Zum Inhalt springen

Der verschmähte Kuß

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Louise Ernesti
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der verschmähte Kuß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12–13, S. 190–192, 195–198
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[190]
Der verschmähte Kuß.
Skizze aus dem Leben des Fürsten Blücher.

Im Winter des Jahres 1786 fand in dem Hause eines reichen Privatmannes in Berlin ein glänzender Ball statt. Wie es hieß, wurde er zu Ehren einer jungen Frau gegeben, welche die Flitterwochen ihrer Ehe in Preußens Residenz verlebte und sich vermöge ihrer Schönheit alle Herzen huldigend zu Füßen zog und selbst den Kältesten und Starrsten bezauberte und entzückte.

Frau von R…g, diese gefeierte Dame, war die Tochter eines der reichsten und angesehensten Edelleute Westphalens und seit Kurzem die Frau eines Gutsbesitzers jener Provinz, der ihr an Geburt und Vermögen gleich stand. Sie war glänzend erzogen, hatte stets in der besten und vornehmsten Gesellschaft gelebt, besaß eine blendende, fesselnde Erscheinung und gehörte zu den verwöhntesten Lieblingen des Glücks. Bot ihr Berlin auch vieles Neue, manches Seltene, so doch keine ungewohnte Huldigung! – Alles in jenes Fach Schlagende war der „reichen Erbin“, dem „schönen Mädchen“ von frühester Jugend auf als ein ihr gebührender Tribut dargebracht worden, und stets umgeben gewesen von Verehrern, von Bewunderern, kannte sie nur die Rolle – Königin des Festes zu sein, das sie mit ihrer Gegenwart beglückte. Lange war für sie schon die Zeit vorüber, wo das duftende Aroma der Schmeichelei den Sinn berauscht. Sie hätte nur durch eine fehlende Huldigung überrascht werden können; eine ihr zu Theil werdende Anerkennung vermochte es nicht mehr, sie in Erstaunen zu versetzen. So blickte sie denn mit zwanzig Jahren ruhig in die Welt, gleichgültig auf den dichtesten Kreis der Verehrer. Ihr strahlendes Auge verlor nie den kalten Schein, der selbst den Kecksten und Zudringlichsten in ehrerbietiger Entfernung hielt. Das Feuer dieser mandelförmig geschnittenen, durch lange dunkle Wimpern umschleierten Augen mahnte unwillkürlich an den funkelnden Glanz jener kostbaren Brillanten, die mit diademartigem Schmucke ihr glänzend schwarzes Haar zierten, ihren im zartesten Weiß schimmernden Hals und ihre vollen Arme umschlossen und gleich blendenden Thautropfen auf den Kelchen der Blumen zitterten, mit denen ihr schneeweißes, rauschendes Atlasgewand bedeckt war. Zu dem kalten Strahle dieses Auges paßte vortrefflich die stolze Haltung ihrer großen, schlanken Gestalt. Beides gab ihr einen Ausdruck von Hoheit und Würde, Beides verlieh ihr einen Anflug königlicher Majestät, und mit diesem stand wiederum ihr Wesen, das sehr an „Wir von Gottes Gnaden“ mahnte, im vollendetsten Einklange. Frau von R…g war von der Natur zur Königin geschaffen, und dem Geschicke, das sie nicht auf den ihr anscheinend bestimmten Platz gestellt, kam die gefällige, bewundernde Menschheit zu Hülfe, indem sie der schönen, stolzen Dame wenigstens stets auf Stunden bereitwillig ein Reich zur ausschließlichen Herrschaft eröffnete.

Auch an diesem Abende war Frau von R…g die regierende Königin. Auf ihren Wunsch tanzte man, und war sie ermüdet, schwieg die Musik. Gegen Mitte des Balles hatte sich die schöne, launenhafte Göttin des Festes für eine Stunde den Tanz verbeten. Sie wollte sich unterhalten und wollte ihr klangvolles Organ nicht durch das Getöse der Musik übertönt haben. Etwas ermüdet vom vielen Tanzen, ein wenig abgespannt durch all die Worte, die sie schon tausendfach in ihrem Leben vernommen und welche ihr täglich von ihrer Umgebung variirt wurden, lehnte sie auf purpurrother Ottomane, senkte das leuchtende Auge und zerpflückte mechanisch die vollen Rosen eines prachtvollen Bouquets, das ihr der galante Wirth kurz zuvor dargereicht hatte.

Die Ottomane stand in einer Ecke des Saales, wo zwischen Palmen aus marmornem Bassin duftende Essenzen aufstiegen und mit leisem Plätschern in die Fluth von Aroma zurückfielen. Eine der mächtigsten Palmen, eine herrliche Bambusa arundina, überschattete laubenartig die Ottomane und den Platz, wo die schöne Frau saß. In leuchtender Schönheit trat ihre lichte, glänzende Erscheinung aus dem leichten Halbdunkel hervor, das diese Stelle des Saales umhüllte. Bewundernd hing gar mancher Blick an diesem seltenen Bilde, und seine außergewöhnliche Schönheit fesselte auch plötzlich mit magnetischer Gewalt ein Auge, das mehrere Secunden prüfend über die versammelte Gesellschaft fortgeglitten und an keiner der anwesenden Erscheinungen haften geblieben war.

Die magnetische Gewalt schien rückwirkend zu sein. Der gesenkte Blick Frau von R…g’s hob sich unter dem fest und forschend auf ihr ruhenden Auge und begegnete einer Gestalt, die sie schon einmal gesehen, die ihr schon einmal imponirt hatte und auch jetzt nicht verfehlte, einen vortheilhaften Eindruck auf sie zu machen. Es war die hohe muskulöse Figur eines Mannes von ungefähr vierzig Jahren, der in seinem Anstande etwas Kühnes, Freies und Majestätisches besaß. Diesen Ausdruck verrieth auch jeder Zug des bedeutenden Gesichts. Es war ein so charaktervolles, so schönes Antlitz, wie Frau von R…g sich nicht erinnerte, je gesehen zu haben. Indem sie all die Vorzüge jenes in der Thüre des Nebenzimmers lehnenden Herrn anerkannte und mit dem flüchtigsten Blick überschaute, daß sich ihr eine außergewöhnliche Erscheinung zeigte, durchkreuzte der Gedanke ihren Sinn, daß diese ihr Achtung und Interesse einflößende Persönlichkeit versäumt hatte, sich ihr vorzustellen, und bis jetzt noch nicht durch das kleinste Zeichen verrathen, daß sie die Macht ihrer Reize anerkenne.

