Der verbannte Häuptling

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: T. v. B.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der verbannte Häuptling
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 217–220
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[217]
Der verbannte Häuptling.
Eine Reise-Erinnerung.

„Da ist Pembina,“ rief unser stattlicher Führer aus und parirte seinen Rappen, daß das Thier fast kerzengrade auf den Hinterfüßen stand; „noch einen scharfen Ritt von einer Stunde, und wir sind da!“ Ein willkommener Ruf für unsere kleine Cavalcade, denn wir hatten die letzten 200 Meilen durch ein unwegsames, menschenleeres Land in weniger als vier Tagen zurückgelegt, ohne länger als einige Stunden des Nachts zu halten. Athemlos standen unsere Thiere am Rande des hohen Prairieplateau’s, und es bedurfte der Sporen, um das im schönsten Sonnenschein daliegende Ziel unserer Reise in der gegebenen Frist zu erreichen. Pembina! liebliche Idylle des Nordwestens! gewiß haben wenige deutsche im alten Vaterlande deinen wohlklingenden Namen gehört, und doch wird es nicht lange dauern, bis das Pfeifen der Locomotive und das Schnauben der Dampfer dir die Freuden und Leiden der Civilisation einimpfen wird. Ursprünglich ein Fort der weitherrschenden Hudsonbay-Compagnie, hat der Platz vermöge seiner überaus schönen und günstigen Lage am Nord-Redriver und dicht an der Grenze von Minnesota, Dacota und dem britischen Gebiete jetzt schon eine commercielle Bedeutung erlangt, da die zahlreichen Pelzhändler, welche die weiten Strecken bis zum Eismeer durchziehen, hier ein großes Depot angelegt haben und von den Kaufleuten des Ortes viele ihrer Bedürfnisse beziehen.

Trotz der Grenzstreitigkeiten zwischen der britischen Regierung und den Verein. Staaten haben die Ansiedler beider Parteien sich hier immer gut vertragen und nach echt angelsächsischer Weise ein Selfgovernment gestiftet, dessen Gesetze von dem Volke um so williger befolgt werden, als sie gerade aus dieser Urquelle aller gesetzgebenden Gewalt stammen. Die Umgegend ist paradiesisch schön, und trotz der nördlichen Lage (49 Grad nördl. Br.), gedeihen hier fast alle Feldfrüchte Minnesota’s und Wisconsins, und der goldene Weizen giebt Ernten, die einen preußischen Landesökonomiecommissär in Erstaunen setzen würden. Einen noch viel bedeutenderen Aufschwung wird Pempina nehmen, wenn erst die neuen Goldminen, welche am Saskatchawanflusse weiter westlich entdeckt wurden, mehr ausgebeutet werden, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß die nördliche Hälfte der Felsengebirge an ihrer Ostseite unendlich reich an diesem edlen Metalle ist.

Nichts konnte die freundliche Aufnahme übertreffen, welche uns in diesem entfernten Winkel der Erde zu Theil wurde; Jedermann bemühte sich, uns gefällig zu sein, und für alle Gastfreundlichkeit verlangte man Nichts als die letzten Neuigkeiten aus den Staaten; war doch seit drei Wochen keine Post angekommen! Man riß sich um die paar veralteten Zeitungen, welche wir von St. Paul mitgebracht hatten, und der Bericht über die Schlacht von Solferino (es war gerade zur Zeit des italienischen Kriegs) wurde gierig verschlungen. Unter dem Haufen, welcher sich dicht vor der Niederlage der großen Pelzcompagnie versammelt hatten, wo wir unser Absteigequartier genommen hatten, zeichnete sich ein kurzer dicker Mann dadurch aus, daß er, heftig gesticulirend, den Hinterwäldlern die Ursache und den Zweck des Krieges in schlechtem Englisch zu erklären suchte. Ich erkannte ihn sofort für einen Deutschen und gab mich als Landsmann zu erkennen, worüber er eine große Freude äußerte, da er seine Muttersprache Jahre lang nicht gehört hatte. Er nahm mein Pferd am Zügel, indem er mich bat, sein Gast zu sein, und führte mich zu seinem Blockhause, in welchem er eine Masse verschiedener Waaren und Getränke feil bot. Bei näherer Erkundigung erfuhr ich, daß mein Wirth, aus Frankfurt a. M. gebürtig, bei dem Aufstande 1849 betheiligt gewesen war und in Folge davon hatte flüchten müssen. Auf welche Weise ihn nun die hochgehenden Wellen der Revolution nach Pembina an die Grenze der Civilisation verschlagen hatten, wäre zu weitläufig zu erzählen.

