Des Agha’s Erzählung
Wir saßen zu Anfang Juni d. J. im türkischen Vorposten-Lager, hart am Ufer der unteren Donau. Es war Abend, der Mond war schon seit einer Stunde aufgegangen und spielte mit seinem blassen Schein über die Flammen des Wachfeuers. Mahmud, der On-Baschi, (Korporal) hatte bei Anbruch der Dunkelheit seine von ihm selbst fabrizirte türkische Zither zur Hand genommen und mit dem kleinen Spänchen darauf klimpernd, uns ein begeistertes Lied gesungen, von dem ich nichts verstanden und dessen näselnde Gesangsweise die gewöhnliche Wirkung aller türkischen Melodien auf mich gemacht hatte: ich war in einen Halbschlummer gesunken. Jetzt, als der Gesang schwieg, weckten mich die melancholischen, lang gedehnten Klänge der Hörner eines entfernten Zapfenstreichs im Hauptlager, ich hörte nach demselben das tausendstimmige „Allah!“ der verschiedenen Tabors, welchen der Zapfenstreich galt, richtete mich auf, schüttelte mich ein wenig, denn der Boden, auf welchem ich hingestreckt gelegen, war noch feucht von dem Gewitterschauer, der uns Nachmittags getroffen, und that das erste, was man im Orient unmittelbar nach dem Erwachen thut – ich griff nach meinem Tschibuk, der während meines „Dämmerns“ der Hand entschlüpft war.
„Bujurun, Effendim!“ hörte ich die Stimme des allzeit gegen mich, den Gast im Lager, dienstfertigen On-Baschi. Mit der Kaffeeschale in der einen und die Zange mit einer glühenden Kohle in der andern Hand stand er vor mir, denn während ich schlief, hatte er nicht nur meinen Tschibuk wieder gestopft, sondern auch den unerläßlichen Kaffee bereitet.
„Ich danke Dir,“ antwortete ich dem On-Baschi. „Wo ist denn Wefadar Agha, der Jäs-Baschi?“
„Dort liegt er neben Dir,“ antwortete Mahmud. „Masch Allah, wenn Ihr so weiter schlaft, werden die Moskow drüben leichtes Spiel haben, unsere Vorposten niederzumachen wie eine Ratte im Sack.“
Inzwischen regte sich auch Wefadar Agha, der Commandirende unsers kleinen, aus Baschi-Bosuks bestehenden Vorpostens, der sich seit drei Tagen hinter eine Schanze gelegt, die im vorigen Herbste schon durch einen Uebergang der Russen genommen, von ihnen zerstört worden war, da sie sich wieder auf das jenseitige Ufer zurückzogen, jetzt aber immerhin noch ausreichte, um hinter dem halb verwüsteten Erdwerk zu campiren. Wefadar Agha war ein Türke vom reinsten Wasser; er liebte und verehrte seinen Padischah wie einen sichtbaren Gott, las so viel im Koran, daß man ihn allenfalls für einen Hodscha hätte halten können, und besaß in den Augen der Stocktürken nur zwei Fehler: er trank gern sein Glas Rakih (Schnaps), aber nie bei Tage – Gott bewahre – immer nur Abends, eine Stunde nach Sonnenuntergang; ferner hatte er eine außerordentliche Vorliebe für jeden Franken, der, wie er sich ausdrückte, zwar ein Giaur, ein Ungläubiger, aber im Uebrigen doch ein „sehr guter Kerl,“ sei. – Gott vergelte ihm diese gute Meinung; wer sie ihm beigebracht, habe ich nie erfahren, mir aber kam sie bei ihm sehr zu Statten. Trotz dieser einen erleuchteten Richtung steckte Wefadar Agha wie die meisten Türken bis an den Hals im Aberglauben, er war ein Kind an Leichtgläubigkeit, und daß ich ihm die ehrliche Haut nicht mehr voll gelogen, als es zu unserer Unterhaltung durchaus nothwendig war, das verdankt er dem Umstande, daß ich ihn seiner vielen guten Eigenschaften, namentlich seiner Treuherzigkeit wegen aufrichtig schätzen gelernt. Der Glaube dieser ehrlichen Türken ist überhaupt so stark, daß er Berge versetzen kann, ja mitunter hören sie den Erzählungen der Franken mit so possierlich liebenswürdiger Durchdrungenheit zu, daß man es sich schlechterdings nicht versagen kann, ihnen einen kleinen Bären aufzubinden.
