunden in das peinliche Gericht begleitet, und ihm überall hülfreich zur Seite gestanden hatte, Agathokles verließ seinen Freund auch dann nicht, als Dieser in die Verbannung wandern mußte. Er verurtheilte sich selbst, den Aufenthalt auf Gyarus mit ihm zu theilen. Nach einiger Zeit litten sie gänzlichen Mangel an den nothwendigsten Bedürfnissen: da verdingte sich Agathokles an die Purpurfischer, half ihnen als Taucher, und ernährte seinen Freund von dem Lohne, den er auf diese Art verdiente. In einer sehr langwierigen Krankheit pflegte er ihn unablässig: und als er endlich gestorben war, wollte er nicht wieder in seine Heimath zurückkehren, sondern entschloß sich, auf dieser Insel zu bleiben, als ob es Ehrensache wäre, auch nur die Gebeine des Freundes zu verlassen. Siehe, das that ein Griechischer Freund, und zwar vor nicht gar langer Zeit. Denn es sind noch nicht fünf Jahre, daß Agathokles auf Gyarus gestorben ist.

Toxaris. Mnesipp, ich wollte, du hättest nicht geschworen, so dürfte ich doch diese Geschichte nicht glauben. Dein Agathokles sieht gar zu sehr den Freunden ähnlich, wie sie bei uns sind: und was noch schlimmer ist, ich fürchte, du möchtest mir noch mehrere dergleichen auftreten lassen.

19. Mnesippus. So höre denn gleich von einem zweiten, von Euthydikus aus Chalcis. Simylus, ein Schiffer aus Megara, hat mir von ihm erzählt, und die Wahrheit der Geschichte als Augenzeuge beschworen. Dieser Simylus segelte einst mit Anfang des Novembers aus Italien nach Athen, und hatte unter verschiedenen andern Passagieren erwähnten Euthydikus nebst seinem Freunde Damon, [1005] gleichfalls einem Chalcidenser, an Bord. Beide waren von gleichem Alter, aber sehr verschiedenem Aussehen: Euthydikus war stark und kräftig, Damon hingegen blaß und schwächlich, und so eben, wie es schien, von einer langen Krankheit aufgestanden. Bis nach Sicilien ging die Fahrt ganz glücklich von Statten. Wie sie aber die Meerenge (von Messina) passirt hatten und sich schon im Ionischen Meere befanden, wurden sie von einem sehr heftigen Sturm überfallen. Ich brauche dir nicht erst zu sagen, von welchen Schrecknissen ein solcher Orcan begleitet ist, wie hoch er die Wogen aufthürmt, wie er das Schiff im Wirbel herumschleudert, welche Masse von Hagel er mit sich führt – sie mußten alle Segel einziehen und versuchen, durch schwere Taue, die sie auswarfen und nachschleppten, das Ungestüm der Wellen zu brechen. Es war Mitternacht, als sie sich auf der Höhe von Zakynthus [Zante] befanden. Damon war von der heftigen Bewegung des Fahrzeugs seekrank geworden, und hatte sich, um sich zu erleichtern, mit halbem Leibe über Bord gelegt. Da neigte sich plötzlich das Schiff stark auf die Seite, wo er lag: eine Welle spülte ihn weg, und er stürzte kopfüber in die See. Zum Unglück war er noch angekleidet, so daß ihm das Schwimmen sehr erschwert wurde. Kaum daß er sich so lange über den Wogen hielt, um nach Hülfe rufen zu können.

20. Euthydikus, der entkleidet zu Bette lag, hatte nicht sobald seine Stimme vernommen, als er in’s Meer sprang, den Damon, als ihn eben seine Kräfte verlassen wollten, ergriff, und indem er ihn über dem Wasser hielt, ihm das Schwimmen erleichterte. Allein so gerne die Leute auf dem [1006] Schiffe, denen der Vollmond die ganze Scene beleuchtete, dem Mitleidswerthen zu Hülfe gekommen wären, so vermochten sie’s doch nicht, da der heftige Sturm sie unaufhaltsam vorwärts trieb. Das Einzige, was sich thun ließ, war, daß man ihnen viele Korkstücke und mehrere Stangen zuwarf, um sich wo möglich daran zu halten, und endlich sogar die Schiffsleiter hinabließ, die eine ansehnliche Länge hatte. Nun bedenke, Toxaris: gibt es einen stärkern Beweis von treuer Liebe, als wenn Einer seinem Freunde bei Nacht in ein so empörtes Meer sich nachstürzt, und den augenscheinlichen Untergang mit ihm theilen will? Stelle dir vor Augen den Aufruhr der Wogen, das brausende Toben und Schäumen der übereinanderstürzenden Wellen, die Nacht, die verzweifelte Lage des Ertrinkenden, der kaum auf Augenblicke noch über dem Wasser hervorragt und die Hände nach seinem Freunde ausstreckt, und nun diesen Freund selbst, wie er, ohne sich zu besinnen, hinabspringt, ihn umfaßt hält, und zugleich mit den Wellen ringt, und Nichts fürchtet, als sein Damon möchte vor ihm zu Grunde gehen – denke dir Dieß recht lebhaft, um Dich zu überzeugen, daß auch dieser Freund in der Reihe der Edelsten eine Stelle verdiente.

21. Toxaris. Und waren sie wirklich verloren, Mnesippus, oder hat irgend ein glücklicher Zustand sie gerettet? Ich gestehe, du hast mich für ihr Schicksal sehr besorgt gemacht.

Mnesippus. Fürchte Nichts, guter Toxares: sie sind in Sicherheit und befinden sich noch gegenwärtig zu Athen, wo Beide mit Philosophie sich beschäftigen. Simylus konnte mir nämlich nichts mehr von ihnen sagen, als was er selbst gesehen hatte; und weil es Nacht war, so sah er bloß, wie [1007] Damon hinabstürzte, sein Freund auf ihn zuschwamm, und wie Beide auf den Wellen trieben. Das Weitere erzählte mir Euthydikus selbst. Zuerst wären sie an einige Korkstücke gerathen, an denen sie sich gehalten und mit harter Mühe fortgearbeitet hätten: gegen Tagesanbruch aber wären sie die Schiffsleiter gewahr worden, auf sie zugeschwommen, hinaufgeklettert, und von ihr gemächlich an die Küste von Zacynthus getragen worden.

22. Nach diesem gewiß nicht gemeinen Beispiel von Freundestreue laß dir ein Drittes erzählen, das diesem nichts nachgibt. Eudamidas aus Korinth hatte zwei Freunde, den Aretäus aus Korinth und Charixénus aus Sicyon, welche beide sehr wohlhabend waren, während er selbst nicht das Geringste besaß. Nach seinem Tode fand sich ein Testament vor, das den Leuten sehr lächerlich vorkommen mochte, worüber hingegen du, als ein Mann von edler Denkart, der die Freundschaft zu schätzen weiß und um den ersten Preis in derselben wetteifert, wie ich nicht zweifle, ganz anders urtheilen wird. Das Testament lautete so: „Ich vermache dem Aretäus meine Mutter, um sie zu ernähren und in ihrem Alter zu pflegen, dem Charixénus aber meine Tochter, um sie so reichlich auszustatten, als seine Vermögensumstände erlauben werden (Eudamidas hinterließ nämlich eine sehr betagte Mutter und eine bereits heirathsfähige Tochter). Sollte es aber, hieß es weiter, mit dem Einen und Andern vor der Zeit eine Veränderung geben, so soll der Antheil des Einen sofort dem Andern anheimfallen.“ Wie diese Verfügung eröffnet war, so nahmen Alle, welche zwar die Armuth des Eudamidas, nicht aber die Freundschaft kannten, [1008] welche zwischen ihm und jenen beiden Männern statt gefunden, die ganze Sache für Scherz, gingen lachend davon und meinten, das hieße nun doch ein glückliches Erbe einthun, wenn man dem Erblasser noch auszahlen und auf diese Art bei Leibesleben von den Verstorbenen beerbt werden sollte.

23. Die beiden Freunde aber zögerten keinen Augenblick, die in diesem letzten Willen ihnen zugedachte Hinterlassenschaft zu übernehmen. Charixénus überlebte jedoch seinen Freund Eudamidas nur fünf Tage, und nun war Aristäus Universal-Erbe; er übernahm des Ersteren Antheil noch zu dem seinigen, verpflegte die Mutter des Eudamidas, und hat noch vor Kurzem dessen Tochter ausgestattet, indem er von den fünf Talenten, die er besaß, zwei seiner eigenen Tochter und zwei der Tochter des Freundes zur Mitgift gab, und beider Hochzeit auf einen Tag veranstaltete. – Nun was meinst du, Toxaris? Ist dieser Aretäus, der eine solche Erbschaft übernahm, nur um den letzten Willen seines Freundes in Ehren zu halten, nicht etwa auch ein Muster von einem Freunde, und haben wir nicht Ursache, ihn unter die Fünfzahl der Besten zu rechnen?