Mein guter Frankfurter, der trotz des Bundestages noch immer für seine Vaterstadt schwärmte, stellte mir sogleich seine beiden Kinder vor, einen schwarzäugigen Knaben und dito Mädchen von zimmtfarbigem Teint, die die Indianische Mutter nicht verleugnen konnten. Er hatte sie nach heimischer Sitte „Schampetist“ (Jean Baptiste) und „Babettchen“ taufen lassen, und diese beiden Namen, welche in der schönen Mainstadt so populär sind, machten in der That hier am Nord-Redriver einen fast possirlichen Eindruck. Nach beendigtem Mahl führte mich mein Wirth in den kleinen Garten hinter dem Hause und zeigte mir mit Stolz eine Anzahl junger Apfelbäume, welche er mit eigener Hand gepflanzt hatte. „Nächstes Jahr,“ rief er aus, „werden sie tragen, daß es eine Lust ist, und dann will ich einen Aepfelwein machen, wie ihn kein Bockenheimer Wirth besser schenkt, und wenn der Schampetist die Bäumchen wieder plündern will, soll sein brauner Rücken dafür zahlen.“ Nun sage Einer, daß die Welt nicht fortschreitet, wenn man in Pempina, mitten zwischen den Trappern und Indianern, an einem heißen Sommertage seinen Durst mit kühlem Cider löschen kann.

Schon längst hatte ich gewünscht, einmal das Missionswesen unter den Indianern kennen zu lernen, und hier bot sich eine ausgezeichnete Gelegenheit dazu dar, denn weiter abwärts am Fluß, im englischen Gebiete, hatte ein katholischer Priester mit großer Selbstaufopferung eine Anstalt der Art angelegt, die sich eines ungewöhnlichen Gedeihens erfreuen sollte. Ich miethete deshalb ein Canoe und engagirte einen tüchtigen Halbblutindianer, der mit der Fahrt auf dem Flusse vertraut war. Da die Strömung außerordentlich reißend ist, so legten wir die 40 Meilen rasch zurück, fast zu rasch, weil die Gegend wunderbar schön ist.

Bei unserer Ankunft fanden wir die ganze Bevölkerung der Mission auf der Prairie versammelt, welche sich von der Höhe des Bluffs, wo die Kirche steht, nach dem Strome herunter zieht. Vater B. aus Mecheln, der liebenswürdige Vorstand der Station, empfing mich herzlich inmitten seiner rothen Kinder und lud mich ein, den festlichen Spielen der Indianer beizuwohnen. Es war gerade erster Pfingsttag, und der kluge Missionär, nachdem er Morgens Gottesdienst und Schule abgehalten, beaufsichtigte nun die athletischen Spiele seiner Pflegebefohlenen, weil, wie er sagte, diese ohne seine Gegenwart häufig einen gar zu wilden Charakter annehmen würden.

„Den abscheulichen Scalptanz abzuschaffen, ist mir gelungen, dafür begünstige ich das Drachenspiel, was ich früher auf der Hochebene von Quito, als ich dort stationirt war, kennen lernte und hier eingeführt habe. Es ist so ein echtes Spiel für Leute, die Indianeraugen haben. Schauen Sie nur.“ Aus der Menge traten jetzt zwei junge Männer hervor, so daß sie freien Spielraum hatten, und ließen jeder einen großen, nach chinesischer Weise geformten Drachen steigen. Die Zuschauer machten bereitwillig Platz, und die beiden Indianer manövrirten nun mit einer immer wachsenden Schnelligkeit über die Wiese, um sich den Wind abzugewinnen, während die beiden Drachen zu einer Höhe stiegen, wo ein europäisches Auge die Bewegungen kaum verfolgen konnte. Mehrere Male kreuzten sich hoch oben die Schnüre, und die beiden Spieler entfernten sich rückwärts schreitend von einander, stets darauf bedacht, mit ihrem Bindfaden einen Druck und Zug auf den des Gegners auszuüben, bis die scharfe Klinge eines Federmessers, welche ungefähr 20 Fuß unterhalb des Drachens an der Schnur befestigt ist, mit der der andern Partei in Berührung kommt und dieselbe durchschneidet, so daß das papierne Ungeheuer mit einem Saltomortale zu Boden schießt, während die Freunde des Siegers ein lautes Triumphgeschrei ausstoßen.

