Der zweite Phalaris

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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Der zweite Phalaris
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Siebtes Bändchen, Seite 813–818
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1827
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Φάλαρις Β
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[813]
Der zweite Phalaris.[1]

1. Ihr Männer von Delphi! Ich bin weder der Agent der Agrigentiner bei unserer Republik, noch stehe ich in gastfreundschaftlichen Verhältnissen mit Phalaris insbesondere; auch habe ich sonst keine Ursache, die Absichten dieses Herrschers besonders zu begünstigen, noch auch irgend ein Interesse, mich um seine Freundschaft zu bewerben. Allein der Vortrag, den er durch seine hier anwesenden Gesandten uns machen ließ, scheint mir so vernünftig und der Billigkeit gemäß, daß ich, in Betracht Dessen, was die Religion, das allgemeine Beste, und hauptsächlich die Ehre Delphi’s uns zu thun räth, mich erheben zu müssen glaube, um euch zu rathen, einen fromm gesinnten Fürsten nicht zu beleidigen, und unserer Gottheit ein ihr bereits zugesprochenes Weihgeschenk nicht zu entziehen, welches, in dreifacher Rücksicht, für ewige Zeiten ein höchst wichtiges Denkmal ausgezeichneter Kunst, sinnreicher Erfindung für einen abscheulichen Zweck, und einer wohl verdienten Bestrafung zu seyn bestimmt ist.

2. Ich gestehe, schon daß ihr überhaupt hierüber im Zweifel seyn könnet, und daß die Staatsvorsteher die Frage öffentlich aufgeworfen haben, ob man das Weihgeschenk annehmen oder wieder zurückschicken solle, schon Dieß halte ich für eine Versündigung, ja sogar für den höchsten [814] Grad von Gottlosigkeit. Denn dieses Weihgeschenk verschmähen, wäre nichts Geringeres als ein Tempelraub, und zwar ein um so viel schwererer, als fromme Stiftungen zu verwehren, frevelhafter ist, denn bereits Gestiftetes zu entwenden.

3. Ich bin selbst ein Delphier und theile somit die Ehre oder die Schande, welche unser Gemeinwesen von gegenwärtiger Sache haben wird; darum bitte ich euch ernstlich, verschließet frommen Verehrern der Gottheit dieses Heiligthum nicht, setzet unsere Stadt nicht der übeln Nachrede aus, wir schikaniren die Geber wegen ihrer Geschenke an Apoll und urtheilen über sie gerichtlich und nach förmlicher Stimmenmehrheit ab. Wer würde da ferner Lust haben, Tempelgaben darzubringen, wenn man voraus wüßte, daß der Gott nichts annehme, was nicht zuvor die Genehmigung der Delphier erhalten hätte?

4. Ueberdieß hat ja Apollo bereits selbst seinen gerechten Willen in Betreff dieses Weihgeschenkes zu erkennen gegeben. Denn wäre ihm Phalaris verhaßt, und sein Geschenk ein Gräuel gewesen, so war es ihm ja ein Leichtes, das Fahrzeug sammt dem Stiere mitten auf dem Ionischen Meer untergehen zu lassen. Allein im Gegentheil, er verlieh ihnen, wie sie versichern, das herrlichste Wetter zu ihrer Ueberfahrt, und ließ sie gesund und wohlbehalten in Cirrha [dem Hafen von Delphi] anlanden.

5. Da also die Gottheit dieses Herrschers fromme Huldigung so augenscheinlich genehmigt, so habt auch ihr sie nicht anders zu beurtheilen, sondern diesen Stier den übrigen Kleinodien, welche unsern Tempel schmücken, beizufügen. [815] Denn ließe sich wohl etwas Ungereimteres denken, als wenn der Besitzer eines Prachtwerkes, das er dem Gotte zum Geschenke schickte, in Folge einer Abstimmung damit von dem Tempel zurückgewiesen, und, zum Lohne für seine Frömmigkeit, für unwürdig erklärt würde, eine Stiftung zu machen?

6. Zwar hat der Redner, welcher für die der meinigen entgegengesetzte Ansicht sprach, Vieles declamirt von Gewaltstreichen, die der Tyrann verübt haben sollte, von Mordthaten, Räubereien, Entführungen, gerade als ob er eben selbst aus Agrigent käme und Augenzeuge jener Unthaten gewesen wäre, da wir ja doch Alle wissen, daß der Mann noch niemals Delphi verlassen, um an Bord eines Schiffes zu steigen. Dergleichen Dinge darf man nicht einmal Denen auf’s Wort glauben, welche Solches an sich selbst erfahren zu haben, versichern: denn wir können nie wissen, ob sie die Wahrheit reden; geschweige daß wir auf Thatsachen, von welchen wir gar nicht unterrichtet sind, eine Anklage gründen dürften.

7. Und wenn auch wirklich Handlungen dieser Art in Sicilien vorgefallen seyn sollten, was haben wir damit in Delphi zu schaffen? es wäre denn, daß wir statt Priester, Richter seyn, und anstatt die Opfer zu besorgen, und dem übrigen Tempeldienst abzuwarten, und die eingehenden Weihgeschenke in Empfang zu nehmen, uns zu Gerichte setzen und untersuchen wollten, ob über die Staaten jenseits des Ionischen Meeres eine gerechte oder ungerechte Herrschaft ausgeübt wird.