Der Leser wird Letzteres unredlich finden, man wird sagen, diese Aufschneidereien seien hauptsächlich daran Schuld, daß die Europäer bei dem Orientalen in so schlechten Credit gerathen, aber, du lieber Gott, wie kann man anders! Wir sind nicht so erfahren in dem süßen „Kàff machen“ des Türken, einem Vergnügen, gegen welches das dolce far niente des Italieners noch ein sehr unvollkommener Seelenzustand ist; der Türke giebt nichts aus in der Unterhaltung, deren wir doch bedürfen, wenn wir’s ihm nicht gleich machen können in der Kunst, sich in süßer, bewußtloser Schwärmerei über Zeit und Welt hinweg zu setzen. Wir müssen also die Unterhaltenden sein, um aber die Aufmerksamkeit, das Interesse der Türken rege zu erhalten, müssen wir immer ganz absonderliche Geschichten erzählen – und diese sind bekanntlich nicht immer die wahren.
Wefadar Agha hatte heute Nachmittag von dem Miralai (Obersten) den Befehl erhalten, eine Recognoscirung Donau abwärts zu machen, da ein bulgarischer Bauer die Meldung gebracht, es ließen sich Kosaken bei der Insel Kama-Ada sehen. Als Wefadar Agha diese Ordre erhielt, nahm er etwa zwanzig seiner besten Reiter, ließ sie aufsitzen und schlug mir vor, ihn zu begleiten. Mahmud On-Baschi, der natürlich mit dabei war, hatte mir in weniger als drei Minuten mein Pferd von der Wiese geholt und gesattelt, und ich schloß mich also dem Zuge an. Nach anderthalb Stunden erreichten wir das Kama-Ada gegenüber liegende Ufer. Der On-Baschi war unter dem Schutze der vorspringenden niedern Felsen eine Strecke voran geritten, kam plötzlich spornstreichs unter allerlei dem Jäs-Baschi gegebenen Zeichen zurück und rapportirte Wefadar Agha etwas, das ich nicht hören konnte. Auf das leise Kommando des letztern sprengte der Trupp um den Ufervorsprung, während des Rittes knackten tactmäßig die Hähne der langen Pistolen und ehe ich mich dessen versah, schwammen die zwanzig Pferde mit ihren Reitern in der Donau, auf Kama Ada zu.
Ich stutzte. Auch mein Pferd hielt unwillkürlich an; es schien einen zu guten Begriff von meiner Besonnenheit zu haben, als daß es hätte glauben können, ich werde mich auf dergleichen halsbrechende Dinge einlassen, die doch offenbar über das Gebiet des kriegerischen Dilettantismus hinausstreiften. In der That lag dieses Manöver außer meiner Verabredung mit dem Jäs-Baschi; zu Lande würde ich ihm durch dick und dünn gefolgt sein, ja ich wäre allenfalls zu Fuße mit ihm auch in’s Wasser gesprungen, aber zu Pferde, das war mir neu; jedenfalls hätte ich darauf vorbereitet sein müssen. – Bekanntlich wurde dieses Manöver schon in dem vorigen Kriege von den Türken häufig ausgeführt, die an mehrern Stellen schwadronenweise schwimmend über die Donau gingen und hierdurch die Russen unangenehm überraschten.