Toxaris. Unstreitig er war ein edler Mensch. Doch bewundere ich, die Wahrheit zu gestehen, den Eudamidas noch mehr, des schönen Vertrauens wegen, das er in seine Freunde setzte. Er bewies damit, daß er ein Gleiches für sie gethan haben würde, auch wenn es kein Testament von ihm verlangt hätte, und daß er gewiß zuerst erschienen wäre, ein solches, wenn auch nicht ausdrücklich ihm bestimmtes, Vermächtniß zu übernehmen.

[1009] 24. Mnesippus. Sehr wahr. Nun laß dir von dem Vierten erzählen, von Zenothemis, des Charmolaus Sohn, aus Massilien [Marseille]. Als ich vor einiger Zeit in Angelegenheiten meiner Vaterstadt in Italien war, machte man mich auf einen sehr schönen, wohlgewachsenen, und, wie es schien, reichen Mann aufmerksam, der auf einem Wagen fuhr und neben sich eine Frau sitzen hatte, deren abschreckende Häßlichkeit kaum zu beschreiben ist. Sie war schlecht gebaut, auf der ganzen rechten Seite wie ausgedörrt, einäugig, kurz eine wahre Vogelscheuche. Als ich meine Verwunderung äußerte, wie ein so wohlgebildeter und feiner Mann eine so widrige Gestalt an seiner Seite dulden könne, so erzählte mir der Mann, der mir das Ehepaar gezeigt hatte, die Geschichte dieser Verbindung, die er um so genauer kannte, da er selbst aus Massilien war. Menekrates, der Vater dieser Häßlichen, war ein Freund des Zenothemis, und hatte mit ihm auf gleicher Stufe des Ansehens und Reichthums gestanden. Nach einiger Zeit aber hatte Menekrates das Unglück, wegen eines verfassungswidrigen Antrags, dessen man ihn beschuldigte, durch richterliches Erkenntniß der Sechshundert seines Vermögens und seiner bürgerlichen Ehre verlustig erklärt zu werden, was zu Massilien die gewöhnliche Strafe für Vergehen dieser Art seyn soll. So tief den Menekrates eine Verurtheilung kränkte, die ihn in wenigen Augenblicken aus einem reichen Mann zu einem Bettler, aus einem angesehenen Bürger zu einem ehrlosen machte, so ging ihm doch noch mehr das Schicksal seiner nunmehr achtzehnjährigen Tochter zu Herzen, für die nun vollends alle Aussicht auf Versorgung verschwunden war, da sich sogar auch bei den [1010] glänzenden Glücksumständen des Vaters vor seiner Verurtheilung kaum etwa einer der minder vornehmen und vermögenden Bürger entschlossen haben würde, sie zur Gattin zu nehmen. Denn zu ihrem fatalen Aeußeren kam noch, daß sie, wie es hieß, mit zunehmendem Monde gewöhnlich schlimme Zufälle bekam.

25. Als nun einst Menekrates seinen Kummer dem Zenothemis klagte, sprach ihm dieser Muth ein und tröstete ihn mit der Versicherung, es werde ihm gewiß nie an dem Nothwendigen fehlen, und auch seine Tochter werde einen ihrer Abkunft würdigen Gatten finden. Mit diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und führte ihn in seine Wohnung, wo er sein ganz großes Vermögen mit ihm theilte. Zugleich ließ er Anstalten zu einem großen Feste machen, zu welchem er außer seinen übrigen Freunden auch den Menekrates einlud, indem er sich das Ansehen gab, als hätte er einen seiner Bekannten vermocht, zu der Heirath mit seiner Tochter sich zu verstehen. Schon war die Mahlzeit vorüber, und die Libation den Göttern dargebracht, da reichte ihm Zenothemis eine volle Schaale mit den Worten dar: „Hier, Menekrates, nimm den Freundschaftstrunk aus der Hand deines Schwiegersohnes. Heute noch führe ich deine Tochter Cydimache als Gattin heim: ihre Mitgift, fünfundzwanzig Talente im Betrag, habe ich längst empfangen!“ – „Nein Zenothemis!“ rief der erstaunte Vater, „nimmermehr! So verblendet bin ich nicht, um zuzugeben, daß ein junger und schöner Mann, wie du, sich Zeitlebens an ein so häßlich verunstaltetes Mädchen kette.“ Allein Zenothemis, ohne darauf zu hören, nahm seine Braut, führte sie in das hochzeitliche Gemach, und bald [1011] darauf kamen sie als Mann und Weib wieder heraus. Von dieser Stunde an lebte er mit ihr als der zärtlichste Gatte, und überall, wohin er sich begibt, muß sie ihm zur Seite seyn.

26. Denn weit entfernt, sich dieser Gemahlin zu schämen, ist er vielmehr stolz darauf, der Welt zu zeigen, wie wenig Werth er auf Körpergestalt, Ansehen und Reichthum legt, wie hoch er dagegen seinen Menekrates achte, der durch den Spruch der Sechshundert in seinen Augen um nichts weniger würdig geworden, sein Freund zu seyn. Doch das Glück hat ihn dafür nicht unbelohnt gelassen: denn die häßliche Frau hat ihm ein wunderschönes Söhnchen geboren. Und erst ganz kürzlich trug es der Vater auf seinen Armen in den Rath der Sechshundert, um durch den Olivenkranz und das Trauerkleid, womit das Kind angethan war, die Richter zum Mitleid gegen den Großvater zu bewegen. Der Kleine lächelte den Senatoren entgegen und klatschte in seine Händchen; und dieser Anblick rührte die ganze Versammlung so sehr, daß jener Urtheilsspruch aufgehoben und Menekrates – Dank seinem kleinen Sachwalter! – in alle seine früheren Ehren und Rechte wieder eingesetzt wurde. So lautete die Erzählung des Massiliers. Du siehst, die Freundesthat des Zenothemis ist von der Art, daß es schwerlich viele Scythen gibt, die einer ähnlichen fähig wären; denn es wird ja, wie die Sage geht, bei euch so sehr auf Schönheit gesehen, daß sogar auch bloße Beischläferinnen nur aus den Allerschönsten ausgelesen werden.

27. Noch ist der Fünfte übrig, und ich wüßte nicht, welchem Andern ich diese Stelle einräumen müßte, wenn ich den Demetrius aus Sunium übergehen wollte. Dieser [1012] hatte sich mit seinem Jugendfreunde und Schulgenossen Antiphilus aus Alopece nach Aegypten begeben, wo sie zusammen den Studien oblagen. Demetrius bildete sich zum Cyniker aus unter dem berühmten Philosophen von Rhodus,[4] Antiphilus aber studierte die Arzneiwissenschaft. Die Sage von den Pyramiden bei Memphis, daß sie ihrer außerordentlichen Höhe ungeachtet [des Mittags] keinen Schatten werfen, und von der Memnonssäule, daß sie bei Sonnenaufgang einen Ton von sich gebe, hatte dem Demetrius Lust gemacht, mit eigenen Augen und Ohren sich davon zu überzeugen. Auf dieser Reise, die er zu Schiffe den Nil aufwärts machte, brachte er gegen sechs Monate zu. Seinen Freund Antiphilus, den die Beschwerlichkeiten der Reise und die große Hitze abschreckten, ließ er allein zu Hause.

28. Dieser Antiphilus nun gerieth in seiner Abwesenheit in eine Lage, in welcher ihm ein edler Freund doppelt wünschenswerth wurde. Einer seiner Sclaven, Syrus mit Namen und Syrer von Geburt, war in eine Gesellschaft von Tempelräubern gerathen, mit denen er in das Heiligthum des Anubis schlich und aus dem Schatze des Gottes zwei goldene Schalen, einen goldenen Heroldsstab, mehrere silberne Hundeköpfe,[5] und andere dergleichen Gegenstände stahl, welche sämmtlich Syrus in Verwahrung nahm. Die Räuber verriethen sich, als sie nach einiger Zeit Etwas davon zum Verkaufe anboten, wurden sogleich in Verhaft genommen, und bekannten auf der Folter den ganzen Hergang. Man führte sie also in die Wohnung des Antiphilus; und hier zogen sie [1013] die gestohlenen Sachen unter einer Bettstelle hervor, wo sie bis jetzt verborgen gelegen hatten. Syrus und sein Herr, Antiphilus, den man aus dem Hörsale seines Lehrers mit Gewalt herausholte, wurden unverzüglich in Fesseln gelegt. Kein Mensch, nicht einmal seine bisherigen Freunde, verwendeten sich für den Unglücklichen: ja sie wandten sich von ihm, als dem Schänder des Anubidéums, mit Abscheu weg, und rechneten sich’s sogar zur Sünde an, jemals mit ihm an Einem Tische gegessen und getrunken zu haben. Seine zwei übrigen Sclaven aber packten Alles, was sie im Hause vorfanden, zusammen und machten sich aus dem Staube.