[218] Wenn man nun bedenkt, wie außerordentlich schwer es ist, in einer solchen Höhe die leiseste Luftströmung zu berechnen und zu benutzen, und um wie viel schwieriger es noch ist, gerade diejenige Stelle der Schnur, wo das nur zolllange Messerchen eingeflochten ist, mit einem gewissen Druck über die Schnur des Gegners, der ebenfalls sein Bestes versucht, wegzuziehen, so muß man sich über die Sehkraft und Geschicklichkeit der Indianer nicht wenig wundern. Die Preise, welche der kluge Vater B. für die Sieger, denn es traten mehrere Preiskämpfer auf, aussetzte, bestanden aus Messern, schottischen Mützen u. dergl., und es kann kein Opernsänger, wenn die Kränze auf die Bühne fliegen, mehr Anstand und Bescheidenheit simuliren, als unsere jungen Rothhäute in diesem Falle.

Gegen Abend, als die Spiele vorüber waren, folgte ich der gastfreundlichen Einladung des Missionärs, der mir in seinem kleinen bescheidenen Blockhause (die so nothwendige Sägemühle war noch nicht fertig) einen landesüblichen Imbiß bot. Während des Mahles erzählte mir mein Wirth so Manches über seine Erlebnisse in dieser wilden Gegend und über das Entstehen der Mission, wie er oft mit knapper Noth seine Kopfhaut gerettet hatte, auch zeigte er mir ein dickes Manuscript über die verschiedenen Dialekte der Algonquinsprache, deren Studium er in seinen Mußestunden begonnen hatte und von der er behauptete, daß sie mit dem alten Aztekischen nahe verwandt wäre.

Wie der Pflanzer in dem bekannten Seume’schen Gedicht schlief ich herrlich, aber mit besserem Gewissen auf den weichen Bärenfellen, bis das Läuten der Kirchenglocke mich erweckte. Ach, wie klang das so heimisch! Es war ja zweiter Pfingsttag, und die Sonne leuchtete hell, und ein blauer Himmel wölbte sich über den breiten Strom, die grünen Prairien und die zackigen Bluffs.

In Lederhemden und Mackinawdecken gekleidet, schritten die zimmtbraunen Kinder der Natur zur Messe. Die kleine roh aus Baumstämmen gezimmerte Kirche war inwendig mit einer schneeweißen Kalkschicht überzogen, und der Altar war besser decorirt, als ich in diesem entlegenen Winkel der Welt erwarten konnte, da dessen Ausstattung ein Geschenk des Bischofs von Montreal war. Als die Messe celebrirt wurde, sah ich einen hochgewachsenen Indianer als Sacristan ministriren, dessen würdevolles Wesen mir unwillkürlich Achtung abzwang, obgleich in seinem wild scheuen Blick etwas Unheimliches lag, während er die vorgeschriebenen Ceremonien pünktlich ausführte. Das ganze Benehmen des Ministranten erinnerte mich nicht etwa an Schiller’s Fridolin, der mit kindlicher Frömmigkeit dem Priester die Stola und das Cingulum umhängt, sondern an die düstere Trauer von Lord Byron’s Mönch, der in seinem Giaur sich in Selbstzerknirschung kasteiet.

„Aus brauner Kutte stiert voll Graus
Unheimlich scheu der Blick heraus,
Des Auges Blick, geöffnet weit,
Spricht zu viel von vergangner Zeit.“

Nach beendigtem Gottesdienst, als ich unter Vater B.’s gastfreundlichem Dache die einfache Mittagsmahlzeit mit verzehren half, konnte ich nicht umhin, mich über den Eindruck zu äußern, den der seltsame Meßner auf mich gemacht hatte, und bat den ehrwürdigen Missionär, mir etwas über die Geschichte des Mannes mitzutheilen.