Diese plötzliche Ueberzeugung bestürmte die verwöhnte Dame so überwältigend, daß ihr Mißmuth über die bisherige Vernachlässigung sie nicht bemerken ließ, daß derjenige, der bisher ungerührt durch ihre Schönheit geblieben, sie jetzt anerkannte und bereit schien, seinen Fehler auf glänzende Weise wieder gut zu machen.

Bei der unangenehmen Erkenntniß, daß die unstreitig bedeutendste Persönlichkeit der Gesellschaft keine Notiz von ihrem Dasein genommen, legte sich ein tiefes brennendes Roth über das Antlitz der jungen Freifrau. Ihr funkelndes Auge senkte sich von Neuem und die feinen Lippen zuckten unmuthig, als sie mit einer Gebehrde heftiger Erregung den letzten Rest ihres schönen Rosenbouquets zerstörte.

Das scharfe Auge des Beobachters gewahrte nicht allein das Erröthen, das stolze Zurückwerfen jenes herrlichen Kopfes, das an Mitleid und Verachtung streifende Lächeln und die Gebehrde des Unmuths – er errieth den Grund all dieser unwillkürlichen Bewegungen. – Ein Lächeln ganz verschiedener Art umspielte die Lippen seines feingeschnittenen Mundes – es war das des genauen Kenners weiblicher Schwäche! – Flüchtig strich er mit seiner wohlgeformten Hand den etwas lang herabhängenden Schnurrbart, warf [191] dann mit rascher Gebehrde die Portière zurück, welche den Eingang zum Nebenzimmer halb verhüllte, überschritt die Schwelle und näherte sich mit edlem Anstande der Ottomane, wo die von ihm bisher vernachlässigte Dame saß.

Gleich dem leichten Schatten der Palmblätter, welche dunkle Reflexe auf die lichte, glanzumflossene Erscheinung der schönen Königin des Festes warfen, zitterten Gedanken durch die Seele der jungen Frau, die mit düsterem Schein die freudigen, siegsbewußten Gefühle ihres Innern umwoben.

„Wer mag er sein?“ Das hatte sie sich schon das erste Mal gefragt, als ihr Blick jenes kühne, freie und offene Antlitz, jene hohe, imponirende Gestalt bemerkt.

„Wer mag er sein?“ Diese Frage, die sie zu stolz war an Jemand zu richten, und welche sie sich nur heimlich vorzulegen wagte, sie durchkreuzte auch jetzt ihren Sinn, nachdem sie die ihr so widerwärtige und überraschende Erkenntniß gewonnen hatte, daß er der Einzige von Allen in der Gesellschaft war, der ihr nicht gehuldigt. –

„Rittmeister von Blücher!“ ertönte es plötzlich neben ihr.

Frau von R…g blickte empor. Derjenige, der sich in den Augen der gefeierten Schönheit des strafbarsten Vergehens schuldig gemacht, verbeugte sich mit einem Ausdruck so gewinnender Anmuth vor der Tiefbeleidigten, daß ihr Zorn wie mit Zauberschlag aus ihrer erregten Seele wich. Ein Lächeln, lieblich und reizend, wie es sich selten in dem etwas kalten Antlitz zeigte, erhellte die umdüsterten Züge, und tiefer, als Frau von R…g es je zu thun pflegte, neigte sie ihr stolzes Haupt vor dem Fremden.

Der Vorstellung folgte Unterhaltung, und sie wurde von beiden Seiten mit gleicher Gewandtheit, mit gleicher Lebendigkeit geführt. Das Auge der schönen Frau leuchtete dabei heller, als es gewöhnlich der Fall war, und das ernste Antlitz des Rittmeister von Blücher zeigte häufiger ein Lächeln, als man es sonst bei ihm zu sehen pflegte. Erst die von Neuem beginnende Musik unterbrach die fließende Unterhaltung der eifrig miteinander Redenden. Eine Wolke überflog die klare Stirn Frau von R…g’s, als der Tänzer erschien, dem sie das Menuett zugesagt; und nicht die kleinste Bewegung machend, um der Aufforderung zu folgen, sprach sie nachlässig: „Ich bin noch sehr müde, Herr von D**!“

„Gnädigste Baronin, Sie versprachen mir seit drei Wochen dieses Menuett!“ rief der junge Mann mit allen Anzeichen bitterer Enttäuschung, und sich zu seinem Landsmann, dem Rittmeister, wendend, setzte er bittend hinzu: „O Herr von Blücher, helfen Sie mir, Frau von R…g zu dem Tanz zu überreden!“

„Sein Wort muß man halten, jedes Versprechen ist heilig!“ entgegnete der zur Hülfe Aufgerufene mit freundlichen Lächeln und verbindlichem Tone; dennoch fiel aus seinem sanftblickenden Auge ein Strahl so mahnenden Ernstes auf die launische Schöne, und seine leichthin gesprochenen Worte hatten einen Anflug so tiefer Bedeutung, daß Frau von R…g sich schnell erhob.

Dankbar lächelte der Herr, etwas piquirt die Dame den Rittmeister an, indem sie in die Reihen der zum Tanze Antretenden eilten. Mit befriedigtem Ausdruck schaute Der, der die Sache so schnell geordnet, dem jungen Paare nach. Eine Weile sah Herr von Blücher dem graziösen Tanze der schönen Frau zu; dann verschwand er hinter der Portière, die schützend den Eingang zum Spielzimmer verhüllte.

Frau von R…g söhnte sich mit ihrem Tänzer, der eine so anregende und fesselnde Unterhaltung gestört hatte, aus, als sie bemerkte, wie genau derselbe den Herrn von Blücher kannte, wie warm er ihm anhing und wie bereit er war, ihr die gewünschte Auskunft über ihn zu geben.