29. Lange Zeit lag so der arme Antiphilus in Banden, und mußte sich für den ruchlosesten aller Verbrecher, die mit ihm in demselben Gefängnisse waren, ansehen lassen. Der Kerkermeister, ein bigotter Aegyptier, glaubte seinem Gotte einen Dienst zu thun, und Genugthuung zu verschaffen, wenn er ihm so hart als möglich begegnete. Und wenn er sich bisweilen vertheidigen wollte und seine Unschuld betheuerte, so hieß er ein frecher Lügner, und der Abscheu gegen ihn ward nur um desto größer. Was war also natürlicher, als daß eine so lange Haft nachgerade seine Gesundheit untergraben mußte? Er lag auf der Erde, bei Nacht in den Stock gespannt, so daß er kein Bein ausstrecken konnte, bei Tag, wo jener enge Verschluß minder nöthig befunden wurde, wenigstens mit einem Halsbande und einem Handeisen gefesselt. Dazu noch der abscheuliche Aufenthalt, die erstickende Hitze, die vielen Mitgefangenen, die, in dem engen Raume zusammengesperrt, einen Qualm verbreiteten, der kaum das Athmen erlaubte, das Gerassel der Ketten, der Mangel an [1014] Schlaf – alles Dieß mußte doppelt angreifend, ja unausstehlich für einen Mann seyn, der noch nie in einer solchen Lage gewesen, und überhaupt nicht an eine harte Lebensart gewöhnt war.

30. Schon hatte sein verzweiflungsvoller Zustand in ihm den Entschluß hervorgebracht, keine Nahrung mehr zu nehmen, als endlich Demetrius zurückkam, der von dem ganzen Vorfalle Nichts gewußt hatte. Sobald er es erfuhr, eilte er unverzüglich dem Gefängnisse zu, wurde aber nicht eingelassen, weil es schon Abend war, und der Kerkermeister längst geschlossen und sich zur Ruhe begeben hatte, während seine Knechte das Gebäude (von außen) bewachten. Erst in der Frühe des andern Tages erhielt er nach vielen Bitten Erlaubniß, einzutreten. Allein das Elend hatte seinen Freund so unkenntlich gemacht, daß er anfänglich bei allen Gefangenen herumgehen mußte, um ihn zu suchen; gerade wie Die, welche auf den Schlachtfeldern aus den schon halbverwesten Todten die Leichen der Ihrigen herausfinden wollen. Hätte er ihn nicht mit lauter Stimme bei Namen gerufen, er wäre seiner Sache noch lange ungewiß geblieben: so gänzlich hatte das ausgestandene Ungemach den Antiphilus umgewandelt. Als aber Dieser die bekannte Stimme vernahm, schrie er laut auf, strich sich das lange verworrene Haar aus dem Gesichte, und gab sich dem herbeieilenden Freunde zu erkennen. Dieses so unerwartete Wiedersehen übermannte ihre Sinne; sie sanken wie betäubt zu Boden. Demetrius, der zuerst wieder Fassung gewann, brachte allmählig auch den Antiphilus wieder zu sich selbst, ließ sich von ihm die Geschichte seiner Verhaftung ausführlich erzählen, und bat ihn, den Muth nicht sinken zu lassen. Zugleich theilte er [1015] seinen Mantel in zwei Hälften, deren Eine er für sich behielt, die Andere aber seinem Freunde statt der schmutzigen und abgenützten Lumpen anlegte, womit er bekleidet gewesen war.

31. Und von Stunde an widmete er sich auf alle Weise seiner Pflege und Wartung. Er ließ sich von den Kaufleuten im Seehafen von Tagesanbruch bis Mittag als Lastträger gebrauchen und erwarb sich auf diese Art einen ansehnlichen Verdienst. Einen Theil desselben drückte er jedesmal nach vollbrachter Arbeit dem Kerkermeister in die Hand, um ihn bei guter Laune zu erhalten. Das Uebrige reichte hin, dem geliebten Freunde seine Lage zu erleichtern. Alle Nachmittage brachte er bei Antiphilus zu, um ihn aufzuheitern; und wenn die Nacht einbrach, legte er sich vor die Kerkerthüre auf eine Streu von dürrem Laube. So verlebten sie eine geraume Zeit: Demetrius ging ungehindert aus und ein, und Antiphilus fand sein Ungemach um vieles erträglicher.

32. Da begab es sich, daß ein in demselben Gefängnisse liegender Straßenräuber, wie man vermuthete, an Gift starb, und die Folge davon war, daß von nun an die Aufsicht über die Gefangenen geschärft und keinem Menschen mehr der Besuch des Kerkers gestattet wurde. Trostlos hierüber ergriff Demetrius das einzige Mittel, das ihn mit Antiphilus wieder zusammenbringen konnte. Er begab sich zum Vice-Präfecten, und erklärte sich der Theilnahme an dem im Anubistempel begangenen Frevel schuldig. Unverzüglich ward er in dasselbe Gefängniß abgeführt, wo er es, obwohl erst nach vielen flehentlichen Bitten, bei dem Kerkermeister dahin brachte, daß man ihn neben seinen Freund und an eben dasselbe Halseisen anschloß. Jetzt bethätigte sich schöner, als je, die [1016] treue Liebe, die er zu seinem Freunde trug. Ganz unbekümmert um eigenes Leiden, und obwohl selbst schwer erkrankt, hatte er keine andere Sorge, als wie er dem Gefährten Ruhe und Linderung seines Kummers verschaffen möchte. Und wirklich ertrugen sie, da sie gemeinschaftlich litten, ihr Elend desto leichter.

33. Endlich aber sollte folgender Zufall ihre Erlösung herbeiführen. Einer der Gefangenen, der sich eine Feile zu verschaffen gewußt und mehrere andere Mitgefangene in sein Geheimniß gezogen hatte, feilte allmählig die lange Kette, an welche Alle der Reihe nach mit ihren Halseisen angeschlossen waren, durch, und machte sodann alle Uebrigen los. Diese erschlugen ohne Mühe die wenigen Wächter des Kerkers, stürzten heraus und zerstreuten sich nach allen Richtungen, wurden aber bald darauf zum größten Theile wieder eingebracht. Demetrius und Antiphilus, die ihre Stelle nicht verlassen und den Syrus, wie er sich davon machen wollte, noch festgehalten hatten, wurden am folgenden Morgen vor den Präfecten geholt, der, während er jenen Uebrigen nachsetzen ließ, unsern beiden Freunden, unter Bezeugung seines Beifalls über ihr Betragen, ihre Befreiung ankündigte. Allein Diese beruhigten sich nicht mit der bloßen Loslassung: sondern Demetrius erklärte sich sehr laut und nachdrücklich gegen das große Unrecht, das ihnen widerfahren würde, wenn man sie nur aus Mitleid oder zur Belohnung, weil sie nicht entliefen, ihrer Bande entledigte, übrigens den Verdacht des Verbrechens auf ihnen ruhen ließe. Er ruhte nicht, bis er den Präfecten dahin gebracht hatte, die ganze Sache so genau als möglich zu untersuchen. Es geschah, und Beide wurden [1017] völlig unschuldig befunden. Da ertheilte ihnen der Präfect die größten Lobsprüche, gab besonders dem Demitrius seine Bewunderung zu erkennen, und, indem er sein Bedauern über die, ungerechterweise erlittene, Kerkerstrafe ausdrückte, machte er dem Antiphilus zehntausend, dem Demetrius zwanzigtausend Drachmen aus eigenen Mitteln zum Geschenke.

34. Antiphilus lebt noch gegenwärtig in Aegypten. Demetrius hingegen überließ ihm auch seine zwanzigtausend und begab sich gleich darauf zu den Brachmanen nach Indien. „Du wirst es entschuldbar finden,“ sagte er bei’m Abschiede zu Antiphilus, „wenn ich dich jetzt verlasse. Geld werde ich nie brauchen, so lange ich bleibe, wie ich jetzt bin, und mich mit Wenigem zu begnügen weiß. Und du wirst dich eines Freundes nunmehr eher entrathen können, da dir deine jetzigen Umstände alle Gemächlichkeit erlauben.“ – Siehe, mein lieber Toxaris, so handeln unsere Griechischen Freunde. Hättest du nicht vorhin die unfreundliche Aeußerung gethan, daß wir uns viel mit unsern schönen Worten wüßten, so wollte ich dir auch noch die vielen und vortrefflichen Reden mittheilen, welche Demetrius vor Gericht hielt, wo er kein Wort sprach, um sich zu reinigen, sondern blos für Antiphilus, sogar mit Bitten und Thränen, sich verwandte und Alles auf sich allein nahm, bis endlich die von Geisselhieben herausgebrachten Geständnisse des Syrers die Schuldlosigkeit Beider erwiesen. –

35. Von vielen Beispielen edler und treuer Freundschaft, die mir bekannt sind, erzählte ich dir diese wenigen, weil sie sich zunächst meinem Gedächtnisse darboten. Ich setze nichts weiter hinzu und überlasse nun dir das Wort. Aber [1018] wenn dir deine rechte Hand lieb ist, so muß dir sehr daran liegen, mit deinen Scythischen Beispielen mir den Rang abzulaufen. Also – halte dich wacker! Es wäre ja zum Lachen, wenn der meisterliche Lobredner des Orestes und Pylades in Sachen seines eigenen Vaterlandes zu Schanden würde.