8. Mag es doch bei Andern stehen, wie es will! Uns, meine ich, thut Noth, unsere eigenen Angelegenheiten wahrzunehmen, und zu wissen, was vor Zeiten unser Zustand gewesen, [816] wie wir uns jetzt befinden, und was wir zu thun haben, wenn es nie schlimmer mit uns werden soll. Daß wir auf einem dürren Felsen leben und steinigten Boden bebauen, brauchen wir uns nicht erst von Homer[2] sagen zu lassen: der Augenschein lehrt es. Käme es also blos auf unsern Boden an, wir wären von unaufhörlicher Hungersnoth geplagt. Allein unser Tempel mit dem Pythischen Gotte, das Orakel, die Frommen mit ihren Opfergaben, das sind Delphi’s Aecker, das seine Einkünfte, von da kommt sein Unterhalt, ja sein ganzer Reichthum. Denn warum sollten wir nicht, uns selbst wenigstens, die Wahrheit gestehen? Alles wächst uns von selbst

Ohne des Pflanzers Sorg’ und des Ackerers –

wie Homer sagt;[3] und Apollo ist gleichsam selbst unser Landwirth, der uns aber nicht blos alle Früchte liefert, die bei den übrigen Griechen wachsen, sondern auch die Produkte Phrygiens, Lydiens, Persiens, Assyriens, Phöniziens, Italiens und sogar der Hyperboräer Lande hieher schafft. Und in der That, wir genießen nach dem Gotte die größte Ehre von allen Sterblichen, leben im Ueberfluß und befinden uns ganz glücklich. So war es vor Alters, so ist es bis auf den heutigen Tag, und möchte es nie anders werden!

9. Auch weiß kein Mensch sich zu erinnern, daß bei uns je über die Annahme eines Tempelgeschenkes abgestimmt worden wäre, noch auch daß man einem Fremden verboten hätte, ein Opfer oder eine Gabe darzubringen. Und eben [817] darin sehe ich den Grund, warum dieses Heiligthum so sehr in Aufnahme kam und der Tempelschatz so außerordentlich reich ist. Darum soll man auch im gegenwärtigen Falle keine Neuerung machen, und nicht, ganz dem alten Herkommen zuwider, ein Gesetz aufstellen, wonach die Geschenke, die man hieher schickt, einer genauen und auf den Ursprung zurückgehenden Untersuchung, woher, von Wem, und wie beschaffen sie seyen, unterworfen werden sollen. Nein, gleich dienstwillig dem Gotte und seinen frommen Verehrern, laßt uns unbekümmert Alles, was dargebracht wird, annehmen und als heiliges Gut im Tempel hinterlegen.

10. Ich glaube, ihr Delphier, daß ihr den richtigsten Beschluß in vorliegender Sache fassen werdet, wenn ihr vor allen Dingen die Wichtigkeit dieser eurer Frage in Erwägung ziehet, bei welcher es sich von nichts Geringerem handelt, als von dem Gotte selbst, seinem Tempel, den Opfern und Geschenken, den alten Gebräuchen und Satzungen und dem Rufe des Orakels, sodann von der gesammten Republik, dem Interesse des Gemeinwesens, wie des einzelnen Delphischen Bürgers, endlich von unserm guten oder bösen Namen in der Welt überhaupt – Rücksichten, welche wir, wenn wir vernünftig seyn wollen, doch wohl für die wichtigsten und wesentlichsten unter allen anerkennen müssen.

11. Alles Das ist es, was bei eurer Berathung in Betracht kommen muß, nicht blos der einzelne Tyrann Phalaris, noch auch dieser künstliche Stier, noch der Werth des Erzes, aus dem er gegossen ist, sondern die Könige und Fürsten alle, die dermalen unseres Orakels sich bedienen, und alles das Gold und Silber, und alle die Kostbarkeiten, die [818] hinfort noch reichlich unserem Gotte werden dargebracht werden. Denn die Sache des Gottes ist die erste, auf welche unser Augenmerk gerichtet seyn muß.

12. Warum sollten wir es also mit den Weihgeschenken nicht wie von jeher, so auch künftig halten? Was ist an dem alten Brauche auszusetzen, das geändert werden müßte? Warum wollen wir, was, seitdem Delphi steht, seit Apollo Orakel und die Pythia auf dem tönenden Dreifuße begeistert wird, nie geschehen ist, erst jetzt einführen, und über die Stifter von Tempelkleinodien eine richterliche Untersuchung anstellen? Ihr seht ja selbst, wie durch den alten Brauch, Allen ohne Unterschied Stiftungen zu gestatten, unser Tempel sich mit einer Menge herrlicher Schätze gefüllt hat, indem sogar Manche reichlicher, als ihre Umstände erwarten ließen, die Gottheit beschenkten.

13. Wollet ihr euch hingegen zu Prüfern solcher Stiftungen aufwerfen, so besorge ich sehr, ihr möchtet in Kurzem wenig mehr zu prüfen bekommen, indem wohl Niemand Lust haben wird, sich wie ein Beklagter vor euern Richterstuhl zu stellen, und mit seinem eigenen Gelde die Gefahr zu erkaufen, Alles zu verlieren. Denn für Wen könnte denn das Leben selbst noch Werth haben, der für unwürdig erklärt worden wäre, dem Gott ein Geschenk darzubringen?



  1. Rede eines Delphiers zu Unterstützung des Vortrags der Gesandten des Phalaris.
  2. Il. II, 519: „– die felsige Python.“
  3. Odyss. IX, 109.