Sie hatte bisher noch nichts von ihm gehört. Der Name Blücher besaß zu jener Zeit noch nicht die Berühmtheit, welche der Träger desselben ihm später verliehen. Daß er aber eine bedeutende, hervorragende Erscheinung war, sah und fühlte Frau von R…g, wenn sie auch nicht dachte, daß ihm eine so glänzende Zukunft bevorstehe, wie seine Thatkraft, sein Muth und seine Kühnheit sie sich geschaffen. Sie streifte nicht gerade oberflächlich über Das, was sie sah, fort, sie blickte aber auch nicht tiefer; da sie sich nun in der Mittelstraße hielt, riefen die Notizen, die sie durch ihren Tänzer, einen pommerschen Landedelmann, erhielt, keinen vorahnenden Gedanken in ihr wach und veranlaßten sie nicht zu dem festen Glauben, daß all die kleinen Züge, welche sie aus Blücher’s Leben vernahm, sicherste Gewähr für die Annahme leisten konnten, daß sie bereits die feste Grundlage zu dem Gebäude bildeten, dessen kühner, stolzer Säulenbau bestimmt war, einst von der gesammten Menschheit bewundernd angestaunt zu werden.

Alles, was Frau von R…g von Herrn von Blüchers bereits bewiesener Energie, Tapferkeit und Kühnheit hörte, fand sie begreiflich, denn es stimmte mit dem Eindruck überein, den sie durch seine Persönlichkeit empfangen. Unendlich belustigte sie die Art und Weise, wie er bei dem großen Könige, dessen Tod das Land zu der Zeit betrauerte, um seinen Abschied eingekommen war, und lachend wiederholte sie des kühnen Rittmeisters Worte: „Der von Jägersfeld, der kein anderes Verdienst hat, als der Sohn des Markgrafen von Schwedt zu sein, ist mir vorgezogen; ich bitte Ew. Majestät um meinen Abschied!“ Sie war überzeugt, sie würde diesen originellen Brief Blüchers nie vergessen.

Die Antwort Friedrich des Großen erzählte der für seinen Landsmann eingenommene Tänzer der jungen Freifrau nicht. Vielleicht wollte er zu Jemand, der ihm ein „Engel“ zu sein schien, nicht des „Teufels“ erwähnen. – Frau von R…g erfuhr die Entgegnung des beleidigten Monarchen aber noch an demselben Abend von anderer Seite, und die Dame, die ihr erzählte, daß Se. Majestät dem offenherzigen Briefschreiber geantwortet: „Der Rittmeister von Blücher ist seiner Dienste entlassen und kann sich zum Teufel scheeren!“ sie fügte auch boshaft hinzu: „Alle Versuche, die nun Herr von Blücher seit Jahren gemacht hat, um seinen Wiedereintritt in die preußische Armee zu bewerkstelligen, sind vergeblich geblieben, und wahrscheinlich wird auch seine jetzige Bemühung ohne den von ihm so heiß ersehnten Erfolg bleiben.“

„So ist er wohl augenblicklich nur aus dem Grunde in der Residenz, um seine Wiederanstellung zu betreiben?“

„Der und noch ein anderer ebenso wichtiger führt ihn stets nach Berlin, meine liebe Frau von R…g, und täuscht mich nicht Alles, werden Sie diesen Grund bald aus eigener Erfahrung schmerzlich kennen lernen.“

Ein kalter, stolzer Blick aus dem Auge der Freifrau hemmte den Redefluß der erregten Dame, die jedes Wort mit dem Accent der Bosheit weihte. Einen Moment stutzte Jene vor dem flammenden Auge, dann rief sie mit kurzem Lachen: „Eh bien, wir werden sehen! – Herr von Blücher hat jetzt Ihre Bekanntschaft gemacht, und nun wird er die Ihres Herren Gemahls und dessen voller Börse suchen. Er ist ein rasender Spieler. Ich will Ihnen gratuliren, wenn Sie bei Ihrer Abreise noch im vollständigen Besitz aller Ihrer schönen Diamanten sind.“

Das war der Dame aus der Creme des westphälischen Adels doch zu viel – zu stark! – Ihre Brillanten, die seit Jahrhunderten den Sieg über jeden alten kostbaren Familienschmuck davon getragen, sollten von ihrem Manne verspielt werden können! – Eine solche Aeußerung konnte nur mit Verachtung behandelt werden. Sie wurde es. Ein leichtes Zucken der schönen Schultern, eine flüchtige Neigung der schlanken Gestalt, war Alles, was die im Innern tief empörte Freifrau der boshaften Prophetin zu Theil werden ließ.

Frau von R…g’s Auge durchflog den Saal. Nirgends entdeckte sie jene sich vor Allen auszeichnende Persönlichkeit; aber plötzlich gewahrte sie Herrn von D**. Auf ihren Wink eilte er herbei.

„Sehen Sie meinen Mann nicht?“ fragte sie eifrig, um die Unterhaltung einzuleiten und auf Umwegen an ihr Ziel zu gelangen.

Nach kurzer Pause rief Herr von D**: „Dort unter den Palmen, Frau Baronin, wo Sie vorhin saßen.“

„Ach ja – ich sehe! – Ist der Herr, mit dem er redet, Ihr Bekannter, – wie heißt er doch? Wir sprachen vorhin von ihm.“

„Rittmeister von Blücher?“

„Ja, ja. Den meine ich!“

„Nein, Der ist es nicht!“

„Er ist wohl schon fortgegangen? Ein Ehemann, ein Vater von mehreren Kindern pflegt kein bedeutendes Interesse mehr für dergleichen Vergnügungen zu haben.“

„Sie haben Recht, Gnädigste; aber so viel ich eben sah, wird Herr von Blücher noch durch das Spiel hier gefesselt. Er ist dort im Nebenzimmer.“

„Ah – so! Also der Rittmeister ist Spieler? Man sagte mir folglich keine Verleumdung.“

„Wenn auch kein Spieler, Frau Baronin, so mindestens der Leidenschaft etwas ergeben. Das kann ich nicht leugnen! – Sie [192] werden stets finden, daß, wo viel Licht ist, auch Schatten zu sein pflegt. Hat aber die Dame, mit der ich Sie eben reden sah, Ihnen die Notiz über den Rittmeister gegeben, so bedenken Sie, daß diese eine gegen ihn erbitterte Persönlichkeit ist, weil sie oft beim Whist zehn Groschen an ihn verloren und dieser Verlust sich vorgestern bis zum halben Thaler gesteigert hat.“

Frau von R…g lachte. Das Lachen war aber gezwungen, denn sie dachte an etwas Anderes, das sie lebhaft beschäftigte. Von einer glücklichen Idee plötzlich durchleuchtet, fragte sie eifrig: „Spielt der Rittmeister heute auch mit Damen?“

„Nein! Die Herren machen jetzt dort ein kleines Hazardspiel.“

„O wie gern sähe ich dem einmal zu!“

„Darf ich Sie hineinbegleiten?“

„Darf ich denn dort eintreten?“

„Warum nicht?“

Die junge Frau zögerte.