Toxaris. Nun das ist doch schön von dir, Mnesippus, daß du mich noch anfeuerst, ganz unbekümmert um deine Zunge, um die es ja geschehen wäre, wenn du in diesem Zweikampf den Kürzern zögest. Ich fange also an, ohne mich jedoch, wie du, um schöne Worte zu bemühen, was ganz gegen unsere Scythische Weise, und hier um so weniger vonnöthen ist, wo die Thatsachen stärker als alle Worte sprechen. Erwarte aber keine Geschichtchen wie die, von denen du ein so gewaltiges Aufheben machtest, daß einmal ein schöner Mann eine häßliche Frau ohne Heirathgut genommen, oder daß Einer der Tochter seines Freundes zwei Talente zur Hochzeit geschenkt, oder vollends gar, daß sich Einer mit seinem gefangenen Freunde hat einschließen lassen, wobei er wohl wußte, daß die Loslassung in Kurzem erfolgen würde. Dergleichen Stückchen gebe ich ziemlich wohlfeil: Großes wenigstens und Mannhaftes sehe ich nichts darin.

36. Ich will dir dagegen von Freunden erzählen, die für einander Mord und blutige Kriege gewagt, ja ihr Leben selbst hingegeben haben, und will dir zeigen, daß Eurer Freunde Thaten gegen die Scythischen gehalten nur Kinderspiel sind. Freilich begegnet es euch aus einer sehr natürlichen Ursache, daß ihr so viel Rühmens von Kleinheiten habt. Es gibt bei euch gar keine Gelegenheit, großartige Beweise von Freundschaft abzulegen: ihr lebt ja in tiefem Frieden; und wie kann man denn bei ruhiger See von einem Steuermann wissen, [1019] ob er ein guter Steuermann ist? Der Stürme bedarf es, um ihn zu prüfen. Bei uns sind Kriege ohne Ende; entweder haben wir Angriffe auf Auswärtige zu machen, oder feindliche Angriffe auszuhallen, oder um unsere Weideplätze und Viehheerden zu streiten. Hier erst gilt es, treue Freunde zu haben; und darum schließen wir unsere Freundesbündnisse so unzertrennlich fest, weil wir überzeugt sind, daß allein Dieß eine zuverläßige und unbesiegbare Waffe ist.

37. Vorerst aber will ich dir sagen, wie die Freundschaften bei uns entstehen. Es sind keine bloßen Bekanntschaften vom Trinktische her, wie bei euch, oder entstanden aus dem Zufalle, daß ihrer Zwei mit einander aufgewachsen oder Nachbarn sind. Wo wir einen Mann von edler Gesinnung und großer Thatkraft sehen, um den drängen wir uns Alle her, und lassen es uns nicht verdrießen, um seine Freundschaft lange und angelegentlich, wie ihr um eure Bräute, zu werben und alles Mögliche anzuwenden, um derselben nicht unwürdig zu erscheinen. Und wenn er denn wirklich Einen von uns sich zum Freunde gewählt hat, so wird das Bündniß mit dem heiligsten Eidschwure bekräftigt, fortan mit und für einander leben, und, wo es nöthig würde, zu sterben. Von dem Augenblicke an, wo sie sich in den Finger geschnitten, sodann in den Becher, der das rinnende Blut aufgenommen, die Spitze ihrer Schwerter getaucht, und darauf den Becher zum Munde geführt und getrunken haben, von diesem Augenblicke an ist Nichts in der Welt, was sie trennen könnte. Es besteht aber das Gesetz bei uns, daß höchstens ihrer Drei miteinander ein solches Bündniß schließen dürfen. Denn Wer mehrere Freunde hat, kommt uns [1020] wie die verbuhlten Weiber vor, deren Besitz gemeinsam ist. Unmöglich kann, wie wir glauben, eine Freundschaft stark seyn, die sich unter Viele theilt.

38. Ich beginne mit der Geschichte des Dandamis, die sich erst vor Kurzem zugetragen. Dieser Dandamis war der Freund eines gewissen Amizokes, der im Kriege mit den Sarmaten dem Feinde in die Hände fiel. – Doch fast hätte ich unsere Verabredung vergessen, und meinen Scytheneid nicht abgelegt. Ich schwöre also bei’m Winde und bei’m Säbel, daß ich dir, Mnesippus, keine Unwahrheit von den Scythischen Freunden erzählen wolle.

Mnesippus. Ich hätte eben keinen Schwur von dir begehrt: übrigens hast du klüglich gethan, daß du bei keiner Gottheit geschworen.

Toxaris. Was sagst du? Der Wind und der Säbel gelten dir nicht für Götter? Weißt du denn nicht, daß es für die Menschen nichts Wichtigeres gibt, als Leben und Tod? Wenn wir nun bei’m Winde und bei’m Säbel schwören, so geschieht es, weil wir den Wind als die Ursache des Lebens, den Säbel als den Urheber des Todes betrachten.

Mnesippus. Wenn es Das ist, so gäbe es noch unzähliges Andere, was euch, so gut als der Säbel, Gott seyn müßte, z. B. der Pfeil, die Lanze, der Schierlingssaft, der Strick. Denn er ist ein vielgestaltiger Gott, der Tod, und er öffnet tausend Wege, die zu ihm führen.

Toxaris. Was du doch einen Widerspruchsgeist hast, Mnesippus. Mit deinem Disputiren unterbrichst du mich ja, noch ehe ich recht angefangen habe. Und während du sprachst, hörte ich doch so ruhig zu.

[1021] Mnesippus. Es soll nicht wieder geschehen, Toxaris. Du hast Recht, es mir zu verweisen. Sprich also ganz unbefangen, ich will so stille seyn, als ob ich gar nicht zugegen wäre.

39. Toxaris. Es war der vierte Tag, seit Dandamis und Amizokes wechselseitig ihr Blut getrunken, als die Sarmaten, zehen tausend Mann stark zu Pferd, und dreißig tausend zu Fuß, einen Einfall in unsre Gegend machten. Wir hatten uns dieses Angriffs nicht versehen, und so war unsere Flucht allgemein: viele unserer besten Krieger wurden erschlagen, viele gefangen genommen, und nur, Wer geschwind genug an das jenseitige Ufer des Tanais schwamm, wo sich die Hälfte unseres Heeres und ein Theil unserer Wagen befand, konnte entrinnen. Zu beiden Seiten dieses Stromes nämlich war, nach einem mir nicht ganz erklärlichen Plane der Häuptlinge, unsre gesammte Kriegsmacht aufgestellt. Der Feind trieb unsre Heerden zusammen, brachte die Gefangenen zu Haufen, plünderte unsere Gezelte, bemächtigte sich unserer Wagen, größtentheils sammt den Leuten, die darauf saßen, und schändete unsre Weiber und Beischläferinnen vor unsern Augen – ein Schauspiel, das uns mit Schmerz und Grimm erfüllte.

40. Da ward auch Amizokes gefangen und hart gebunden herangeführt: er rief seinem Freunde Dandamis mit lauter Stimme bei Namen, und erinnerte ihn an den Blutbecher, den sie mit einander getrunken. Dandamis hatte Dieß kaum vernommen, als er, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, vor Aller Augen zu dem Feinde hinüberschwimmt. Schon rannten die Sarmaten mit geschwungenen Wurfspießen [1022] ihm entgegen und machten Miene ihn zu durchbohren; aber Dandamis rief ihnen das Wort Zirin zu, ein Zuruf, womit man ihnen zu erkennen gibt, daß man in der friedlichen Absicht komme, einen Gefangenen loszukaufen. Er ward also empfangen und sogleich vor den Fürsten geführt, wo er die Herausgabe seines Freundes Amizokes begehrte. Der Fürst forderte ein starkes Lösegeld und erklärte, daß er ihn ohne dieses nicht frei geben würde. „Was ich besaß,“ erwiederte Dandamis, „das habt ihr ganz und gar geplündert. Wenn ich aber, arm und bloß wie ich bin, Euch für ihn Ersatz leisten kann, so sprich was du verlangst: ich bin bereit, mich Allem zu unterziehen. Und willst du mich selbst an seiner Statt, so nimm mich hin und mache mit mir, was dir beliebt.“ – „Nein,“ versetzte der Sarmate, „wir brauchen dich nicht ganz zurückzubehalten, zumal da du Zirin gerufen hast. Nur einen Theil von Dem, was du hast, erlege als Lösegeld, so kannst du deinen Freund mit dir nehmen.“ „Was willst du denn von mir haben?“ fragte Dandamis. „Deine Augen,“ war die Antwort. Unverzüglich reicht Dandamis seine Augen hin, um sie sich ausreißen zu lassen; und wie es geschehen war, und also die Sarmaten ihr Lösegeld erhalten hatten, erhielt er seinen Amizokes wieder, und ging, auf seine Schultern sich stützend, davon; und so kamen Beide ohne weitern Unfall wieder über den Fluß zu uns herübergeschwommen.

41. Diese Erscheinung richtete den Muth aller Scythen wieder auf, die sich nun nicht mehr für die Ueberwundenen hielten, da sie sahen, daß der Feind das wichtigste unserer Güter uns nicht entführt hatte, sondern Großherzigkeit und [1023] Freundestreue noch unter uns war. Um so mehr wurden hingegen die Sarmaten dadurch erschreckt, die sich nun leicht vorstellen konnten, was für Gegner wir nach vorhergehender Vorbereitung für sie seyn würden, wenn sie gleich bei diesem unerwarteten Ueberfall Vortheile über uns gewonnen hatten. Wirklich steckten sie mit anbrechender Nacht die erbeuteten Wagen in Brand, und zogen sich, mit Zurücklassung des größten Theils der geraubten Viehheerden eilig zurück. Amizokes aber, der den Anblick des blinden Freundes nicht ertragen konnte, beraubte sich gleichfalls seines Gesichtes; und nun sitzen Beide beisammen, und werden von den Scythen auf öffentliche Kosten ernährt, und in hohen Ehren gehalten.