„Sie haben Recht,“ sagte der Geistliche, „Neykeemie ist kein gewöhnlicher Indianer, er besitzt einen großen Verstand und tiefes Gefühl, auch hat kein anderer auf der ganzen Mission solche Fortschritte in den göttlichen Lehren gemacht, als er, und darum habe ich ihn zu jener Stellung erhoben, um die ihn Alle beneiden. Ein großes Unglück hat seinen Stolz, den er als Häuptling der Odjibbewas früher zur Schau trug, gebrochen. Von seinem eigenen Stamme wegen einer That der Verzweiflung verbannt und im Herzen zerknirscht, kam der früher so rauhe Krieger hieher, um bei dem Gotte der Blaßgesichter Versöhnung zu suchen. Seine Geschichte ist wirklich interessant, und wenn Sie dieselbe hören wollen, so will ich sie Ihnen erzählen. Aber ich sage Ihnen, es ist eine traurige Geschichte, voll von Verzweiflung, die selbst in diesem Lande der blutigen Scalps und Hände fast unerhört ist. Hören Sie!

Neykeemie war noch vor wenigen Jahren der angesehenste Häuptling der Odjibbewas. Als ich vor einiger Zeit in das Land kam, sagte er mir für einen kleinen Dienst, den ich ihm erwies, seinen Schutz zu, und er hat treulich sein Wort gehalten, indem er der Mission jedweden Vorschub leistete, trotz der Eifersucht der Methodisten in Assiniboja, welche ihn und andere Sagamores gegen mich aufzuhetzen suchten. Bei allen sonstigen guten Eigenschaften war er nichtsdestoweniger in den Vorurtheilen seiner Stammgenossen befangen und er war stets der Erste, wenn es darauf ankam, den blutigen Kriegspfad zu betreten. So bereitete er vor einigen Jahren mitten im Winter einen Zug gegen die Yanktons über die Grenze von Dacota vor, von dessen Ausgang er sich viel versprach. Ach! hätte er das Ende voraussehen können!

Denken Sie sich ein großes Indianerdorf mitten zwischen schwarzen Schierlingstannen, unter denen die Hütten von Birkenrinde und die mit buntbemalten Fellen bedeckten Wigwams vor dem eisigen Nordwinde Schutz suchen. Die ganze Bevölkerung vom Greise bis zu den Pagoosen hinunter ist auf den Beinen, und die jungen Squaws haben ihre buntesten Decken umgeworfen, um vor den Tapfern des Stammes zu glänzen; um den gestreiften Pfahl, der in der Mitte des Lagers steht, versammeln sich stillschweigend die rothen Krieger, den Federputz im schwarzen Haar und mit phantastisch gemalten Gesichtern. Diesem so grimmig schauenden Farbenwechsel liegt aber keine planlose Idee zu Grunde, sondern jeder Strich, jeder Punkt hat seine Bedeutung; man möchte diese blauen, schwarzen und rothen Streifen ebenso gut entziffern können, wie die primitive Keilschrift der altägyptischen Denkmäler. Der eine Krieger hat sich wie ein Skelet bemalt, weil er den Feinden schon früher den Tod gebracht, der andere hat auf seiner Brust ein blutendes Herz gezeichnet, und schielt dabei verstohlen nach einer jungen Squaw, die eben beschäftigt ist, einem Trupp langhaariger Pferde Mais vorzuwerfen. Und wie werden jene Jünglinge von den Mädchen des Stammes bewundert, wenn sie ihre mit Zobelfellen und Fuchsschwänzen verzierten Häupter schütteln und die mit Falkenflügeln und Streifen rothen Tuchs geschmückten Lanzen mit drohender Gebehrde schwingen! –

Unter einem solchen Haufen seiner Krieger stand in tiefem Nachdenken Neykeemie, denn er hatte die Nacht einen beängstigenden Traum gehabt, und alle Indianer sind abergläubisch. Doch war es die kalte Morgenluft oder der Anblick seiner Braven, er warf die Sorgen von sich und gab den Zurückbleibenden die nöthigen Befehle. Stolz ließ er die Narben sehen, welche ihn zierten, und sein befriedigter Blick fiel auf die Scalps, die an seinem Gürtel hingen, wie auf die Krallen des grauen Bären, welche, auf eine Schnur gereiht, über seine breite Brust herabfielen. Die dumpfe Trommel schlug in immer rascherem Tempo, der herausfordernde Kriegsgesang seiner Braven stieg und fiel in immer wilderen Cadenzen, und jeder Krieger schlug, seinen Schlachtruf ausstoßend, den Tomahawk in den gestreiften Pfahl. Neykeemie, auf den nackten Rücken seines Pferdes springend, gab nun das Zeichen zum Aufbruch und setzte sich an die Spitze seiner Leute, die einer hinter dem andern reitend bald im Dunkel des Waldes verschwanden, während der gedämpfte Schall der Trommel ihnen nachtönte. So zogen sie hin zum blutigen Werke, entschlossen, den ersten besten Feind, sei es aus dem Hinterhalt heraus oder im offenen Kampfe, zu tödten, und die zum Schutz des Dorfes zurückgebliebenen alten Krieger machten mißmuthig die Runde, weil sie die Gefahren ihrer Brüder nicht theilen konnten.