„Wir suchen Ihren Herrn Gemahl, Gnädigste! Er ist jetzt so hinter den Palmen versteckt, daß – –“

„Gut, gut! Wir suchen ihn. – Schnell fort, ehe er wieder hervortaucht!“

Das Paar verschwand hinter der herabgelassenen Portière. Das Nebenzimmer zeigte sich der Baronin als ein großes, weites Gemach. Nur einzelne der verschiedenen darin befindlichen Spieltische waren um die späte Stunde noch besetzt; aber dicht geschaart standen um einen länglichen Tisch in der äußersten Ecke des Zimmers ältere und jüngere Herren. Dort wurde Pharo gespielt, und Rittmeister von Blücher war der Bankhalter.

Die ihn bewundernde Frau sah fast eine halbe Stunde dem wechselnden Spiele des Glücks zu, ohne daß Jemand ihre Anwesenheit bemerkte. Sie erblickte mehrere Haufen Gold und Silber vor dem Rittmeister, sah die bereits angesammelten Schätze bald sich mehren, bald schwinden und fand, daß keiner dieser Wechsel eine Veränderung in dem Antlitz des Herrn von Blücher hervorrief, sondern daß dasselbe eine unerschütterliche Ruhe, einen unbezwinglichen Gleichmuth ausdrückte. Im scharfen Gegensatze zu diesem unbeweglichen Antlitze standen viele erregte Blicke, viele bleiche, farblose und dunkelgeröthete Gesichter der andern Spieler.

Frau von R…g sah dieser gewaltigen Leidenschaft zum ersten Male im Leben in’s Auge, und die Wirkung blieb nicht aus.

[195] diesem Augenblicke wahrhaftig nicht. Er mußte der Dame laut in das Gesicht lachen. Darüber wurde die Dame wüthend. „Wer ist der freche Mensch?“ rief sie.

„Der Anführer der Bande,“ berichtete der Kreissecrelair.

„Der Lieutenant von Horst,“ sagte der Gefangene.

„Noch Einer!“ rief die Dame, und sie wurde noch wüthender.

„Mensch,“ bemerkte mit amtlichem Ernste der Kreissecrelair, „ich hatte Ihm die Prügel zugeschworen, wenn Er den Namen wieder in den Mund nehme, und meinen Schwur muß ich halten.“

Aber hinter der gnädigen Frau war noch Jemand in die Stube getreten. Fräulein Lucina hatte die erboste Mutter wohl nicht verlassen wollen. Schüchtern genug war sie ihr gefolgt. Entschieden, fast eifrig, trat sie jetzt vor. „Nicht doch, mein Herr,“ sagte sie zu dem Kreissecretair. „Mutter,“ fuhr sie zu der gnädigen Frau fort, „Dieser gleicht dem Portrait Deiner Jugendfreundin, das in Deinem Zimmer hängt.“

„Hier lügt Alles!“ rief die Mutter.

„Und seine Hiebe soll er haben,“ rief der Kreissecretair, der nun einmal ein überzeugter Anhänger des Prügelsystems zu sein schien.

Dem jungen Gefangenen aber trat bei der Drohung der Schweiß nicht wieder auf die Stirn; er warf einen Blick der Dankbarkeit, der Freude, des Entzückens – es war wohl noch mehr darin – auf das schöne, junge, in ihrem Eifer hocherröthete Mädchen. Sie sah den Blick. Ihr Gesicht glühte. Sie wollte beschämt zurücktreten. Der junge Mann flog auf sie zu. Er mußte doch wohl der rechte Gardelieutenant Fritz von Horst sein. Die Gensd'armen wollten ihm wehren. Die gnädige Frau wollte entsetzt zurückspringen, vielleicht gar in Ohnmacht fallen. Das junge Mädchen sah ihm in allem ihrem Erröthen mit einer stillen Freude entgegen. Jenen anderen Fritz von Horst hatte sie nicht umarmen wollen. Diesem hätte sie, trotz alledem und alledem, die Arme geöffnet, wenn nicht – plötzlich wieder die Thür sich geöffnet hätte.

Der Executor des Landrathsamtes, der die mit dem ersten Räuber eingelieferten beiden Frauen abgeführt hatte, stürzte leichenblaß herein. „Sie sind fort!“ rief er.

„Wer? Wer ist fort?“

„Die beiden Weiber der Räuber. Ich hatte einen Augenblick die Wachtstube verlassen und als ich zurückkehrte, waren sie nicht mehr da. Sie müssen mit Hexerei fortgekommen sein.“

„Dieser soll uns auch dafür aufkommen,“ versicherte der Kreissecretair.

Von Neuem öffnete sich die Thür. Ein kurzer, dicker Herr mit einem rothen, aufgeworfenen Gesichte trat in die Stube. Aber über der Röthe des Gesichtn lag es blau, und die Aufgeworfenheit sah sehr niedergeschlagen aus.

„Wo haben Sie meine zehntausend Thaler, Amtmann?“ rief ihm die gnädige Frau entgegen.

„Sie sind geraubt, Euer Gnaden,“ antwortete eine jammervolle Stimme.

„Und Sie haben sie nicht wiederbekommen?“

„Was die Räuber einmal haben, Euer Gnaden –“

„Dieser soll uns für Alles aufkommen!“ rief der Kreissecretair.

Da sah der Amtmann den Gefangenen an, und sein rothblaues Gesicht wäre beinahe weiß geworden. „Um Gotteswillen, das sind ja der Herr Lieutenant Fritz von Horst!“

„Um Gotteswillen!“ rief auch die gnädige Frau.

„Sind Sie Ihrer Sache gewiß?“ fragte noch der vorsichtige Kreissecretair.

„Ich bin ja mit dem Herrn Lieutenant gereist, und mit seinem Freunde, dem Herrn Premierlieutenant von Falkenberg.“

Das Gesicht des Kreissecretairs wurde sehr lang. Seinen Schwur konnte er jetzt nicht mehr halten.

Die gnädige Frau aber bekam ihre natürliche Farbe wieder und rief: „Ja, Lucina, Du hast Recht, dieser trägt die edlen Züge meiner theuren Amalie. Kommen Sie an mein Herz, ganzes Ebenbild meiner Jugendfreundin! Ach, und jener hat die fünfzehntausend Thaler!“ Sie umarmte den jungen Mann lange, dann führte sie ihn zu ihrer Tochter. „Umarme auch Du ihn, Lucina.“ Aber das Fräulein wich zurück. „Wie, Lucina?“ fragte die Mutter.