42. Nun, Freund Mnesippus, welches Paar habt Ihr Diesen an die Seite zu stellen, auch wenn dir gestattet würde, noch zehen weitere zu deinen fünfen aufzuzählen, und zwar ohne zuvor schwören zu müßen, so daß du also hinzudichten könntest, was du nur wolltest? Und doch habe ich dir nichts als die nackte That erzählt. Wenn aber Du dergleichen zu erzählen gehabt hättest, so kann ich mir vorstellen, welche Tiraden wären eingeflochten worden, was Dandamis für eine bewegliche Rede hätte halten müßen, wie viele Worte gemacht worden wären, das Ausstechen seiner Augen, sein Zurückschwimmen, seine Aufnahme bei den Scythen, ihr Zujauchzen zu beschreiben, und was die Kunstgriffe mehr sind, womit ihr Griechen die Ohren zu bestechen gewohnt seyd.

43. Höre nun aber die That eines andern, nicht minder ehrenwerthen Freundes, des Belittas, eines Verwandten des erwähnten Amizokes. Belittas und sein Freund Basthes befanden sich zusammen auf der Jagd. Auf einmal sieht der [1024] Erstere, wie ein Löwe den Basthes von dem Pferde reißt, umklammert, (mit den Zähnen) an der Kehle packt, und mit den Klauen zerfleischt. Plötzlich springt Belittas vom Pferde, fällt die Bestie von hinten an, reißt sie zurück, sucht ihren Grimm zu reizen und gegen sich zu kehren, steckt sogar seine Faust zwischen die Zähne des Löwen, um wo möglich seinen Freund aus dem Gebisse zu befreien, bis das Thier endlich von dem halbtodten Basthes abläßt, sich auf den Belittas wirft, und ihn würgt, bis er den Geist aufgibt; aber noch sterbend stößt Belittas dem Löwen seinen Säbel durch die Brust; und nun blieben alle drei todt auf dem Platze. Wir begruben sie und errichteten zwei Grabhügel, einen den beiden Freunden, und den andern gegenüber dem Löwen.

44. Meine dritte Erzählung habe die Freundschaft zwischen Macentes, Lonchates und Arsakomas zum Gegenstande. Der Letzte hatte sich in Mazäa, die Tochter des Königes Leukanor im Bosporus, verliebt, als er des Tributes wegen dorthin abgesandt worden war, den die Bosporaner uns von jeher zu entrichten pflegten, damals aber schon in den dritten Monat über die Zeit schuldig geblieben waren. Arsakomas hatte dort über der Tafel des Königes die Mazäa, eine Jungfrau von ausgezeichneter Schönheit und herrlicher Gestalt, zu Gesichte bekommen, und war von einer Leidenschaft ergriffen worden, die ihn zu verzehren anfing. Inzwischen ward das Geschäft seiner Sendung abgemacht; der König ertheilte ihm die letzte Audienz, und gab ihm zum Abschied ein großes Gastmahl. Es besteht die Sitte im Bosporus, daß die Freier um die Hand eines Mädchens bei Tafel anhalten, und zugleich durch Angabe dessen, was sie seyen [1025] und hätten, ihre Würdigkeit, in die Familie aufgenommen zu werden, an den Tag legen. Der Zufall wollte, daß bei jenem Gastmahle noch mehrere andere Freier anwesend waren, und zwar Fürsten und Fürstensöhne, wie Tigrapates, Fürst der Lazier, Adyrmachus, Herr von Machlyene, und Andere. Der Gebrauch erfordert, daß jeder Freier, nachdem er sich über den Zweck seiner Anwesenheit erklärt hat, sich mit den Andern zur Tafel niederlasse, und während der Mahlzeit gänzliches Stillschweigen über seine Absicht beobachte. So wie aber die Mahlzeit zu Ende ist, läßt er sich eine Trinkschale reichen, gießt die Libation auf den Tisch, und freit sodann förmlich um das Mädchen, wobei er die Vorzüge seiner Geburt, seinen Reichthum, seine Macht anzupreisen nicht unterläßt.

45. Auf diese Art hatten denn nun schon mehrere jener Bewerber Jeder nach vorheriger Libation ihr Gesuch angebracht, und ihre Besitzungen und Herrschaften vorgerechnet, als endlich auch Arsakomas die Trinkschale verlangte, übrigens keine Libation ausgoß (weil es bei uns für eine Beleidigung des Gottes gilt, Wein zu vergießen), sondern auf Einen Zug die Schale leerte. Hierauf sagte er zum Könige: „Gib deine Tochter Mazäa mir zum Weibe: denn wenn es auf Schätze und Besitzungen ankommt, so tauge ich ihr besser als diese Alle.“ Leukanor, der den Arsakomas als einen gemeinen Mann ohne Adel und Vermögen kannte, fragte voll Verwunderung: „Wie viele Heerden und Wagen hast du denn, Arsakomas? Denn darin besteht doch euer ganzer Reichthum.“ – „Wagen und Heerden habe ich nicht,“ versetzte er, „aber zwei so vortreffliche Freunde, wie kein [1026] anderer Scythe.“ Diese Antwort wurde mit allgemeinem Gelächter aufgenommen: man hatte seinen Spaß mit ihm, und meinte, er hätte im Trinken zu viel gethan. Am andern Morgen ward Adyrmachus für den Begünstigten erklärt, und dieser säumte nicht, seine Braut in das Land der Machlyer an der Mäotis heimzuführen.

46. Arsakomas erzählte bei seiner Nachhausekunft seinen beiden Freunden die verächtliche Begegnung, die er vom Könige erfahren, und wie er, weil er für arm gegolten, über der Tafel zum Gespötte gedient habe. „Und doch,“ setzte er hinzu, „hatte ich ihnen deutlich genug gesagt, wie reich ich bin, da ich zwei Freunde wie Lonchates und Macentes besitze, deren treue Liebe viel dauerhafter, und mir viel werther sey, als alles Vermögen der Bosporaner insgesammt. Allein wie ich gesprochen, antwortete mir Leukanor mit Spott und Verachtung, und gab seine Tochter dem Machlyerfürsten Adyrmachus, weil er gesagt hatte, er besitze zehen goldene Schalen, achtzig Wagen, jeden mit vier Lagerpolstern, und eine Menge Schafe und Rinder. So hat also der Mann einer Anzahl Heerden, einigen schönen Trinkgefäßen und schweren Wagen den Vorzug vor braven Männern gegeben! Dieß, meine Freunde, muß mich doppelt schmerzen, einmal weil ich die Mazäa leidenschaftlich liebe, sodann weil ich mich durch die in Gegenwart so vieler Zeugen erlittene Beleidigung auf’s tiefste gekränkt fühle. Ihr Beide seyd, dünkt mich, nicht minder beschimpft: wenigstens gilt Jedem von uns ein Drittheil der mir zugefügten Schmach, da wir ja, seit wir unsern Bund schloßen, zusammen nur Eine Person sind, und Leiden und Freuden mit einander gemein haben.“ – [1027] „Nicht nur Das,“ versetzte Lonchates, „sondern Jeder von uns hat die volle Beleidigung erlitten, da sie dir begegnete.“

47. „Was ist jetzt zu thun?“ fragte Macentes. „Wir theilen uns in die Sache,“ sagte Lonchates. „Ich verspreche, dem Arsakomas den Kopf des Leukanor zu liefern, und du mußt ihm die Braut herbeischaffen.“ – „Es soll an mir nicht fehlen“ versetzte Jener. – „Weil sich aber,“ fuhr Lonchates fort, „voraussehen läßt, daß Krieg und Fehden die Folgen dieses Handels seyn werden, so bleibst du einstweilen hier, Arsakomas, und bringst so viel Leute, Waffen und Pferde zusammen, als du auftreiben kannst. Dieß wird dir um so leichter zu bewerkstelligen seyn, da man dich als einen braven Mann kennt, und wir so viele Bekannte haben. Wolltest du dich übrigens auf die Rindshaut setzen, so könnte es dir vollends gar nimmer fehlen.“ Der Vorschlag gefiel. Lonchates machte sich unverzüglich auf den Weg nach dem Bosporus, Macentes in das Machlyerland, beide zu Pferde: Arsakomas aber blieb zurück, besprach sich mit seinen Altersgenossen, und brachte eine ansehnliche Schaar seiner Bekannten unter die Waffen. Am Ende setzte er sich auch noch auf die Rindshaut.