Dieses Mal war Neykeemie nicht glücklich auf seinem Kriegspfade, da die Yanktons, frühzeitig von luchsäugigen Spähern unterrichtet, ihre Vorkehrungen getroffen hatten und so ein erfolgreicher Ueberfall nicht gut möglich war; zudem fing ein heftiger Nordwind an zu wehen, der über die Polargegenden herstreifend hier stets eine grimmige Kälte mit sich führt, so das das Liegen in den Wäldern selbst den Odjibbewas zu beschwerlich wurde. Daher entschloß sich der Häuptling, um doch nicht ganz ohne Beute heimzukehren, die große Truppe seiner Krieger in kleinere Banden zu vertheilen, weil eine solche jedenfalls mehr Aussichten hat, dem Feinde auf Schleichwegen beizukommen. Ihm selbst in Begleitung von etwa einem Dutzend seiner Braven gelang es auch, während eines heftigen Schneegestöbers eine kleine Abtheilung der Yanktons zu überfallen, mehrere derselben zu tödten und einige Squaws gefangen zu nehmen, worauf er beschloß, da das Wetter immer rauher wurde, ungesäumt nach dem Dorfe zurückzukehren. Nach einem mühsamen Ritt durch die Wälder gelangte Neykeemie endlich auf die weite schneebedeckte Prairie, die sich längst des Assiniboinflusses hinzieht, und glaubte sich nun mit seinen Gefangenen in Sicherheit, als auf einmal die Pferde stutzig wurden und deutliche Zeichen des Schreckens von sich gaben. Ja, es nahten sich Feinde, aber grimmiger und [219] unversöhnlicher als die verhaßten Yanktons, Feinde, deren Heulen das wildeste Schlachtgeschrei an Schrecken übertraf. Als der Häuptling mit seinen Begleitern zurückschaute, gewahrte er eine dichte Masse dunkler Gegenstände aus dem Walde hervorbrechen, die sich mit reißender Schnelligkeit über die hinterlassene Spur ergoß. Auf den ersten Blick erkannte er die Gefahr; er wußte, daß in strengen Wintern die großen nordischen Wölfe, von Hunger getrieben, in zahlreichen Haufen in dieser Gegend erscheinen und dann, von maßloser Raubgier erfaßt, selbst den Menschen angreifen. Der stolze Neykeemie, der früher oft zum Spott ein Paar vereinzelter Wölfe auf der Prairie niedergeritten hatte, wurde nun selbst von diesen Raubthieren gejagt, als er, von der Nutzlosigkeit jedes Widerstandes überzeugt, sich zur Flucht wandte. Er wußte, daß wenige Meilen entfernt ein verlassenes Fort der Hudsonbay-Compagnie am Flusse lag; dieses suchte er mit seinen Kriegern und Gefangenen auf dem kürzesten Wege zu erreichen. Allein die ermüdeten Pferde, so sehr sie das eigene Entsetzen und die wuchtige Peitsche der Reiter trieb, vermochten es nicht mit derselben Eile über die Prairie zu fliegen, wie ihre leichtfüßigen Verfolger, die über den halbgefrorenen Schnee, ohne einzubrechen, heransprangen.

Als die Verfolger immer näher kamen und deren gieriges Geheul immer lauter ertönte, gab Neykeemie einem jungen Krieger, der dicht neben ihm ritt, ein stummes Zeichen, was dieser sogleich verstand. Er parirte sein schnaubendes Roß einen Augenblick und wartete, bis eine gefangene Squaw, die letzte des Zuges, herankam; ohne eine Miene zu verziehen und ohne ein Wort zu sagen, drängte er sich an den Pony des Weibes und durchschnitt im Nu mit seinem Messer die große Sehne an einem der Hinterschenkel des Thieres. Dann jagte er seinen Cameraden nach, so schnell er konnte, um die verlorene Strecke wieder einzuholen. Als diese sich umschauten, gewahrten sie eine Scene, die selbst die stoischen Indianerseelen mächtig ergriff. Das Pferd war gestürzt, und die unglückliche Reiterin focht wild mit den Armen in der Luft, doch nur einen Augenblick, denn gleich darauf verschwanden Beide unter dem dichten Knäuel der herangekommenen Bestien.