„Ach, Mutter, wenn der Andere der Räuber war, so hat dieser Herr die Rolle gespielt, die jener uns vorspiegelte.“

„Gewiß,“ versicherte eifrig der Lieutenant.

„Und dann hat er auch –“ Das Fräulein zögerte von Neuem erröthend. Aber ein Zorn, wie klein er sein mochte, gewann plötzlich die Oberhand in ihr. „Dann hat er auch von jener leichtfertigen Person sich anlocken lassen, und sie war – ja, sie war sehr schön.“ Der kleine Zorn preßte sogar Thränen aus den schönen Augen.

Der leichtsinnige Lieutenant aber schwamm in Entzücken, er bog ein Knie vor der jungen Dame, ergriff ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen. „Es wird nie, nie wieder geschehen!“

„Nie?“, fragte sie, und sie ließ ihm die Hand.

Noch einmal wurde die Thür geöffnet, und der Landrath, Herr von Eisenring, stand auf der Schwelle des landräthlichen Bureau’s. „Ist es erlaubt, einzutreten? Ich sah Alles hierher gehen.“

„Und Du hast die Birnen verlassen können, Adalbert?“ fragte die gnädige Frau.

„Sie sind schon im Keller.“



[196] noch 200 Louisd’or, wagte diese an einen einzigen Wurf – gewann, bog Paroli und gewann wieder.

„Nun hören Sie aber auf, Gnädigste!“ rief der Rittmeister lachend, indem er der todtenblassen, entsetzlich erregten jungen Frau die gewonnenen 600 Louisd’or überreichte.

„Nein, o nein, ich höre nicht auf, ich spiele jetzt weiter!“ rief sie lebhaft und setzte die Hälfte des Goldes auf ein Coeur-Aß.

„Sie sind zu aufgeregt, gnädigste Frau, zu leidenschaftlich!“

„Was thut das?“

„Sie werden verlieren!“

„Weiter nichts?“

„Ist das nicht genug?“

„Nein, ich bin zu reich, um mich ruiniren zu können.“

„Sie sind aber Dame, und – ein Verlust wird Sie ärgern.“

„Wollen wir es abwarten, Herr Rittmeister?“

„Ich stehe zu Befehl, Frau Baronin!“ erwiderte er mit verbindlichem Lächeln.

Das Spiel begann von Neuem, Beide spielten allein. Kein Anderer setzte und alle Umstehenden blickten mit Interesse auf die schöne Frau, die, je länger sie pointirte, immer größere Summen wagte und kaum den Verlust und Gewinn mehr zu unterscheiden schien. Sie gerieth von Moment zu Moment mehr in Leidenschaft. Ihre Augen glühten, ihre Wangen brannten, ihr ganzes Wesen erlitt die auffallendste Veränderung und verrieth eine convulsivische Erregung. Spurlos ging es an ihr vorüber, was sich in ihrer nächsten Nähe ereignete[WS 1]. Sie sah nicht, daß Einzelne den Spieltisch verließen, Andere kamen; sie bemerkte nicht die Anwesenheit ihres Mannes, der sie erstaunt und lächelnd betrachtete und dann leise seinen Rückzug nahm; sie befolgte nicht die Warnungen ihres Gegners, griff nur mechanisch nach dem Golde, das er ihr borgte, setzte, ohne zu zählen, verlor, ohne es zu beachten.

Das Glück, das anfangs wechselnd gewesen, sich bald dem Herrn, bald der Dame zugeneigt hatte, floh im Verlaufe des Spiels die junge Frau vollständig und blieb dem Rittmeister treu.

„Wie viel habe ich jetzt verloren?“ fragte Frau von R…g nach ungefähr einer Stunde und lehnte sich, tief Athem holend, gegen ihren Stuhl zurück.

Man berechnete die Summen. Sie hatte nah an 20,000 Thaler verloren. Ueber ihr jetzt bleiches Gesicht glitt kein Ausdruck der Ueberraschung. Lachend rief sie: „Ihr Geld, Herr von Blücher, hat mir kein Glück gebracht! darf ich einmal mit meinem Eigenthum spielen?“ Sie streifte bei diesen Worten eins ihrer kostbaren Brillantarmbänder ab und legte es auf eine Karte. Der Rittmeister von Blücher widersetzte sich ihrem Vorhaben auf das Entschiedenste. Sie bestand mit Beharrlichkeit auf ihrem Willen. Scherzend entgegnete er: „Ich sagte es Ihnen bereits vorhin, gnädigste Frau, das Glück kann Ihnen im Spiele nicht hold sein, denn es hat Sie zu seinem Lieblinge in der Liebe erwählt. Sie brechen zu viele Herzen, und Solchen bringen die Karten nie Segen!“

„Versuchen wir es noch einmal, Herr von Blücher!“ bat die schöne Frau mit einem Blick, dem der einst so tapfere Krieger nicht zu widerstehen vermochte und vor dem der spätere kühne Held, dessen Losung das „Vorwärts“ war, erbebend zurückwich.

Er nahm den kostbaren Satz an, und die Hand, die in dem Augenblick die Karten umschlug, zitterte leicht.

Dem einen Armbande folgte das andere, das Frau von R…g ebenfalls abstreifte; dann deutete sie auf ihr Collier. Herr von Blücher zögerte. – Noch ein bedeutungsvoller Blick, und er wurde abermals gezwungen. – Dem Collier folgte das Diadem, diesem Knöpfe, Nadeln, Spangen, und nach zehn bis fünfzehn Minuten besaß sie nur noch die Diamanten, die als Thautropfen an den Blumen ihres Kleides glänzten.

„Jetzt ist’s genug!“ sagte sie leise und erhob sich langsam von ihrem Stuhle.

Der Rittmeister sprang lebhaft empor, ergriff die Armbänder und näherte sich der jungen Frau.

„Bis morgen Credit, Herr von Blücher!“ rief sie lebhaft, „dann wird mein Mann den Schmuck einlösen und die übrige Schuld tilgen.“

„Darf ich Sie ergebenst ersuchen, diese Bracelets anzulegen, Frau Baronin?“ entgegnete er verbindlich.