48. Mit dieser Sitte bei uns hat es folgende Bewandtniß. Wenn ein Scythe eine erlittene Beleidigung rächen will, aber sich dem Gegner nicht gewachsen fühlt, so opfert er einen Ochsen und zerschneidet das Fleisch in viele Stücke, die er sofort gar kocht. Hierauf breitet er die Haut des Thieres auf die Erde, setzt sich darauf, und legt die Hände auf den Rücken gerade wie ein Gefangener, dem die Arme rückwärts gebunden sind. Und Dieß gilt bei uns für die nachdrücklichste [1028] Art, um Hülfe zu flehen. Nun treten seine Bekannte, und Wer sonst noch Lust hat, herbei, nehmen Jeder ein Stück von dem Fleische, und indem sie den rechten Fuß auf die Haut setzen, versprechen sie ihm nach Vermögen ihren Beistand: der Eine macht sich anheischig, fünf, ein anderer zehen, und noch mehr Mann zu Pferd, sammt Sold und Unterhalt zu liefern: Andere versprechen Fußvolk, Jeder so viel er vermag, und Wer gar Nichts hat, bringt sich selbst. Bisweilen wird auf dieser Haut eine sehr große Menge Menschen zusammengebracht, und es gibt keine Armee, die fester zusammenhielte und dem Feinde mehr zu schaffen machte, als eine solche, die sich durch Schwüre verbunden hat. Denn das Betreten der Ochsenhaut gilt für einen Eidschwur. So versammelte sich denn auch um Arsakomas eine Anzahl von ungefähr fünftausend Reitern und zwanzig tausend Mann Fußvolk, schwerer und leichter Bewaffnung zusammen.

49. Lonchates war inzwischen unerkannt im Bosporus angekommen, und begab sich zum Könige, der eben mit Angelegenheiten seines Reiches beschäftigt war. Ihm gab sich Lonchates für einen Abgesandten der Scythischen Nation zu erkennen, der ihm noch überdieß eine höchst wichtige Privateröffnung zu machen habe. Aufgefordert zu sprechen hob er an: „die Nation der Scythen wiederholt ihre alte, und schon so oft an Euch gemachte Forderung, daß eure Hirten nicht auf unsere Weideplätze treiben, sondern sich jenseits des kahlen Strichs, der unsere Gränze bildet, halten sollen. Was aber die Räuber betrifft, worüber Ihr Beschwerde führtet, daß sie in Euer Gebiet gestreift wären, so erklärt die Nation, daß Dieß ohne ihr Wissen und Wollen geschehen sey, [1029] indem jeder Derselben auf eigene Faust auf Beute ausgegangen wäre. Würde also einer Derselben aufgefangen, so solle seine Bestrafung gänzlich in deine Hände gelegt seyn. So weit mein öffentlicher Auftrag.“

50. „Noch aber habe ich dir für meine Person zu sagen, daß dir ein großer Ueberfall bevorsteht[WS 1] von Arsakomas, Mariantas Sohn, der unlängst als Botschafter[WS 2] bei dir war und sehr aufgebracht über dich ist, ohne[WS 3] Zweifel, weil er deine Tochter, um die er dich gebeten, nicht erhalten hat. Schon seit sieben Tagen sitzt er auf der Ochsenhaut, und hat bereits ein sehr ansehnliches Heer zusammengebracht.“ – „Man hat mir davon gesagt,“ unterbrach ihn Leukanor, „daß auf der Haut geworben wird; aber daß es mir gilt, und daß Arsakomas an der Spitze ist, das habe ich nicht gewußt.“ – „Allerdings gilt es dir,“ versetzte Lonchates. „Arsakomas ist übrigens mein Feind; es verdrießt ihn, daß die Volksältesten mehr auf mich halten als auf ihn, und daß ich überhaupt in größerem Ansehen stehe. Versprich mir die Hand deiner zweiten Tochter, der Barcetis[WS 4]: du sollst in keinem Stücke einen unwürdigen Schwiegersohn an mir haben, und in wenigen Tagen liefere ich dir den Kopf des Arsakomas.“ – „Gut, ich verspreche sie dir,“ erwiederte der König, dem die erhaltene Nachricht großen Schrecken eingejagt hatte. Er war sich der Veranlassung zu der Erbitterung des Arsakomas nur zu wohl bewußt, und von jeher hatte ihn der Gedanke an die Scythen mit Bangigkeit erfüllt. – „Nun so schwöre,“ sagte Lonchates, „daß du dein Wort halten wolltest getreulich und ohne Gefährde.“ Der König erklärte sich dazu bereit, und hob schon die Hand zum Schwur empor, als ihn [1030] Lonchates unterbrach: „Nicht doch! Schwöre nicht hier; wir sind nicht ohne Zeugen, die unsere Sache argwohnen und verrathen könnten. Schwören wir lieber, um nicht gehört zu werden, dort in dem Tempel des Mars bei verschlossenen Thüren. Wenn Arsakomas auch nur das Geringste erführe, so weiß ich gewiß, er ließe mich abschlachten, noch ehe er in’s Feld zöge; denn er ist bereits mit einer sehr ansehnlichen Macht umgeben.“ – „Gut, wir wollen hineingehen,“ sagte der König, und darauf zu seinen Leuten: „Zurück ihr! Keiner unterstehe sich, den Tempel zu betreten, den ich nicht gerufen habe!“ Wie sie aber innen waren und die wachehabenden Soldaten sich zurückgezogen hatten, drückt Lonchates dem Könige mit der einen Hand den Mund zu, zieht mit der andern den Säbel und durchbohrt ihm die Brust. Drauf schneidet er ihm den Kopf ab, den er unter seinem Mantel verbirgt, und geht heraus, indem er noch die Worte hineinruft: „Ich werde gleich wieder da seyn,“ als ob er Etwas zu holen hätte. Angekommen an der Stelle, wo er sein Pferd angebunden hatte, schwingt er sich auf und jagt Scythien zu, während es keinem Menschen einfällt, ihm nachzusetzen. Denn es stand lange an, bis die Bosporaner fanden, was vorgefallen war; und als man es wirklich entdeckte, ließen ihnen die Unruhen wegen der Thronfolge keine Zeit, an seine Verfolgung zu denken.

51. Lonchates überreichte also dem Arsakomas das Haupt des Leukanor, und hatte somit sein Freundeswort gelöst. Macentes aber, der den Vorfall im Bosporus unter Weges erfahren hatte, war der erste, der die Nachricht von des Königes Tod den Machlyern überbrachte. „Der Staat der [1031] Bosporaner,“ sprach er zu Adyrmachus, „verlangt dich, den Schwiegersohn Leukanors, zu seinem Könige. Mache dich unverzüglich auf, zeige dich dort unversehens den streitenden Factionen, und bemächtige dich des Throns. Deine Braut laß dir zu Wagen nachfolgen: es wird dir um so leichter seyn, das Volk der Bosporaner für dich zu gewinnen, wenn sie die Tochter des Leukanor an deiner Seite sehen. Ich bin ein Alane, und von der Mutterseite mit dieser Prinzessin verwandt: denn Mastira, die Leukanor zur Gemahlin nahm, gehörte zu unserem Stamme. Ihre Brüder in Alanien haben mich abgeschickt, dich aufzufordern, ungesäumt nach dem Bosporus zu eilen, und die Regierung doch ja nicht auf Eubiotus kommen zu lassen, einen unehlichen Bruder Leukanor’s, der von jeher ein Freund der Scythen und erklärter Gegner der Alanen ist.“ So sprach Macentes, der nach Tracht und Mundart einem Alanen ganz ähnlich war: denn Beides haben die Alanen und Scythen mit einander gemein, nur mit dem Unterschiede, daß die Erstern die Haare nicht ganz so lange wachsen lassen. Allein Macentes hatte, um auch hierin einem Alanen völlig zu gleichen, von seinen Haaren so viel abgeschnitten, als erforderlich war, und so ließ man ihn wirklich für einen Verwandten der Mastira und Mazäa gelten.

52. „Was mich betrifft,“ fuhr er fort, „so bin ich bereit, mit dir nach dem Bosporus zu reiten, wenn du es verlangst, oder auch, wenn es nöthig seyn sollte, da zu bleiben, und der Prinzessin zum Begleiter zu dienen. „Das Letztere,“ versetzte Adyrmachus, „wäre mir freilich am liebsten, die Mazäa im Geleite ihres Blutsverwandten zu wissen. [1032] Denn wenn du zugleich mit mir in den Bosporus reistest, so hätten wir nur Einen Reiter mehr: begleitest du mir hingegen meine Braut, so dienest du mir statt vieler Anderer.“ So geschah es denn: Adyrmachus reiste ab und vertraute die Mazäa, die wirklich noch nicht vermählt war, dem Macentes an, um mit ihr nachzukommen. Dieser ritt den ersten Tag neben ihrem Wagen her; so wie aber die Nacht eingebrochen war, nahm er sie auf sein Pferd und ritt nun in Begleitung eines einzigen Reiters (denn er hatte Veranstaltung getroffen, daß nicht mehrere ihm folgen durften) nicht länger an dem Mäotischen See hin, sondern beugte in’s Innere des Landes ein, so daß er das Miträische Gebirge immer zur Rechten ließ. Ungeachtet einiger Pausen, die er machen mußte, um das Mädchen sich erholen zu lassen, hatte er doch die ganze große Strecke von den Machlyern bis in’s Scythenland am dritten Tage zurückgelegt. Sein Pferd hatte, um von dem scharfen Laufe zu verschnauben, kaum einige Augenblicke gestanden, als es todt zur Erde fiel.