„Wohin denn, Wefadar A?“[1] rief ich ihm nach, als ich ihn, an der Spitze seines Trupps, mit dem krummen Säbel zwischen den Zähnen und dem Pistol in der Hand der Insel zuschwimmen sah. Aber Wefadar A hörte und sah nicht und das Schnauben der Pferde überstimmte mein Rufen. Auf die Gefahr hin, in den Augen der Türken und in ihrer guten Meinung zu verlieren, beschloß ich, vom Ufer aus ruhig mit anzusehen, wie diese Wasserparthie enden werde. Nach Verlauf von kaum fünf Minuten hatte der Agha die Insel erreicht, die, überhaupt nur klein wie die meisten Inseln, mit welchen die untere Donau besäet ist, nach der bulgarischen Seite zu mit Weidengesträuch bedeckt ist. Kaum war der Agha mit der Hälfte seiner Reiter hinter dem letzteren verschwunden, als ich einen Pistolenschuß fallen hörte; diesem folgten im Nu ein Dutzend fernerer Schüsse; die Insel füllte sich über dem Weidengesträuch mit Pulverdampf, so daß es mir vollständig unmöglich gemacht wurde, zu beobachten, was dort vorgehe. Eine Pause von etwa zehn Secunden trat ein; dann fielen abermals, jedoch nicht in so schneller Folge wie vorhin, drei, vier Schüsse – Alles war ruhig; der Pulverdampf theilte sich allmälig über den Weiden, ich sah den Feß des Agha’s und die bunten Turbane seiner Reiter sich hinter dem Gesträuch hin- und herbewegen.
Wenn ich auch nichts von dem ganzen Vorgange gesehen, so wußte ich dennoch, was passirt: der Agha hatte sicherlich auf der kleinen Inselscholle ein halbes Dutzend Kosaken atrappirt, wie sie häufig auf den Inseln der Donau umherschlichen und die Lager der Türken beobachteten; ohne Zweifel hatte der Agha sie abgefangen und ihr Kaik versenkt. – Während ich mir, seine Rückkehr erwartend, eine Papier-Cigarre drehte, hörte ich etwas in’s Wasser plumpen – richtig, Wefadar Agha trat seinen nassen [463] Rückzug an, alle seine Baschi Bosutt hinter drein; – nur eins der Pferde war herrenlos geworden and wurde vom On-Baschi am Zügel geführt, während der Reiter, anscheinend leblos, über den Sattel eines seiner Kameraden gelegt war und von diesem transportirt wurde. Wefadar Agha hatte wiederum eines jener zwecklosen Scharmützel geliefert, deren während dieses Kriegs fast jeder Tag einige brachte, und für die zusammengenommen man füglich eine entscheidende Schlacht hätte liefern können, ohne (es ist dies nicht übertrieben) einen größern Verlust zu haben.
Triefend von Wasser langte Wefadar Agha wieder an; er war sehr zufrieden mit sich und erzählte mir, daß sie acht Moskows drüben abgeschlachtet; auch zeigte er mir einige Trophäen, nämlich sechs Karabiner und einige Säbel, welche man den Kosaken abgenommen.
„Und dafür hast Du einen Deiner Muselmänner geopfert?“ fragte ich, auf den Schwerverwundeten zeigend, den man leblos auf die Erde gelegt hatte. „War er Dir nicht mehr werth als diese schlechten Waffen, diese acht Moskows, die Du drüben abgethan hast? … Wefadar A,“ setzte ich vorwurfsvoller hinzu, während er sich eines Lächelns nicht erwehren konnte, als er mich in meinem Eifer mit der türkischen Sprache in die Brüche kommen sah. „Wefadar A, es ist nicht Recht, daß von Dir und allen Deines Gleichen in solchen nutzlosen Scharmützeln Eure braven Soldaten geopfert werden.“
„Thut nichts!“ antwortete er, „die Gesetze unserer Religion gebieten uns, dem Feinde zu schaden, wo wir können.“
„Das ist möglich,“ versetzte ich, „aber die Gesetze der Religion sind nicht die des Krieges, und die Klugheit hat auch ihre eigenen Gesetze; so lange Ihr diese nicht beachtet, werdet Ihr nie den Krieg führen lernen. Wir Franken folgen im Kriege immer zuerst den Gesetzen der letzteren und dann erst denen der ersteren.“
„Dafür seid Ihr auch Giaurs,“ antwortete Wefadar Agha, ein wenig gereizt dadurch, daß ich ihm die Kriegskunst abgesprochen.
„Pfui!“ rief ich, „Wefadar A, ich hätte nicht geglaubt, daß Du so boshaft sein könntest!“ – Darauf gab ich dem Pferd die Sporen und ritt voraus in’s Lager mit der festen Absicht, dasselbe morgen früh mit Sonnenaufgang zu verlassen und meinen Weg fortzusetzen.