„Nein, nein. Sie bleiben bis morgen in Ihrer Hand. Hier auch das Diadem!“ rief sie noch erregter und löste schnell den Schmuck aus ihrem Haare und legte ihn, ehe er es verhindern konnte, auf die Armbänder.

„Ich bitte!“ flüsterte er leise und sein Auge sah flehend auf die junge Frau. Der Blick verwirrte sie; hastig, scheu, verlegen wich sie zurück; abwehrend streckte sie ihre Hand nach ihm aus, als er ihr mit jenem Blicke folgte, der bis in das tiefste Innere ihres Herzens drang.

„Gnädige Frau!“ rief er dringender.

„Bitte – nein! – Nein, nein, ich kann nicht!“ hauchte sie kaum hörbar.

Das Wesen des Flehenden erlitt eine schnelle und plötzliche Veränderung. In dem leichten üblichen Tone der Conversation sagte er freundlich[WS 2]: „Sie nehmen den Scherz zu ernst, Gnädigste. Ich bitte, betrachten Sie die ganze Sache als eine flüchtige Unterhaltung!“

Frau von R…g blickte fast entsetzt empor. Ueberrascht rief sie: „Wie, Sie wollten Verzicht leisten auf den ganzen Gewinn? – Unmöglich, Herr von Blücher!“

„Warum unmöglich, Frau Baronin?“

„Weil meine Schuld sich jetzt ungefähr auf 40,000 Thaler belaufen wird. Vielleicht noch höher, da die Steine überaus werthvoll sind.“

„Gut, lassen Sie es 50,000 Thaler sein. Das thut nichts zur Sache.“

„Die wollten Sie entbehren?“

„Ein Grund, lebhaft danach zu verlangen, ist nicht vorhanden. Ich werde auch ohne die Summe fertig werden!“ antwortete er stolz.

Es entstand eine kurze Pause. Erwartungsvoll sahen alle Anwesenden dem Ende der seltsamen Scene entgegen.

„Nein, nein, Herr von Blücher, ich kann das großmüthige Anerbieten nicht annehmen. Ich kann nicht so tief in Ihrer Schuld bleiben.“

„Der Gedanke ist Ihnen also unangenehm?“

„Sehr.“

„So. geben Sie mir einen Kuß, und – ewig bleibe ich Ihr Schuldner!“

Ein glühendes Erröthen überflog das marmorbleiche Antlitz der jungen Frau. Mit Blitzesschnelle flogen die Gedanken durch ihre Seele, wer und was sie – wer und was er war! Sie – ein Sprößling eines der ältesten Adelsgeschlechter Westphalens – unermeßlich reich! – Er arm, verabschiedeter Rittmeister – pommerscher Landedelmann und – Spieler! – Sie trat einen Schritt zurück, maß den vor ihr stehenden kühnen Förderer mit einem ihrer kältesten Blicke, warf stolz ihr schönes Haupt zurück und sprach in scharfem, klarem, ruhigem Tone: „Ich danke! – mein Mann wird morgen früh meine Schuld an Sie abtragen.“

Mit der Würde einer Königin schritt sie aus dem Zimmer. Bewundernd folgten ihr Aller Augen, dann wandten sich die Blicke lächelnd zu dem Rittmeister. Er stand mit fest aufeinander gepreßten Lippen, mit finster zusammengezogenen Brauen da, und sein Auge blickte so starr zu Boden, als könne es sich nimmer von dort erheben. Dennoch schaute er im nächsten Moment frisch und fröhlich auf, als sein Gönner, der General von Bischoffswerder, ihm heiter zurief: „Das war eine verlorne Schlacht, lieber Blücher; indessen, ein guter Soldat verzagt nicht so leicht und vertröstet sich stets auf die Zukunft, wo sich ihm die Hoffnung eröffnet, die empfangene Scharte auswetzen und – glückliche Revanche am Feinde nehmen zu können!“




Dreißig Jahre waren vergangen. Blücher hatte sich in diesem Zeitraume durch seinen Muth, seine Kühnheit und Tapferkeit vom einfachen Rittmeister eines Husarenregiments zum Generalfeldmarschall der preußischen Armee emporgeschwungen. – Ihm war jede nur mögliche Auszeichnung zu Theil geworden, und bewundernd wurde sein Name von ganz Europa genannt. Huldigend lag ihm die Welt zu Füßen, als er mit den unverwelklichen Lorbeern des Sieges geschmückt nach dem Friedensabschlusse aus Paris heimkehrte. Seine Reise zur Heimath glich einem Triumphzuge; überall wo der greise Held sich blicken ließ, begrüßte man ihn als den größten Helden seiner Zeit.

Längst hatten die bedeutenden Ereignisse seines vielbewegten ruhmgekrönten Lebens jenes kleine unbedeutende Erlebniß mit Frau von R…g verwischt. Vor den stürmischen Scenen des Kriegs- [197] und Lagerlebens war die Erinnerung an jenes Spiel am Ballabend gewichen, und – vergessen hatte der Held, der Sieger, der Fürst und Feldmarschall die kleine Niederlage, die ihm als zweiundvierzigjährigem verabschiedetem Rittmeister durch eine junge Frau bereitet worden. Das Geschick, das ihm in jeder andern Beziehung günstig gewesen und ihn zu seinem entschiedenen Lieblinge erkoren, es hatte versäumt, ihm jene Gelegenheit zu bieten, mit der damals der General von Bischoffswerder den erregten Mann getröstet und auf die der Gekränkte und Verspottete gehofft. Lange war das Gefühl eine schmerzende Wunde gewesen, endlich hatte sie der Alles beschwichtigende Lauf der Zeit geheilt, und seit vielen Jahren war sie vernarbt.

