Der unverwüstliche Capitain
[339] Der unverwüstliche Capitain. Am 10. März dieses Jahres fand sich in New-York in der Wohnung des Generals J. Watts de Preyster eine kleine, aber ausgewählte Gesellschaft hervorragender Militärs und Schriftsteller zusammen, um den Geburtstag eines Mannes zu feiern, dessen Leben an Ereignissen und Wechselfällen so reich ist, daß selbst die Phantasiegestalten eines Victor Hugo oder Alexander Dumas dem gegenüber verblassen müssen. Der Name dieses Mannes ist Capitain Lahrbush, und wer an jenem Tage zufällig in den Kreis der beim General Preyster versammelten Gäste eingetreten wäre und die launige Rede jenes rüstigen Greises mit angehört hätte, in welcher derselbe am Schlusse die Hoffnung ausspricht, nach zehn Jahren dieselbe Gesellschaft an demselben Platze wieder zu treffen, der hätte wohl kaum geglaubt, daß seit dem Tage, an welchem der Sprecher in England das Licht der Welt erblickte, volle hundertfünf Jahre verstrichen seien. Um dem Leser in engem Rahmen ein Bild der bewegten Vergangenheit dieses seltenen Geburtstagskindes zu geben, wird es das Beste sein, wenn wir die bei dieser Gelegenheit gehaltene Rede des Gastgebers dem Wesentlichen nach wieder geben. Dieselbe lautet ungefähr folgendermaßen:
„Verehrte Freunde! Wir sind so oft an dieser Stelle zusammengekommen, um den Geburtstag des verehrungswürdigen Helden dieses Festes zu feiern, daß es unnöthig ist, alle die wunderbaren Einzelnheiten seiner Carrière zu wiederholen. Ich will mich daher heute hauptsächlich auf die Perioden seines Lebens beschränken, welche in genauerer Beziehung zu jenen zwei großen Mächten stehen, die in den letzten sieben Monaten so ausschließlich die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.
Capitain Lahrbush wurde 1766 geboren, in jenem für Preußen dadurch so wichtigen Jahre, daß während desselben die ersten Schritte zur Einverleibung jenes Theiles des Königreichs Polen, welches Ostpreußen und Schlesien von einander schied, gethan wurden. Zu jener Zeit saß auf dem Throne Frankreichs Louis der Fünfzehnte, ein schwächlicher und ausschweifender Fürst, der nicht im Stande war, Friedrich dem Großen die Wagschale zu halten, obgleich der Letztere erklärte, daß, wäre er König von Frankreich, kein Schuß in Europa ohne seine Erlaubniß abgefeuert werden sollte. Seit dem Geburtstage des Gastes, zu dessen Ehre wir hier versammelt sind, haben fünf Monarchen in Preußen geherrscht, und die Regierung Frankreichs hat dreizehn Mal gewechselt. Der erste Feldzug, den der Capitain mitmachte, war gegen die mächtige französische Republik gerichtet, welche derselbe allenthalben triumphiren sah, und seine zweite Feuerprobe hatte er in Irland zu bestehen, wo die Franzosen fortwährend bemüht waren, das Feuer der Revolution zu schüren, bis die Vernichtung der vereinigten französischen und spanischen Flotte die Gefahr einer Invasion endgültig beseitigte.
Das erste große Schlachtfeld, auf welchem er stand, war bei Jena, wo er am 14. October 1806 Zeuge des Zusammenbruchs jener militärischen Organisation war, welche bis dahin für unwiderstehlich gehalten worden war. Er befand sich damals in der Suite des britischen Gesandten, des bekannten Lord Castlereagh, welcher dem Könige und dessen Gemahlin Louise, der liebenswürdigsten der Frauen und der unglücklichsten der Königinnen, auf das Schlachtfeld gefolgt war. Während des folgenden Jahres wurde derselbe bekannt mit einer Reihe von berühmten Männern, Kaisern, Königen, Erzherzögen, Prinzen und, was damals von größerem Gewicht war, französischen Marschällen, deren Namen noch jetzt die Welt mit Bewunderung erfüllen. In Coburg lernte er Blücher kennen, der damals so arm an Glücksgütern war, daß er kaum die Mittel zum Leben hatte, aber trotzdem niemals daran zweifelte, daß Preußens Schwert bestimmt sei, volle Rache an Frankreich zu nehmen. Er stand an den Ufern des Niemen und war Augenzeuge jener denkwürdigen Zusammenkunft Napoleon’s mit Alexander, welche dem Friedensschluß von Tilsit vorausging. Damals [340] befand sich Napoleon auf dem Zenith seiner Macht, Preußen aber schien so tief gedemüthigt zu sein, daß Viele zweifelten, ob es sich jemals werde wieder aufraffen können. Als später trotz alledem für den blutigen Corsen die Stunde des Unterganges schlug, da war Capitain Lahrbush einer derjenigen, denen das schwierige Amt beschieden wurde, Napoleon in St. Helena zu bewachen, denselben Napoleon, welchen er acht Jahre vorher den Frieden von Tilsit hatte unterzeichnen sehen. Er hat auch gelebt, um zu sehen, wie die 1807 so tief gedemüthigten Deutschen allein und ohne Hülfe Paris eingenommen und sich zu der Stellung aufgeschwungen haben, welche von 1805 bis 1812 Frankreich inne gehabt hatte. Er hat gelebt, um zu sehen, wie der Sohn jenes Friedrich Wilhelm, mit welchem er von Jena floh, die seinem Vater und seiner Mutter angethanen Unbillen vollgültig gerächt hat, und was mehr ist, er hat gesehen, wie der König von Preußen, dessen Vorfahren verpflichtet waren, bei der Krönung dem Kaiser von Deutschland die Kanne und das Waschbecken zu halten, durch den einstimmigen Willen der Fürsten und des Volkes selbst zum Kaiser von Deutschland erhoben worden ist, nachdem er in zwei mächtigen Kriegen zwei Kaiser besiegt hat, deren einer der Neffe jenes Napoleon war, dessen Brutalität die Königin Louise zum Opfer fiel.