Nichts destoweniger wußte ich, daß Wefadar Agha der gutmüthigste Kerl von der Welt, ich nahm ihm daher seine Aeußerung nicht so krumm, wie es den Anschein hatte und ehe der Abend kam, waren wir wieder versöhnt. Der Agha war einer von den leichtgläubigen Seelen, deren ich oben erwähnt; vor Beginn des Krieges war er als Jäs-Baschi der Redifs in einer der kleinern Balkanstädte stationirt gewesen und hatte dort Muße gehabt, seinen Aberglauben auszubilden; wie es kam, daß er jetzt die Redifs verlassen und einen Haufen Baschi-Bosuks kommandirte, das weiß ich nicht. Seine Lieblingsbeschäftigung bestand im Erzählen von Geschichten und Märchen, die einem Medach (Märchenerzähler) Ehre machten und selten so fabelhaft waren, daß schon sein eigner Köhlerglaube dazu gehörte, um in ihnen auch nur einige Wahrscheinlichkeit zu finden.
„Da ich morgen reisen will, so erzähle mir noch ein Märchen, Wefadar A,“ sagte ich, als wir am Abend um das Wachfeuer lagen.
„Reisen willst Du?“ rief er, mich groß anschauend. „Wenn Du nicht bleiben willst, nun denn, Allah geleite Deine Schritte!“
„Wir sehen uns wohl noch wieder!“
„Das ist Gottes Sache!“ antwortete er. „Zum Abschied will ich Dir heute nicht ein Märchen, sondern eine ganz wahre Geschichte erzählen. Hör also zu!“
Der Agha zog seine Beine unter sich zusammen, blies eine Wolke aus seinem Tschibuk, schaute träumend einige Minuten in die zahllosen Ringel der Tabackswolke, welche vor ihm in dem Mondenlicht spielten, und begann dann also:
„Ateja, die Lieblings-Kadin des Padischah (welches Padischah, das erzählt die Geschichte nicht) fühlte sich Mutter und die Sterndeuter und Hof-Astrologen stritten sich lange und heftig und konnten sich nicht über die Frage einigen, ob es ein Sohn oder eine Tochter werde. Diese Uneinigkeit machte sowohl dem Sultan als der Kadin viel Kummer, denn wie man sich denken kann, hätten Beide es gern gesehen, wenn es ein Sohn wurde. Endlich gab der Himmel selbst den Ausschlag in dieser Angelegenheit.
Ateja hatte nämlich eines Nachts einen seltsamen Traum: es erschien ihr in demselben ein Engel, welcher ihr verkündete, wenn sie zwischen heute und dem nächsten Freitag zwei Fische esse, in deren einem sie eine Gräte finde, die gestaltet sei wie ein Stern, in deren anderm aber eine Gräte sei in Gestalt einer Rose, so werde sie einen Sohn zur Welt bringen.
Ateja erzählte diesen Traum am andern Morgen dem Sultan und dieser gab sogleich Befehl, daß man die Kadin täglich dreimal mit den schönsten Fischen der Welt bewirthen solle. Natürlich wanderten, als dies den Fischern verkündet wurde, die schönsten Fische der Welt in größerer Menge denn jemals in die Küche des Serail, und wie man sich vorstellen kann, aß Ateja dreimal täglich so viel Fische als sie irgend verzehren konnte. Aber wie viel sie auch aß, sie fand in keinem die Rose und den Stern, und die Arme wurde allgemach so traurig, daß sie kaum noch im Stande war, Fische zu essen.
Da, als sie schon alle Hoffnung aufgegeben, fand sie am Donnerstag Abend in zwei wunderschönen, wohlschmeckenden rothen Barben sowohl die Rose als den Stern, ein Ereigniß, welches maßlose Freude im Haremlik verbreitete und sofort dem Sultan gemeldet wurde, der ebenfalls hoch erfreut war, denn daß die Verheißung des Engels in Erfüllung gehen werde, das zu bezweifeln wäre sündhaft gewesen. Auch die Sterndeuter und Hofastrologen freuten sich über die Maßen und meinten, sie hätten es ja immer gesagt, daß es ein Söhnlein werde.