Der greise Held dachte, als er im Januar des Jahres 1817 nach Berlin kam, nicht daran, daß er dort noch eine Rechnung mit Menschen abzuschließen haben würde. Das Geschäft glaubte er besorgt zu haben, mit der Welt dachte er fertig zu sein. Sein Gewissen sagte ihm, daß er im Leben seine Schuldigkeit gethan, die ihn bewundernde Menschheit fand, daß er Unglaubliches geleistet. Dachte er also daran, mit irgend Etwas Rechnung abschließen zu müssen, so war’s mit dem Himmel, und voller Seelenruhe war er dazu bereit. – Frei und offen, wie er jederzeit in’s Leben geblickt, sah er nun nach oben, und stieg auch hie und da eine kleine Erinnerung in ihm auf, die nach seiner Ansicht den heiligen Petrus hätte zögern lassen können, ihm die Pforten der ewigen Seligkeit zu erschließen, so beruhigte er sich mit dem Gedanken: „Oeffnet er sie Dir nicht, so thust Du es selber, und der alte Blücher, der mit so Vielen fertig geworden, wird auch schon mit dem Petrus zu Stande kommen!“

So verlebte denn Held Blücher froh und unbekümmert die letzten Jahre seiner irdischen Laufbahn. Er erfreute sich einer für sein Alter seltenen Gesundheit. Namentlich der Winter 1817 fand ihn wohlauf und kräftiger, als er sich die Zeit vorher gefühlt. Er bewohnte in Berlin jenes Haus am Pariser Platze, das ihm der König mit dem Bemerken geschenkt hatte, „der Siegesgöttin, deren Liebling er gewesen, und die er mit aus Paris heimgebracht habe, möglichst nahe zu sein.“

Ging Blücher auch selbst nicht mehr viel in Gesellschaft, so liebte er es doch, Leute bei sich zu sehen, und seine Freunde führten häufig Fremde bei ihm ein, die nach der Ehre strebten, im gastlichen Hause des Siegers von Waterloo aufgenommen zu werden.

Unter diesen fremden Gästen begegnete des Fürsten Auge eines Abends einer Gestalt, die ihm sofort bekannt erschien und in der er, trotz des langen Zwischenraumes vieler Jahre, jene schöne Frau von R…g wiedererkannte, die damals alle Herzen entzündet und auch das seinige – wenigstens auf Stunden – zum schnelleren, heftigeren Schlagen gebracht.

Die Wiedererkennung würde vielleicht nicht so schnell erfolgt sein, wenn nicht zwei Dinge wesentlich zu ihrer Erleichterung beigetragen hätten. Die hohe, edle Stirn der überaus stattlich aussehenden Dame schmückte nämlich ein Brillantdiadem von so antiker, seltsamer Fassung, daß, wer es einmal erblickt, nicht so leicht vergaß, es gesehen zu haben. Außerdem war das schwarze Sammetkleid, das sie trug, reich mit Diamanten verziert, die auch wie das Diadem den Stempel trugen, einem Familienschmucke zu entstammen, wie er nur noch in alten angesehenen Adelshäusern anzutreffen ist. Dieses kostbare Diadem, diese antiken Armspangen, das herrliche Collier – – Alles war einmal, wenn auch nur während weniger Stunden, des Fürsten Eigenthum gewesen, und der Feldmarschall entsann sich, was er als Rittmeister besessen! – – –

Ein ebenso schnell und gut wirkendes Erkennungszeichen war die zur Seite der ältern Dame stehende schlanke, jugendliche Erscheinung. Sie war das verkörperte Ebenbild ihrer entschwundenen Jugendzeit, und in lieblicher Anmuth waren in diesem zarten, feinen Antlitz all die edlen schönen Züge der einst so blendenden Mutter wiedergegeben.

„Frau von R…g! – Wie freue ich mich, Sie wiederzusehen!“ rief der Fürst, freundlich und ohne Groll derjenigen die Hand reichend, die ihn einst so schnöde behandelt.

„Ist’s möglich, Durchlaucht erkennen mich wieder?“ entgegnete die Freifrau, auf’s Aeußerste geschmeichelt, und ein Lächeln stolzen Triumphes umspielte die etwas eingesunkenen Züge des Mundes.

„Das kann Sie, die Sie die ewige Jugend zu besitzen scheinen, doch unmöglich in Erstaunen versetzen, gnädigste Frau.“

„Doch, doch, Durchlaucht, denn es sind länger als –“ Frau von R…g stockte. Sie konnte sich nicht entschließen, den ihr so widerwärtigen Zeitraum von dreißig Jahren anzugeben. Voll Gewandtheit sich zu helfen wissend, setzte sie schnell, hinzu: „Es sind viele Jahre seitdem vergangen, wo ich das Glück hatte, Ew. Durchlaucht zusehen!“

„Ich fühlte stets schmerzlich diesen langen Zeitraum, Gnädigste; doch – in diesem Augenblicke machte Ihre noch immer so blendende Schönheit mich die Reihe der Jahre vergessen.“

Die Straußfedern am Toque der stattlichen Freifrau wiegten sich anmuthig, als sie wohlfällig ihr etwas taubes Ohr den galanten Worten des Fürsten lieh. Ihr Lächeln verschwand aber, als er sie bald über ihre schöne Tochter vergaß, mit der er heiter plauderte und neckend scherzte. Nie fühlte sie es noch so scharf und bitter, welch gefährliche Nebenbuhlerin sie an ihrem reizenden Kinde besaß! – Ihre Stirne legte sich in schwere Falten, ernst und strenge, kalt und unerbittlich wurden ihre Züge, als sie sich, nachdem der Fürst gegangen, zu ihrer Tochter wandte und tadelnd sprach: „Du verstehst es noch immer nicht, Dich zu benehmen, bist stets zu laut, lachst zu viel, hast keine Manier, keinen Anstand! – Gehe daher im Augenblick zu Deinem Vater und laß Dich von ihm nach Hause geleiten, wo Du über Dich nachdenken magst!“

Die junge Schöne neigte demüthig ihr liebliches Köpfchen, wagte dann mit zitternder Stimme eine Entschuldigung, eine Bitte; doch die gestrenge Mutter beseitigte kurz jeden Einwand, und die reizende Tochter verschwand aus dem Salon des Fürsten, wo Frau von R…g allein zu herrschen beabsichtigte.

Daß der Feldmarschall der Neigung des Rittmeisters treu geblieben, zeigte Frau von R…g der sehr bald arrangirte Spieltisch. Auch sie hatte nie wieder der Leidenschaft entsagen können, die sie dreißig Jahre zuvor plötzlich mit Allgewalt erfaßt hatte. Im weitern Verlauf des Abends spielten der Fürst und die Freifrau wieder allein, denn jeder der übrigen Mitspieler war scheu vor den bedeutenden Summen zurückgewichen, um welche sie spielten.


Das Fürstliche Lust-Schloß zu Salzthalen.