53. Seinem Freunde Arsakomas aber händigte er die Mazäa mit den Worten ein: „Empfange auch von mir, was ich dir versprochen!“ Und da Dieser, höchst überrascht von der unverhofften Erscheinung, sich in Danksagungen ergießen wollte, unterbrach ihn Macentes: „Stille, stille, mache mich nicht zu einem Andern, als du selbst bist. Wenn du mir danken wolltest für Das, was ich gethan, so wäre es ja nicht anders, als ob meine linke Hand, wenn sie verwundet wäre, der rechten für genossene sorgfältige Krankenpflege ihren Dank abstatten wollte. Wäre es nicht lächerlich, wenn wir, die wir längst unser Blut gemischt, und, so gut wir [1033] konnten, in Ein Wesen uns vereinigt haben, es noch für etwas Besonderes halten wollten, wenn ein Glied von uns zum Frommen des ganzen Leibes etwas gethan hat? Das Glied hat ja nur für sich gesorgt, wenn es gemacht hat, daß dem Ganzen wohl ist.“ Dieß war die Antwort des Macentes auf die Danksagungen seines Freundes Arsakomas.

54. Adyrmachus erfuhr nun den ganzen Zusammenhang des listigen Planes, setzte aber seine Reise nach dem Bosporus nicht fort, weil Eubiotus, den man aus Sarmatien, seinem damaligen Aufenthalte, berufen, die Regierung bereits übernommen hatte, sondern begab sich in sein Fürstenthum zurück, versammelte ein großes Kriegsheer, und rückte über das Gebirge in Scythien ein. Nach einiger Zeit fiel auch Eubiotus in unser Land, an der Spitze seiner gesammten (bosporanischen) Griechen, und einer Hülfsarmee von zusammen vierzig tausend Alanen und Sarmaten ein. Beide Heerführer vereinigten ihre Streitkräfte, die zusammen eine Masse von neunzig tausend Mann, darunter dreißig tausend berittene Bogenschützen, ausmachten. Wir Scythen (denn auch ich nahm an dem Feldzuge Theil, nachdem ich mich auf der Rindshaut zu hundert Reitern unter meinem Solde verbindlich gemacht hatte) – wir erwarteten ihren Angriff mit einer Armee von kaum dreißig tausend Mann, die Reiter mitgerechnet. Die Anführung hatte Arsakomas. Wie wir sie anrücken sahen, gingen wir ihnen entgegen, und ließen zuerst unsere Reiter auf den Feind einhauen. Nach einem langen und hartnäckigen Kampfe fingen unsere Truppen zu weichen an: unsere Phalanx wurde durchbrochen, und die ganze Scythische Heeresmasse in zwei von einander getrennte Haufen [1034] getheilt. Der Eine ergriff die Flucht, ohne eben entschieden geschlagen zu seyn, so daß der Feind diese Flucht für einen verstellten Rückzug ansah, und nicht wagte, die Fliehenden weit zu verfolgen. Die andere, aber schwächere Hälfte ward von den Alanen und Machlyern umzingelt, die von allen Seiten auf sie einhieben, und mit einem Hagel von Pfeilen und Wurfspießen sie bedeckten, so daß ein großer Theil in diesem Gedränge allen Muth verlor, und die Waffen streckte.

55. Der Zufall wollte, daß auch Lonchates und Macentes unter diesen Eingeschlossenen sich befanden, und weil sie sich sehr ausgesetzt hatten, gleich im Anfange der Schlacht verwundet worden waren. Lonchates hatte ein brennendes Wurfgeschoß in den Schenkel, Macentes einen Beilhieb an den Kopf, und einen Lanzenstich in die Brust erhalten. Arsakomas aber, der auf unserer Seite war, hatte nicht sobald Nachricht davon bekommen, als er, sich entsetzend vor dem Gedanken, seine Freunde im Stiche zu lassen, dem Pferde die Sporen gab, und mit mächtigem Schlachtgeschrei und geschwungenem Säbel mitten durch die Feinde sprengte, so daß die Machlyer, unvermögend, ihn in seinem brausenden Ungestüm aufzuhalten, auf beiden Seiten zurücktraten, um ihm Platz zu machen. Er reißt seine Freunde aus dem Gedränge, befeuert den Muth aller Uebrigen, stürzt sich aus Adyrmachus und spaltet ihm mit Einem Säbelhieb den Kopf und den Oberleib bis an den Gürtel. In dem Augenblicke, wo Adyrmachus hinsinkt, löst sich die Ordnung des gesammten Machlyenischen Heerhaufens: dieser flieht; und nicht lange, so folgen ihm die Alanen und hinter ihnen die Griechen. So [1035] hatte sich also das erneuerte Treffen völlig zu unserem Vorteile entschieden: und hätte nicht die Nacht uns verhindert, sie weiter zu verfolgen, so wären noch ihrer Viele unter unsern Säbeln gefallen. Am folgenden Tage erschienen Abgeordnete von den Feinden, die demüthig um Frieden und Freundschaft baten. Die Bosporaner versprachen das Doppelte des bisherigen Tributs, die Machlyer erboten sich, Geißeln zu stellen, und die Alanen machten sich zur Buße für ihre Unternehmung anheischig, die Sindianer, die seit geraumer Zeit von uns abgefallen waren, unter unsere Gewalt zu bringen. Weil diese Bedingungen dem Arsakomas und Lonchates, die das ganze Geschäft der Unterhandlung besorgten, gefielen, so gaben wir nach, und der Friede kam zu Stande. – Solche Thaten, Mnesippus, wagen Scythen für ihre Freunde zu thun.

56. Mnesippus. Der Wind und der Säbel, bei denen du geschworen, mögen mir verzeihen, Toxaris; aber ich finde deine Stückchen eben so mährchenhaft als die Großthaten eines Theaterhelden. Es ist wahrlich Keiner zu schelten, der sie zu glauben nicht Lust hat.

Toxaris. Siehe zu, mein Bester, daß nicht der pure Neid aus deinem Unglauben spreche! Uebrigens sollen mich deine Zweifel nicht abhalten, noch ein Paar andere dergleichen Geschichten zu erzählen, die mir von meinen Scythen bekannt sind.

Mnesippus. Aber um Alles nur keine so langen und ausführlichen wie die letzte war, wo du mich durch ganz Scythien auf und ab, nach Machlyene, an den Bosporus und [1036] wieder zurück nach Scythien führtest. Du hast dir mein Schweigen ein wenig stark zu Nutzen gemacht.

Toxaris. Nun gut, du hast zu befehlen: ich werde mich kürzer fassen, um dich nicht wieder durch Hin- und Herzüge zu ermüden, die ich deinen Ohren zumuthete.

57. Laß dir nun erzählen, welchen Dienst ein Freund, mit Namen Sisinnes, mir selbst erwiesen hat. Als ich, von Verlangen nach Griechischer Bildung getrieben, meine Heimath verlassen hatte, um mich nach Athen zu begeben, landete ich unterwegs bei Amastris, einer pontischen Stadt unfern dem Vorgebirge Karambis, welche den Schiffen, die aus Scythen kommen, eine sehr bequeme Anfahrt darbietet. Sisinnes, mein Freund von Jugend auf, war mein Begleiter. Nachdem wir uns nun um eine Herberge in der Nähe des Hafens umgesehen, und unser Gepäcke in dieselbe geschafft hatten, gingen wir, nichts Arges ahnend, auf den Markt. Indessen erbrachen Diebe die Thüre unseres Zimmers, und trugen unsere Habseligkeiten fort, so daß sie uns nicht einmal so viel übrig ließen, um die Bedürfnisse dieses ersten Tages zu bestreiten. Wie wir bei unserer Nachhausekunft fanden, was vorgefallen war, hielten wir nicht für rathsam, die Nachbarn, deren zu viele waren, noch auch den Gastwirth gerichtlich zu belangen, indem wir besorgten, unsere Angabe, daß uns vierhundert Daríken, viele Kleidungsstücke, mehrere Teppiche und noch vieles Andere, was wir besaßen, gestohlen worden, möchte von dem Publikum als ein betrügerisches Vorgeben angesehen werden.

