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Japanesische Spiegelbilder

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Japanesische Spiegelbilder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 460-461
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Japanesische Spiegelbilder.

In den letzten Jahren war ziemlich oft von einer amerikanischen Expedition nach Japan die Rede. Sie hat nun stattgefunden und während wir hier über Japan schreiben oder lesen, wird wahrscheinlich die kleine amerikanische Expeditionsflotte wieder in einen Hafen des japanesischen Reichs gesegelt sein und sich Antwort auf ihre Anfrage vom vorigen Herbste geholt haben, ob die Herren Japanesen gutwillig ihre Erde – die Gemeingut ist, dem Handel und Verkehre der civilisirten Welt öffnen wollen. Civilisation und Handel wollen jetzt ihre enormen Lebensadern durch die ganze Erde ziehen; deshalb kann und darf sich Japan nicht länger verschließen. Ohne Stationen und Kohlen-Depots in Japan kann die neue Welt, welche sich von den westlichen Gestaden Amerika’s über das stille Meer, durch Australien und unzählige Inseln nach Asien hinüberzieht, um über Asien nach Europa zurückzukehren, nicht gedeihen. Diese neue Welt ist aber so kräftig, daß sich die seit einer Ewigkeit verbarrikadirten Japanesen nicht mehr dagegen halten können, was sie zunächst den Amerikanern auch antworten mögen. Unter allen Umständen werden wir bald mehr von ihnen hören. Es ist deshalb gut, wenn man sich darauf vorbereitet und zusammenstellt, was man etwa bisher von ihnen weiß. Eine nähere Veranlassung zu diesen Spiegelbildern ist die japanesische Ausstellung in London (in der Ausstellung der Wasserfarbenmaler-Gesellschaft 5 Pall Mall), die erste in Europa, die aus direct importirten Waaren besteht.

Japan oder die japanesische Gruppe von Inseln nimmt eine sehr lang gestreckte Lage auf der östlichen Seite Asiens ein und erinnert dadurch ganz genau an England in seinem Verhältnisse zu Europa. Es dehnt sich vom 31sten bis zum 42sten Grade nördlicher Breite und vom 157sten bis zum 175sten östlicher Länge aus, liegt also im gemäßigten Klima. Es besteht aus drei großen Hauptinseln, außer vielen kleinen, den Gestaden Asiens gegenüber, welche die Schifffahrt gefährlich und das Nahen Fremder schwer machen. Außerdem ist das Meer dort ziemlich stürmisch. Lauter Umstände, welche die Japanesen in ihrer bis zum Ideal ausgebildeten Schutzzollpolitik begünstigten. Von Außen sieht das Land größtentheils sehr kraftlos aus. Steile Klippen erheben sich plötzlich, lange Gebirgszüge blicken kahl und öde herüber. Das Innere wird freilich als ein ewig-blühender, saftiger und Früchte tragender Garten geschildert. Die Japanesen haben die ödesten Felsen mit fruchtbarer Erde und diese mit der üppigsten Vegetation bedeckt, so daß diese ungeheueren Terrassen von Paradiesen sich zuweilen bis in den Himmel zu erheben scheinen.