Der Sultan beschloß nun, den Fischer, welcher die beiden rothen Barben geliefert, zu belohnen, wie er noch nie einen Unterthan belohnt habe, und befahl, diesen Fischer vor ihn zu führen; damit sich aber nicht alle Fischer heran drängten, und man den wahren finde, solle nichts verlauten, daß es sich um eine Belohnung handle, vielmehr müsse man die Fischer glauben machen, es solle Einer von ihnen bestraft werden.
Der erste Minister, welcher diesen Befehl auszuführen hatte, war nun in großer Verlegenheit, wie er den Fischer ausfindig machen könne; er wandte sich an die Köche, die denn auch täglich auf dem Fischmarkt umher streiften, aber doch nicht den Fischer wieder erblicken konnten, der ihnen die rothen Barben gebracht.
Endlich, endlich trat eines Morgens ein junger Fischer zu den Köchen, als sie auf dem Bazar dastanden, und fragte sie, ob sie nicht wieder von seinen rothen Barben kaufen wollten, die er auf dem Kopf in einem hölzernen Gefäße trug.
„Der ist’s!“ rief der Oberste der Köche. „Wir haben ihn! Bindet ihn, damit er uns nicht entkömmt!“ – Und von einigen Kavassen, die in der Nähe waren, unterstützt, band man den armen Fischer, der an allen Gliedern zitterte, und nicht anders glaubte, als daß man ihn zum Scharfrichter bringen werde. Im Serai angekommen, nahm man ihm seine Stricke ab und führte ihn vor den Patischah.
„Dieser ist’s, der uns die rothen Barben gebracht!“ sagte der Oberkoch, auf den zitternden Fischer zeigend, der selbst nicht wußte, wie ihm geschah, als ihn der Sultan lächelnd fragte, wie er heiße und woher er sei?
Der Fischer antwortete, er sei ein Grieche, Namens Nicolai, ernähre sich seit zwei Jahren vom Fischfange und wohne auf den Prinzeninseln.
„Mein Sohn“, sagte der Padischah zu ihm, „die Sonne des Glückes ist über Deinem Haupte aufgegangen, denn ich habe gelobt, Dich zu belohnen, wie ich noch nie belohnt habe. Fortab sollst Du nicht mehr auf den Fischmarkt gehen, sondern einer der Größten meines Reiches werden.“
Und der Sultan schenkte ihm drüben auf der anadolischen Seite, hinter dem schwarzen Meer so viel Land, als er in fünfzig Tagen abreiten könne und überhäufte ihn außerdem mit Gold und Edelsteinen.
Nicolai, der arme Fischer, nahm sein Land in Besitz und ließ sich zum Schah eines großen Stammes ausrufen. Und als er reich und mächtig geworden, da ward Nicolai übermüthig, in seinem Hirn nahm der Undank Platz, er empörte sich gegen seinen Herrn und Gebieter, den Padischah, und überzog das Land desselben mit Krieg. Dieser Nicolai ist kein Anderer, als der Schah der Moskow; aber Allah ist groß, und er wird ihn verderben, wie er alle seine Feinde vernichtet.“ –
[464] So weit erzählte Wefadar Agha. – „Masch Allah!“ rief ich, als er zu Ende, „Du hast Recht, Wefadar A, er hat den Undank in seinem Haupte Platz greifen lassen, und der Himmel wird ihn unfehlbar verderben, denn Gott ist gerecht und thut, was er will,“ setzte ich, mich des ewigen Refrains im Koran erinnernd, hinzu.
Die obige Sage habe ich später, wenn auch in anderer Version, mehrmals aus dem Munde des türkischen Volkes gehört. Was nun die Glaubwürdigkeit dieser mir von dem Agha erzählten „wahren Geschichte“ betrifft, so ziemt es weder mir noch Dir, lieber Leser, an derselben zu zweifeln, vielmehr ist es für eine ausgemachte Sache zu halten, daß der Kaiser aller Reußen nichts als ein Vasall des großen Padischah ist.
- ↑ Der Türke spricht den jedem höheren Militär zukommenden Titel Agha hinter dem Namen nur A aus.