[198] Plötzlich erinnerten sich Einzelne der Anwesenden an jene Spielscene vor dreißig Jahren auf dem Balle. Diejenigen, die damals zugegen gewesen, erzählten sie den Andern; und als man lachend des Endes erwähnte, das sie genommen, und von jenem verschmähten Kusse sprach, erreichten einzelne der Worte das Ohr des Fürsten. Der Gedanke an jene Niederlage färbte sein Gesicht mit dunkler Röthe, und mit scharfem Blicke musterte er seine Gegnerin, die wieder wie einst über dem Spiel völlig ihre Umgebung vergaß.

Dan Glück, das Frau von R…g vor dreißig Jahren am grünen Tische so gänzlich geflohen, schien ihr an diesem Abende zu lächeln. Sie gewann fortgesetzt die höchsten Summen und stand nach Ablauf einer Stunde vermöge ihres gewagten Pointirens auf dreißigtausend und mehrere hundert Thaler.

Die Summe genügte ihr noch nicht. Sie wollte ihren ganzen damaligen Verlust ersetzt haben! – –

Daß sich das Glück nicht zwingen läßt, bewährte sich auch bei ihr in auffallender Weise. Es verließ die von ihm Begünstigte, als es gefesselt werden sollte. Frau von R…g fing an zu verlieren, und der Verlust machte sie noch leidenschaftlicher, als das Glück. Nun wollte sie erhaschen, was sich ihr entzog; aber immer weiter floh es von der, welche es mit krampfhafter Hast zu erreichen strebte.

Frau von R…g kam erst zur Besinnung, als sie den Fürsten um neue Summen anging und er, um sie aus dem Taumel blinder Leidenschaft zu reißen, scherzend fragte: „Wollen Sie Ihren Verlust bis zu der damaligen Größe treiben, Gnädigste?“

„Nein, o nein!“ rief sie entsetzt aufspringend, und hastig fügte sie hinzu: „Wie hoch beläuft sich meine Schuld?“

„Zwanzigtausend Thaler, verehrteste Frau Baronin!“

„Das ist ja furchtbar, schrecklich, gräßlich!“ sprach sie zitternd.

Fürst Blücher mußte unwillkürlich daran denken, mit welcher Seelenruhe sie als junge Frau das Doppelte verloren! –

„Zwanzigtausend Thaler!“ wiederholte sie langsam und bedeckte das bleiche Gesicht mit beiden Händen. Er entfernte die schöne, mit Ringen geschmückte Hand von ihren Augen und entdeckte mit Bestürzung, daß sie weinte.

„Gnädigste Frau!“ sprach er erschrocken und hastig.

Ein Hoffnungsstrahl durchzuckte die Seele der im Laufe der Jahre geizig und geldgierig gewordenen Dame. Sie blickte auf und sah den greisen Helden zärtlich an, dessen edelmüthige Sinnesart sie aus Erfahrung kannte.

Der alte Feldmarschall hielt diesen Liebesblick mehrere Minuten tapfer aus und gerieth nicht in die Versuchung, in welche der junge Rittmeister damals nach flüchtigster Anschauung ihrer glänzenden Augen gebracht worden.

Als die Freifrau sah, daß ihre Blicke nicht mehr die alte Macht besaßen, griff sie zu einem andern Mittel, um den Edelmuth des Fürsten zu erregen. Seufzend sagte sie: „Mein Gott, wie werde ich es nur anfangen, meinen Mann von diesem ungeheuern Verluste in Kenntniß zu setzen?“

„Ungeheuern Verlust, Frau Baronin? – Sie sagten einst, das Doppelte würde Sie nicht zu ärgern vermögen und eine solche Summe könne Sie nicht ruiniren, da Sie sehr reich wären.“

„Ja damals, Durchlaucht! Doch jetzt sind dreißig Jahre vergangen, und die Zeiten sind anders und schlimmer geworden.“

„Wie seltsam klingen diese Worte in Ihrem schönen Munde!“ rief der Fürst lachend.

„Schöner Mund!“ – Das Wort elektrisirte Frau von R…g von Neuem. Mit einem unendlich freundlichen – fast zu süßen Lächeln trat sie dem Fürsten einen Schritt näher und hauchte leise: „Entsinnen Sie sich, lieber Fürst, also noch jenes Abends, wo wir zusammen als junge Leute spielten? – O die köstliche Jugendzeit! –“

„Er wird mir unvergeßlich bleiben, Frau Baronin!“

Das Lächeln Frau von R…g’s sollte immer bezaubernder werden, es gestaltete sich aber etwas fratzenhaft um die eingesunkenen Züge des Mundes.

„Auch mir ist er unvergeßlich, Fürst!“ flüsterte sie zärtlich.

Die schmale, weiße Hand der Freifrau legte sich auf den Arm des Feldmarschalls. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen, und seine Augen, die noch die Kraft besaßen, feurig zu strahlen, blickten nieder auf die zarten, schlanken Finger, die leicht seinen Arm drückten.

„Damals kränkten Sie mich tief, Frau von R…g.“

„O, ich weiß und – tausendfach habe ich es bereut!“

„Wirklich?“

„Ganz gewiß, und glücklich würden Sie mich machen, wenn Sie heute den einst verschmähten Kuß als Tilgung meiner Schuld annähmen!“

„Wie? – Sie wollten –“

„Gewähren, was Sie damals vergeblich wünschten!“

Frau von R…g näherte ihr Antlitz dem des Fürsten. Mit leichter Verbeugung wich er zurück und ernst sagte er: „Die Zeit der Jugend ist sammt ihren Thorheiten vorüber. Bedenken Sie, daß dreißig Jahre seitdem vergangen!“

„Wie? – Sie wollten “

„Verzicht leisten auf ein Glück, das mir einst nicht hold war, Frau Baronin!“

„Und meine Schuld? –“

„Bitte ich unterthänigst auf die Weise abzutragen, die Sie damals für allein passend erachteten.“

Eine fahle Blässe bedeckte das Gesicht Frau von R…gs; dann enteilte sie rasch dem Zimmer, und nichts in ihrem Wesen mahnte in dem Augenblick an die stolze Würde einer beleidigten Königin, mit der sie an jenem Abend den Spieltisch verlassen.

Ein lauter Applaus wurde dem alten Sieger zu Theil, nachdem sich die Thüre hinter der beleidigten Frau geschlossen.

Lächelnd verbeugte sich Blücher gegen die Anwesenden und heiter rief er: „Dies ist einer der glücklichsten Augenblicke meines Lebens und keiner meiner kleinsten Triumphe!“

Louise Ernesti.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erreigte
  2. Vorlage: frundlich