Die Existenz der japanesischen Inseln wurde in Europa zu Ende des 13. Jahrhunderts durch den berühmten Marco Polo aus Venedig näher bekannt. Er verließ Italien 1275, drang durch Westasien und die ungeheuern mongolischen Steppen bis China vor, wo er durch Kühnheit, Schlauheit und Wissenschaft einer der ersten Rathgeber des mongolischen Kaisers Kublai ward. Auf seinen Rath machte Kublai einen Versuch, Japan (oder Zypangu) zu erobern, durch Sturm und Tapferkeit der Japanesen vereitelte der Plan. Nun hörte man drei Jahrhunderte lang nichts wieder von Japan, bis die Portugiesen, damals die Pioniere der Civilisation, es auf’s Neue entdeckten. Ferdinand Mendez Pinto wurde 1542 an die Küste von Bungo verschlagen und brachte im nächsten Jahre abenteuerliche Nachrichten von Japan mit. Dies veranlaßte die Jesuiten, welche damals mit dem ersten Eifer arbeiteten, sich die geistige Herrschaft über die ganze Erde zu erwerben, auf das neue Land zu speculiren. Sie schickten Franz Xavier, „den Apostel der Indier,“ 1547 von Goa ab. Er ward von den Japanesen mit viel Auszeichnung empfangen und in seinem Bekehrungseifer sogar unterstützt, so daß er mit wunderbarer Leichtigkeit Schafe in seinen Stall eintrieb und Kirche auf Kirche sich erheben ließ. Doch was er gebaut, stürzte an einem Tage unter der Wuth des betrogenen Volkes. Die japanesischen Jesuiten waren durch ihren Erfolg übermüthig geworden und traten deshalb kühn mit ihren weltlichen Zwecken heraus, welche den protestantischen Holländern, die sich auch mit weltlichen Zwecken eingefunden hatten, um so mehr ein Dorn im Auge waren, als die Jesuiten durch ihre Processionen Handel und Gewerbe störten. Beide christliche Parteien benahmen sich so gegen die „Heiden,“ daß diese weder vor der einen, noch der andern Achtung bekamen. Die Holländer hatten Zutritt bei Hofe und schürten die Flamme stillen Hasses gegen die übermüthigen Jesuiten, die bereits mehr als 1 Million Anhänger zählten. Es bedurfte nur eines Funkens und die Explosion erfolgte mit einer Wuth, die ihres Gleichen in der ganzen blutigen Geschichte von Glaubenskämpfen nicht haben mag. – Die japanische Etikette verlangt die größte Unterwürfigkeit aller Niedrigeren gegen Höhere. So rief ein Bischof, der mit einer pompösen Procession vor einem Großen des Landes vorbeizog, ohne von ihm Notiz zu nehmen, (im Gegentheil verlangte er, daß sich der weltliche Große vor dem Theaterzug in den [461] Staub werfe), den größten Unwillen im Lande hervor. Und als das Staatsoberhaupt von dem Benehmen des stolzen Spaniers (des Bischofs) hörte, rief er aus: „Was, sind meine Lande gefüllt mit Verräthern?“ Diesen aufflackernden Unwillen bliesen die Holländer und ein Engländer Adams zu einer so fürchterlichen Flamme an, daß die ganze Million von den Jesuiten bekehrten Japanesen und alle Spanier und Priester, kurz alle Christen in wenig Tagen bis auf den letzten Mann auf die grausamste Weise umgebracht wurden. – Die Holländer glaubten nun Sieger auf dem Gebiete des Handels mit Japan zu sein, aber sie waren und blieben als „Fremde“ eben so verhaßt und wurden zu dem Privilegium zurückgewiesen, auf einer künstlich von Brettern auf dem Wasser gebauten Insel, genannt Decima, im Hafen von Nangasaki, eine Faktorei zu errichten. Sie steht mit dem festen Lande durch eine schmale Brücke in Verbindung, über welche Japanesen mit Waaren zu ihnen kommen können, ohne daß es ihnen, den Holländern, gestattet ist, japanesischen Boden zu betreten.