Neykeemie und seine Gefährten hatten durch dieses grausame Stratagem freilich einen Vorsprung gewonnen, indessen setzte die große Masse der Wölfe, da sie keinen Antheil an der Beute erhalten konnte, mit verschärfter Blutgier die Verfolgung fort. Einzelne Schüsse, welche die Indianer im Fliehen auf sie abfeuerten, hatten nur wenig Effect, denn wenn auch die vordersten fielen und die nächstfolgenden anhielten, um diese sofort zu verzehren, ließen sich doch Hunderte von der Fährte nicht abbringen; die Nase dicht über den Eindrücken der Hufe haltend und den buschigen Schweif in gerader Linie mit dem Rückgrat tragend, flogen sie wie eine Schaar rächender Dämonen über die eisige Decke der Prairie dahin, als wenn sie ihrer Beute gewiß wären. Neykeemie, der mit sicherm Auge die Distanz zwischen den Pferden und den Verfolgern berechnete, gab nun dem oben bezeichneten jungen Krieger ein zweites stummes Zeichen, d. h. eine andere gefangene Squaw mit ihrem Pony zu opfern. Dieses Mal wagte der Indianer nicht abzusteigen, sondern ließ seinen Tomahawk mit solcher Gewalt auf den Kopf des Thieres niedersausen, daß dasselbe betäubt zusammenbrach und so sammt seiner Reiterin von den Bestien augenblicklich in Stücke zerrissen wurde. Wieder gewann man auf diese Weise einen Vorsprung, indessen da die schützenden Palissaden der Factorei noch weit entfernt waren, sah sich der Häuptling genöthigt, sämmtliche gefangene Weiber nach und nach mit ihren Pferden den wüthenden Wölfen zu opfern.

Endlich erblickte man das kleine Fort auf einer mäßigen Anhöhe vor sich, und das scharfe Auge Neykeemie’s entdeckte auch, daß das Thor weit offen stand; es galt nun, die letzte Meile im Fluge zurückzulegen; allein zwischen dem allmählich aufsteigenden Grunde und den flüchtigen Indianern lag noch eine Niederung, die weithin mit einer Schneewehe bedeckt war; hier konnten die schnaubenden und bis auf den Tod gehetzten Pferde nicht so schnell weiter, weil sie bei jedem Sprunge bis über die Kniee einbrachen. So kam es denn, daß die von entsetzlichem Heißhunger angestachelten Bestien in immer rascheren Sätzen sich nahten. Da wurden die Rosse von zwei Odjibbewas matt und knickten zusammen; als die Reiter sahen, daß weder Peitsche noch Zuruf etwas nützten, ergaben sie sich ruhig in ihr Schicksal, stimmten ihren Todtengesang an und Rücken an Rücken gelehnt, erwarteten sie den Anlauf; doch wenn auch Tomahawk und Messer manchen Wolf tödteten, so war ihr verzweifelter Widerstand doch vergebens, da sie in unglaublich kurzer Zeit mit ihren Pferden zerrissen wurden. Während sich noch ein Rudel der Bestien um die Knochen stritt, setzte der große Haufen mit doppelter Gier die Verfolgung fort und wurde nicht eher aufgehalten, als bis ein älterer Odjibbewa, der zwei Söhne unter den Fliehenden besaß, sich selbst opferte, indem er seinem keuchenden Rosse die Kehle abschnitt; dieses taumelte hin und her, stürzte endlich, und der edle Vater, nachdem er seinen Kindern noch einen liebenden Blick nachgeschickt hatte, setzte sich ruhig auf den Schnee nieder und erwartete resignirt sein gräßliches Schicksal. Neykeemie, der jetzt mit dem Rest seiner Begleiter am Fuße der Erhöhung angekommen war, auf der die schützende Stockade stand, warf einen verzweifelten Blick hinter sich, zeigte auf das offenstehende Thor und jagte, von den letzten Kräften seines Hengstes getragen, bergauf; die Uebrigen folgten, so schnell wie es der erschöpfte Zustand ihrer Pferde zuließ. Doch auch jetzt waren die Wölfe dicht hinter ihnen, und es unterlag keinem Zweifel, daß ihnen noch ein letztes Opfer gebracht werden mußte, wenn sie nicht Alle zu Grunde gehen wollten. Ein solcher Gedanke durchzuckte Neykeemie’s Gehirn, schnell entschlossen ergriff er seine Büchse und schoß das Pferd des dicht hinter ihm reitenden Odjibbewas durch den Kopf, so daß Roß und Reiter überschlugen. Letzterer suchte sich loszumachen, doch ehe es ihm gelang, fühlte er schon den heißen Athem der Bestien an seiner Kehle; er wollte seinen Todtengesang anstimmen, doch zu spät!