58. Wir sannen hin und her, was in dieser Lage anzufangen wäre: allein fremd, wie wir waren, wußten wir uns nicht zu helfen. Schon kam mir der Gedanke, mir nur gleich den Säbel in den Leib zu stoßen, und meinem Leben ein Ende zu machen, ehe ich mich, von Hunger und Durst gequält, zu irgend einem niederträchtigen Mittel, es zu fristen entschlöße. Sisinnes aber tröstete mich, bat mich flehentlich, doch Das nicht zu thun, und versprach, etwas ausfindig machen, das uns zureichenden Unterhalt verschaffen [1037] sollte. Und nun lief er an den Hafen, ließ sich zum Holztragen gebrauchen, und kaufte uns von seinem Lohne einige Lebensmittel. Am andern Morgen, als er auf dem Markte war, sah er einen Aufzug von stattlichen, und wie er meinte, sehr vornehmen jungen Leuten. Es waren aber bloße Gladiatoren, die Mann für Mann um Lohn gedungen waren, und nach drei Tagen in Zweikämpfen öffentlich auftreten sollten. Sisinnes, der sich jetzt genau hatte unterrichten lassen, was es für eine Bewandtniß mit diesen Leuten habe, eilte zu mir und: „Toxaris,“ rief er mir zu, „sage nicht mehr, daß du ein Bettler seyst; noch drei Tage, und ich will dich zum reichen Manne machen.“

59. Inzwischen mußten wir uns kümmerlich genug behelfen; als aber der dritte Tag angebrochen war, führte mich mein Freund in’s Theater, um ein, wie er sagte, ergötzliches, und für mich neues Griechisches Schauspiel mit anzusehen. Wir nahmen Platz und sahen zuerst wilde Thiere, die mit Pfeilen geschossen, von Hunden gehetzt und auf Menschen losgelassen wurden, die Ketten trugen, und, wie wir vermutheten, große Verbrechen begangen hatten. Jetzt traten die Gladiatoren auf, und der Herold führte einen jungen Burschen von ungewöhnlich großer Statur vor, und machte bekannt, Wer Lust hätte, mit Diesem im Zweikampfe sich zu messen, sollte vortreten, und einen Preis von zehen tausend Drachmen in Empfang nehmen. Mein Sisinnes steht auf, eilt auf den Kampfplatz hinab, erklärt sich zum Zweikampfe bereit und fordert Waffen. Zugleich läßt er sich die zehen tausend Drachmen auszahlen, und händigt sie mir mit den Worten ein: „Siege[WS 5] ich, Toxaris, so reisen wir weiter und sind Beide geborgen; falle ich, so bestatte mich, und kehre nach Scythien zurück.“ Laut weinend versprach ich es ihm.

60. Hierauf legte er sich die Rüstung an: nur von dem Helm machte er keinen Gebrauch, sondern stellte sich mit bloßem Haupte seinem Feinde gegenüber. Gleich anfangs wurde er von dem krummen Säbel des Gegners in die Kniekehle [1038] verwundet, so daß das Blut in Menge herausströmte, und ich vor Schrecken beinahe des Todes gewesen wäre. Allein nun ersah er den Augenblick, wo der Gegner in blinder Hitze auf ihn eindrang, und rannte ihm seinen Säbel so tief in die Brust, daß er sogleich todt vor seine Füße stürzte. Allein auch Sisinnes war durch seine Wunde äußerst erschöpft: er setzte sich auf den Leichnam, und es fehlte nicht viel, so hätten ihn die Lebensgeister verlassen. Unverzüglich eilte ich herbei, richtete ihn auf und sprach ihm Muth ein; und nachdem er als Sieger ausgerufen worden war, nahm ich ihn auf meine Schultern, und trug ihn in unsere Wohnung. Dort gelang es mir durch lange, sorgfältige Pflege, ihn am Leben zu erhalten; und nun befindet er sich bis auf den heutigen Tag in Scythien, wo er meine Schwester geheirathet hat. Uebrigens ist er in Folge jener Verwundung auf einem Beine lahm geblieben. Nun siehst du, Freund Mnesippus, Dieß trug sich nicht bei den Machlyern, noch in Alanien zu, wo sich an der Sache zweifeln ließe, weil sie nicht durch Augenzeugen bestätigt wird; sondern es sind ja der Amastriner zur Genüge hier, die sich des Zweikampfes von Sisinnes noch wohl zu erinnern wissen.

61. Jetzt nur noch das fünfte Beispiel, die That des Abauchas; und ich werde schließen. Dieser Abauchas war auf einer Reise in der Stadt der Borystheniten [am Dnieper] angekommen, und hatte seine Gattin, die er sehr liebte, nebst zwei Kindern bei sich, wovon das Eine, ein Knäbchen, noch an der Brust lag, das Andere ein Mädchen von sieben Jahren war. Zugleich war mit ihm auf dieser Reise sein Freund Gyndanes, der an einer Wunde krank lag, die er unterwegs bei einem von Straßenräubern erlittenen Angriff erhalten hatte. Da er sich nämlich gegen Dieselben zur Wehre setzte, bekam er einen so heftigen Hieb in das Bein, daß er vor Schmerzen weder gehen noch stehen konnte. Nachts, da sie schliefen, kam in ihrer Wohnung ein großes Feuer aus: sie selbst befanden sich im obersten Stockwerke, ringsum war Alles verschlossen, und das Haus stand bereits von allen Seiten in [1039] vollen Flammen. Abauchas rafft sich auf, denkt nicht an seine jammernden Kleinen, drängt seine Gattin, die sich an ihn hing, zurück, und heißt sie sich retten, so gut sie könne: aber den Freund ladet er auf die Schultern, arbeitet sich durch, wo er sieht, daß die Flammen noch nicht Alles ergriffen hatten, und kommt glücklich mit ihm auf die Straße. Die Frau mit dem Säugling kommt hinten drein, und läßt das Mädchen ihr auf dem Fuße folgen: allein halb versengt von der Glut läßt sie das Kind ihren Armen entgleiten, und war kaum noch im Stande, zugleich mit dem Töchterchen, das nahe daran war, zu ersticken, mittelst eines kühnen Sprunges durch die Flammen sich zu retten. Man hat nachher dem Abauchas öfters Vorwürfe gemacht, daß er Weib und Kinder im Stiche gelassen, und den Gyndanes gerettet habe; allein seine Antwort war immer: „Andere Kinder kann ich leicht wieder bekommen, und es ist immer ungewiß, ob sie werden zu guten Menschen werden: allein einen Freund, wie Gyndanes, dessen Liebe ich schon so oft erprobte, hätte ich vielleicht in vielen Jahren nicht wieder gefunden.“

62. Und nun begnüge ich mich, Mnesippus, von vielen Scythischen Freunden diese fünfe dir zur Probe vorgeführt zu haben. Es dürfte jetzt Zeit seyn zu entscheiden, Welcher von uns die Zunge oder die rechte Hand verlieren soll. Wer soll Richter seyn?

Mnesippus. Keiner. Denn wir hätten einen Schiedsmann gleich Anfangs niedersetzen sollen. Weißt du aber, was wir thun wollen? Weil wir nun doch in’s Blaue geschossen haben, so wollen wir jetzt einen Richter wählen, und ihm neue Beispiele von Freundschaften vorlegen: und Wer alsdann den Kürzern ziehen wird, dem soll die Zunge oder die Hand, je nachdem es mich oder dich trifft, abgeschnitten werden. Doch nein – Dieß wäre zu plump. Da du ja die Freundschaft so hochzuachten scheinst, und da auch ich überzeugt bin, daß es für die Sterblichen kein edleres und schöneres Gut gibt, wie wäre es, wenn auch wir einen solchen Bund schließen, und von Stunde an Freunde seyn und ewig bleiben [1040] wollten? So wären wir Beide Sieger, und hätten den schönsten Preis empfangen; wir hätten, statt eine Zunge oder eine Rechte zu verlieren, Jeder noch zu der seinigen eine Zunge, eine Rechte, noch obendrein zwei Augen, zwei Füße gewonnen, kurz wir hätten Alles doppelt. Denn zwei oder drei Freunde in Eins verwachsen, sind ein Wesen wie Geryones, den die Maler als einen Mann mit sechs Händen und drei Köpfen darstellen. Ich glaube auch wirklich, daß dieser Geryones nichts als ein Kleeblatt von Freunden war, die, wie ächte Freunde sollen, in allem ihrem Thun und Leiden Eins waren.

Toxaris. Schön, Mnesippus. Schließen wir den Bund!

63. Mnesippus. Um ihn zu bekräftigen, soll es bei uns keines Bluts und keines Säbels bedürfen. Unsere gegenwärtige Unterredung und die Uebereinstimmung unsrer Neigungen und Ansichten ist uns eine weit sicherere Bürgschaft als der Blutbecher, der bei Euch getrunken wird. Verhältnisse dieser Art müßen sich, dünkt mich, nicht auf Zwangsformen, sondern auf Ueberzeugung und freien Willen gründen.

Toxaris. Auch ich bin vollkommen deiner Meinung. Seyen wir denn Freunde und Gastfreunde zugleich: du der meinige hier in Hellas, ich der deinige, wenn du einmal nach Scythien kommen solltest.

Mnesippus. Ja, lieber Toxaris, glaube mir, daß ich auch eine weit längere Reise mich nicht würde verdrießen lassen, wenn mir Freunde zu finden bestimmt wäre, dergleichen Einen ich aus deinen Worten in dir erkannt habe.


  1. Τοῦ κοινοῦ τῶν Σκυθὤν mit Jacob.
  2. Wörtlich: „und laufet, ich weiß nicht wie, mitten in der Arbeit davon.“
  3. D. h. 7817 Gulden 30 Kreuzer.
  4. Agathobúlus, wie man glaubt.
  5. Eine dem Anubis heilige Affenart.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bevorste[…]
  2. Vorlage: Bo[…]fter
  3. Vorlage: oh[…]
  4. Vorlage: B[…]etis
  5. Vorlage:[…]ge