Eine englische Expedition unter Karl II. nach Japan wurde hauptsächlich durch englische Unterthanen – die ostindische Compagnie, welche sich des Handels allein bemächtigen wollte – vereitelt. Von nun an blieb Japan wieder ein versiegeltes Buch bis auf unsere Zeit, denn auch neue englische Versuche (1811 – 1813) mit dem Lande anzuknüpfen, blieben erfolglos, so kühn man sich auf dem Wege dahin der Inseln Java, Sumatra, der Molukken und vieler holländischer Besitzungen bemächtigt hatte. Die Holländer behaupten bis heute ihren privilegirten Handel auf ihrer Bretterinsel mit 40 Millionen Menschen, welche durch Kunst, Geschicklichkeit, den reichsten Boden und eine allgemeine Volksbildung im Stande wären, mit der ganzen Welt in fruchtbare Verbindung zu treten. Der holländische Handel beschränkt sich auf Ein Schiff, das jährlich von Batavia nach Nangasaki geht, wo 11 Holländer auf ihrem jämmerlichen Decima inzwischen ge- und verkauft haben, um das einzige Schiff mit einigem Vortheil zu laden und zu löschen.

Vielleicht segeln und dampfen in hundert Jahren hier Tausende von Schiffen, wie um das kleinere Japan Europa’s herum, England, dieses holländische Decima ist das Sinnbild der Krämerseelen, die Tausende englischer und amerikanischer Schiffe Symbol des Handelsgeistes. Decima ist eine Art von Fähre, 600 Fuß lang und 240 breit, bedeckt mit Häusern und Vorrathsschuppen. Der enge Weg, welcher es mit Nangasaki verbindet, wird am Ende von einer Wache beaufsichtigt, welche Japanesen beiderlei Geschlechts passiren läßt und Abends auf dem Rückwege controlirt, da Niemand über Nacht bei den Holländern bleiben darf.

Die 11 Holländer – Director, Vorraths-Inspektor, Arzt, fünf Schreiber, ein Buchhalter und zwei Hausknechte – werden den Tag über von japanesischen Dienstboten und Gehülfen unterstützt, sind aber während der zwei Jahrhunderte, seitdem sie in ihrer Gefangenschaft dort leben, (ersetzt durch einen Andern, wenn Einer stirbt) nicht vorwärts gekommen. Diesen ledernen Krämerseelen verdankt Japan seine Begriffe von den civilisirten Nationen der Erde. Wir sind den Amerikanern doppelten Dank schuldig, daß sie endlich andere Gesichter und Gesinnungen gezeigt haben. Sie haben dort bereits ein Kohlen-Depot für ihre erdumgürtenden Dampfer, deren tapferer, gebildeter Unternehmungsgeist den Japanesen bald zeigen wird, daß der materielle und ideelle Umgang aller Völker auch ihren Vortheil zu fördern weiß. Wir wissen schon, daß das Volk dort eben so gebildet, als neu- und wißbegierig ist, obgleich wir unsere Kunde von dem Innern hauptsächlich nur dem russischen Capitain Gollowin verdanken, der 2 Jahre im Lande mit verbundenen Augen umhergeschleppt ward, weil man nicht wagte, ihn den Gesetzen des Landes gemäß zu ermorden. Doch sah er unter der Binde hindurch genug für einen starken, interessanten Octavband. Er schildert das Innere als ein Paradies von Gärten und herrlichen Landschaften, blühenden Städten, seltsamen Statuen und Kunstprodukten, das Volk als gutmüthig und durchweg des Lesens und Schreibens kundig in einer wohlklingenden Sprache, die viel Literatur und Poesie aufzuweisen haben soll. Die Soldaten, welche ihn bewachten, lasen, declamirten und unterhielten sich literarisch, statt mit Schnaps, Tabak, Kartenspiel und schnöden Witzen. Die Leute sind sehr fleißig, heiter und vergnügungssüchtig, und für die geschlechtlichen Laster fand er die größten Paläste, oft von Tausenden des schwachen Geschlechts bewohnt. Die politischen und socialen Einrichtungen beruhen auf amtlicher Bureaukratie und geistiger Hierarchie. Der Kaiser hat neben sich einen Papst und außerdem eine Art von Parlament der Reichen und Großen im Lande, so daß er nicht unumschränkt herrschen kann. Doch soll die Hierarchie sehr menschlich sein und alle Arten von Glauben, selbst den Atheismus unbehindert gedeihen lassen. Aus alle dem läßt sich auf einen hohen Grad von Cultur schließen, noch mehr aus ihrer Industrie. Die in London ausgestellten Porcellan- und Broncewaaren zeugen von Geschmack und Geschick. Die japanesischen Bronce-Arbeiten sind seit Jahrhunderten berühmt gewesen. Die Kunst des Lackirens in Europa soll direkt von Japan stammen, weshalb auch die Engländer „lackiren“ mit „japan“ bezeichnen.