Diese kurze, durch eine barbarische That erkaufte Spanne Zeit genügte jedoch, um den Häuptling mit den noch übrig gebliebenen Kriegern in Sicherheit zu bringen. Sie jagten durch das offene Thor in die Einzäunung hinein und warfen augenblicklich die zum Glück unversehrte Pforte zu, so daß sie endlich eine feste Barriere zwischen sich und den Verfolgern hatten. Wüthendes Geheul ertönte um die Palissadenfenze herum, als die Wölfe sich um die Beute betrogen sahen; sie versuchten einzudringen, indem sie sich unter der festen Einzäunung durchzuwühlen suchten, allein der festgefrorene Boden widerstand allen Versuchen, während die todbringenden Büchsen der Odjibbewas unter ihnen aufräumten. Sobald eine der Bestien fiel, stürzten die anderen darüber her, um sie zu verzehren, doch minderte sich die Masse der Angreifenden nicht, da fortwährend neue Zuzüge erschienen. Die eingeschlossenen Indianer beschlossen daher, ihre Munition nicht unnütz zu vergeuden, zündeten vor dem einstöckigen Blockhause, welches in der Mitte der Stockade verlassen dastand, ein mächtiges Feuer an und warfen nur von Zeit zu Zeit gewichtige brennende Holzstücke zwischen die Wölfe, um dieselben aus dem nächsten Umkreise zu verjagen. Jetzt pfiff und heulte es auf einmal in den Lüften, und die Schindeln flogen wie dürres Laub von dem alten baufälligen Gebäude herunter, so daß die angebundenen Pferde sich losrissen und wie toll in der Einzäunung herumgaloppirten. Einer jener nordischen Schneestürme, welche an Schrecknissen den Samum der Sahara bei weitem übertreffen, fegte mit einem Ungestüm über die nächtliche Winterlandschaft, daß der Hügel, auf welchem das Fort stand, in seinen Grundfesten erzitterte, und daß das Toben des Orcans das Heulen der lauernden Bestien übertönte. Kaum war es möglich, das Feuer zu unterhalten, so viel trockenes Holz man auch hinein warf, denn der durch die Spalten der Steckade hereinbrechende Wind drückte die Flamme nieder und drohte sie durch die wirbelnden Schneemassen zu ersticken. Man versuchte in dem alten Blockhause selbst noch ein zweites Feuer anzumachen, doch drang der Schnee durch das schadhafte Dach in solcher Menge und häufte sich innen dermaßen an, daß der Versuch aufgegeben werden mußte. So kauerten denn die Indianer stumm in ihre Blankets gehüllt rings um die wärmende Flamme, wie bronzirte Marmorstatuen, während die buschigen Köpfe ihrer Ponies über ihre Schultern lehnten.