Dieses sind mächtige Wandlungen, und unwillkürlich wird man zum Nachdenken angeregt, wenn man bei einem Manne sitzt, welcher ehrwürdige Königreiche, gigantische Kaiserreiche und mächtige Republiken überlebt hat. Aber es ist noch merkwürdiger, zu denken, daß wir soeben die Gesundheit eines Menschen getrunken haben, der zehn Jahre älter ist, als die Vereinigten Staaten, deren Bürger wir sind, eines Menschen, welcher trotz aller Veränderungen, deren Zeuge er in Europa gewesen war, niemals während der Rebellion der Sclavenhalter an der Republik verzweifelte. Als der Capitain 1766 geboren wurde, hatte Frankreich gerade seinen Halt im Norden Amerikas verloren; dagegen blieb es im Besitz Louisianas noch länger als ein halbes Jahrhundert. Unser Gast hatte fast Dreiviertel eines Jahrhunderts gelebt, ehe die goldenen Thürme Spaniens dem Sternenbanner in Florida Platz machten. Als derselbe in der Blüthe seiner Kraft stand, waren die Colonien noch nicht ihren Flegeljahren entwachsen, unser Volk vertheilte sich entlang der atlantischen Küste auf wenige Städte und schwache Ansiedelungen, welche zerstreuter umher lagen, denn die Städte und Dörfer jener Staaten, welche in den Verband der Union zu einer Zeit aufgenommen wurden, als der Capitain bereits jenes Alter erreicht hatte, welches der Psalmist als die äußerste Grenze des menschlichen Lebens bezeichnet. Er hatte in Wahrheit bereits die Mannesjahre hinter sich, als das ganze Land jenseits der Alleghanies noch eine große Wildniß war. Doch ich will Sie nicht weiter mit Anspielungen auf den Fall und das Entstehen von Reichen ermüden und nur noch hinzufügen, daß Capitain Lahrbush gelebt hat, um zu sehen, wie dieselbe Nation, welche zur Zeit ihrer Kindheit bei England vor den Franzosen und Indianern Schutz suchte und später Frankreichs Hülfe gegen England und seine wilden Alliirten anrief, durch die bloße Macht ihres Wortes den Despoten Frankreichs, vor dem sich damals ganz Europa beugte, zwang, seine räuberische Hand von Mexico zurückzuziehen.
Welch eine Erfahrung ohne Gleichen, die jener Mann dort aufzuweisen hat, der mit einem selten erreichten Gedächtniß alle diese Ereignisse in fünf Sprachen zu erzählen weiß! Noch größere Wunder liefert die Geschichte seines eigenen Lebens. Er hat sich unbesiegbar gezeigt gegenüber den Gefahren des Krieges, der Krankheit, des Landes und der See. Auf dem Schlachtfelde als todt zurückgelassen, durch den Ocean bewußtlos wieder ausgespieen, auf das Krankenbett durch die Pestilenz geworfen, sitzt er dort mit Augen so klar, als ob er auf seinen großen Führer Wellington blicke, als ob er soeben von demselben das Ehrenzeichen empfinge, welches auf seiner Brust glänzt.
Wenn wir bedenken, daß derselbe seit mehr als fünfzig Jahren sein Leben durch den Genuß von Laudanum erhalten hat, welches er in täglichen Dosen genießt, die ausreichen würden, um zweimal so viel Menschen, als hier um den Tisch sitzen, zu tödten, so scheint dieses fast unglaubhaft. Aber was sollen wir erst sagen, wenn wir erfahren, daß der Capitain einst aus Gesundheitsrücksichten in einer einzelnen Dosis so viel Körner Opium nahm, als genügen würden, um eine der Zahl seiner Lebensjahre entsprechende Menge gewöhnlicher Menschen in die Ewigkeit zu spediren! Lassen Sie Denjenigen, welcher hieran zweifelt, den Capitain auffordern, ihm Bescheid zu thun in dem größten Becher voll Laudanum, und er wird sehen, daß unser Gast so ungestraft denselben leert, wie andere Leute ihr Glas Claret oder Burgunder. Doch ich habe bereits zu lange ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und räume Anderen das Feld. Ich schließe mit dem Wunsche, daß der Capitain noch bei vielen ähnlichen Gelegenheiten präsidiren und daß der Himmel uns Allen die Gesundheit und die Lust verleihen möge, über’s Jahr uns an derselben Stelle wieder zu versammeln.“
Wen von uns ergreift nicht Erstaunen, wenn er ein derartiges Leben, wie es uns in den soeben citirten Worten vorgeführt wird, im Geiste überschaut! Hinzufügen wollen wir noch, daß die Freunde des Capitain Lahrbush an demselben während der langen Jahre, die sie ihn kennen, auch nicht die geringste Spur eines Verfalls seiner körperlichen oder geistigen Kräfte bemerkt haben und durchaus nicht daran zweifeln, daß der unverwüstliche Capitain, der eben aus einem ganz anderen Stoffe geschnitzt zu sein scheint als die übrigen Sterblichen, noch oft seinen Geburtstag in heiterer Gesellschaft erleben wird.