Um noch ein Wort über den Produkten- und Mineralreichthum Japans zu sagen, so ist es längst bekannt, daß die Hauptinsel Nipan sehr reich an Goldminen ist, die freilich von der Regierung geschlossen worden sind, weil die Weisen von Yeddo, (der Residenz des Kaisers) dachten, das vorhandene Gold werde dadurch den Werth verlieren. Ganz richtig. Wenn die alte Jacke Werth behalten soll, darf man sich keine neue kaufen. – Auch Silber und Kupfer sind im Ueberfluß da. Letzteres ist berühmt wegen seiner Feinheit und Schönheit für delicate industrielle Zwecke. An den Gestaden findet man rothe Perlen. Reis und Seide sollen besser sein, als irgendwo in Asien. Auch der Thee übertrifft den chinesischen, wenigstens der wahrhafte Kaiserthee, der auf einem Berge bei Meaco ausschließlich für den Tisch des Kaisers gesammelt wird. Die Theebäume sollen in einer herrlichen Allee den Berg hinauf- und herabführen und streng bewacht werden, damit sich kein Unprivilegirter einige Blätter abstreife. Wahrscheinlich ist der Thee so vorzüglich, weil ihn blos der Kaiser trinken darf, auch weil die Bäume mit der größten Sorgfalt gepflegt werden und kein Hälmchen in ihrer Nähe wachsen darf. Jedes Frühjahr kommen behandschuhte, geschworene Beamte mit verbundenen Mäulern und Nasen (damit nicht einmal gemeiner Athem die Blätter treffe), um auf ein Jahr für die kaiserliche Küche zu sammeln. Vor einigen Jahren wurde japanesischer Thee von der ostindischen Compagnie nach London gebracht und für 3 Guineen das Pfund (über 21 Thaler) verkauft, vielleicht nimmt der Herr Kaiser mit der Zeit Vernunft und leipziger Lerchen, potsdamer Zwieback, berliner Pfannkuchen u. s. w. an und giebt uns dafür einige Priesen von seinem Thee, auf den es uns aber weniger ankömmt, als auf die Kohlen seines Landes, die im asiatischen England in eben solcher Menge gefunden werden, wie im europäischen. Wenn der Kanal durch und die Eisenbahn über Panama fertig sind, kommt uns Japan und der ganze Osten Asiens viel über 1000 geographische Meilen näher und dann brauchen die Völker, welche für die ganze Welt arbeiten, brauchen England, Amerika und Deutschland auch japanesische Kohlen, welche die Majestät der Natur vor Millionen von Jahren machte, und nicht die Majestät von Japan. Bis jetzt verstehen die Großen des Landes blos holländisch – in der That die allermißtönigste Sprache aller civilisirten Völker – bald werden sie mit den kurzen Sätzen der amerikanischen bekannt werden und darin nicht nur die Interessen der Menschheit, sondern auch ihre eigenen mitten in derselben und durch sie ausdrücken und verstehen lernen. Mögen dann ihre Damen fortfahren, bei der Hochzeit ihre Zähne schwarz zu färben, sie werden nicht zögern, sie in Verbindung mit Europäern und Amerikanern nicht nur weiß zu lassen, sondern auch hübsch zu putzen und den Männern was weiß zu machen, wie dies das schöne Geschlecht unter allen Himmelsstrichen gelegentlich verstehen soll.