Neykeemie, der zweimal die Runde innerhalb der Stockade gemacht hatte, um zu sehen, ob Alles in Ordnung sei, rollte nun einen Baumstamm herbei, setzte sich, die Ellenbogen auf die Kniee gestützt, auf denselben nieder, und seine starren Augen musterten das finstere, drohende Firmament. Der eisige Orcan trieb aus Norden dichte Schneewolken vor sich her, die durch sich kreuzende Windstöße phantastische Gestalten annahmen, welche der abergläubische Häuptling als Erscheinungen einer andern Welt betrachtete. Auch glaubte er, von Gewissensbissen erfaßt, in dem Heulen und Toben des Sturmes die Stimmen der geopferten Squaws und des Kriegers zu vernehmen, den er zuletzt so meuchlings den Wölfen preisgegeben. Es war nicht die eisige Kälte, nicht das in Absätzen [220] deutlich zu vernehmende Wuthgeschrei der blutgierigen Meute draußen vor den Palissaden, was seinen athletischen Körper zittern machte, sondern der maßlose Schmerz, der in dem Bewußtsein lag, daß er als Häuptling seine Pflicht verletzt hatte. Ihm kam es zu, sich zuerst zu opfern, denn das war bei solchen Fällen die Sitte und Tradition seines Stammes; statt dessen hatte er einen der besten Krieger, der stets tapfer an seiner Seite gefochten hatte, dem grauenvollsten Tode überliefert.

Theilnahmlos sah er die schreckliche Nacht der grauen Dämmerung weichen, theilnahmlos hörte er die frohe Meldung seiner Leute, daß das Unwetter die Bestien vertrieben, nur als sein geliebtes Schlachtroß freundlich den blutigen Kopf an seiner Schulter rieb, überflog ein milder Zug sein entstelltes Gesicht. Die Krieger, welche sonst auf jedes seiner Worte und Zeichen geachtet hatten, schienen kaum mehr Notiz von ihm zu nehmen, höchstens warfen sie ihm vorwurfsvolle Blicke zu. Da der Nebel noch auf der niedrigen Prairie wogte, jagte man einstweilen ein Pferd aus der geöffneten Pforte den Hügel hinunter, um aus dessen Betragen zu erkennen, ob die Wölfe noch in der Nachbarschaft seien. Das Thier aber trabte muthig durch den tiefen Schnee und zog die frische Morgenluft mit den großen Nüstern ein und gab seinen Cameraden durch ein helles Wiehern, das augenblicklich erwidert wurde, zu erkennen, daß die schrecklichen Feinde weit aus der Witterung seien. Aus diesem Grunde schlossen die Odjibbewa’s, daß keine Gefahr mehr vorhanden sei, und als die Sonne den Nebel vollends vertrieb, und sie die Gegend nun mit ihren scharfen Augen genau überschauen konnten, setzten sie ihre Waffen in Stand und schickten sich zum Aufbruch an. Dieses Alles thaten sie, ohne den Häuptling zu fragen, ein Beweis, daß sie seine Würde nicht mehr anerkannten. – Den Abziehenden folgte Neykeemie in einer gewissen Entfernung und gelangte so ohne weitere Unfälle in das Dorf, wo seine That der Verzweiflung schon durch die früher angekommenen Krieger ruchbar geworden war.

Am nächsten Tage war der ganze Stamm auf dem Berathungsplatze am gestreiften Pfahle versammelt, und die ältesten Sagamoras hielten Gericht über den Häuptling, der seine Pflicht so grob verletzt hatte. Trotzdem, daß ihn einige Blutsverwandte vertheidigten, er selbst sprach kein Wort, wurde er mit großer Majorität verurtheilt und schimpflich ausgestoßen. Die Squaws rissen ihm die Adlerfedern aus der Kriegslocke, beraubten ihn seiner Scalps und anderer Ehrenzeichen und vertrieben ihn mit Ruthen aus dem Bereich des Lagers. Zerknirscht, mit sich selbst zerfallen und geächtet, irrte Neykeemie in den Wäldern herum, bis ihn eines Tages die Leute der Mission in einem bemitleidenswerthen Zustande fanden und unter mein Dach brachten. Dort fand er Theilnahme, Trost und Pflege, und ich hatte die Freude, ihn von den Rachegedanken, über welche er fortwährend brütete, durch christliches Zureden abzubringen. Seit jener Zeit nahm er täglich mehr an religiöser Erkenntniß zu, und ich hatte denn auch bald die Genugthuung, ihn als ein gläubiges Mitglied unserer Kirche aufzunehmen. Sein Benehmen ist freilich noch finster, und wenn die Frühlingssonne den Schnee auf den Prairien schmilzt, mag er sich wohl manches Mal nach seinen frühern Jagdgründen sehnen, indessen die Zeit wird wohl auch diesen Schmerz heilen. Nächstes Jahr, wenn er in der Erkenntniß so fortfährt, werde ich ihn nach Montreal in das Priesterseminar schicken. Das ist die Geschichte von dem verbannten Häuptling.“

T. v. B.